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Anthropologie, Götter und Gefühle, Identität und Individualismus, Melancholie, Moderne, Motive der Mythen, Religion, Theographien, Theorien der Kultur, Urbanisierung der Seele, Vorlesung, Zeitgeist, Zivilisation
Anthropologie der modernen Welt
Das multible Selbst
Die Götter der Antike sind wie die Stars unserer Tage, die Sterne von damals sind die Sternchen von heute. Alle ihre einzelnen Fähigkeiten, mit denen sie sich im Verlaufe der Zeit angereichert haben, lassen sich oft noch an den vielen Beinamen erkennen, es sind Spuren vereinnahmter Häuptlingstümer, es sind die Geister von Clans, Landschaften und Kulturen, die längst aufgegangen sind im größeren Ganzen dieser Göttergestalten. Gerade Götter verfügen über multiple Identitäten, daher fällt es ihnen so leicht, in fremder Gestalt aufzutreten, um sich selbst dabei doch treu zu bleiben. Daher beherrschen sie das Spiel mit den Masken. Besonders Zeus wechselt ein ums andere Mal für Liebesabenteuer äußerst spektakulär die eigene Gestalt: Er nähert sich seiner späteren Gattin Hera als durchnäßter, zitternder Kuckuck, als Stier der Europa, als Schwan der Leda, als goldener Regen der Danaë und um den Herakles zu zeugen, verwandelt er sich in Amphitryon, den Gatten der Alkmene.
Götter wie Zeus beherrschen einfach dieses bedeutende Kunststück, sich auch in fremder Gestalt noch immer selbst treu zu bleiben. Im Prozeß der Zivilisation wird nicht nur die Außenwelt, sondern auch die Innenwelt immer weiter ausdifferenziert. Mit der Zivilisation, Rationalität und Moderne geht daher stets auch ein Prozeß der Psychogenese einher. Götter haben uns dabei stets etwas voraus, sie verkörpern die Ideale, auf die es ankommt. Dementsprechend läßt sich anhand der außerordentlichen Fähigkeiten von Götter die Zukunft der Psyche ablesen. Das nunmehr im Zuge der Psychogenese anstehende multiple Selbst wird seinerseits über diese entscheidende göttliche Fähigkeit verfügen, sich anverwandeln zu können.
Die klassischen Einwände dagegen, das sei keine Wahrhaftigkeit mehr, sondern eben Inszenierung, es sei keine Authentizität, sondern nur Vorspiegelung im Spiele, können nicht mehr verfangen. Wir haben nicht eine einzig wahre Natur, das einzig verbindliche Selbst oder irgendeine fixierte Identität in uns, die ehrlichkeitshalber nur zum Ausdruck gebracht werden muß, während alles andere nur Lug und Trug sein würde. Die Frage nach der Wahrhaftigkeit eines Gottes, der eine Metamorphose vollzogen hat, ist unangebracht, es kommt darauf an, was sich in der Wahrnehmung ereignet. Entscheidend ist das Erleben, etwa einem Schauspieler abnehmen zu können, was er vorgibt zu sein.
Wir alle spielen Theater, was eben nicht bedeutet, daß es uns nicht ernst damit wäre. Das Maskenspiel ist dabei mehr als nur eine ausgezeichnete Metaphorik für das, was sich da eigentlich ereignet, es ist der Bruch mit der naiven Erwartung, daß wir immer dieselben sind und es auch bleiben. Wer eine Maske aufsetzt, übernimmt eine Rolle, wird somit zu jemand Anderen, wechselt also die Identität.
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Anthropologie, Identität und Individualismus, Ironie, Theorien der Kultur, Vorlesung, Zeitgeist, Zivilisation
Ironie und Ironiker
Irrtum verschleiert
Der geläufigste Vorwurf gegen Ironie dürfte noch immer der sein, sie der Verstellung, des Betrugs, ja sogar der Lüge zu bezichtigen. Das aber ist nicht wirklich der Fall, zwar verschleiert sich jede Ironie nur zu gern, sie schätzt die Anspielung, dasWortspiel, den Übergriff, aber im Unterschied zur Lüge ist sie durchaus darauf anlegt, entdeckt zu werden.
Beide, sowohl die Lüge als auch die Ironie verletzen das Wahrheitsgebot, aber sie wählen unterschiedliche Strategien, um zu erreichen, was sie sich zum Ziel gesetzt haben: Die Lüge wird die für sie entscheidende Differenz zwischen Sagen und Meinen, zwischen Behauptung und Wirklichkeit als persönliches und belastendes Geheimnis möglichst dauerhaft verheimlichen; sie wird gegebenenfalls weitere Schutzbehauptungen aufstellen, neue Legenden bilden, um die tatsächlich vorhandene Differenz zwischen Wahrheit und Unwahrheit nur nicht spürbar, offensichtlich und offenbar werden zu lassen.
Anders dagegen die Ironie, auch sie arbeitet auf der Grundlage solcher Differenzen, aber es geht ihr nicht darum, eine Täuschung aufrecht zu erhalten, sondern sie möchte gerade von einem Irrtum befreien. Für den Lügner ist die Unwahrheit ein Zweck, für die Ironie ist sie nur ein Mittel. Der Lügner verspricht sich von der Behauptung der Unwahrheit einen persönlichen Vorteil, dem Ironiker ist daran gar nicht gelegen. Er versucht einen Irrtum als solchen zu entschleiern, aber aus bestimmten Gründen geht er nicht direkt sondern nur indirekt vor. – Würden Ironiker und Lügner aufeinandertreffen und sollte der Ironiker die Lügen durchschauen, er würde auf die Versicherungen des Lügners nicht mit der üblichen Entrüstung reagieren. Er würde vielmehr ein Spiel mit dem Lügner und mit seiner Lüge beginnen.
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Geldhandel als Krieg
Auguste Rodin: Das Höllentor