• Anthropologie,  Diskurs,  Ethik,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Moderne,  Motive der Mythen,  Philosophie,  Platon,  Professionalität,  Psyche,  Psychosophie,  Schönheit,  Seele,  Technikethik,  Theorien der Kultur,  Traum,  Urbanisierung der Seele,  Utopie,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Über mich

    Prof. Dr. phil. Heinz-Ulrich Nennen

    Hoch­schul­leh­rer für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he.

    Phi­lo­so­phi­sche Pra­xis Münster,

    für alle Zwei­fels­fäl­le des Lebens, des Den­kens und nicht zuletzt der Gefühle.

    Email: heinz-ulrich.nennen@t‑online.de

    Motto:

    Zunächst muß

    das Eigent­li­che

    zur Spra­che gebracht werden,

    denn nur so kommt das Neue ins Denken.

    Von dort kann es dann in die Welt gelan­gen und spätestens

    dann wird es auch im eige­nen Leben nicht ganz ohne Wir­kung bleiben.

    Etwas ausführlicher:

    Ich bin Pri­vat­do­zent und Hoch­schul­leh­rer für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he (KIT). Im west­fä­li­schen Mün­ster betrei­be ich eine Phi­lo­so­phi­sche Ambu­lanz, eine Bera­tung zur Selbst­be­ra­tung, denn Phi­lo­so­phie ist ein Gespräch der See­le mit sich selbst.

    Ich habe hier in Mün­ster Phi­lo­so­phie, Sozio­lo­gie und Erzie­hungs­wis­sen­schaft stu­diert und 1989 mit einer Dis­ser­ta­ti­on unter dem Titel Öko­lo­gie im Dis­kurs pro­mo­viert. Dar­in habe ich die sei­ner­zeit auf­kom­men­de Tech­nik- und Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik doku­men­tiert und ihre Hin­ter­grün­de syste­ma­tisch rekon­stru­iert. Dem­nach gibt es drei mög­li­che Begrün­dun­gen für Umweltschutz:

    • prag­ma­tisch-anthro­po­zen­trisch, weil es auf Dau­er unsin­nig ist, sich selbst die Lebens- und Exi­stenz­grund­la­gen zu entziehen
    • ethisch-mora­lisch, weil es gebo­ten erscheint, sich ver­pflich­tet zu füh­len, nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen, ande­ren Lebe­we­sen oder auch Göt­tern gegenüber
    • ästhe­tisch, weil etwa ein Baum weit mehr ist als eine Sau­er­stoff­spen­der, son­dern eben auch ein Erleb­nis, was übri­gens alles ande­re als banal ist

    Mit der Dis­ser­ta­ti­on zeig­te sich bereits der Schwer­punkt mei­ner Arbeit, mich inter­es­sie­ren Dis­kur­se im Gro­ßen und Gan­zen aber auch Dia­lo­ge im ganz Klei­nen und Per­sön­li­chen. Ich bin Dia­log­ar­bei­ter und Dis­kurs­ana­ly­ti­ker: Einer­seits inter­es­siert mich die Fra­ge, wie das Neue ins Den­ken kommt, ande­rer­seits, wie Dia­lo­ge und Dis­kur­se damit umge­hen. – Daher arbei­te ich gern inter-dis­zi­pli­när, an den Gren­zen zwi­schen Psy­cho­lo­gie, Anthro­po­lo­gie, Kul­tur­wis­sen­schaft und eben Philosophie.

    Nach einer 10-jäh­ri­gen Tätig­keit als Wis­sen­schaft­ler im Bereich Dis­kurs an der Aka­de­mie für Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, hat­te ich gestie­ge­nes Inter­es­se dar­an, ein­mal einen Dis­kurs im Pro­zeß, also in “Wild­form” zu beob­ach­ten, zu beschrei­ben und wäh­rend­des­sen zeit­gleich zu analysieren.

    Im Som­mer 1999 bot sich die­se Gele­gen­heit. Anläß­lich des Skan­dals um die Elmau­er Rede, die der Phi­lo­soph Peter Slo­ter­di­jk gehal­ten hat­te, kam es zu einem Medi­en-Hype son­der­glei­chen, mit mehr als 1000 Zei­tungs­ar­ti­keln, Kom­men­ta­ren und Berich­ten. Als ich sei­ner­zeit im Radio davor erfuhr, wuß­te ich, daß es “mein” The­ma sein würde.

    In einem 700-sei­ti­gen Buch, das auch der Habi­li­ta­ti­on dien­te, habe ich die­sen soeben auf­kom­men­den Skan­dal um die angeb­lich faschi­sto­ide Rede des Phi­lo­so­phen Peter Slo­ter­di­jk in Echt­zeit rekon­stru­iert. Es war ein Phi­lo­so­phi­sches Expe­ri­ment mit der Fra­ge, ob es gelin­gen kann, einen Dis­kurs nicht nur zu beob­ach­ten, son­dern zugleich auch auf den Aus­gang der Slo­ter­di­jk-Debat­te zu spe­ku­lie­ren, noch wäh­rend die­ser Aus­gang noch unge­wiß war.

    Die War­nung dage­gen ist bekannt: “Hät­test Du geschwie­gen, dann wärst Du Phi­lo­soph geblie­ben.” – Ich bin aber davon über­zeugt, daß es mög­lich sein muß, Phi­lo­so­phie auch in Echt­zeit betrei­ben zu kön­nen. Nur dann erst hät­te auch unser Ver­nunft­ver­mö­gen wirk­lich eine Chan­ce. Bei die­sem phi­lo­so­phi­schen Expe­ri­ment ging es mir daher um den Beweis, daß es unter gewis­sen metho­di­schen Bedin­gun­gen sehr wohl mög­lich sein kann, Phi­lo­so­phie in Echt­zeit betreiben.

    Die Metho­de geht auf man­che Über­le­gung und Beob­ach­tung mei­ner rund 10-jäh­ri­gen Tätig­keit als Wis­sen­schaft­ler im Bereich Dis­kurs an der Stutt­gar­ter Aka­de­mie für Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung zurück. Dort wur­de 1993 im Zuge der Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Atom­kraft (wie Geg­ner sagen), resp.  Kern­ener­gie (wie Befür­wor­ter sagen) und Kli­ma­schutz von der Lan­des­re­gie­rung in Baden-Würt­tem­berg ein “Thinktank” zur Erfor­schung und zur Bewer­tung von Tech­nik­fol­gen gegrün­det, um mehr Wis­sen­schaft und mehr Dis­kurs in die mit­un­ter sehr dra­ma­tisch geführ­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen um neue Tech­no­lo­gien zu brin­gen. Die Poli­tik war sei­ner­zeit in die­sen Fra­gen mit ihrem Latein am Ende, – das ist eben der Augen­blick, in dem neue Insti­tu­tio­nen wie eine sol­che TA-Aka­de­mie gegrün­det werden.

    Zu mei­ner Metho­de: Schaut man sich unse­re Urtei­le, Bewer­tun­gen und Ein­schät­zun­gen genau­er an, so set­zen sie sich zusam­men aus einer Viel­zahl von Aus­sa­gen, die aus unter­schied­lich­sten Sek­to­ren stam­men, die wir aber häu­fig nur zum Teil selbst über­prüft haben. Die Fra­ge ist dann immer, wie sicher, wie ent­schei­dend, wie bela­stungs­fä­hig unse­re Vor­an­nah­men wirk­lich sind. Noch ent­schei­den­der ist es, zu spü­ren, wo die Grund­la­gen und Vor­aus­set­zun­gen nicht wirk­lich sicher sind.

    Die Kunst besteht nun genau dar­in, ein jedes Gesamt­ur­teil wie­der auf­zu­lö­sen in sei­ne Tei­le, aus denen es zusam­men gesetzt ist, um das eige­ne Urteils­ver­mö­gen noch­mals selbst beur­tei­len zu können.

    Wer sich des­sen bewußt ist, soll­te daher wis­sen, was wir eigent­lich wis­sen müß­ten aber viel­leicht gar nicht wis­sen kön­nen, so daß wir uns die Begrenzt­heit unse­res eige­nen Urteils­ver­mö­gens genau­er vor Augen füh­ren können.

    Phi­lo­so­phie ist inso­fern eine Fra­ge der Aus­sa­ge­ge­neh­mi­gung, die man sich selbst berech­tig­ter­wei­se glaubt ertei­len zu dür­fen. Die Fra­ge ist dabei immer, wie viel vom Gan­zen haben wir eigent­lich wirk­lich sicher im Blick?

    Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, ein fei­nes Gespür dafür zu ent­wickeln, wie weit ein­zel­ne Aus­sa­gen jeweils tra­gen, wann ein Wort sei­ne Bedeu­tung zu ver­lie­ren beginnt, wann irgend etwas an einer Aus­sa­gen nicht mehr zutref­fend sein kann. Ich arbei­te daher sehr inten­siv über Sym­bo­le, Mythen und Mär­chen und ins­be­son­de­re auch über Göt­ter­fi­gu­ren, weil sich dar­in, weil sich dahin­ter man­ches ver­birgt, was unse­rem Den­ken in abstrak­ten Begrif­fen wie­der mehr Inhalt, mehr Leben und Geist ver­mit­teln kann.

    Phi­lo­so­phie ist daher weit mehr als nur trocke­ne Theo­rie und eis­kal­te Metho­de, son­dern sie hat auch eine Pra­xis, die sich ganz anders dar­stellt, die nicht nur sehr unter­halt­sam son­dern auch erhei­ternd sein kann. – Das Lachen ist schließ­lich ein immer wie­der­keh­ren­der Topos in der Philosophie.

    Phi­lo­so­phie ist nicht nur rei­ne Theo­rie, sie hat auch eine Pra­xis. Es gilt, mit der Spra­che zum bis­her nicht Gesag­ten vor­zu­drin­gen. Daher geht es auch um Inspi­ra­ti­on, also dar­um, neue Ein­drücke eben­so wie Gefüh­le zur Spra­che zu bringen.

    Phi­lo­so­phie hat kei­nes­wegs nur mit Reden und Den­ken zu tun, es geht auch um Inspi­ra­ti­on, um neu­en Ein­drücken eben­so wie Gefüh­len mehr Raum zuzu­ge­ste­hen. Phi­lo­so­phie ist nicht nur Theo­rie son­dern auch Pra­xis, geleb­te Pra­xis. Sie setzt daher eine gei­sti­ge Mobi­li­tät vor­aus, die dar­auf aus ist, stän­dig den Stand­ort zu wech­seln, um dabei nicht sel­ten auch die eige­ne Posi­ti­on, also sich selbst zu riskieren.

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    Was ist Bewußtsein?

    Beobachtung, Bewertung und Beurteilung 

    Unse­re Spra­che macht uns vie­les mög­lich: Wir kön­nen ein­an­der durch Erzäh­len mit­tei­len, was wir erlebt und erfah­ren haben. — Allein durch Zuhö­ren läßt sich bereits man­ches ler­nen.

    Gastón Charó: Obras sob­re papel (2020). Via: Wikimedia.

    Wir kön­nen vie­les zum Objekt unse­rer Beob­ach­tun­gen machen. Es zäh­len dabei nicht nur die gemach­ten Erfah­run­gen, son­dern auch die Art und Wei­se, wie etwas in Erfah­rung gebracht wurde. 

    Dar­über hin­aus las­sen sich nicht nur Wahr­neh­mun­gen, son­dern auch Selbst­wahr­neh­mun­gen zur Spra­che brin­gen. Wir arbei­ten dabei mit Über­tra­gun­gen, um uns beim Ver­ste­hen an die Stel­le ande­rer ver­set­zen zu kön­nen. — Der Dia­log ist die Königs­dis­zi­plin sol­cher Begeg­nun­gen, die tief­grei­fend sein können.

    Sobald neue Erfah­run­gen ins Spiel gebracht wer­den, tun sich auch neue Dif­fe­ren­zen auf. — Phä­no­me­ne wer­den „von innen“ ganz anders erlebt, als wenn wir sie nur „von außen“ betrach­ten. Dann wird uns bewußt, daß wir den Stand­punkt wech­seln müs­sen, um zu verstehen. 

    Es ist ein gro­ßer Unter­schied, ande­ren nur zuzu­schau­en oder aber selbst aktiv zu wer­den. Wer nur beob­ach­tet, hat zwar eher einen unvor­ein­ge­nom­me­nen Blick, aber kei­ne wirk­li­che Vor­stel­lung davon, wie es ist, selbst zu han­deln. — Zu han­deln bedeu­tet, einen Ent­schluß zu fas­sen, der dann aber auch kri­ti­siert wer­den kann. 

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    Im Dialog

    Schwebendes Denken

    Spra­che erlaubt uns, ein­zel­ne Sicht­wei­sen und Urtei­le der Rei­he nach durch­zu­spie­len. Jede ein­zel­ne Hin­sicht soll ihren gro­ßen Auf­tritt haben. — Ver­ste­hen ist eine beson­de­re Wei­se des Miteinanderseins. 

    Paul Klee: Aben­teu­rer­schiff (1929).

    Im Dia­log zele­brie­ren wir unse­re Ein­füh­lungs­ver­mö­gen, jeder ein­zel­nen Per­spek­ti­ve ihre Eigen­art zuzu­ge­ste­hen. — Aber Ver­ste­hen ist mit Auf­wand ver­bun­den, daher fra­gen wir uns oft, ob es aus­sichts­reich sein kann, uns auf neue Per­spek­ti­ven näher einzulassen. 

    Ent­schei­dend sind umfas­sen­de Ein­blicke in die Hin­ter­grün­de. Wir erwar­ten schließ­lich von uns einen hohen Grad an Auf­merk­sam­keit, um dann sou­ve­rän dar­auf zu reagie­ren. — Unser Bewußt­sein erlaubt uns, von uns selbst zu wis­sen, daß und was wir wissen. 

    Daher spielt Spra­che eine außer­or­dent­li­che Rol­le. In Dia­lo­gen und Dis­kur­sen ver­stän­di­gen wir uns dar­über, wie sich Wahr­neh­mun­gen machen las­sen, was sie bedeu­ten und wie mit mög­li­chen Wider­sprü­chen umge­gan­gen wer­den kann. — Jedes Bewußt­sein lebt in einer eige­nen Welt und man­che davon sind eigentümlich. 

    Das Durch­spie­len von Mög­lich­kei­ten und das Erwä­gen ent­schei­den­der Hin­ter­grün­de ist eine anspruchs­vol­le Kunst, die ihre Anre­gun­gen von weit her­holt. Aber dazu ver­fü­gen wir über Mythen, Sym­bo­le und Geschich­ten, so daß es mög­lich ist, jede davon als eige­ne Innen­welt zu erleben.

    Aller­dings haben neue Per­spek­ti­ven oft auch etwas Ket­ze­ri­sches. Sie neh­men nicht die gebo­te­ne Rück­sicht auf eta­blier­te Stan­dards und gehen statt­des­sen unvor­ein­ge­nom­men vor. — Sie möch­ten sich bewäh­ren, was oft zu Über­ra­schun­gen führt, mit denen nie­mand rech­nen konnte. 

    Dazu müs­sen mit­un­ter fun­da­men­ta­le Äng­ste über­wun­den wer­den, weil man­cher Gedan­ke an etwas rührt, das viel­leicht noch nie zur Spra­che gebracht wur­de. — Das wie­der­um kön­nen jedoch vie­le gar nicht ertra­gen. Sie möch­ten bei einem mög­lichst ein­fa­chen, oft auch beim bereits gefäll­ten Urteil bleiben. 

    In neu­em Licht betrach­tet wirkt man­ches höchst bedroh­lich. Des­halb ist es so bedeu­tend, sich auf den Weg zu bege­ben, um die neu­en Erfah­run­gen nicht nur zu machen, son­dern auch zu ver­ste­hen. — Wir kön­nen gan­ze Wel­ten in Erfah­rung brin­gen und erläu­tern, war­um sie sich wie ver­hal­ten. Aber die­se Viel­falt bringt auch Unsi­cher­heit mit sich.

    Hin­ter den Kulis­sen steht das „Selbst”, es sorgt sich um Inte­gri­tät. Wir sind in Geschich­ten ver­strickt und set­zen sie auch wie Mas­ken auf, weil wir ins selbst anhand unse­rer Geschich­ten ver­ste­hen. — Wir iden­ti­fi­zie­ren uns mit unse­rem Selbst und sei­ner Geschich­te. Mit­hil­fe die­ser Instanz ver­su­chen wir uns auf Selbst­kon­zep­te, die im Dia­log gesucht werden.

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    Was tun, wenn ‘die’ Frau wütend ist?

    Michail Ser­ge­je­witsch Gor­bat­schow, der ehren­wer­te und letz­te Staats­prä­si­dent der Sowjet­uni­on, hat­te bekann­ter­ma­ßen ein äußerst inni­ges Ver­hält­nis zu sei­ner Frau Rais­sa Maxi­mow­na Gorbatschowa. 

    Man hat ihn spä­ter hier in Mün­ster des­öf­te­ren am Aasee spa­zie­ren gese­hen, als sei­ne Frau, übri­gens eine Phi­lo­so­phin, mit dem Krebs kämpf­te.

    Bei­de kann­ten sich lang und waren, wie es nur weni­ge Paa­re fer­tig brin­gen, wirk­lich ein Team. In ihr hat­te er eine unbe­stech­li­che Rat­ge­be­rin, so wie es Pla­ton idea­li­siert hat. Er stellt die Phi­lo­so­phen­kö­ni­ge vor wie wel­che, die ein­fach des­we­gen nicht bestech­lich sind, weil sie schon “alles” haben, was nicht mit Geld zu bezah­len ist.

    Gor­bat­schows Ver­zweif­lung über ihren Tod dürf­te nicht min­der groß gewe­sen sein, wie die ange­sichts der schier unlös­ba­ren Auf­ga­be, den Sau­ri­er Sowjet­uni­on mit einem heim­tückisch tak­tie­ren­den Westen im Nacken den­noch wie­der auf Kurs zu brin­gen. Von wegen kei­ne Ost­erwei­te­rung der NATO, von wegen “gemein­sa­mes Haus Europa”.

    Ein Putsch mach­te alle Hoff­nun­gen zunich­te und brach­te einen Trun­ken­bold wie Jel­zin ans Ruder und Olig­ar­chen, die sich das ehe­ma­li­ge Volks­ver­mö­gen unter den Nagel geris­sen haben. Im Wind­schat­ten die­ser Ver­wer­fun­gen fand Putin als Nach­fol­ger sei­nen Weg zur Macht, der das alles natür­lich als demü­ti­gen­de Kata­stro­phe emp­fun­den hat.

    Gustav Klimt: Umarmung (1909).
    Gustav Klimt: Umar­mung (1909).

    Aber nun zur Fra­ge: Was hat Gor­bat­schow gemacht, wenn Rais­sa Maxi­mow­na Gor­bat­scho­wa wütend war? Er hat es in einem Inter­view selbst aus­ge­plau­dert und für mich klang es auch ein wenig wie eine Emp­feh­lung, was denn nun männ­li­cher­seits zu tun sei in sol­chen Fäl­len, wenn “die” Frau außer sich ist vor Wut.

    Er habe sie in sei­ne Arme genom­men und fest umschlos­sen, um sie auch bei Gegen­wehr ganz nahe fest zu hal­ten, bis sich der Zorn, die Wut und die Ver­zweif­lung wie­der leg­ten. — Das scheint in der Tat hilf­reich zu sein, denn ich habe gese­hen, daß es ins­be­son­de­re bei Kin­dern und Men­schen in psy­chi­schen Aus­nah­me­zu­stän­den posi­tiv wir­ken kann, ein­fach nur “gehal­ten zu wer­den”, bis es wie­der bes­ser geht.

    Der Grund dürf­te dar­in lie­gen, daß die Wut selbst zum Aus­druck gebracht wer­den kann: Anfangs wehrt sie sich viel­leicht noch vehe­ment gegen die macht­vol­le Umklam­me­rung. Der Zorn wird also anfangs immer stär­ker, bis er selbst sein Limit erreicht hast, denn er kann ja nun aus­ge­lebt wer­den. All­mäh­lich ver­aus­gabt sich der Zorn jedoch, dann er kann den inne­ren Druck wie durch ein Ven­til ablas­sen. 

    Es mag einen ande­ren Ein­druck machen aber es ist kei­ne Gewalt, es ist eher wie der Schutz vor wei­te­ren Zor­nes­aus­brü­chen. Das wird mög­lich, weil die Wut und die mit ihr ein­her­ge­hen­de Ver­zweif­lung nun ihren Aus­druck gefun­den hat und mit­ge­teilt wer­den kann. 

    Wer zu woke ist, den bestraft das Leben

    Aber wie es in die­sen des­ori­en­tier­ten Zei­ten üblich ist, wer­den man­che ganz gewiß jetzt Zeter und Mor­dio schrei­en: Ist das nicht Gewalt gegen die Frau? — Oh je.

    Wer zu woke ist, den bestraft das Leben. — Die For­mel stammt übri­gens nicht von ihm, son­dern von einem sei­ner Spre­cher. Das geflü­gel­te Wort wur­de zum Ora­kel­spruch. Es fiel auf einem infor­mel­len Tref­fen mit Pres­se­ver­tre­tern beim Staats­be­such von “Gor­bi” in Ost­ber­lin: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

    Damit ist auch etwas dar­über gesagt, was das Leben aus­macht. Es bie­tet Gele­gen­hei­ten, die ver­tan sind, wenn sie nicht ergrif­fen wer­den. – Wir soll­ten Mög­lich­kei­ten für unse­re Sehn­süch­te dar­aus machen, die tief in uns schlum­mern, um wach­ge­küßt zu wer­den. Aber dazu braucht es Nähe, Ver­trau­en und wohl auch die Gewiß­heit, daß alles wie­der gut wer­den kann. 

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    Kunst als Traumarbeit

    Langsame Annäherung

    Es gibt eine Instal­la­ti­on der Bild­haue­rin Miri­am Jonas, die sich bei der Betrach­tung erst ganz all­mäh­lich erschließt. Dabei ist es wesent­lich, sich die­sem Werk aus der Distanz mit mäßi­gem Schritt anzu­nä­hern.

    Auf wei­ßer Flä­che sind in Mustern ange­brach­te, eckig–abgerundete oder auch ova­le Objek­te zu sehen, die nicht auf­ge­malt, son­dern auf­ge­setzt sind. — Aller­dings sind die 75 Objek­te die­ser Wand­ar­beit muster­gül­tig aufgebracht.

    Miri­am Jonas: Pol­ka Popes. Wand­in­stal­la­ti­on aus 75 Tei­len, Pla­sti­lin, Fisch­kon­ser­ven­do­sen, Acryl­glas, Holz. Maße: 260 x 415 cm; Bar­ce­lo­na, Mün­ster 2011. — Quel­le: Miri­am Jonas: www​.miriam​jo​nas​.de/​P​o​l​k​a​-​P​o​pes.

    Die Anord­nung ent­spricht den Pol­ka Dots, einem Stoff­mu­ster, das im 19. Jahr­hun­dert in Eng­land auf­kam: Gefüll­te Punk­te, die auf eng­stem Raum ver­teilt ein regel­mä­ßi­ges Muster abge­ben. — Die Wahr­neh­mung beginnt zu flim­mern, weil das Hirn changiert.

    Es kann offen­bar nicht eigen­mäch­tig ent­schei­den, wel­che Ord­nung denn nun vor­herr­schen soll. So geht es dann hin und her, bis die Punk­te zu tan­zen beginnen…

    Kunst, Design und Kitsch

    Der Unter­schied zur Kunst ist die See­len­lo­sig­keit beim Kitsch, weil es kein Ein­ge­den­ken ist, son­dern ledig­lich sinn­frei­es Andenken.

    Der Unter­schied zwi­schen Kunst und Design liegt dar­in, daß der Anspruch auf Bedeu­tung zum Fetisch erho­ben wird. — Tat­säch­lich gehen die exklu­siv insze­nier­ten Ambi­tio­nen jedoch nicht auf, weil es nur Simu­la­tio­nen von Sinn sind, die kei­ne See­le und auch kei­nen Geist zum Blei­ben ani­mie­ren könnten.

    Die Pol­ka Popes von Miri­am Jonas gehen auf eine Begeg­nung der Künst­le­rin mit der spa­ni­schen Folk­lo­re und der Volks­kul­tur in Bar­ce­lo­na zurück. — Es ist selbst wie ein Traum, was die­ses Werk in Sze­ne setzt, denn das macht Träu­me so bemer­kens­wert: Sie brin­gen ganz mühe­los unter­schied­li­che Sachen zusam­men, die eigent­lich von­ein­an­der geschie­den sind.

    Der­weil wird in die­sem Werk das Kunst­schaf­fen selbst the­ma­ti­siert. Ambi­va­len­zen wer­den auf­ge­fä­chert, über­ra­schen­de Ver­bin­dun­gen wer­den geknüpft. — Die Fas­sun­gen der ver­meint­li­chen Edel­steine ent­pup­pen sich bei nähe­rem Hin­se­hen als Fisch­kon­ser­ven, und die Gem­men dar­in sind nicht aus Horn oder Edel­stein, son­dern aus kind­ge­rech­tem Pla­sti­lin, gehal­ten in der Palet­te authen­ti­scher Quietsch­far­ben.

    Genau auf die­se Wei­se arbei­ten auch Träu­me, wenn sie auf der Grund­la­ge zunächst will­kür­lich erschei­nen­der Arran­ge­ments ganz über­ra­schen­de Ver­bin­dun­gen her­stel­len, die aller­dings zu lesen und noch mehr zu deu­ten und zu ver­ste­hen geben. — Es ist ein inte­ressan­ter Hin­weis, wenn ein Traum in Bar­ce­lo­na erwähnt wird.

    Träume erschaffen ihre Wirklichkeit

    Träu­me haben die Lizenz, ihre eige­ne Wirk­lich­keit zu kon­stru­ie­ren. Dabei sind sie mäch­tig genug, alles Erdenk­li­che über­ra­schend zusam­men­zu­fü­gen. Im Traum scheint es so, als wäre es voll­kom­men selbst­ver­ständ­lich, mit traum­wand­le­ri­scher Sicher­heit das eine mit etwas voll­kom­men ande­rem zu kom­bi­nie­ren, um damit etwas zu ver­ste­hen zu geben.

    Hin­ter den Träu­men ste­hen Bot­schaf­ten, wenn mit Über­tra­gun­gen, Alle­go­rien und Sym­bo­len bemer­kens­wer­te Umbe­set­zun­gen vor­genom­men wer­den, die spek­ta­ku­lär sein kön­nen in ihrer Bedeu­tung, wenn man die Traum­ar­beit zu deu­ten versteht.

    So etwas geschieht auch in die­sem Werk: Die ein­zel­nen Bestandtei­le sind muster­gül­tig nach Art der Pol­ka Dots arran­giert, so daß die Objek­te bald aus der Rei­he tan­zen, kind­lich und doch wie­der nicht ganz so unschul­dig, weil sie viel­leicht auch nur so tun.

    Im Traum wird alles zum Zei­chen, nichts muß sein und bedeu­ten, als was und wie es erscheint. — Schließ­lich kann auch das Kokettie­ren mit Unschuld selbst wie­der Ero­tik her­auf­be­schwö­ren. Nicht von unge­fähr ist daher die­ses Muster äußerst beliebt bei Des­sous, denn beim Spiel mit der Unschuld geht es auch um Koketterie.

    Die Pol­ka Popes von Miri­am Jonas arran­gie­ren unter­schied­li­che Aspek­te zu einem künst­le­ri­schen Traum. — Ent­schei­dend ist nicht nur daß, son­dern auch wie es ein Kunst­werk fer­tig­bringt, ein derarti­ges Netz bezie­hungs­rei­cher Span­nun­gen zu erzeu­gen, zwi­schen Ord­nung und Frei­heit, Kunst und Kitsch, Ori­gi­nal und Fäl­schung, zwi­schen dem Hei­li­gen und dem Profanen.

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    Ein, zwei, viele Ichs

    Über Masken

    Ein Blick hin­ter die Karnevalsmasken

    Radio­in­ter­view mit Dani­el Lasch

    Ursprüng­lich geht der Kar­ne­val auf die römi­schen Satur­na­li­en zurück. Das war ein Fest zur Ehren des Got­tes Saturn. – Saturn ist ein eher düste­rer, urzeit­li­cher Gott, der sei­ne Herr­schaft durch sei­ne Söh­ne gefähr­det sah und sie des­halb in einer Anwand­lung von Kan­ni­ba­lis­mus auf­fraß. Alle, bis auf einen Sohn, der von sei­ner Mut­ter vor ihm ver­steckt gehal­ten wur­de und schließ­lich die schreck­li­che Pro­phe­zei­ung erfüll­te, sei­nen Vater entmachtete. 

    Die Satur­na­li­en erin­nern an die unter­ge­gan­ge­ne Ord­nung des Saturn, die im Rück­blick von vie­len bald zum „gol­de­nen Zeit­al­ter“ ver­klärt wur­de. Es war ein mehr­tä­gi­ges Fest, das zu Ehren des Saturn zwi­schen dem 17. und dem 23. Dezem­ber gefei­ert wur­de und wohl auch eine der Wur­zeln des christ­li­chen Weih­nachts­fe­stes bildete.

    Jeden­falls war es eine Zeit, in der die übli­che Ord­nung der römi­schen Gesell­schaft auf den Kopf gestellt wur­de. Der römi­sche Sati­ri­ker Horaz spricht von der „Liber­tas Decem­bris“, der „Frei­heit des Dezem­bers”. Skla­ven waren ihren Her­ren, Frau­en ihren Män­nern gleich­ge­stellt. Wein floss im Über­fluss, man spei­ste die Armen, beschenk­te sich groß­zü­gig, sexu­el­le Aus­schwei­fun­gen und Glücks­spiel waren erlaubt. Viel­leicht über­leb­te in den Satur­na­li­en die Erin­ne­rung an eine unter­ge­gan­ge­ne matri­ar­cha­le Ord­nung, in der das Ver­hält­nis der Men­schen zur Natur noch ver­söhn­li­cher war als in der betont sol­da­ti­schen Gesell­schaft der römi­schen Anti­ke. – Die Mas­ke­ra­de war auch damals ein unent­behr­li­ches Mit­tel, den Rol­len­tausch zwi­schen Mann und Frau, reich und arm, Skla­ve und Herr glaub­haft zu machen. Am Ende der Satur­na­li­en aber fie­len alle Mas­ken und die alte patri­ar­cha­le Ord­nung kehr­te zurück. Das leich­te Spiel mit mul­ti­plen Iden­ti­tä­ten, die Ent­gren­zung des eige­nen Ichs, die Ent­la­stung von einer fest­ge­zurr­ten sozia­len Rol­le stecken auch heu­te noch hin­ter der Lust am kar­ne­val­esken Mummenschanz.

    Dani­el Lasch spricht mit dem KIT Phi­lo­so­phen Dr. Heinz-Ulrich Nen­nen über die Welt als Büh­ne mul­ti­pler Identitätsspiele: