Querkopf

Bekenntnisse eines Selbstdenkers

Jacques-Louis David: Der Tod des Sokrates (1787).

Ich bekenne nicht ohne Stolz, daß ich schon immer ein Querkopf war. Das hat mich früh in die Philosophie getrieben, der einzige Ort, wo die böse Warum–Frage ausgehalten werden muß und jeder Gedanke seine Chance bekommt. Auch Gefühle und Inspirationen gehören dazu, sogar das, wofür noch gar keine Worte vorhanden sind.  

Querköpfe sind eher unbequeme Charaktere. Meinen Eltern war das ein Graus. Tatsächlich hat mein Vater im Zorn einmal zu mir gesagt: „Nie beugst Du Deinen Rücken!“ 

Da war ich baß erstaunt, denn was konnte für einen angehenden Denker größer sein als dieses Lob. Und meine Mutter sagte: „Nie machst Du es so, wie alle anderen es machen. Immer machst Du alles auf Deine Weise!“  Ja, auch das stimmt. Nur nehme ich diese Kritiken als Lob der Anerkennung.  

Neulich habe ich einen Freund besucht, ehemaliger WG–Genosse, lange Zeit mein Hausarzt, auch da habe ich immer meinen Kopf durchgesetzt. Auf dem Weg zu ihm, in Vorahnung auf die Ermahnungen dachte ich amüsiert über mich selbst nach.

Ich nehme keine Betablocker, höre nicht wirklich auf den Rat von Ärzten, lasse mich allenfalls beraten und bilde mir mein eigenes Urteil vor dem Hintergrund meiner Kenntnisse. Ich schnalle mich im Auto nicht an, weil ich der Auffassung bin, daß der Staat nicht das Recht hat, mir das abzuverlangen. Ich bin gegen das Rauchverbot, obwohl ich selbst seit Jahrzehnten nur noch rauchen lasse. Es gibt diese Eigentümlichkeit bei Rauchern, daß sie irgendwie „wacher“ sind und für mich und meinen Geist einfach oft die besseren Gesprächspartner.

Und noch nie habe ich eine Grippeschutzimpfung machen lassen, und wie selbstverständlich bin ich auch gegen Corona rein gar nicht geimpft. Und natürlich verwende ich auch die Alte Rechtschreibung. Da kommt also einiges zusammen: Ungeimpft, Gefährder, Wissenschaftsfeind, Covidiot, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker.  

Seit Februar 2020 schreibe ich an einem Buch zur Philosophie über die Krise, vor allem auch über die „Schließung der Diskurse“. Ganz früh wurden nämlich sehr viele Perspektiven einfach ausgeschlossen. Wer dann noch so etwas überhaupt ansprechen wollte, war schon draußen, exkommuniziert wie in der Kirche. Und viele Medienvertreten haben sich dann auch noch ereifert mit Verunglimpfungen jeglicher Art. Man hat die Kritiker nie ernst genommen, weil man einfach daran glaubt, den richtigen Glauben zu haben, streng wissenschaftlich natürlich.

Alles im Namen „der“ Wissenschaft, welcher eigentlich? Seither gelten Glaubensbekenntnisse, die viele bereits im Halbschlaf herunterbeten.

Ja, die Gesellschaft polarisiert sich, weil der Eindruck erzeugt wird, die Ungeimpfen seien verantwortlich dafür, daß die ganze Gesellschaft sich bisher noch nicht „freiimpfen“ konnte. 

Daran sind wie üblich die Ungläubigen schuld. – Die Impfung ist zur Taufe geworden, es geht zu wie im Mittelalter. Aber der Kirchenglaube hält sich inzwischen auch noch für aufgeklärt. Man sieht kausale Zusammenhänge: Wer sich nicht impfen läßt, kommt ins Fegefeuer, das sei so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber die Diskurse laufen weiter, wenn nicht in den üblichen Medien, dann eben im Netz. Inzwischen gibt es schon Dating-Portale für Ungeimpfte.

Mir ist neuerdings etwas Phänomenales aufgefallen, was ich mir bislang noch nicht erklären kann. Man fragt sich ja inzwischen den Impfstatus ab: Männlich, weiblich, divers, geimpft oder ungeimpft? Dabei ist mir aufgefallen, daß mir „die“ Ungeimpften oft die sympathischeren Menschen sind.

Nein, nicht weil sie ungeimpft sind, sondern weil sie ihre eigenen Gründe haben, nicht geimpft zu sein. Und das hat wiederum etwas mit meinem Querkopf zu tun, denn sie haben auch einen, über den sich immer zu Reden lohnst.  Man ist doch gern in guter Gesellschaft.

Die mir lieb gewesene Bezeichnung vom „Querdenker“ ist inzwischen bereits verbrannt. Aber meinen Querkopf lasse ich mir nicht nehmen.

Philosophen sind nun in der Höhle nicht sehr beliebt, sie stören den Normalverlauf, daher das Urteil gegen Sokrates. Früher als der Prophet der Christen ist da einer für seine Denkungsart in den Tod gegangen. Er hätte sich retten können, denn alles war arrangiert, der Wächter bestochen, die Gefängnistüre offen und dahinter standen schon die Pferde für die Flucht nach Sparta, wie sie Protagoras wohl 10 Jahre früher bereits absolviert haben soll.  Wenn man nun darüber nachdenkt, warum Sokrates geblieben ist, dann kommt man irgendwann darauf, daß er in Athen bleiben mußte, um weiterhin Sokrates zu sein. Er hätte sich selbst verraten, wäre er geflohen.

Das ist dann auch die Geste, die dann vom Christentum gekapert worden ist. Nicht auf den christlichen Himmel, auf die göttlichen Ideen kommt es an! Ja, das wäre die allerbeste Gesellschaft.