Ist die Aufklärung gescheitert?

Es läßt sich stets konstatieren, alles sei gescheitert.

Aber wer sind wir, wenn wir glaub­ten, das fest­stel­len zu kön­nen und dann auch noch ein für alle Male und für immer? Wie abso­lut soll so ein Befund gel­ten, unge­fähr solan­ge wie der Zorn ober­ster Göt­ter, wenn sie Sint­flu­ten schicken und danach ihren kind­li­chen Jäh­zorn able­gen? Ja, auch Göt­ter haben ihre Entwicklungsphasen.

Wil­liam Tur­ner: Der Brand des Par­la­ments­ge­bäu­des in Lon­don 1835.
Mit der Auf­klä­rung ver­hält es sich wie mit dem auf­rech­ten Gang. Es berei­tet Rücken­schmer­zen, erschwert die Geburt, weil das Becken zu eng wird.  Aber, es wer­den die Hän­de frei als uni­ver­sel­le Werk­zeu­ge. Seit­her kön­nen wir Sachen be–greifen.

Aber die Spra­che ist das Werk­zeug aller Werk­zeu­ge. Es kommt also dar­auf an, die rich­ti­gen Wor­te zu kre­ieren. Es gibt vie­les in der Welt, von denen wir die Wor­te nicht ein­mal ahnen. 

Solan­ge aber etwas nicht gesagt und auch noch nicht von min­de­stens einem Men­schen ver­stan­den wor­den ist, hat der Geist der Mensch­heit noch erheb­li­che Lücke genau dort, wo die­ses Phä­no­men eigent­lich hin­ge­hört, wenn man es „ein­ord­nen“ könnte.

Auf­klä­rung ist wie Lau­fen, was bedeu­tet, es wird stän­dig die Balan­ce auf­ge­ge­ben. Man desta­bi­li­siert die Stel­lung, neigt sich, stürzt nach vorn und fängt sich dann durch den näch­sten Schritt wie­der auf.  Nicht anders ver­hält es sich mit der Psy­cho­ge­ne­se. Wir sind wie die Kin­der uns selbst immer einen Schritt vor­aus, einen Schritt mehr, als wir beherr­schen, ver­ant­wor­ten, ver­ste­hen können.
So ähn­lich voll­zieht sich die gan­ze Mensch­heits­ent­wick­lung und die Suche nach der Ant­wort auf die Fra­ge, was denn die gan­ze Anthro­po­ge­ne­se eigent­lich soll. – Aber Phi­lo­so­phen arbei­ten nicht gern mit Hypo­the­sen wie die vom intel­li­gen­ten Desi­gner, also rufen sie die Anthro­po­lo­gie zum Zwecke der uni­ver­sel­len Beratung.
Die anspruchs­voll­ste Hypo­the­se dabei, Ent­wick­lung zu den­ken, ist die Annah­me, alles hät­te sich all­mäh­lich ent­wickelt ohne intel­li­gen­ten Desi­gner oder sonst­was. Eine der größ­ten intel­lek­tu­el­len Her­aus­for­de­run­gen liegt tat­säch­lich im Nihi­lis­mus. Dazu müß­te man sich dann aber auch der Her­aus­for­de­rung stel­len, ein­fach zuzu­ge­ben, daß der „Sinn des Gan­zen“ immer nur von uns selbst kom­men kann.
Wir müs­sen ihn uns also selbst geben und wir sind dann auch völ­lig frei, uns jeden belie­bi­gen Sinn zu geben. Und das „Ziel“, also die­ser „gehei­me Plan“, den die Natur – nur hypo­the­ti­sche – mit dem Mensch­heits­pro­jekt ver­folgt, liegt dar­in, daß die Natur sich selbst in den Blick neh­men möchte. 
Aber dazu muß sich das Wesen, das die­se Auf­ga­be lei­sten soll, erst selbst in den Blick bekom­men. Und da gibt es noch sehr viel mensch­li­ches Poten­ti­al zu ent­fal­ten, im Guten wie im Bösen, im Ver­nünf­ti­gen wie auch in der Dummheit.
Und jeder neue Schritt im Zuge der Auf­klä­rung bringt nicht nur neue Ver­un­si­che­run­gen mit sich, son­dern zunächst immer erst ein­mal einen neu­en Aber­glau­ben. In sol­chen Zei­ten leben ganz offen­bar alle stets dane­ben. Und nur der Phä­no­me­no­lo­ge bleibt in Sicht­wei­te und auf Abstand zum Schiff­bruch, der ja nun den obli­ga­to­ri­schen Zuschau­er braucht.
Eine Maxi­me lau­tet: Wer heilt, hat Recht! – Die­ser Tage möch­te man fast glau­ben, es gel­te eine neue Maxi­me: Wer Angst kom­mu­ni­ziert, hat Recht.
Davor, genau davor hat der hei­li­ge Niklas (Luh­mann) immer gewarnt, vor „Ent­dif­fe­ren­zie­rung“.
Der Spruch „Wer­det wie die Kin­der“, ist schließ­lich auch kei­ne Auf­for­de­rung zur hei­li­gen Ein­falt.  Gemeint ist tat­säch­lich eine unvor­ein­ge­nom­me­ne Offen­heit, wie sie fast nur Kin­der zustan­de brin­gen, mit Aus­nah­me von Phä­no­me­no­lo­gen ver­steht sich.