Mythen der Liebe

Die Veranstaltung findet vorerst online statt

Oberseminar: Mythen der Liebe

SS 2020 | donnerstags | 11:30–13:00 Uhr | Raum 30.91–110

Beginn: 23. April 2020 | Ende: 23. Juli 2020

Lie­be steht oft am Anfang, wenn erzählt wer­den soll, war­um die Welt ist und nicht viel­mehr nichts. Vor allem im Mythos ist sie das Motiv aller Moti­ve. Aber auch, wenn die Welt längst erschaf­fen und mehr oder min­der geord­net ist, insze­nie­ren die Mythen das The­ma Lie­be in einer Viel­falt, die immer umfas­sen­der und einem Spek­trum, das immer grö­ßer wird.

Fast alles scheint mög­lich, weil es immer eine Sto­ry gibt, die auch noch von den unmög­lich­sten Begeg­nun­gen fabu­liert. Daher bleibt die Welt nicht wie sie ist, weil sie durch Lie­bes­ge­füh­le in ihrem Nor­mal­ver­lauf immer wie­der gestört und ver­än­dert wird.

Genau das wird vor­ex­er­ziert: Es kommt dar­auf an, Gren­zen zu über­schrei­ten, wenn nur die Moti­ve stark genug sind. Und immer wie­der wird neu durch­ge­spielt, was dar­auf­hin geschieht: Glück und Unglück, Segen und Fluch, Hoff­nung und Ver­zweif­lung lie­gen sehr nahe nebeneinander.

Es gibt kaum ein inten­si­ve­res Ein­füh­len als unter Anlei­tung die­ser Plots selbst ins Fabu­lie­ren zu gera­ten. Klein­ste Varia­tio­nen genü­gen, denn die Plots reagie­ren sen­si­bel auf jede Inter­pre­ta­ti­on. So läßt sich in Erfah­rung brin­gen, daß wir selbst krea­tiv wer­den, wo es ums Ver­ste­hen geht. — Es gilt, den Dia­log mit den Figu­ren zu suchen, um zu ver­ste­hen, war­um sie so agie­ren und nicht anders, wor­auf es dabei ankommt, was eigent­lich hin­ter den Kulis­sen geschieht.

Mythen bie­ten ganz gro­ßes Thea­ter. Wer sich dar­auf ein­läßt, fin­det sich als­bald schon in einer sehr pri­vi­le­gier­ten Posi­ti­on, nahe genug am Gesche­hen, um alles mit­zu­be­kom­men, aber weit genug ent­fernt, nicht selbst mit hin­ein­ge­ris­sen zu wer­den. — Mythen die­nen unse­rem Anspruch auf Sinn, wenn sie muster­gül­tig durch­spie­len, was der Fall gewe­sen sein könn­te, um uns anstel­le von Erklä­run­gen eine Erläu­te­rung anzu­die­nen. Eben das macht Kul­tur und Bil­dung aus,anhand zeit­über­grei­fen­der Moti­ve ein­schlä­gi­ge Erfah­run­gen zu machen, um Viel­falt und Kom­ple­xi­tät wür­di­gen zu kön­nen und nicht als Bedro­hung emp­fin­den zu müssen.

In den Mär­chen, Mythen, Sagen und Legen­den, in sämt­li­chen die­ser muster­gül­ti­gen Plots ist gera­de die Lie­be eines der stärk­sten Moti­ve über­haupt. Oft kommt die­ses Gefühl aller Gefüh­le urplötz­lich auf. Fast unmit­tel­bar wech­seln Betrof­fe­ne, die zuvor noch ganz bei sich gewe­sen sind, in einen ande­ren Modus.

Schnell zeigt sich, wie uner­bitt­lich die­ser Ruf ergeht, wie wider­stands­los ihm gefolgt wird. Wo Göt­ter, Hel­den oder auch gewöhn­li­che Men­schen in Lie­be ent­flam­men, sind sie bald schon zu allem bereit. Dabei zei­gen sie Züge, die man ihnen eigent­lich nicht zuge­traut hät­te. Sie wach­sen über sich hin­aus, gera­ten aber auch außer sich, unter­neh­men alle erdenk­li­chen Anstren­gun­gen und wech­seln sogar ihre Iden­ti­tät, was nicht immer gut aus­ge­hen muß.

Nicht von unge­fähr wird die­se Ergrif­fen­heit im Sym­po­si­on bei Pla­ton als Wahn begrif­fen und sodann als ›hei­li­ger‹ Wahn geadelt. — Von einem Augen­blick zum ande­ren kann es aus uner­find­li­chen Grün­den gesche­hen, was nicht sel­ten ohne Mühe auch Umste­hen­de beob­ach­ten kön­nen: Eine tief­grei­fen­de Wesens­ver­än­de­rung geht damit ein­her; Gefüh­le, Herz und Ver­stand, Kopf und Bauch, der gan­ze Kör­per spielt verrückt.

›Hei­lig‹ erschien Pla­ton die Lie­be auch in ihrer ele­men­tar­sten Erschei­nung bereits, weil sie gera­de auch denen Flü­gel ver­leiht, die anson­sten ihre Boden­haf­tung nie­mals ver­lie­ren. Inso­fern hat sie nicht nur etwas Anar­chi­sches, son­dern auch etwas Erhe­ben­des. Men­schen ler­nen sich selbst auf eine ganz neue Art ken­nen und nicht nur sie. — Folgt man dem pla­to­ni­schen Modell von den Stu­fen der Lie­be, dann stei­gen wir wie Adep­ten schritt­wei­se all­mäh­lich immer wei­ter auf.

Alle Vor­stel­lun­gen über Lie­be haben eines gemein­sam, sie ist als schick­sal­haf­tes Ereig­nis eigent­lich uner­klär­bar. Also greift der anti­ke Mythos zum Bild eines rechts­un­mün­di­gen Kna­ben, der aus dem Hin­ter­halt mit Pfei­len auf sei­ne Opfer schießt.

Nach­dem Apol­lon den Lie­bes­gott ein­mal als schlech­ten Schüt­zen ver­spot­tet hat­te, räch­te sich die­ser auf urei­gen­ste Wei­se: Eros schoß einen gol­de­nen Lie­bes­pfeil auf den Son­nen­gott, einen mit nur blei­er­ner Spit­ze dage­gen auf die Berg­nym­phe Daph­ne. Dar­auf ver­lieb­te sich Apol­lon unsterb­lich in Daph­ne, die­se aber floh vor ihm. Erschöpft von der Ver­fol­gung bat sie ihren Vater, den Fluß­gott Pen­ei­os, er möge sie ver­wan­deln, wor­auf ihre Glie­der erstarr­ten und sie zu einem Lor­beer­baum wur­de. — Seit­her ist der Lor­beer dem Apol­lon hei­lig, zum Geden­ken an Daph­ne trägt er einen Lor­beer­kranz oder eine mit Lor­beer geschmück­te Kithara.

Das Kon­zept, die Ursa­chen der Lie­be auf die Pfei­le des Amor zurück­zu­füh­ren, ist dazu ange­tan, gar nicht erst erklä­ren zu wol­len, war­um die­se Ver­bin­dungs­stif­tung so unbe­re­chen­bar, ja nicht selten
aben­teu­er­lich ist. Es steckt kein Plan dahin­ter, kei­ner­lei Absicht. Es ist eher wie ein Schicksalsschlag.
Oft kommt näm­lich zusam­men, was zuvor nie zuein­an­der gepaßt hat, was nicht sel­ten ver­fein­det mit­ein­an­der ist seit Men­schen­ge­den­ken. — Immer sind Hin­der­nis­se zu über­win­den, die im Äuße­ren oder auch im Inne­ren lie­gen. Immer ist die Fra­ge offen, ob das gelingt und wenn, ob die Lie­be dann auch gelebt wer­den kann und was dar­aus wie­der­um folgt.