Prof. Dr. phil. Heinz-Ulrich Nennen Hochschullehrer für Philosophie am Karlsruher Institut für Philosophie Philosophische Ambulanz Münster, für alle Zweifelsfälle des Lebens, des Denkens und nicht zuletzt der Gefühle. Philosophie | Anthropologie | Psychologie | Pädagogik | Mythologie | Märchen | Ästhetik | Zeitgeistdiagnosen | Philosophische Cafés und Philosophische Praxis. Homepage: www.nennen-online.de heinz-ulrich.nennen@t-online.de

  • Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona,  Diskurs,  Identität und Individualismus,  Moderne,  Religion,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Utopie,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Philosophischer Salon: Corona–Sprechstunde

    Karlsruhe Institut für Technologie
    House of Competence

    Online–Seminar via ZOOM,

    ab Freitag, den 8. Mai 2020, 11:30-13:00 Uhr.  

     

    Kommentar:

    Corona allüberall. Es ist das erste Virus mit umfassender Ansteckung.

    Johann Heinrich Füssli: Die schlafwandelnde Lady Macbeth.
    Johann Heinrich Füssli: Die schlafwandelnde Lady Macbeth. Übertragung einer Monolog-Situation aus Shakespeare’s Tragödie (1784). Louvre, Room 719, Paris.

    ›Infiziert‹ wurden nicht nur die Körper, sondern auch die Köpfe, die Medien, die sozialen Netzwerke, die Politik, die Wirtschaft, Kultur und die Freizeit, eigentlich alles.  Das reicht bis ins Sozialverhalten: Nähe scheint plötzlich fahrlässig, ja gefährlich geworden zu sein. Es ist eine umfassende Krise.

    Aber Krisen bieten auch Chancen. Es sind besondere Zeiten, ein schneller Wandel kündigt sich an, mit vielem ist Schluß. Zugleich kommen aber neue Möglichkeiten auf. Die alte Welt wird untergehen, es ist die Frage, wie die neue sein wird oder sein sollte.

    Es gilt viel zu bedenken und noch mehr zu bereden. Persönliche Erfahrungen sind ebenso wichtig wie Visionen vom Großen und Ganzen. – Wie wird das eigene Leben weitergehen, in welcher Gesellschaft wollen wir leben? Was ist mit den Ängsten? Was ist mit der Verantwortung, nicht andere zu infizieren? Was, wenn die Welle wiederkommt…

    Fragen über Fragen und Antworten, von denen noch viel zu wenige in der Welt sind. – Kommt jetzt eine Wendezeit? Was läßt sich tun? Wie steht es um Fridays for Future?

    Wie steht es mit dem eigenen Lebensentwurf, mit dem Studium, den Jobs, mit Freunden und der Familie?

    In der Philosophischen Ambulanz geht es darum, daß alle erdenklichen Sachen thematisiert werden können. Alledem gemeinsam auf den Grund zu gehen, mit eigenen Worten, darin liegt der Reiz. – Diskurse sollen entstehen, über die unterschiedlichsten Themen, so wie sie gerade auf den Nägeln brennen. Eine ganz besondere Erfahrung ist dabei von großer Bedeutung, daß es wirklich möglich ist, sich gemeinsam zu verständigen, so daß sich dabei überraschende Einsichten auftun.

    Vorerst findet diese Veranstaltung wöchentlich via Zoom statt, ab Freitag, den 8. Mai 2020, 11:30-13:00 Uhr.  

  • Diskurs,  Identität und Individualismus,  Lehre,  Moderne,  Motive der Mythen,  Religion,  Theorien der Kultur,  Utopie,  Zeitgeist

    “Methode haben heißt mit dem Weg der Sache gehen”

    Ernst Bloch als Phänomenologe

    Im Wintersemester 1961/62 begann Ernst Bloch, nach Zwangsemeritierung und Mauerbau, nunmehr in Tübingen seine über mehrere Semester fortgesetzte Tübinger Einleitung in die Philosophie, die später als Band 13 aufgenommen wurde in die Gesamtausgabe seiner Werke von letzter Hand. Die bereits ein Jahr zuvor in der Antrittsvorlesung angekündigte, auf mehr als 22 Veranstaltungen konzipierte Reihe setzt ein, wie Bloch stets seine Philosophie entwickelt, beiläufig, ausgehend vom ganz Alltäglichen, vom Nichtphilosophischen, vom Noch–Nicht–Philosophieren.

    Bloch zufolge gehört bereits die Hinführung mit zur Sache selbst. Burghart Schmidt, ehedem langjähriger Mitarbeiter in Tübingen berichtet,

    “Ernst Bloch bevorzugte, ja, betrieb die Textanfänge mit kurzen Sätzen, je kürzer, um so besser. Das zeigte geradezu Züge einer Manie bei ihm, hatte aber überlegsame und überlegbare Darstellungsmotive in sich. (…) Blochs kurze Anfangssätze…versuchen sich…in der Gegenwart festzumachen, sie bemühen sich angestrengt darum, keinen Anfang und kein Ende zu haben.”

    Ernst Bloch, Seminar Uni Tübingen, Feb. 1971. Quelle: Wikimedia.

    Wenn Bloch der Publikation der Tübinger Einleitung eine kurze Vorbemerkung voranstellt, so liest man als ersten Satz: Mitten hinein versetzt zu werden, ist am besten. Hier wird Bloch eher an sich selbst gedacht haben, als an den Leser, den er beim Anfangen, Heranführen und Weiterführen immer auch atmosphärisch, ja inszenatorisch unterstützt. Nicht der Leser wäre demnach mitten hinein versetzt worden, sondern Bloch selbst, der sich zur Zeit des Mauerbaus gerade auf Lesereise in Tübingen aufhielt, der zu diesem Zeitpunkt bereits zwangsemeritiert worden war, inklusive Hausverbot an der Leipziger Universität.

    In einem Brief an den Präsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften schildert Bloch noch einmal die näheren Umstände und teilt nicht ohne Bitterkeit mit: Mit meinen 76 Jahren habe ich mich entschieden, nicht nach Leipzig zurückzukehren. Blochs Ruhm in der Bundesrepublik verbreitete sich schnell, berichtet Peter Zudeick in seiner Biographie und zitiert Bloch mit den Worten: Eine treffliche Universität, nette Kollegen und 1200 Hörer, mehr kann man nicht verlangen.

    Ernst Bloch von Hans Neubert (1977, Bleistiftzeichnung, 42 x 56 cm). Quelle: Wikimedia.

    Auf die soeben erwähnte vorangestellte kurze Vorbemerkung zur Tübinger Einleitung folgen die ersten beiden Zwischentitel: ›Zugang‹ und ›Erschwerungen‹. An dritter Stelle findet sich ein erster Hauptteil unter dem Titel ›Methodisches Fahrtmotiv‹, gefolgt von einem weiteren Abschnitt unter dem Titel ›Weisungen utopischen Inhalts‹. — Wie stets beginnt Bloch die Voraussetzungen für die Bedingungen seiner Philosophie ganz allmählich zu entwickeln.Unverzichtbar sind hierzu die für ihn zentralen Metaphern von Reise und Fahrt, um den Motiven seiner Philosophie vor allem auch atmosphärisch Ausdruck zu verleihen. Vorerst aber ist von Fahrt hier nur die Rede, im eigentlichen Sinne in Bewegung sind die Darlegungen selbst noch nicht.

    So himmelsstürmerisch die markantesten Zitationen blochscher Provenienz erscheinen mögen, in der Entwicklung seiner Philosophie bevorzugt Bloch ganz bewußt eher die gezügelte Bewegung, die fast schon gemächliche aber eben zuverlässige Steigerung der Geschwindigkeit. Dementsprechend sind die Metaphern stets genauestens kalkuliert und in jeder Hinsicht abgestimmt; es wird genau jene Stimmung erzeugt, die der Sache und der Situation, in der man sich virtuell und imaginär soeben befindet, angemessen sein sollen. Bloch versteht sich darauf, eine einmal für erforderlich gehaltene Stimmung bei der Zuhörerschaft oder auch beim Leser ganz bewußt systematisch zu erzeugen, um dann erst zur eigentlichen Sache zu kommen.

  • Anthropologie,  Diskurs,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Melancholie,  Moderne,  Motive der Mythen,  Religion,  Theographien,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Zivilisation

    Pandora: Das schöne Übel

    Über die dunklen Seiten der Vernunft

    Wenn mit der Zivilisation die ersten Städte aufkommen, dann verkörpert Pandora den Typus der mondänen Städterin. Sie steht allegorisch für die zunehmende Vielfalt in den Geschlechterrollen. Dabei zeigt sich eine neue Dialektik, die von der Heiligen und der Hure. — Pandora ist eine ebenso begnadete wie exaltierte Diva, ein seltsames Mischwesen, Göttin, Androidin und Mensch zugleich, auch ist sie der Prototyp der ›weiblichen Frauen‹.

    Heinz–Ulrich Nennen: Pandora: Das schöne Übel. Über die dunklen Seiten der Vernunft. (ZeitGeister 3); Hamburg 2019. Titelbild: Dante Gabriel Rossetti: Helen of Troy (1863). Hamburger Kunsthalle. — Quelle: Public Domain via Wikimedia. Im Hintergrund brennt Troja, siehe hierzu S. 59f.

    Zu allen Zeiten glaubte man ohne viel Federlesens zu verstehen, wer sie ist, was mit ihr los sei. Entsprechend schnell sind ihre Interpreten mit Charakterstudien fertig, die doch nur unzulänglich sind: Ein durch und durch verruchtes Weib, eine Strafe der Götter soll sie sein, mit der alle Übel in die Welt gekommen sind… — So einfach kann man es sich machen, ganz so einfach ist es aber nicht. Es sind mit ihr nämlich auch alle göttlichen Gaben vom Himmel auf die Erde gebracht worden.

    Die Entsendung der Pandora ist Teil einer zutiefst beeindruckenden Götterdämmerung. Was der Mythos den Göttern da unterstellt, könnte als Geste kaum generöser sein. Bevor sie abdanken, übergeben sie zuvor noch alle ihre vormaligen Zuständigkeiten — ganz. So erscheint die Sendung der Pandora in anderem Licht, als hätten die Götter damit sagen wollen: Dann macht doch alles selbst, wenn ihr ernsthaft glaubt, es besser zu können als wir!

    Pandora ist zweifelsohne die Figur mit dem allergrößten Deutungspotential, denn sie steht als Allegorie für die  Selbstermächtigung des Menschen, für Willensfreiheit und dabei vor allem für jenen fragilen Individualismus, der erst sehr viel später mit der Moderne vollends zum Ausdruck kommen wird. Sie ist unvergleichlich in jeder Hinsicht, als Künstlerin, als Intellektuelle, als Frau, Femme fatale, als Muse und Freundin, aber auch ›nur‹ als Mensch.

    Als schönes Übel verkörpert Pandora gediegenen Luxus. Wie auch anders? Sie ist in allen ihren Attributen göttlicher Natur! Aufgrund ihrer Schönheit, ihrer Attraktivität, ihrer Bedeutung und nicht zuletzt aufgrund ihrer Talente ist sie nicht von dieser Welt. Aber sie wird nicht aufgrund ihrer göttlichen Attribute geschätzt, sondern nur wegen der mitgebrachten Güter.

    Für die Übel wird sie nur zu gern verantwortlich gemacht. Ansonsten entspricht alles dem neuen Frauenbild, daß sich erfolgreiche Jäger nur zu sehr gern mit ihr schmücken. Ihre verborgenen Kapazitäten werden nicht gesehen. Eigentlich ist sie nur eine Trophäe wie die Helena, nichts weiter als ein Zeichen des Erfolgs. — Wer die Schönste aller Frauen in seinen Besitz bringen konnte, war damit auch der Mächtigste unter denen, die seinerzeit dieses Projekt in Gang gesetzt hatten, das sich seither immer weiter selbst perpetuiert.

     

  • Anthropologie,  Diskurs,  Identität und Individualismus,  Moderne

    EPG II

    Die Veranstaltung findet vorerst online statt

    Oberseminar: Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

    SS 2020 | freitags | 14:00-15:30 Uhr | Raum: 30.91-009

    Beginn: 24. April 2020 | Ende: 24. Juli 2020

    Universe333: YogaBeyond Honza & Claudine Bondi; Beach, Australia 2013. — Quelle: Public Domain via Wikimedia Commons.

    Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grundlagenstudium (EPG) obligatorischer Bestandteil des Lehramtsstudiums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modulen, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünftige LehrerInnen für wissenschafts– und berufsethische Fragen zu sensibilisieren und sie dazu zu befähigen, solche Fragen selbständig behandeln zu können. Thematisiert werden diese Fragen im Modul EPG II.

    Um in allen diesen Konfliktfeldern nicht nur zu bestehen, sondern tat sächlich angemessen, problembewußt und mehr oder minder geschickt zu agieren, braucht es zunächst einmal die Gewißheit, daß immer auch Ermessens– und Gestaltungsspielräume zur Verfügung stehen. Im Hintergrund stehen Ideale wie Bildung, Entfaltung der Persönlichkeit, die Erfahrung erfüllender Arbeit und Erziehungsziele, die einer humanistischen Pädagogik entsprechen, bei der es eigentlich darauf ankäme, die Schüler besser gegen eine Gesellschaft in Schutz zu nehmen, die immer fordernder auftritt. In diesem Sinne steht auch nicht einfach nur Ausbildung, sondern eben Bildung auf dem Programm.

    Auf ein– und dasselbe Problem läßt sich unterschiedlich reagieren, je nach persönlicher Einschätzung lassen sich verschiedene Lösungsansätze vertreten. Es ist daher hilfreich, möglichst viele verschiedene Stellungnahmen, Maßnahmen und Verhaltensweisen systematisch durchzuspielen und zu erörtern. Dann läßt sich besser einschätzen, welche davon den pädagogischen Idealen noch am ehesten gerecht werden.

    So entsteht allmählich das Bewußtsein, nicht einfach nur agieren und reagieren zu müssen, sondern bewußt gestalten zu können. Nichts ist hilfreicher als die nötige Zuversicht, in diesen doch sehr anspruchsvollen Beruf nicht nur mit Selbstvertrauen einzutreten, sondern auch zuversichtlich bleiben zu können. Dabei ist es ganz besonders wichtig, die Grenzen der eigenen Rolle nicht nur zu sehen, sondern auch zu wahren.

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  • Moderne

    Philosophische Ambulanz

    Die Veranstaltung findet vorerst online statt

    Philosophische Ambulanz

    SS 2020 | freitags | 11:30-13:00 Uhr | Raum: 30.91-110 (OG)

    Beginn: 8. Mai 2020 | Ende: 24. Juli. 2020

    Ferdinand Bart: Der Zauberlehrling, (1882). Zeichnung aus dem Buch Goethe’s Werke, 1882. — Quelle: Public Domain via Wikimedia

    Und sie laufen! Naß und nässer
    Wird’s im Saal und auf den Stufen.
    Welch entsetzliches Gewässer!
    Herr und Meister! hör mich rufen! —
    Ach, da kommt der Meister!
    Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister,
    Werd ich nun nicht los.
    »In die Ecke,
    Besen! Besen!
    Seid’s gewesen.
    Denn als Geister
    Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
    Erst hervor der alte Meister.

    (Goethe: Der Zauberlehrling)

     

    In der Philosophischen Ambulanz kommt die Philosophie wieder zurück auf den Marktplatz, wo Sokrates seine Dispute führte, immer auf der Suche nach einer Philosophie, die es besser aufnehmen kann mit der Wirklichkeit. In den Dialogen und Diskursen der Philosophischen Ambulanz soll es darum gehen, in gemeinsamen Gedankengängen die besseren, höheren und tieferen Einsichten zu gewinnen.

    Verstehen ist Erfahrungssache, Verständigung ist eine Frage der Übung. Oft herrschen aber falsche Vorstellungen vor: Gemeinsames Verstehen entsteht im Dialog und in Diskursen, bei denen es nicht vorrangig um Meinungsäußerungen und Stellungnahmen geht. Es kommt auch nicht darauf an, Recht zu behalten, sich zu behaupten oder etwa vermeintliche ›Gegner‹ mundtot zu machen. — Gewalt entsteht, wo Worte versagen, wenn nicht gesagt und verstanden werden kann, was einem wirklich am Herzen liegt. Es kommt viel mehr darauf an, im gemeinsamen Verstehen weiterzukommen, so daß sich die Diskurse anreichern und ihre Sukzession, also einen Fortschritt erreichen. Daher ist es so wichtig, gerade im Konflikt aus einem Dissens heraus wie

    der zu neuem Einvernehmen zu finden. Erst das macht uns zu mündigen Zeitgenossen, wenn wir auch über die eigene Stellungnahme noch frei verfügen können. — Zu Philosophieren bedeutet, Widersprüche und Ambivalenzen nicht schleunigst aufzulösen, weil sie anstrengend sind. Vielmehr gilt es, das Denken selbst in der Schwebe zu halten. Der Weg ist das Ziel, gerade auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die üblichen Standpunkte zu vertreten, sondern neue und gänzlich unbekannte Perspektiven zu erproben. Daher ist der Positionswech sel von so eminenter Bedeutung. Genau das ist ›Bildung‹, den Standort der Betrachtung wechseln, um eine Stellungnahme ggf. auch aus einer beliebigen anderen Perspektive vornehmen, kommentieren und beurteilen zu können.

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  • Moderne

    Philosophischer Salon

    Philosophischer Salon

    Literaturhaus im Prinz-Max-Palais

    SS 2020 | donnerstags | 18:00-20:00 Uhr

    Wassily Kandinsky: Thirty (1937). Musée national d’art moderne, Paris. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Kultur ist ein Mittel, nicht einfach nur verrückt zu werden, angesichts der überfordernden Komplexität einer Welt, der wir als Individuen und auch als Gattung ziemlich gleichgültig sind. Es gilt, darüber hinaus zu gehen und Ordnung zu schaffen, also Bedeutungen. Kultur bietet Orientierung und Schutz, sie gewährt Erwartungssicherheit, basale Gefühle und die Erfahrung, getragen sein von wieder erkennbaren Strukturen, die verläßlich sind.

    Wir sind immer auf der Suche nach Sinn, weil sich daran das eigene Orientierungsvermögen selbst wieder orientieren läßt. Daher ist Orientierungsorientierung von so große Bedeutung, denn Sinn verschafft Sicherheit im Geiste, und das in einer Welt, die übermächtig und eigentlich auch unbeherrschbar erscheint. Aber die Welt läßt sich in Geschichten verstricken, so daß wir uns wie an einem Ariadnefaden im Labyrinth einer immer unübersichtlicher werdenden Welt orientieren können, obwohl wir sie als ganze gar nicht überschauen.

    Literaturhaus | Prinz-Max-Palais | Karlstraße 10 | Karlsruhe

    Menschen sind Orientierungswaisen. Jedes Tier ist vollkommen integriert in den angestammten Lebensraum. — Man möchte annehmen, daß ›die‹ Natur mit dem Menschen das Spiel eröffnet hat, wie es wohl sei, ein Wesen zu erschaffen, das sich selbst orientieren kann. Inzwischen ist die Welt fast vollständig umgebaut worden. Schon bald werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben.

    Der Anspruch, sich in diesen künstlichen Welten zu orientieren, steigt ständig. Zur  Orientierung braucht es inzwischen Orientierungsorientierung. Dabei soll gerade auch die Individualität zum Zuge kommen. — Die Zeiten sind vorbei, in denen traditionelle Rollen mustergültig gelebt werden mußten, vor allem Geschlechteridentitäten, die keinen Ausbruch, keine Abweichung, keine Sperenzien duldeten. Immer weniger ›Sinn‹ ist vorgegeben, was eben bedeutet, sich selbst zu orientieren.

    Seit alters her werden einschlägige Antworten auf letzte Fragen immer wieder neu von den Mythen gegeben, die das Kunststück beherrschen, Weltvertrauen und Zuversicht zu schaffen. Wie das geschieht, das soll mit immer wieder neuen Einsichten im Philosophischen Salon zur Erfahrung gebracht werden. — Menschen sind kosmische Waisen, ausgesetzt in dem Bewußtsein, sich selbst bedenken zu müssen.

  • Anthropologie,  Diskurs,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Motive der Mythen,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Mythen der Liebe

    Die Veranstaltung findet vorerst online statt

    Oberseminar: Mythen der Liebe

    SS 2020 | donnerstags | 11:30-13:00 Uhr | Raum 30.91-110

    Beginn: 23. April 2020 | Ende: 23. Juli 2020

    Liebe steht oft am Anfang, wenn erzählt werden soll, warum die Welt ist und nicht vielmehr nichts. Vor allem im Mythos ist sie das Motiv aller Motive. Aber auch, wenn die Welt längst erschaffen und mehr oder minder geordnet ist, inszenieren die Mythen das Thema Liebe in einer Vielfalt, die immer umfassender und einem Spektrum, das immer größer wird.

    Fast alles scheint möglich, weil es immer eine Story gibt, die auch noch von den unmöglichsten Begegnungen fabuliert. Daher bleibt die Welt nicht wie sie ist, weil sie durch Liebesgefühle in ihrem Normalverlauf immer wieder gestört und verändert wird.

    Genau das wird vorexerziert: Es kommt darauf an, Grenzen zu überschreiten, wenn nur die Motive stark genug sind. Und immer wieder wird neu durchgespielt, was daraufhin geschieht: Glück und Unglück, Segen und Fluch, Hoffnung und Verzweiflung liegen sehr nahe nebeneinander.

    Es gibt kaum ein intensiveres Einfühlen als unter Anleitung dieser Plots selbst ins Fabulieren zu geraten. Kleinste Variationen genügen, denn die Plots reagieren sensibel auf jede Interpretation. So läßt sich in Erfahrung bringen, daß wir selbst kreativ werden, wo es ums Verstehen geht. — Es gilt, den Dialog mit den Figuren zu suchen, um zu verstehen, warum sie so agieren und nicht anders, worauf es dabei ankommt, was eigentlich hinter den Kulissen geschieht.

    Mythen bieten ganz großes Theater. Wer sich darauf einläßt, findet sich alsbald schon in einer sehr privilegierten Position, nahe genug am Geschehen, um alles mitzubekommen, aber weit genug entfernt, nicht selbst mit hineingerissen zu werden. — Mythen dienen unserem Anspruch auf Sinn, wenn sie mustergültig durchspielen, was der Fall gewesen sein könnte, um uns anstelle von Erklärungen eine Erläuterung anzudienen. Eben das macht Kultur und Bildung aus,anhand zeitübergreifender Motive einschlägige Erfahrungen zu machen, um Vielfalt und Komplexität würdigen zu können und nicht als Bedrohung empfinden zu müssen.

    In den Märchen, Mythen, Sagen und Legenden, in sämtlichen dieser mustergültigen Plots ist gerade die Liebe eines der stärksten Motive überhaupt. Oft kommt dieses Gefühl aller Gefühle urplötzlich auf. Fast unmittelbar wechseln Betroffene, die zuvor noch ganz bei sich gewesen sind, in einen anderen Modus.

    Schnell zeigt sich, wie unerbittlich dieser Ruf ergeht, wie widerstandslos ihm gefolgt wird. Wo Götter, Helden oder auch gewöhnliche Menschen in Liebe entflammen, sind sie bald schon zu allem bereit. Dabei zeigen sie Züge, die man ihnen eigentlich nicht zugetraut hätte. Sie wachsen über sich hinaus, geraten aber auch außer sich, unternehmen alle erdenklichen Anstrengungen und wechseln sogar ihre Identität, was nicht immer gut ausgehen muß.

    Nicht von ungefähr wird diese Ergriffenheit im Symposion bei Platon als Wahn begriffen und sodann als ›heiliger‹ Wahn geadelt. — Von einem Augenblick zum anderen kann es aus unerfindlichen Gründen geschehen, was nicht selten ohne Mühe auch Umstehende beobachten können: Eine tiefgreifende Wesensveränderung geht damit einher; Gefühle, Herz und Verstand, Kopf und Bauch, der ganze Körper spielt verrückt.

    ›Heilig‹ erschien Platon die Liebe auch in ihrer elementarsten Erscheinung bereits, weil sie gerade auch denen Flügel verleiht, die ansonsten ihre Bodenhaftung niemals verlieren. Insofern hat sie nicht nur etwas Anarchisches, sondern auch etwas Erhebendes. Menschen lernen sich selbst auf eine ganz neue Art kennen und nicht nur sie. — Folgt man dem platonischen Modell von den Stufen der Liebe, dann steigen wir wie Adepten schrittweise allmählich immer weiter auf.

    Alle Vorstellungen über Liebe haben eines gemeinsam, sie ist als schicksalhaftes Ereignis eigentlich unerklärbar. Also greift der antike Mythos zum Bild eines rechtsunmündigen Knaben, der aus dem Hinterhalt mit Pfeilen auf seine Opfer schießt.

    Nachdem Apollon den Liebesgott einmal als schlechten Schützen verspottet hatte, rächte sich dieser auf ureigenste Weise: Eros schoß einen goldenen Liebespfeil auf den Sonnengott, einen mit nur bleierner Spitze dagegen auf die Bergnymphe Daphne. Darauf verliebte sich Apollon unsterblich in Daphne, diese aber floh vor ihm. Erschöpft von der Verfolgung bat sie ihren Vater, den Flußgott Peneios, er möge sie verwandeln, worauf ihre Glieder erstarrten und sie zu einem Lorbeerbaum wurde. — Seither ist der Lorbeer dem Apollon heilig, zum Gedenken an Daphne trägt er einen Lorbeerkranz oder eine mit Lorbeer geschmückte Kithara.

    Das Konzept, die Ursachen der Liebe auf die Pfeile des Amor zurückzuführen, ist dazu angetan, gar nicht erst erklären zu wollen, warum diese Verbindungsstiftung so unberechenbar, ja nicht selten
    abenteuerlich ist. Es steckt kein Plan dahinter, keinerlei Absicht. Es ist eher wie ein Schicksalsschlag.
    Oft kommt nämlich zusammen, was zuvor nie zueinander gepaßt hat, was nicht selten verfeindet miteinander ist seit Menschengedenken. — Immer sind Hindernisse zu überwinden, die im Äußeren oder auch im Inneren liegen. Immer ist die Frage offen, ob das gelingt und wenn, ob die Liebe dann auch gelebt werden kann und was daraus wiederum folgt.

  • Anthropologie,  Identität und Individualismus,  Moderne,  Religion,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Philosophischer Salon | B–Side–Festival 2019 | Münster

    Philosophischer Salon | B–Side–Festival 2019

    Samstag | 21. September 2019 | ab 15:00 Uhr

    Hansa Coworking | Dortmunder Str. 25 | Münster

    Ein neues Verständnis von Politik steht auf der Agenda. Es geht um ein neues Miteinander, das in der Anonymität unserer Städte inzwischen kaum mehr möglich scheint. — Im Vergleich zu vormaligen Epochen sind wir seit den 70ern jedoch sehr viel selbstbewußter, selbstbestimmter, emanzipierter und insofern tatsächlich ›mündig‹ geworden. Also wer braucht wirklich noch Politiker, um die eigenen Interessen zu vertreten? Wer braucht noch politische Parteien mit Gesamtpaketen, die man von Fall zu Fall anders schnüren würde?

    Eine langfristige Entwicklung steht auf der Agenda, hin zu sehr viel mehr Basisdemokratie. Die herkömmliche Parteipolitik mit der Personalisierung und Emotionalisierung sämtlicher Debatten durch Medien, die sich immer weniger um die Sachen selbst bemühen, überhaupt, die ganze repräsentative Demokratie ist nicht mehr zeitgemäß.

    Das ist der eigentliche Grund für Politikverdrossenheit und Protestwahlverhalten. — Es ist an der Zeit, jenen programmatischen Satz aus der Regierungserklärung von Willy Brandt aus dem Jahre 1969 wieder aufzugreifen: Wir wollen mehr Demokratie wagen.

    Wer jede Basisdemokratie generös für unrealistisch erklärt, einfach weil viele in ihren Kompetenzen überfordert wären und der ›Führung‹ bedürften. Wer glaubt, die angeblich äußerst ›schlechte Natur des Menschen‹ stünde sämtlichen solcher Visionen ganz prinzipiell entgegen, ist aufgrund der eigenen Ressentiments zum Opfer der vielen aberwitzigen, anthropologisch unhaltbaren Ammenmärchen geworden: Wer sich und den Anderen eine bessere Gesellschaft einfach nicht zutraut, spricht damit das übelste Urteil eigentlich über sich selbst. — Selbstorientierung, Selbstverwaltung, Selbstbestimmung und nicht zuletzt auch Selbstverwirklichung, darauf kommt es an. Wofür und wozu leben wir sonst?

    Alternativen fallen jedoch nicht vom Himmel, offene Diskurse sind eine Frage der Gesprächs–Kultur. Das Niveau muß sich deutlich heben. Sehr viel mehr Diskursivität muß tatsächlich auch ›kultiviert‹ werden, während die medial geschürten öffentlichen Debatten derzeit noch das gerade Gegenteil demonstrieren. — Es geht um Selbstbestimmung, Partizipation und um die Passion für das Ganze. Es geht um sehr viel mehr an Miteinander, als es in den Arbeits– und Lebenswelten anonymer Städte ›normalerweise‹ üblich ist.

    Im Stadthafen von Münster hat sich vor wenigen Jahren eine Initiative gegründet und zum Ziel gesetzt, einen alten Speicher als Kulturzentrum wiederzubeleben. Tatsächlich war diese Initiative ein außerordentlicher Erfolg. 

    Es braucht nicht viel Phantasie, sich vor Augen zu führen, was da so alles in die Wege geleitet worden ist, das Haus zu erhalten und Diskurse zu etablieren, um aus dem ›Hansaviertel‹ ein Quartier zu machen, das sich auf der Grundlage neuer Partizipationsprozesse immer weiter entwickeln soll zu einem Ort, an dem das Leben lebenswerter wird, selbst wenn es dort allabendlich hoch hergeht. Das ist eine gewaltige Leistung.

    Das waren gewiß nicht wenige und auch keine kleinen Hürden, die da genommen worden sind. Umso erstaunlicher ist es, wie sehr doch das Projekt der B–Side und dann auch noch das Hafenforum inzwischen ›etabliert‹ worden sind. — Es geht eben auch anders, das ist ›Hausbesetzung‹ in den 70er Jahren dieses Jahrhunderts. Nicht nur das Haus, sondern gleich das ganze Hansaviertel stehen auf dem Programm.

    In diesem Projekt haben alle Beteiligten, die Aktivisten und Künstler, ebenso wie die Vertreter der Stadt, der Behörden, der Parteien und nicht zuletzt die Bürger des Hansaviertels ganze Arbeit geleistet, so daß man sehen kann, daß manches gelingt, was anfangs schier unmöglich schien.

    Vom 20.–21. September wird das B–Side–Festival 2019 unter dem Motto „Partizipassion — Entdecke das Quartier in Dir!“ in die 4. Runde gehen und am Samstag, den 21. September 2019 findet ab 15:00 Uhr im Hansa Coworking der Philosophische Salon statt.

    In diesem Philosophischen Salon möchte ich mit möglichst vielen der Beteiligten einigen Fragen nachgehen, wie das Unmögliche möglich gemacht wurde, wer welche Erfahrung dabei gemacht hat, wo die Reise hingeht und vor allem, ob das, was sich hier ereignet, Vorbildcharakter hat für mehr Partizipassion.

     

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    Philosophischer Salon

    Philosophischer Salon

    Literaturhaus im Prinz-Max-Palais

    WS 2019 | donnerstags | 18:00-20:00 Uhr

    Wassily Kandinsky: Thirty (1937). Musée national d’art moderne, Paris. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Kultur ist ein Mittel, nicht einfach nur verrückt zu werden, angesichts der überfordernden Komplexität einer Welt, der wir als Individuen und auch als Gattung ziemlich gleichgültig sind. — Es gilt, darüber hinaus zu gehen und Ordnung zu schaffen, also Bedeutungen. Kultur bietet Orientierung und Schutz, sie gewährt Erwartungssicherheit, basale Gefühle und die Erfahrung, getragen sein von wieder erkennbaren Strukturen, die verläßlich sind.

    Wir sind immer auf der Suche nach Sinn, weil sich daran das eigene Orientierungsvermögen selbst wieder orientieren läßt. Daher ist Orientierungsorientierung von so große Bedeutung, denn Sinn verschafft Sicherheit im Geiste, und das in einer Welt, die übermächtig und eigentlich auch unbeherrschbar erscheint.

    Aber die Welt läßt sich in Geschichten verstricken, so daß wir uns wie an einem Ariadnefaden im Labyrinth einer immer unübersichtlicher werdenden Welt orientieren können, obwohl wir sie als ganze gar nicht überschauen.

    Literaturhaus | Karlsruhe | Prinz-Max-Palais | Karlstraße 10 | Foto: Bernhard Schmitt

    Menschen sind Orientierungswaisen. Jedes Tier ist vollkommen integriert in den angestammten Lebensraum. — Man möchte annehmen, daß ›die‹ Natur mit dem Menschen das Spiel eröffnet hat, wie es wohl sei, ein Wesen zu erschaffen, das sich selbst orientieren kann. Inzwischen ist die Welt fast vollständig umgebaut worden. Schon bald werden zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben.

    Der Anspruch, sich in diesen künstlichen Welten zu orientieren, steigt ständig. Zur  Orientierung braucht es inzwischen Orientierungsorientierung. Dabei soll gerade auch die Individualität zum Zuge kommen. — Die Zeiten sind vorbei, in denen traditionelle Rollen mustergültig gelebt werden mußten, vor allem Geschlechteridentitäten, die keinen Ausbruch, keine Abweichung, keine Sperenzien duldeten. Immer weniger ›Sinn‹ ist vorgegeben, was eben bedeutet, sich selbst zu orientieren.

    Seit alters her werden einschlägige Antworten auf letzte Fragen immer wieder neu von den Mythen gegeben, die das Kunststück beherrschen, Weltvertrauen und Zuversicht zu schaffen. Wie das geschieht, das soll mit immer wieder neuen Einsichten im Philosophischen Salon zur Erfahrung gebracht werden. — Menschen sind kosmische Waisen, ausgesetzt in dem Bewußtsein, sich selbst bedenken zu müssen.

     

  • Anthropologie,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Ironie,  Melancholie,  Moderne,  Motive der Mythen,  Religion,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Philosophische Ambulanz

    Philosophische Ambulanz

    WS 2019 | freitags | 11:30-13:00 Uhr | Raum: 30.91-110 (OG)

    Beginn: 23. Okt. 2019 | Ende: 7. Febr. 2020

     

    Ferdinand Bart: Der Zauberlehrling, (1882). Zeichnung aus dem Buch Goethe’s Werke, 1882. — Quelle: Public Domain via Wikimedia

    Und sie laufen! Naß und nässer
    Wird’s im Saal und auf den Stufen.
    Welch entsetzliches Gewässer!
    Herr und Meister! hör mich rufen! —
    Ach, da kommt der Meister!
    Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister,
    Werd ich nun nicht los.
    »In die Ecke,
    Besen! Besen!
    Seid’s gewesen.
    Denn als Geister
    Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
    Erst hervor der alte Meister.

    (Goethe: Der Zauberlehrling)

     

    In der Philosophischen Ambulanz kommt die Philosophie wieder zurück auf den Marktplatz, wo Sokrates seine Dispute führte, immer auf der Suche nach einer Philosophie, die es besser aufnehmen kann mit der Wirklichkeit. In den Dialogen und Diskursen der Philosophischen Ambulanz soll es darum gehen, in gemeinsamen Gedankengängen die besseren, höheren und tieferen Einsichten zu gewinnen.

    Verstehen ist Erfahrungssache, Verständigung ist eine Frage der Übung. Oft herrschen aber falsche Vorstellungen vor: Gemeinsames Verstehen entsteht im Dialog und in Diskursen, bei denen es nicht vorrangig um Meinungsäußerungen und Stellungnahmen geht. Es kommt auch nicht darauf an, Recht zu behalten, sich zu behaupten oder etwa vermeintliche ›Gegner‹ mundtot zu machen. — Gewalt entsteht, wo Worte versagen, wenn nicht gesagt und verstanden werden kann, was einem wirklich am Herzen liegt. Es kommt viel mehr darauf an, im gemeinsamen Verstehen weiterzukommen, so daß sich die Diskurse anreichern und ihre Sukzession, also einen Fortschritt erreichen. Daher ist es so wichtig, gerade im Konflikt aus einem Dissens heraus wie

    der zu neuem Einvernehmen zu finden. Erst das macht uns zu mündigen Zeitgenossen, wenn wir auch über die eigene Stellungnahme noch frei verfügen können. — Zu Philosophieren bedeutet, Widersprüche und Ambivalenzen nicht schleunigst aufzulösen, weil sie anstrengend sind. Vielmehr gilt es, das Denken selbst in der Schwebe zu halten. Der Weg ist das Ziel, gerade auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die üblichen Standpunkte zu vertreten, sondern neue und gänzlich unbekannte Perspektiven zu erproben. Daher ist der Positionswech sel von so eminenter Bedeutung. Genau das ist ›Bildung‹, den Standort der Betrachtung wechseln, um eine Stellungnahme ggf. auch aus einer beliebigen anderen Perspektive vornehmen, kommentieren und beurteilen zu können.

     

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