Heinz-Ulrich Nennen | www.nennen-online.de

ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Category: Zivilisation

Philosophische Ambulanz

Philosophische Ambulanz

SS 2019 | freitags | 11:30–13:00 Uhr | Café NUN | Gottesauer Str. 35 | Karlsruhe

Beginn: 3. Mai 2019 | Ende: 26. Juli 2019

Fer­di­nand Bart: Der Zau­ber­lehr­ling, (1882). Zeich­nung aus dem Buch Goethe’s Wer­ke, 1882.—Quelle: Public Domain via Wikimedia

Und sie lau­fen! Naß und nässer
Wird’s im Saal und auf den Stufen.
Welch ent­setz­li­ches Gewässer!
Herr und Mei­ster! hör mich rufen! —
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.
»In die Ecke,
Besen! Besen!
Seid’s gewe­sen.
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu sei­nem Zwecke,
Erst her­vor der alte Meister.

(Goe­the: Der Zauberlehrling)

In der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz kommt die Phi­lo­so­phie wie­der zurück auf den Marktplatz, wo Sokra­tes sei­ne Dis­pu­te führ­te, immer auf der Suche nach einer Philosophie, die es bes­ser auf­neh­men kann mit der Wirk­lich­keit. In den Dia­lo­gen und Dis­kur­sen der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz soll es dar­um gehen, in gemein­sa­men Gedan­ken­gän­gen die bes­se­ren, höhe­ren und tie­fe­ren Ein­sich­ten zu gewinnen.

Ver­ste­hen ist Erfah­rungs­sa­che, Ver­stän­di­gung ist eine Fra­ge der Übung. Oft herr­schen aber fal­sche Vor­stel­lun­gen vor: Gemein­sa­mes Ver­ste­hen ent­steht im Dia­log und in Dis­kur­sen, bei denen es nicht vor­ran­gig um Meinungsäußerungen und Stel­lung­nah­men geht. Es kommt auch nicht dar­auf an, Recht zu behal­ten, sich zu behaup­ten oder etwa ver­meint­li­che ›Geg­ner‹ mund­tot zu machen.—Gewalt ent­steht, wo Wor­te ver­sa­gen, wenn nicht gesagt und ver­stan­den wer­den kann, was einem wirk­lich am Her­zen liegt. Es kommt viel mehr dar­auf an, im gemein­sa­men Ver­ste­hen wei­ter­zu­kom­men, so daß sich die Dis­kur­se anrei­chern und ihre Suk­zes­si­on, also einen Fort­schritt errei­chen. Daher ist es so wich­tig, gera­de im Kon­flikt aus einem Dis­sens her­aus wie

der zu neu­em Ein­ver­neh­men zu fin­den. Erst das macht uns zu mün­di­gen Zeit­ge­nos­sen, wenn wir auch über die eige­ne Stel­lung­nah­me noch frei ver­fü­gen können.—Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, Wider­sprü­che und Ambi­va­len­zen nicht schleu­nigst auf­zu­lö­sen, weil sie anstren­gend sind. Viel­mehr gilt es, das Den­ken selbst in der Schwe­be zu hal­ten. Der Weg ist das Ziel, gera­de auch beim Philosophieren.

Es gilt, nicht nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern neue und gänz­lich unbe­kann­te Per­spek­ti­ven zu erpro­ben. Daher ist der Posi­ti­ons­wech sel von so emi­nen­ter Bedeu­tung. Genau das ist ›Bil­dung‹, den Stand­ort der Betrach­tung wech­seln, um eine Stel­lung­nah­me ggf. auch aus einer belie­bi­gen ande­ren Per­spek­ti­ve vor­neh­men, kom­men­tie­ren und beur­tei­len zu können.

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Der Mensch als Maß?

Heinz–Ulrich Nen­nen: Der Mensch als Maß aller Din­ge? Über Prot­agoras, Pro­me­theus und die Büch­se der Pan­do­ra (Zeit­Gei­ster 1); tre­di­ti­on Ham­burg 2018. 232 S. – Paper­back 16,99 €, ISBN: 978–3‑7439–0090‑5. Hard­co­ver 26,99 € ISBN: 978–3‑7439–0091‑2. Erschei­nungs­da­tum: 11.12.2018.

Pan­do­ra ist das Abschieds­ge­schenk der abdan­ken­den olym­pi­schen Göt­ter, danach kommt nur noch der Mensch. Es soll­te kei­ne wei­te­re Dyna­stie von Göt­tern mehr geben.—Wir sind wer­den­de Göt­ter in einer Welt, die wir selbst erschaf­fen haben, für die wir auch ganz allein ver­ant­wort­lich sind. 

Mit sämt­li­chen gött­li­chen Gaben bedacht, ist Pan­do­ra die Alle­go­rie aller Ver­lockun­gen, wie sie nur zivi­li­sier­te Wel­ten bie­ten. Zugleich bringt sie auch alle damit ver­bun­de­nen Übel in die Welt. Um die Fra­ge nach dem War­um ran­ken sich seit­her vie­le Mei­ster­er­zäh­lun­gen. Grund genug, sie erneut zu befra­gen, um ›unse­re‹ Ant­wor­ten zu finden.

Also wie gehen wir um mit unse­rer Sou­ve­rä­ni­tät in Fra­gen von Moral, Gefühl und Selbst­be­stim­mung? Der Weg führt vom ersten Gewis­sen bis zur mul­ti­plen Iden­ti­tät, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Geborgenheit.—Inzwischen tra­gen wir die Göt­ter in uns.

Die Rei­he Zeit­Gei­ster ist der Psy­cho­ge­ne­se gewid­met, denn Ori­en­tie­rungs­wis­sen ist von zuneh­men­der Bedeu­tung. Es geht um die neu­en Per­spek­ti­ven einer Phi­lo­so­phi­schen Psy­cho­lo­gie, die in den Mei­ster­er­zäh­lun­gen ein uraltes Ori­en­tie­rungs­wis­sen fin­det, das über­ra­schend aktu­ell ist.

Wenn der berühmt–berüchtigte Sophist Prot­agoras von Sokra­tes um Erläu­te­rung gebe­ten wird, was man denn nun gegen teu­res Geld bei ihm erler­nen kön­ne, dann zeigt sich ein tief­grei­fen­der Wandel.—Nicht ein­mal mehr die Ein­füh­rung ins Erwach­se­nen­le­ben gehorcht noch der Tra­di­ti­on der Jäger. Die Kul­tur in den Städ­ten setzt eige­ne Maß­stä­be und bespie­gelt sich dabei selbst. Frag­lo­se Maß­stä­be sind nicht mehr vor­han­den: Der Mensch ist das Maß aller Dinge!

Prot­agoras erläu­tert anhand des Mythos von Pro­me­theus, es mang­le nicht an der nöti­gen Tech­nik, Städ­te zu errich­ten. Allein sie zu hal­ten, sei schier unmög­lich gewesen.—In der Tat muß­te die drin­gend gebo­te­ne Kunst der Poli­tik eigens von Her­mes im Auf­trag­des Zeus nach­ge­reicht wer­den. Und er, der Sophist, ver­mitt­le genau­die­se vakan­ten Kompetenzen.

Poli­tik ist die Kunst, stän­dig gegen­zu­steu­ern, wenn Gesell­schaf­ten wie­der ein­mal aus irgend­ei­nem Gleich­ge­wicht gera­ten. Die eigent­li­che ›Wild­nis‹, in der es zu bestehen gilt, liegt daher in den Städten.—Seither muß also ›stu­diert‹ wer­den. Dann ist es durch­aus mög­lich, Kar­rie­re zu machen, auch ohne von Adel zu sein.
Pan­do­ra ist das Abschieds­ge­schenk der abdan­ken­den olym­pi­schen Göt­ter, danach kommt nur noch der Mensch. Mit sämt­li­chen gött­li­chen­Ga­ben bedacht, ist sie die Alle­go­rie aller Ver­lockun­gen, wie sie nurz­i­vi­li­sier­te Wel­ten bie­ten. Zugleich bringt sie auch alle Übel mit indie Welt, die vor­her nicht waren.—Um die Fra­ge nach dem War­um ran­ken sich seit­her vie­le Mei­ster­er­zäh­lun­gen. Grund genug, sie erneu­tzu befra­gen, um ›unse­re‹ Ant­wor­ten zu finden.

Phi­lo­so­phie kommt auf, wo Göt­ter schlecht gedacht wer­den. So ent­steht all­mäh­lich Sou­ve­rä­ni­tät in Fra­gen von Moral, Gefühl und Selbst. Der Weg führt vom ersten Gewis­sen bis zur mul­ti­plen Iden­ti­tät, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Geborgenheit.

Die Rei­he Zeit­Gei­ster ist der bis­her kaum bedach­ten Psy­cho­ge­ne­se gewid­met, dabei ist Ori­en­tie­rungs­wis­sen von zuneh­men­der Bedeu­tung. Es geht um die neu­en Per­spek­ti­ven einer Phi­lo­so­phi­schen Psy­cho­lo­gie, die in Zwei­fels­fäl­len immer wie­der auf die Ori­en­tie­rungs­ori­en­tie­rung durch Phi­lo­so­phi­sche Anthro­po­lo­gie zurück­grei­fen kann.

Alle Bän­de der Rei­he Zeit­Gei­ster erschei­nen bei tre­di­ti­on – wer­den aber auch hier suk­zes­si­ve zum Down­loads freigegeben.


Über Narziß, Adoleszenz und Anerkennung

Der zerbrochene Spiegel 

Wir wis­sen nicht, was Nar­ziß auf der spie­geln­den Was­ser­ober­flä­che gese­hen haben mag. Der Mythos vom Nar­ziß the­ma­ti­siert weit mehr als den dumm­drei­sten Nar­ziß­mus eines Selbst­ver­lieb­ten; wäre dem so, der Nar­ziß wäre kaum der Rede wert.—Tatsächlich geht es um etwas ande­res: Das Geheim­nis mensch­li­chen Bewußt­seins, das sich selbst spie­gelt, um sich sei­ner selbst gewiß zu wer­den, ist erst der Anfang einer lan­gen Rei­se ins eige­ne Innere.

Die bei­den Haupt­fi­gu­ren in die­sem Mythos haben bemer­kens­wer­te Han­di­kaps, so daß sie ein­an­der nicht begeg­nen kön­nen. Alles beginnt mit der Nym­phe Echo, die von Zeus ani­miert wor­den ist, Hera nach Art der Sche­he­re­za­de mit unend­li­chen Geschich­ten von den Amou­ren des Gemahls abzu­len­ken, ins­be­son­de­re wenn die­ser wie­der ein­mal bei den Nym­phen weilt. Die oft rasend eifer­süch­ti­ge Hera ist bereits im Begriff, ihren Gat­ten in fla­gran­ti zu über­füh­ren, aber die geschwät­zi­ge Echo hält sie davon ab, indem sie wei­ter und wei­ter redet.

Nach­dem Hera das Spiel durch­schaut hat, bestraft sie Echo, die nun­mehr erst zu dem wird, was ihr Name bereits über sie aus­sagt. Es wird der Nym­phe genom­men, was sie miß­braucht hat, um die Göt­tin hin­ters Licht zu füh­ren: Hera nimmt ihr die Fähig­keit eige­ner Rede, so daß sie nicht mehr von sich aus spre­chen, son­dern nur wie­der­ho­len kann, was sie hört. Von sich aus kann sie fort­an gar nicht mehr spre­chen, es bleibt ihr nur noch, die letz­ten Wor­te ledig­lich zu wiederholen,—ein fata­les Han­di­kap, ins­be­son­de­re wenn sie dem Nar­ziß ihre Lie­be geste­hen will.

Eines Tages wird Nar­ziß auf der Jagd von sei­nen Gesel­len getrennt. Er gerät in eine son­der­ba­re Land­schaft am Heli­kon, die von der Nym­phe Echo beseelt wird. Sobald die­se den jun­gen Mann erblickt, wird sie sogleich in Lie­be erglü­hen. Aber sie kann sich nicht äußern, um ihm ihre Lie­be zu geste­hen. Also folgt sie ihm heim­lich, um ihm bei Gele­gen­heit näher zu kommen…


Veröffentlichungen

Verzeichnis der Veröffentlichungen

PDF: Ver­zeich­nis der Veröffentlichungen


Vorlesungen und Seminare


Diana – Psyche und Wildnis

Jules-Joseph-Lefebvre-Diana-Chasseresse

Jules–Joseph Lefeb­v­re: Diana.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Die Bio­gra­phie der Göt­ter, also ihre Theo­gra­phie ist oft hilf­reich, um her­aus­zu­brin­gen, was sich hin­ter der Alle­go­rie eines Got­tes oder einer Göt­tin ver­birgt. Alle die­se Figu­ren sind unse­re Pro­jek­tio­nen, daher ist es inter­es­sant, dem nach­zu­ge­hen, was denn da pro­ji­ziert und idea­li­siert wor­den ist. Dem­entspre­chend darf stets mit höchst inter­es­san­ten Kor­re­spon­den­zen zwi­schen der Men­schen­welt und dem Göt­ter­him­mel gerech­net werden.

Immer­hin geht es um fun­da­men­ta­le Erfah­run­gen und Selbst­er­fah­run­gen, die mit­hil­fe von Göt­ter­fi­gu­ren in Sze­ne gesetzt wer­den: So steht die grie­chi­sche Arte­mis und die mehr oder min­der iden­ti­sche römi­sche Dia­na für einen ganz bestimm­ten Kon­text, der tief in die Ver­gan­gen­heit der Men­schen­ge­schich­te zurückreicht.

Dia­na ist auf den Bil­dern beim Bade unter den vie­len nack­ten Nym­phen sicher an ihrem Dia­dem zu erken­nen, das eine Mond­si­chel trägt, ein wahr­haft uraltes Sym­bol. Damit läßt sie sich einer sehr viel älte­ren Epo­che der Mensch­heits­ge­schich­te zuord­nen, was aller­dings kaum ver­wun­der­lich ist. Als Jagd­göt­tin steht sie alle­go­risch für genau jene Lebens­wei­se ein, wie sie zuvor in der gesam­ten Geschich­te der Mensch­heit vor­herr­schend war. Erst vor etwa 45.000 Jah­ren kamen die ersten Hir­ten­no­ma­den auf und erst seit rund 12.000 Jah­ren kam es zum Pro­zeß der Zivilisation.—Wenn daher die Dia­na auf­tritt, so ver­kör­pert sie einen ganz bestimm­ten Aspekt in der Sub­si­sten­z­wei­se von Samm­lern und Jägern, und dabei kam das Jagen den Män­nern und das Sam­meln den Frau­en zu.

Die Göt­tin steht für die­sen eigen­tüm­li­chen Flow, für die inten­si­ve Erfah­rung von Ein­sam­keit in den end­lo­sen Wäl­dern, Wie­sen und Fel­dern, auf der Jagd aber auch beim Sam­meln. Sie ist die Göt­tin des ›Drau­ßen‹ und bewahr­te ins­be­son­de­re die Frau­en vor den Gefah­ren, die damit ein­her­ge­hen, sich weit weg zu wagen von allem, was noch in der Nähe der Gemein­schaft liegt. Da sind nicht nur natür­li­che Gefah­ren, son­dern auch die, even­tu­ell ande­ren Jägern zu begeg­nen, die viel­leicht auf Frau­en­raub aus sind. Dar­über­hin­aus ist es immer auch ein see­li­sches Wag­nis, sich tief in die Wild­nis vor­zu­wa­gen, weil man sich eben zugleich auch auf das eige­ne Inne­re ein­läßt. Nicht von unge­fähr ist in der Welt­an­schau­ung der Wild­beu­ter alles beseelt und vol­ler Gei­ster und Dämonen.

Dia­na ist eine Schutz­göt­tin, die denen gan­ze beson­de­ren Bei­stand gewährt, die sich sehr in die Wild­nis vor­wa­gen. Denn sie demon­striert das uner­müd­li­che Jagen und sie bewahrt ihre Iden­ti­tät, so daß sich die, die sich auf die Ein­sam­keit in den Wäl­dern und auf alle erdenk­li­chen Erfah­run­gen und Gefah­ren ein­lie­ßen, sich gebor­gen füh­len konn­ten. Die Göt­tin lebt vor, was es bedeu­tet, auf Jagd oder zum Sam­meln in die Wäl­der zu gehen, weit­ab vom Lager, viel­leicht in klei­nen Grup­pen, auf jeden Fall aber auf sich allein gestellt und nicht son­der­lich wehrhaft.—Erstaunlicherweise wird die gött­li­che Alle­go­rie für das Jagen und Sam­meln aus­ge­rech­net von einer jung­fräu­li­chen Göt­tin ver­kör­pert. Das muß zu den­ken geben, denn gera­de vom Jagen wür­de man doch anneh­men wol­len, da es doch eine emi­nent ›männ­li­che‹ Tätig­keit ist, daß infol­ge­des­sen auch ein männ­li­cher Gott dafür ein­ste­hen müßte.

Aller­dings hat es mit den Umstän­den beim Jagen und Sam­meln eine ganz eige­ne Bewandt­nis. Nicht sel­ten herrscht Ent­halt­sam­keit im Lager, wäh­rend die Jäger weit­ab auf Beu­te­fang sind. Und nicht anders ergeht es den Samm­le­rin­nen, wenn sie in klei­nen Grup­pen unter­wegs sind, stän­dig ver­folgt von Gefüh­len wie Angst, Bedro­hung und Horror.—Sich über­haupt auf sol­che Wag­nis­se ein­zu­las­sen, dafür steht die­se Göt­tin, denn sie demon­striert, wie es gemacht wird.

Die Auf­merk­sam­keit dürf­te nicht sel­ten hoch ange­spannt gewe­sen sein, etwa anhand von Geräu­schen die Nähe von Raub­tie­ren früh­zei­tig zu bemer­ken. Aber nicht nur äußer­li­che, son­dern auch psy­chi­sche Gefah­ren sind in sol­chen Situa­tio­nen zu bewäl­ti­gen, die sehr viel Dis­zi­plin, Selbst­er­fah­rung und Wage­mut erfordern.—Vor allem für die Frau­en dürf­te noch ent­schei­den­der gewe­sen sein, daß sie ernst­haft befürch­ten muß­ten, weit­ab vom Lager even­tu­ell von frem­den Jägern auf­ge­spürt, geraubt und ent­führt zu werden.

So ergibt sich dann der Cha­rak­ter die­ser Göt­tin. Sie muß so sein wie sie ist, stän­dig auf der Jagd, auf gutem Fuße mit allen Natur­gei­stern wie den Nym­phen, aber völ­lig bei sich und nicht im min­de­sten an Lie­bes­aben­teu­ern oder gar Sex interessiert.—Dagegen gilt Dia­na rein äußer­lich als äußerst attrak­ti­ve, jugend­li­che, unge­mein umtrie­bi­ge aber auch abso­lut unnah­ba­re Göt­tin. Alle wis­sen, daß sie sich für Män­ner wirk­lich nicht inter­es­siert. Aber immer wie­der gibt es alle erdenk­li­chen Nach­stel­lun­gen, denen sie sich syste­ma­tisch und stets erfolg­reich ent­zieht, nicht sel­ten unter Ein­satz von Mit­teln, die der eige­nen Weib­lich­keit eine Tar­nung ver­pas­sen, die augen­schein­lich ist. Sie nimmt auch schon ein­mal die Gestalt eines Hirschs an, um Nach­stel­lun­gen zu ent­ge­hen, so daß sich ihre Ver­fol­ger gegen­sei­tig erschie­ßen. Ihre Selbst­tar­nung geht so weit, daß sie ihren weib­li­chen Rei­ze voll­kom­men negiert:

Als ihr Alpheus einst zu Lei­be gieng, so beschmie­re­te sie sich mit
den übri­gen Nym­phen das Gesicht der­ge­stalt mit Kothe, daß er sie
unter dem Hau­fen nicht ken­nen konn­te. (Ben­ja­min Hederich:

Gründ­li­ches mytho­lo­gi­sches Lexi­con. Leip­zig 1770. S. 909.)

Die Göt­ter im Olymp seuf­zen nicht sel­ten, wenn sie sie über­haupt zu Gesicht bekom­men, weil sie unent­wegt in den Wäl­dern umher­streift, wäh­rend sie sich statt­des­sen lie­ber wün­schen wür­den, daß sie doch nicht immer­zu jagen möge, son­dern sich den ›schö­ne­ren Din­gen‹ des Lebens end­lich auch ein­mal mehr wid­men sollte.—Diana steht in kras­sem Wider­spruch zur Zivi­li­sa­ti­on, sie ist nicht von unge­fähr andau­ernd in der Gesell­schaft von Nym­phen. Dem Pan müß­te sie eigent­lich sehr zuge­tan sein, aber der Gott der Wild­nis ist sterb­lich, weil er im Zuge der Zivi­li­sa­ti­on sei­ne Macht ver­liert, seit es auf die­sem Glo­bus gar kei­ne Wild­nis mehr gibt.


»Ich fürchte mich vor der Menschen Wort«

Wilhelm Otto Peters: Nero im Circus.

Wil­helm Otto Peters: Nero im Cir­cus. Holz­stich, um 1900, kolo­riert, nach dem Gemäl­de von Wil­helm Otto Peters.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.—Der Dau­men als Zei­chen des Mit­ge­fühls: Mit dem nach unten zei­gen­den Dau­men signa­li­siert Nero den Gla­dia­to­ren in der Are­na »kein Mit­ge­fühl« zu zeigen—ganz im Gegen­satz zum nach oben gestreck­ten Dau­men, der »Mit­ge­fühl« signalisiert.

Bewußt­sein kommt nur zustan­de, wenn das, was bewußt wer­den soll, auf irgend­ei­ne Wei­se auch reprä­sen­tiert wer­den kann. Spie­gel­zel­len machen der­weil die eige­ne Selbst­wahr­neh­mung zum Medi­um, der Ande­re wird teil­wei­se gespie­gelt in der Wahr­neh­mung des eige­nen Kör­pers. Es scheint dann so, als wür­de der Beob­ach­ter zu dem, was eigent­lich nur beob­ach­tet wird. Dabei arbei­tet das System der Spie­gel­neu­ro­nen ganz offen­bar mit Pro­jek­tio­nen, die vom moto­ri­schen System aus­ge­hen, um dann über das Ner­ven­sy­stem gewis­se Wahr­neh­mun­gen zu simulieren.
Emo­tio­nen wer­den dabei auf Bewe­gungs­mu­ster ›gelegt‹. Das besagt dann auch der Begriff ›Map­ping‹, was eben bedeu­tet, daß etwas auf etwas ande­res gelegt wird. So wird das Radio­si­gnal des Sen­ders auf eine Radio­wel­le gleich­sam ›oben‹ zusätz­lich noch ›drauf‹ gege­ben. Rein tech­nisch wer­den sol­che Ver­fah­ren als Modu­la­ti­on beschrie­ben, und in die­sem Sin­ne läßt sich nach­voll­zie­hen, wie auch die Spie­gel­zel­len die eige­ne Wahr­neh­mung so modu­lie­ren, bis sie sich öff­net für die Wahr­neh­mung Anderer.
Es ist aller­dings bemer­kens­wert, daß wir oft nur etwas sehen müs­sen, um es zu ver­ste­hen, zu füh­len und zu mit­emp­fin­den. So wird dann die Empa­thie zur Erfah­rung am eige­nen Leib und wir kön­nen uns vor­stel­len, wie sich etwas anfühlt, auch wenn wir gar nicht selbst betrof­fen sind. Das alles ist für die Ima­gi­na­ti­on, für das Erzäh­len und nicht zuletzt auch für das Ler­nen von unge­heu­rer Bedeu­tung, denn wir kön­nen auf die­se Wei­se zu Erfah­run­gen kom­men, ohne sie selbst je erle­ben zu müssen.
Was in der Hirn­for­schung als Map­ping beschrie­ben wird, dem ent­spricht in der Kul­tur­wis­sen­schaft die Meta­pher , denn auch hier wird ein zumeist ganz kon­kre­ter Sinn ›über­tra­gen‹ und etwas ande­rem bei­gelegt. Durch die Wahl und den Ein­satz einer ange­mes­se­nen Meta­pho­rik wird das Ver­ste­hen und vor allem die Ver­stän­di­gung oft über­haupt erst ermög­licht. Und hier geht es ganz offen­bar dar­um, daß ein ›höhe­res‹ Bewußt­sein die Rou­ti­nen eines ande­ren Bewußt­seins jeweils mit ganz bestimm­ten Sinn­mu­stern belegt. So wer­den dann Bewe­gungs­mu­ster mit Emo­tio­nen ver­knüpft, die sich dann ihrer­seits wie­der­um als Bewegt­heit iden­ti­fi­zie­ren las­sen. Dann kön­nen wir uns nicht mehr nur vor­stel­len, wie wir uns bewe­gen. Wir kön­nen dar­über hin­aus auch Vor­stel­lun­gen dar­über haben, ›bewegt‹ zu werden—eben durch Empa­thie, durch Emotionen.
Die Fra­ge, was eigent­lich Bewußt­sein ist und wie es zustan­de gebracht wird, bekommt auf die­se Wei­se ihren ein­schlä­gi­gen Modell­cha­rak­ter. Bewußt­sein ist immer Bewußt­sein von etwas, daher muß erwar­tet wer­den, daß die­ses Etwas dann auch in Erschei­nung tritt und wahr–genommen wer­den kann.—Aber mit der Ein–Sicht ist das so eine Sache: Vie­les ist uns ver­bor­gen und dann ver­sa­gen auch noch die Wor­te, weil sie immer sofort alles fest­le­gen. Kein Wun­der also, daß das Reden gera­de dann beson­ders schwer fällt, wenn, was zu sagen wäre, höchst hei­kel erscheint, und wenn wir befürch­ten müs­sen, gar nicht ver­stan­den zu wer­den oder uns vor­schnell und falsch festzulegen.
Oft haben wir uns selbst und die Situa­ti­on noch gar nicht ver­stan­den. Dann feh­len die Wor­te, so daß es unmög­lich erscheint, über­haupt irgend­et­was zu sagen, und trotz­dem sol­len wir uns erklä­ren, beken­nen und fest­le­gen. Aber die unter­schied­lich­sten Moti­ve, Emo­tio­nen und Wert­vor­stel­lun­gen lie­gen im Hader mit­ein­an­der wie die glück­li­chen Göt­ter Athens. In ihrer Gesamt­heit ver­kör­pern sie die Eigen­tüm­lich­kei­ten der ver­schie­den­sten Per­spek­ti­ven und ste­hen dafür mit ihrem Cha­rak­ter ein.
Die Viel­falt die­ser Mög­lich­kei­ten, ein– und die­sel­be Sache auch ganz anders sehen zu kön­nen, macht gelin­gen­des Ver­ste­hen so schwie­rig. Daher ist es nicht ein­fach, sich selbst zu the­ma­ti­sie­ren und die Ver­hält­nis­se syste­ma­tisch zu erör­tern. Das kann nur gelin­gen, wenn die unter­schied­lich­sten Momen­te zur Spra­che gebracht wer­den, um sich über alle mög­li­chen Moti­ve und Emo­tio­nen zu verständigen.—Kultur und Zeit­geist spie­len dabei eine ganz gro­ße Rol­le, denn immer­zu herr­schen bestimm­te Vor­bil­der, Vor­stel­lun­gen oder Muster­gül­tig­kei­ten vor und nicht sel­ten sind Erwar­tun­gen oder auch Erwar­tungs­er­war­tun­gen wie bei­spiels­wei­se Idea­le und Wert­vor­stel­lun­gen im Spiel.
Erst was zur Spra­che gebracht, mit­ge­teilt und auch ver­stan­den wur­de, ist wirk­lich in der Welt. Alles ande­re ist und bleibt sche­men­haft im Nebel aller Mög­lich­kei­ten zurück. Solan­ge die rich­ti­gen Wor­te noch feh­len, besteht noch die Hoff­nung, daß sie gefun­den und zur Spra­che gebracht wer­den. Wo aber bereits die fal­schen Wor­te aus­ge­spro­chen wor­den sind, dort beherr­schen Irr­tü­mer die Sze­ne­rie wie ein böser Fluch, was oft nicht ein­mal bemerkt wird.—Dabei ist es gera­de­zu skan­da­lös, was Wor­te den Phä­no­me­nen antun kön­nen: Sie spie­ßen die Sachen wie Schmet­ter­lin­ge auf, kle­ben ihr Eti­kett dar­un­ter und behaup­ten, man habe damit wirk­lich alles im Griff. Tat­säch­lich ist jedoch das Leben ent­wi­chen, die See­le ist nicht mehr vor Ort und nur etwas Totes bleibt dann zurück.

Ich fürch­te mich so vor der Men­schen Wort.
Sie spre­chen alles so deut­lich aus:
Und die­ses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

In die­sem Gedicht aus dem Jah­re 1897 beschwört Rai­ner Maria Ril­ke eine Angst vor dem defi­ni­to­ri­schen Gebrauch der Wör­ter, wie ihn nur Poe­ten und Phä­no­me­no­lo­gen tei­len können.—Worte machen die Din­ge ver­füg­bar und ver­scheu­chen den Geist, der uns eigent­lich fas­zi­niert. Man glaubt, sich erklä­ren, sich ver­ständ­lich machen zu müs­sen und erreicht nicht sel­ten das Gegen­teil von alle­dem, so daß sich Ver­ste­hen in Ver­feh­len verwandelt.—Daher soll­te die Empa­thie im Hin­ter­grund ste­hen, um zu erfüh­len, ob die Wor­te tat­säch­lich auch tun, was sie sol­len oder ob sie nur eigen­mäch­tig über alles her­fal­len, was ihnen nicht paßt.
Wäh­rend die erste Stro­phe noch über die Angst spricht, wird in der näch­sten die Ankla­ge eröff­net um dann in der drit­ten den Apell vor­zu­brin­gen, die Welt der Din­ge gegen die Ansprü­che des Benen­nens und Aus­spre­chens in Schutz zu nehmen.—Ohnehin ist die Welt selt­sam falsch moti­viert durch Wahr­neh­mungs­mu­ster, die mit der Moder­ne auf­ge­kom­men sind und die seit­her den Zeit­geist und damit das Sehen, Füh­len und Den­ken auf selt­sa­me Wei­se ver­fäl­schen, so daß das das Leben­di­ge stumm und das Star­re leben­dig erscheint.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wis­sen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Gar­ten und Gut grenzt gra­de an Gott.

Ich will immer war­nen und weh­ren: Bleibt fern.
Die Din­ge sin­gen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Din­ge um.


Empathie

Die fünf Sinne, Gemälde von Hans Makart aus den Jahren 1872–1879: Tastsinn, Hören, Sehen, Riechen, Schmecken. Österreichische Galerie Belvedere, Wien.

Hans Makart: Die fünf Sin­ne. Hören, Sehen, Rie­chen, Schmecken. Öster­rei­chi­sche Gale­rie Bel­ve­de­re, Wien.

Wer sich mit Äußer­lich­kei­ten zufrie­den gibt und glaubt, auf die­ser Grund­la­ge bereits umfas­sen­de Urtei­le abge­ben zu kön­nen, wird nur ange­paß­tes Den­kens zele­brie­ren. Da ist die­ser Hang, sich nie und nim­mer per­sön­lich auf die Sachen selbst ein­zu­las­sen. Es scheint, als wür­de man bereits ahnen, daß vie­le Gefah­ren damit ein­her­ge­hen, woll­te man dem Anspruch auf per­sön­li­che Urtei­le tat­säch­lich gerecht wer­den. Aber nichts der­glei­chen fin­det wirk­lich statt: Das Den­ken wird nicht auf­ge­schlos­sen, son­dern, noch ehe es über­haupt in Gang gekom­men ist, sofort wie­der still­ge­stellt und auf Üblich­kei­ten fixiert. Eige­nes Den­ken, Auf­merk­sam­keit, Empathie,—alles was mit hohem, höhe­rem oder höch­stem Anspruch daher­kommt, ist dann nur noch Attitüde.
Die Kunst, sich des eige­nen Ver­stan­des zu bedie­nen, kommt in der Regel nicht ein­mal im Ansatz zur Anwen­dung. In den herr­schen­den Dis­kur­sen geht es zumeist nur dar­um, sich gemein­schaft­lich zu erre­gen, sich an Feind­bil­dern zu ori­en­tie­ren, vor allem an jenen, die ganz gefähr­lich anders sind. Aber die eigent­li­chen Gefah­ren kom­men gar nicht von außen, son­dern von innen. Es sind Äng­ste im Spiel, die sich vor den unend­li­chen Wei­ten, vor den Unbe­re­chen­bar­kei­ten und Unge­wiß­hei­ten in der eige­nen Psy­che her­rüh­ren. Der Ungrund wird sehr wohl gespürt und geahnt, daß es gar kei­ne Gewiß­hei­ten sind, von denen wir getra­gen werden.—Wer sich wirk­lich auf das offe­ne Den­ken ein­läßt, wird sich selbst über­zeu­gen, über­ra­schen, ja sogar über­ho­len, wird immer weni­ger Par­tei­gän­ger, wird sich statt­des­sen auf die Äng­ste im eige­nen Inne­ren ein­las­sen müssen.

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Ökologie im Diskurs

Ökologie im Diskurs.
Studien zu Grundfragen der Anthropologie, Ökologie
und zur Ethik der Wissenschaften

Drei mög­li­che Begrün­dungs­ebe­nen las­sen sich unter­schei­den, auf die sich Moti­ve für Natur­schutz zurück­füh­ren las­sen: natur­wis­sen­schaft­li­che–, ästhe­ti­sche– und ethi­sche Begrün­dun­gen. Die­se drei mög­li­chen Per­spek­ti­ven wer­den aller­dings, anders als zu erwar­ten wäre, weder gleich­be­rech­tigt noch gleich­ran­gig ange­nom­men; es läßt sich ein Hang zur erste­ren, der natur­wis­sen­schaft­li­chen Argu­men­ta­ti­on beob­ach­ten, wenn Moti­ve fur Natur­schutz begrün­det wer­den sol­len. Gleich­falls ist eine gewis­se Scheu vor ästhe­ti­schen oder ethi­schen Kri­te­ri­en zu beob­ach­ten; letz­te­re ver­küm­mern gera­de­zu, wenn ihnen aus Grün­den, die wir prü­fen wol­len, allen­falls noch der Sta­tus von Hilfs­ar­gu­men­ten ein­ge­räumt wird.

In der Tat sind die­se drei Begrün­dungs­ebe­nen nicht gleich­ran­gig. Die allein mit ästhe­ti­schen und ethi­schen Sät­zen for­mu­lier­ba­ren Kri­te­ri­en qua­li­ta­ti­ver Natur sind, sofern sie tat­säch­lich qua­li­ta­ti­ve Momen­te aus­for­mu­lie­re, immer schon dem natur­wis­sen­schaft­li­chen und quan­ti­fi­zie­ren­den Zugriff ent­zo­gen; sie sind nicht gleich­ran­gig, weil sie auf ver­schie­de­nen Erkennt­nis­ebe­nen ope­rie­ren, aber sie sind gleichberechtigt.—Begründungen, war­um etwa ein Baum, eine Tier­art, eine bestimm­te Land­schaft oder z.B. die Wäl­der des Ama­zo­nas zu schüt­zen sei­en, las­sen sich bei­spiel­haft für alle drei Ebe­nen ange­ben: Weil der Baum z.B. Sau­er­stoff pro­du­zie­re oder weil Abhol­zen der Amazonas–Wälder das glo­ba­le Kli­ma gefähr­de, weil der Baum und sei­ne cha­rak­te­ri­sti­sche Land­schaft dem Men­schen Erleb­nis­se äuße­rer und inne­rer Erfah­rung ermög­li­che, die unwie­der­bring­lich ver­lo­ren wären, und schließ­lich, weil es dem Men­schen nicht erlaubt sei ohne Not zu töten, weil jedes Lebe­we­sen ein allein durch sei­ne Exi­stenz ver­brief­tes Recht auf art­ge­rech­tes Leben habe und weil im Fal­le der Zer­stö­rung der Ama­zo­nas­wäl­der den dort leben­den India­nern die Exi­stenz­grund­la­ge genom­men wäre.

Cha­rak­te­ri­stisch für die natur­wis­sen­schaft­lich ori­en­tier­te Begrün­dungs­ebe­ne sind Argu­men­te, die einen bestimm­ten Zweck als not­wen­dig vor­aus­set­zen (Vor­der­satz) und dann im Rah­men einer Wenn–dann–Folge die Gefähr­dung oder mög­li­che Zer­stö­rung eines als zweck­ra­tio­nal aner­kann­ten lebens­not­wen­di­gen Zusam­men­hangs begrün­den (Schluß­satz). Ein der­ar­ti­ges Argu­men­ta­ti­ons­mu­ster insi­stiert stets auf die zwin­gen­de Not­wen­dig­keit uner­wünsch­ter Fol­gen. Weit­aus schwie­ri­ger las­sen sich Begrün­dungs­zu­sam­men­hän­ge unter ästhe­ti­schen oder ethi­schen Gesichts­punk­ten gestal­ten, wenn erwar­tet wird, sie soll­ten eben­falls Schluß­fol­ge­run­gen ermög­li­chen, die zwin­gend not­wen­dig sind. Es kann aber von Sinn­zu­sam­men­hän­gen gera­de nicht ohne wei­te­res erwar­tet wer­den, daß sie zweck­ra­tio­na­le Schluß­sät­ze begrün­den, dazu sind sie nicht prä­de­sti­niert, denn sinn­haf­te und sinn­vol­le Argu­men­te wer­den mit­un­ter gera­de durch ein Rela­ti­vie­ren von Zwecken erst möglich.

An der Not­wen­dig­keit öko­lo­gi­scher Fra­ge­stel­lun­gen in den Natur­wis­sen­schaf­ten scheint nie­mand mehr ernst­haft zwei­feln zu wol­len, es kommt nun­mehr dar­auf an, auch die Gei­stes­wis­sen­schaf­ten mit ein­zu­be­zie­hen. Was ange­sichts anthro­po­lo­gi­scher Fra­ge­stel­lun­gen gelang, muß auch in der Öko­lo­gie gelin­gen; not­wen­dig ist der mul­ti­dis­zi­pli­nä­re Dis­kurs der Öko­lo­gie, wobei die Zahl der hier zu betei­li­gen­den Wis­sen­schaf­ten aller­dings bedeu­tend gro­ßer wäre. Dabei muß es den ein­zel­nen Dis­zi­pli­nen zunächst im Rah­men ihrer jewei­li­gen Zustän­dig­keit selbst über­las­sen blei­ben, ihre je eige­nen Kri­te­ri­en zur Bestim­mung des Öko­lo­gi­schen zu ent­wickeln. Im Vor­feld der Dis­kur­se muß die Möglich­keit zur Selbst­be­stim­mung gewähr­lei­stet sein, Über­grif­fe oder vor­schnel­le Ver­bin­dun­gen sind abzu­leh­nen; eine Begren­zung des­sen was Öko­lo­gie ist, kann nur in Abhän­gig­keit von der jewei­li­gen Fra­ge­stel­lung, also von Fall zu Fall rat­sam sein, im Grun­de aber ist die­ser Dis­kurs als mul­ti­dis­zi­pli­nä­rer offe­ner denn je. Wenn zudem noch öko­lo­gi­sche Dis­zi­pli­nen den Men­schen mit ein­be­zie­hen sol­len, und sie wer­den nicht umhin kön­nen die­ses zu tun, so tre­ten neben die Kri­te­ri­en der phy­si­schen Natur zusätz­lich sol­che der psychischen–.

Zur psy­chi­schen Natur des Men­schen gehört die Mög­lich­keit ästhe­ti­scher Erfah­rung, eine Fähig­keit, die unter bestimm­ten Umstän­den auf­tritt, die unter den Erschwer­nis­sen ent­frem­de­ter Lebens­ver­hält­nis­se die per­so­na­le Inte­gra­ti­on durch das Erle­ben von Ganzheits–Erfahrungen gewähr­lei­sten kann. So wie das Indi­vi­du­um sei­ner­seits sei­ne Ent­ste­hung einem bestimm­ten histo­ri­schen und topo­gra­phi­schen Ort ver­dankt, so ist auch die Wahr­neh­mung des Natur­schö­nen ihrer­seits an Vor­aus­set­zun­gen gebun­den, die bedingt erfüllt sein müs­sen, bevor eine Land­schaft in Abse­hung vom Zweck als schön emp­fun­den wer­den kann…

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