• Anthropologie,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Melancholie,  Moderne,  Motive der Mythen,  Religion,  Theographien,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Philosophischer Salon

    Philosophischer Salon

    Literaturhaus im Prinz-Max-Palais

    WS 2019 | donnerstags | 18:00-20:00 Uhr

    Wassily Kandinsky: Thirty (1937). Musée national d’art moderne, Paris. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Kultur ist ein Mittel, nicht einfach nur verrückt zu werden, angesichts der überfordernden Komplexität einer Welt, der wir als Individuen und auch als Gattung ziemlich gleichgültig sind. — Es gilt, darüber hinaus zu gehen und Ordnung zu schaffen, also Bedeutungen. Kultur bietet Orientierung und Schutz, sie gewährt Erwartungssicherheit, basale Gefühle und die Erfahrung, getragen sein von wieder erkennbaren Strukturen, die verläßlich sind.

    Wir sind immer auf der Suche nach Sinn, weil sich daran das eigene Orientierungsvermögen selbst wieder orientieren läßt. Daher ist Orientierungsorientierung von so große Bedeutung, denn Sinn verschafft Sicherheit im Geiste, und das in einer Welt, die übermächtig und eigentlich auch unbeherrschbar erscheint.

    Aber die Welt läßt sich in Geschichten verstricken, so daß wir uns wie an einem Ariadnefaden im Labyrinth einer immer unübersichtlicher werdenden Welt orientieren können, obwohl wir sie als ganze gar nicht überschauen.

    Literaturhaus | Karlsruhe | Prinz-Max-Palais | Karlstraße 10 | Foto: Bernhard Schmitt

    Menschen sind Orientierungswaisen. Jedes Tier ist vollkommen integriert in den angestammten Lebensraum. — Man möchte annehmen, daß ›die‹ Natur mit dem Menschen das Spiel eröffnet hat, wie es wohl sei, ein Wesen zu erschaffen, das sich selbst orientieren kann. Inzwischen ist die Welt fast vollständig umgebaut worden. Schon bald werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben.

    Der Anspruch, sich in diesen künstlichen Welten zu orientieren, steigt ständig. Zur  Orientierung braucht es inzwischen Orientierungsorientierung. Dabei soll gerade auch die Individualität zum Zuge kommen. — Die Zeiten sind vorbei, in denen traditionelle Rollen mustergültig gelebt werden mußten, vor allem Geschlechteridentitäten, die keinen Ausbruch, keine Abweichung, keine Sperenzien duldeten. Immer weniger ›Sinn‹ ist vorgegeben, was eben bedeutet, sich selbst zu orientieren.

    Seit alters her werden einschlägige Antworten auf letzte Fragen immer wieder neu von den Mythen gegeben, die das Kunststück beherrschen, Weltvertrauen und Zuversicht zu schaffen. Wie das geschieht, das soll mit immer wieder neuen Einsichten im Philosophischen Salon zur Erfahrung gebracht werden. — Menschen sind kosmische Waisen, ausgesetzt in dem Bewußtsein, sich selbst bedenken zu müssen.

     

  • Anthropologie,  Identität und Individualismus,  Melancholie,  Motive der Mythen,  Religion,  Urbanisierung der Seele,  Vorlesung,  Zeitgeist

    Das erschöpfte Selbst

    Lucas Cranach der Ältere: Melancholie. Nationalgalerie,
    Kopenhagen.<fn>Public domain via Wikimedia Commons.</fn>

    Erläuterungen zur Psychogenese

     

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    Anthropologie der modernen Welt

    Walter Crane: Die Rosse des Neptun. Neue Pinakothek München, Public Domain @ Wikimedia
    Walter Crane: Die Rosse des Neptun. Neue Pinakothek München, Public Domain @ Wikimedia

    Das multible Selbst

    Die Götter der Antike sind wie die Stars unserer Tage, die Sterne von damals sind die Sternchen von heute. Alle ihre einzelnen Fähigkeiten, mit denen sie sich im Verlaufe der Zeit angereichert haben, lassen sich oft noch an den vielen Beinamen erkennen, es sind Spuren vereinnahmter Häuptlingstümer, es sind die Geister von Clans, Landschaften und Kulturen, die längst aufgegangen sind im größeren Ganzen dieser Göttergestalten. Gerade Götter verfügen über multiple Identitäten, daher fällt es ihnen so leicht, in fremder Gestalt aufzutreten, um sich selbst dabei doch treu zu bleiben. Daher beherrschen sie das Spiel mit den Masken. Besonders Zeus wechselt ein ums andere Mal für Liebesabenteuer äußerst spektakulär die eigene Gestalt: Er nähert sich seiner späteren Gattin Hera als durchnäßter, zitternder Kuckuck, als Stier der Europa, als Schwan der Leda, als goldener Regen der Danaë und um den Herakles zu zeugen, verwandelt er sich in Amphitryon, den Gatten der Alkmene.

    Götter wie Zeus beherrschen einfach dieses bedeutende Kunststück, sich auch in fremder Gestalt noch immer selbst treu zu bleiben. Im Prozeß der Zivilisation wird nicht nur die Außenwelt, sondern auch die Innenwelt immer weiter ausdifferenziert. Mit der Zivilisation, Rationalität und Moderne geht daher stets auch ein Prozeß der Psychogenese einher. Götter haben uns dabei stets etwas voraus, sie verkörpern die Ideale, auf die es ankommt. Dementsprechend läßt sich anhand der außerordentlichen Fähigkeiten von Götter die Zukunft der Psyche ablesen. Das nunmehr im Zuge der Psychogenese anstehende multiple Selbst wird seinerseits über diese entscheidende göttliche Fähigkeit verfügen, sich anverwandeln zu können.

    Die klassischen Einwände dagegen, das sei keine Wahrhaftigkeit mehr, sondern eben Inszenierung, es sei keine Authentizität, sondern nur Vorspiegelung im Spiele, können nicht mehr verfangen. Wir haben nicht eine einzig wahre Natur, das einzig verbindliche Selbst oder irgendeine fixierte Identität in uns, die ehrlichkeitshalber nur zum Ausdruck gebracht werden muß, während alles andere nur Lug und Trug sein würde. Die Frage nach der Wahrhaftigkeit eines Gottes, der eine Metamorphose vollzogen hat, ist unangebracht, es kommt darauf an, was sich in der Wahrnehmung ereignet. Entscheidend ist das Erleben, etwa einem Schauspieler abnehmen zu können, was er vorgibt zu sein.

    Wir alle spielen Theater, was eben nicht bedeutet, daß es uns nicht ernst damit wäre. Das Maskenspiel ist dabei mehr als nur eine ausgezeichnete Metaphorik für das, was sich da eigentlich ereignet, es ist der Bruch mit der naiven Erwartung, daß wir immer dieselben sind und es auch bleiben. Wer eine Maske aufsetzt, übernimmt eine Rolle, wird somit zu jemand Anderen, wechselt also die Identität.

     

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    Geldhandel als Krieg

    Auguste Rodin: Das Höllentor

    Auguste Rodin: Der Denker. Detail aus: Das Höllentor; Musée d’Orsay. Foto: Stefan Kühn via @ Wikimedia.org, Creative Commons 3.0 (CC-BY-SA 3.0).