Querkopf II

Wor­um es geht? Dar­um, daß wir alle selbst denken

Als das Ora­kel von Del­phi mit dem Spruch her­aus­kam, Sokra­tes sei der Wei­se­ste unter den Athe­nern, hat­te er nichts Bes­se­res zu tun, als dar­an zu zwei­feln.  Jetzt müß­te der Chor des Main­streams ener­gisch aus­ru­fen: Das ist Got­tes­lä­ste­rung gegen­über Apol­lon, dem Herrn des Ora­kels zu Delphi!

War es das? Viel­leicht ja, viel­leicht nein. Wir wis­sen nicht, was Apol­lon gesagt hätte.

Aber Sokra­tes hat­te nun ein­mal nicht den Ein­druck von sich, wirk­lich wei­se zu sein. Also „teste­te“ er alle ande­ren, von denen er anneh­men muß­te, sie ver­stün­den wenig­stens was von ihrer Sache und da er nun mal von gar nichts was wuß­te, muß­ten sie ja nun nach­voll­zieh­bar auch als wei­ser erschei­nen. Er hat dann ganz Athen gegen sich auf­ge­bracht, aber das ist eine län­ge­re Geschichte…

Das bei der­ar­ti­gen Unter­su­chun­gen etwas Über­ra­schen­des her­aus­kommt und eben kei­ne Peti­tio Prin­ci­pii, ist ja der Grund, war­um man sich über­haupt sol­cher Mühen unter­zieht, an allem zu Zwei­feln. Und Des­car­tes als Vater der Metho­de des syste­ma­ti­schen Zwei­fels hat­te zeit­le­bens Angst vor der Inquisition.

Man wird aber auch immer mal wie­der belohnt dafür, sich mit Zwei­feln abzugeben.

Erst so kommt man zur eige­nen Sicht, zu Inspi­ra­tio­nen, zu Vor­stel­lun­gen, daß irgend etwas auch ganz anders gese­hen, gewe­sen oder sein könn­te. Das ist der Moment, wo im Kri­mi der Kom­mis­sar nach der ver­meint­li­chen Lösung des Fal­les einem ent­setz­ten Kol­le­gen sagt: Das war zu ein­fach, wir fan­gen jetzt noch ein­mal von vor­ne an!

Mir ist nun der­weil tat­säch­lich etwas Über­ra­schen­des unter­ge­kom­men, als ich ver­sucht habe, dahin­ter­zu­kom­men, was denn wohl die Moti­ve der Impf­ver­wei­ge­rer sein könn­ten. So arbei­te ich und das ist mei­ne Metho­de: Man glaubt ein­fach alles, tritt gut­wil­lig wie ein Kind vol­ler Ver­trau­en her­an und ver­sucht alles nach­zu­emp­fin­den, um aus der Per­spek­ti­ve des Ande­ren ein­fach nur zu ver­ste­hen. Dabei muß man die Ein­stel­lung nicht wirk­lich über­neh­men oder gar tei­len. Es genügt bereits, die Beweg­grün­de nur nach­voll­zo­gen zu haben.

Als Phi­lo­soph weiß ich nun wie­der­um aus Erfah­rung, daß die mei­sten The­sen schon bei der Vor­stel­lung in sich zusam­men­bre­chen, sie kön­nen sich ein­fach nicht hal­ten aus vie­ler­lei Grün­den. Oft haben sie gar kein Fun­da­ment. Sobald sie sta­bil erschei­nen, mache ich Bela­stungs­tests wie die Brücken­bau­er es tun. Ich will genau­er wis­sen, wie belast­bar eine The­se ist und wann sie, unter wel­chen Umstän­den, wie schnell kollabiert.

Das Beson­de­re an den all­seits ver­teu­fel­ten Unge­impf­ten scheint mir zu sein, daß sie es sich nicht leicht­ge­macht haben, zu ihrer Ent­schei­dung zu kom­men und dann auch dazu zu ste­hen. Mich reizt immer die Qua­li­tät von Begrün­dun­gen, daher teste ich mög­lichst vie­les tag­täg­lich auf phi­lo­so­phi­sche Digni­tät. Ich teste nicht auf Kom­pa­ti­bi­li­tät zu den Glau­bens­be­kennt­nis­sen des Main­streams. Da inter­es­siert mich vie­les ande­re, etwa, woher die­se Kir­chen­gläu­big­keit kommt, die jetzt „die“ Wis­sen­schaft zum ein­zig wah­ren Glau­ben erklärt und in allen Zweif­lern nur gemein­ge­fähr­li­che Ket­zer sieht.

Es geht um sehr viel mehr in der Coro­na-Kris. Und auch beim Phi­lo­so­phie­ren geht es um alles. Das Gan­ze ist immer das, was man mit Spe­ku­la­tio­nen andau­ernd in Erfah­rung zu brin­gen ver­sucht, das Gan­ze ist die Ver­nunft. Die viel­be­schwo­re­nen Ratio­na­li­tä­ten, im Plu­ral, ste­hen immer nur für einen Teil des Ganzen.

Mei­nen vie­len Unter­su­chun­gen zufol­ge ist es die Auf­ga­be der Ver­nunft, Modell–Vorstellungen vom gro­ßen Gan­zen zu ent­wickeln. Also wann wäre etwa eine Exper­ten­run­de voll­stän­dig, wel­che Posi­tio­nen müs­sen ein­fach ver­tre­ten wer­den? Das war mein Job in der Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung über vie­le Jah­re, so etwas zu orga­ni­sie­ren, zu mode­rie­ren und den Dis­kurs dar­über zu initi­ie­ren. Wenn ich dage­gen heu­te sehe, wie eng­stir­nig, ja hoch­not­pein­lich ein­sei­tig die öffent­li­chen Debat­ten ver­lau­fen, dann bin ich auf der fal­schen Party.

Wir haben es, so mei­ne Dia­gno­se, mit mul­ti­plen System­ver­sa­gen zu tun, was nicht hät­te müs­sen sein. Die Haupt­last der Ver­ant­wor­tung liegt beim Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt und dann bei den Medi­en, weil sie von Anfang an in Kon­kur­renz zum Inter­net auf Eska­la­ti­on gesetzt haben. Die Poli­tik hat sich ver­füh­ren las­sen, den gro­ßen Zam­pa­no zu geben.

Genau davor hat der hei­li­ge Niklas (Luh­mann) immer gewarnt, zu glau­ben, man könn­te den Auto­pi­lo­ten der Syste­me mal abschal­ten und auf Hand­steue­rung gehen. Sor­ry, die Pilo­ten­kan­zel ist unbe­setzt! Ja es gibt sie nicht ein­mal, die Hebel der Macht. Da irren vie­le derer, die wirk­lich was dafür geben wür­den, wenn es die eine Geschich­te von dem einen Bösen, also vom Haupt der Ver­schwö­rung wirk­lich gäbe, so wie bei James Bond, den ich des­we­gen mit Eifer schaue, weil er so rein gar nichts mit der Wirk­lich­keit zu tun hat.

Phi­lo­so­phie ist die Mut­ter aller Wis­sen­schaf­ten, daher haben wir auch einen Zugang zu allen Dis­zi­pli­nen. Als sie sich eman­zi­piert haben, um selb­stän­di­ge Wis­sen­schaft zu wer­den, haben sie die radi­kal­sten Fra­gen in der Phi­lo­so­phie zurück­ge­las­sen. Daher und dar­an läßt sich zu jeder Zeit sehr leicht anknüp­fen. Wir haben jeder Zeit jeden Zugang. 

Aber Phi­lo­so­phie ist auch eine Wis­sen­schaft, was mich damals, als ich anfing, schwer begei­stert hat, daß sogar die Denk­feh­ler einen Namen haben, wie gute alte Bekann­te.  Aber Phi­lo­so­phie ist auch Lite­ra­tur, also arbei­tet sie mit Meta­phern, Mythen, mit allen erdenk­li­chen Moti­ven für Ide­al­vor­stel­lun­gen, wie es die Göt­ter für uns sind.

Wor­um es geht? Dar­um, daß wir alle selbst den­ken, auch auf die Gefahr hin, schief ange­se­hen zu wer­den, was man sich denn wohl ein­bil­det. Das ist nun mal der Preis. Und im übri­gen besteht die Gefahr, ganz enorm dane­ben zu liegen.

Vie­les ist eine Fra­ge der Metho­de, und es gibt ein paar ziem­lich gute Metho­den. Ich bezeich­ne eine davon als die „Kunst des Zuschau­ers“, die ande­re als „Phi­lo­so­phie in Echt­zeit“. Und über allem hängt als Damo­kles­schwert der Leit­spruch mei­ner Phi­lo­so­phie: Und hät­test Du geschwie­gen, wärst Du Phi­lo­soph geblieben!