Heinz-Ulrich Nennen | www.nennen-online.de

ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Category: Urbanisierung der Seele

Anerkennung, Macht, Liebe

Hauptseminar: Anerkennung, Macht, Liebe

SS 2019 | Donnerstags | 11:30–13:00 Uhr | Raum: 30.91–009

Beginn: 25. April 2019 | Ende: 25. Juli 2019

John William Waterhouse: Cleopatra. Privatsammlung. Quelle: Public Domain via Wikimedia.

John Wil­liam Water­hou­se: Cleo­pa­tra. Pri­vat­samm­lung. Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Ech­te Aner­ken­nung ist nicht nur sozi­al, son­dern auch psy­cho­lo­gisch von erheb­li­cher Bedeu­tung. Aner­ken­nung bestä­tigt nicht nur, sie schafft Iden­ti­tät. Sie wirkt hoch moti­vie­rend, ihre Ver­wei­ge­rung dage­gen ver­stö­rend. Das Aus­ge­schlos­sen­sein von jeder Form der Aner­ken­nung ist hochproblematisch.—Die Psy­che eines jeden Indi­vi­du­ums muß dar­auf set­zen, für ande­re von Bedeu­tung zu sein. Sozia­le Iso­la­ti­on steht als Todes­ur­sa­che an erster Stelle.

Wie wich­tig authen­ti­sche Aner­ken­nung tat­säch­lich ist, wird deut­lich anhand der Dia­lek­tik jener zwei­er Selbst­be­wußts­ei­ne, die bei Hegel ein­an­der begeg­nen, weil sie, ein jedes für sich, nicht in der Lage sind, die ent­schei­den­de Aner­ken­nung zu fin­den, eine, die zählt, die gel­ten, die etwas wert sein soll.—Wir legen also nicht von unge­fähr ganz beson­ders Wert dar­auf, nicht nur wofür, son­dern auch, von wem wir die für unser Selbst­be­wußt­sein so lebens­wich­ti­ge Aner­ken­nung erhal­ten. Pro­ble­ma­tisch ist Bei­fall von der fal­schen Sei­te, über­haupt ist es leich­ter, mit Kri­tik umzu­ge­hen, nicht aber mit Lob.

Wenn Aner­ken­nung wirk­lich ›zäh­len‹ soll, dann muß sie unab­hän­gig, fast frei­mü­tig, ohne jede Berech­nung und vor allem ohne Hin­ter­ge­dan­ken ein­ge­räumt, gewährt, ja gera­de­zu auf­ge­nö­tigt wer­den. Sie muß fer­ner vor­ge­bracht wor­den sein von jeman­dem, an des­sen Urteil einem liegt.—Augenhöhe ist ent­schei­dend. Das geht bis weit in theo­lo­gi­sche Spe­ku­la­tio­nen: Gott habe den Men­schen erschaf­fen, um ein Gegen­über, einen ernst­zu­neh­men­den Kri­ti­ker zu haben, der unab­hän­gig und urteils­fä­hig genug ist, auch fun­da­men­ta­le Schöp­fungs­kri­tik zu betrei­ben. Es genügt eben nicht, wenn ein Schöp­fer tag­täg­lich stolz auf sein Werk ist, um sich immer­zu selbst zu bekun­den, daß alles gut sei.

John Wil­liam Water­hou­se: Cleo­pa­tra. Pri­vat­samm­lung. Quel­le: Public Domain via Wikimedia.

Jeder Zwei­fel an der Authen­ti­zi­tät von Aner­ken­nung offen­bart gera­de in der Lie­be einen unhei­li­gen Kern. Die Tra­gi­ko­mö­die beginnt, sobald nach dem War­um einer Lie­be gefragt wird. Das Pro­blem liegt dar­in, daß kein ›Grund‹ die­sen Zwei­fel wür­de je wie­der aus der Welt schaf­fen kön­nen. Das­sel­be gilt übri­gens auch für die Eifer­sucht, deren Ver­dacht eben­so­we­nig aus­ge­räumt wer­den kann.—Tatsächlich han­delt es sich in bei­den Fäl­len nicht um den Aus­druck des Zwei­fels am Ande­ren, son­dern viel­mehr um mani­fe­ste Selbst­zwei­fel, die mit dem ande­ren eigent­lich gar nichts zu tun haben.

Aner­ken­nung setzt nicht nur ein ehr­li­ches Urteil vor­aus, son­dern eben auch ein gesun­des Selbst­be­wußt­sein. Wer jedoch zwei­felt, tat­säch­lich aner­kannt oder gar geliebt zu wer­den, wird die Last sämt­li­cher Zwei­fels­fäl­le selbst abar­bei­ten müssen.—Tatsächlich haben die ›Grün­de‹ für sol­che Dis­po­si­tio­nen kaum etwas mit der Gegen­wart zu tun, sie rei­chen viel­mehr weit zurück und sind nicht sel­ten ›syste­misch‹ bedingt.

Wie die Aner­ken­nung, so hat auch die Lie­be zwei Sei­ten. Ent­schei­dend ist der Unter­schied zwi­schen Lie­ben und Geliebt­wer­den. Pla­ton zufol­ge zählt eigent­lich nur täti­ge Lie­be, weit weni­ger dage­gen das Geliebt­wer­den, denn nur dann ist der hei­li­ge Wahn inspi­rie­rend genug, so daß einem wie­der neue Feder nach­wach­sen, um zusam­men mit den Göt­tern zum Ideen­him­mel aufzusteigen.

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Philosophischer Salon

Philosophischer Salon

Literaturhaus im Prinz-Max-Palais

SS 2019 | donnerstags | 18:00–20:00 Uhr

Was­si­ly Kan­din­sky: Thir­ty (1937). Musée natio­nal d’art moder­ne, Paris.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Kul­tur ist ein Mit­tel, nicht ein­fach nur ver­rückt zu wer­den, ange­sichts der über­for­dern­den Kom­ple­xi­tät einer Welt, der wir als Indi­vi­du­en und auch als Gat­tung ziem­lich gleich­gül­tig sind. Es gilt, dar­über hin­aus zu gehen und Ordnung zu schaf­fen, also Bedeu­tun­gen. Kul­tur bie­tet Ori­en­tie­rung und Schutz, sie gewährt Erwar­tungs­si­cher­heit, basa­le Gefüh­le und die Erfah­rung, getra­gen sein von wie­der erkenn­ba­ren Struk­tu­ren, die ver­läß­lich sind.

Wir sind immer auf der Suche nach Sinn, weil sich dar­an das eige­ne Ori­en­tie­rungs­ver­mö­gen selbst wie­der ori­en­tie­ren läßt. Daher ist Ori­en­tie­rungs­ori­en­tie­rung von so gro­ße Bedeu­tung, denn Sinn ver­schafft Sicher­heit im Gei­ste, und das in einer Welt, die über­mäch­tig und eigent­lich auch unbe­herrsch­bar erscheint. Aber die Welt läßt sich in Geschich­ten ver­stricken, so daß wir uns wie an einem Ari­ad­ne­fa­den im Laby­rinth einer immer unüber­sicht­li­cher wer­den­den Welt ori­en­tie­ren kön­nen, obwohl wir sie als gan­ze gar nicht überschauen.

Lite­ra­tur­haus | Prinz-Max-Palais | Karl­stra­ße 10 | Karlsruhe

Men­schen sind Ori­en­tie­rungs­wai­sen. Jedes Tier ist voll­kom­men inte­griert in den ange­stamm­ten Lebensraum.—Man möch­te anneh­men, daß ›die‹ Natur mit dem Men­schen das Spiel eröff­net hat, wie es wohl sei, ein Wesen zu erschaf­fen, das sich selbst ori­en­tie­ren kann. Inzwi­schen ist die Welt fast voll­stän­dig umge­baut wor­den. Schon bald wer­den zwei Drit­tel der Welt­be­völ­ke­rung in Städ­ten leben.

Der Anspruch, sich in die­sen künst­li­chen Wel­ten zu ori­en­tie­ren, steigt stän­dig. Zur Ori­en­tie­rung braucht es inzwi­schen Ori­en­tie­rungs­ori­en­tie­rung. Dabei soll gera­de auch die Indi­vi­dua­li­tät zum Zuge kommen.—Die Zei­ten sind vor­bei, in denen tra­di­tio­nel­le Rol­len muster­gül­tig gelebt wer­den muß­ten, vor allem Geschlech­ter­iden­ti­tä­ten, die kei­nen Aus­bruch, kei­ne Abwei­chung, kei­ne Spe­ren­zi­en dul­de­ten. Immer weni­ger ›Sinn‹ ist vor­ge­ge­ben, was eben bedeu­tet, sich selbst zu orientieren.

Seit alters her wer­den ein­schlä­gi­ge Ant­wor­ten auf letz­te Fra­gen immer wie­der neu von den Mythen gege­ben, die das Kunst­stück beherr­schen, Welt­ver­trau­en und Zuver­sicht zu schaf­fen. Wie das geschieht, das soll mit immer wie­der neu­en Ein­sich­ten im Phi­lo­so­phi­schen Salon zur Erfah­rung gebracht werden.—Menschen sind kos­mi­sche Wai­sen, aus­ge­setzt in dem Bewußt­sein, sich selbst beden­ken zu müssen.

16. Mai 2019 | Prof. Dr. Hans-Peter Schütt | Karlsruhe

Amor und Psyche

13. Juni 2019 | Dr. Joa­chim Ham­mann | Frankfurt

Die Hel­den­rei­se

4. Juli 2019 | Prof. Dr. Die­ter Birn­ba­cher | Düsseldorf

Über Mora­li­sie­rung

18. Juli 2019 | Prof. Dr. Phil­ipp Hübl | Berlin

Der Unter­grund des Denkens

25. Juli 2019 | Prof. Dr. Jan Söff­ner | Friedrichshafen

Kör­per und Geist

Jeweils 18:00–20:00 Uhr im Prinz-Max-Palais.
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Bücher von Heinz-Ulrich Nennen

Alle Bän­de der Rei­he Zeit­Gei­ster erschei­nen bei tredition – 

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Der Mensch als Maß?

Heinz–Ulrich Nen­nen: Der Mensch als Maß aller Din­ge? Über Prot­agoras, Pro­me­theus und die Büch­se der Pan­do­ra (Zeit­Gei­ster 1); tre­di­ti­on Ham­burg 2018. 232 S. – Paper­back 16,99 €, ISBN: 978–3‑7439–0090‑5. Hard­co­ver 26,99 € ISBN: 978–3‑7439–0091‑2. Erschei­nungs­da­tum: 11.12.2018.

Pan­do­ra ist das Abschieds­ge­schenk der abdan­ken­den olym­pi­schen Göt­ter, danach kommt nur noch der Mensch. Es soll­te kei­ne wei­te­re Dyna­stie von Göt­tern mehr geben.—Wir sind wer­den­de Göt­ter in einer Welt, die wir selbst erschaf­fen haben, für die wir auch ganz allein ver­ant­wort­lich sind. 

Mit sämt­li­chen gött­li­chen Gaben bedacht, ist Pan­do­ra die Alle­go­rie aller Ver­lockun­gen, wie sie nur zivi­li­sier­te Wel­ten bie­ten. Zugleich bringt sie auch alle damit ver­bun­de­nen Übel in die Welt. Um die Fra­ge nach dem War­um ran­ken sich seit­her vie­le Mei­ster­er­zäh­lun­gen. Grund genug, sie erneut zu befra­gen, um ›unse­re‹ Ant­wor­ten zu finden.

Also wie gehen wir um mit unse­rer Sou­ve­rä­ni­tät in Fra­gen von Moral, Gefühl und Selbst­be­stim­mung? Der Weg führt vom ersten Gewis­sen bis zur mul­ti­plen Iden­ti­tät, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Geborgenheit.—Inzwischen tra­gen wir die Göt­ter in uns.

Die Rei­he Zeit­Gei­ster ist der Psy­cho­ge­ne­se gewid­met, denn Ori­en­tie­rungs­wis­sen ist von zuneh­men­der Bedeu­tung. Es geht um die neu­en Per­spek­ti­ven einer Phi­lo­so­phi­schen Psy­cho­lo­gie, die in den Mei­ster­er­zäh­lun­gen ein uraltes Ori­en­tie­rungs­wis­sen fin­det, das über­ra­schend aktu­ell ist.

Wenn der berühmt–berüchtigte Sophist Prot­agoras von Sokra­tes um Erläu­te­rung gebe­ten wird, was man denn nun gegen teu­res Geld bei ihm erler­nen kön­ne, dann zeigt sich ein tief­grei­fen­der Wandel.—Nicht ein­mal mehr die Ein­füh­rung ins Erwach­se­nen­le­ben gehorcht noch der Tra­di­ti­on der Jäger. Die Kul­tur in den Städ­ten setzt eige­ne Maß­stä­be und bespie­gelt sich dabei selbst. Frag­lo­se Maß­stä­be sind nicht mehr vor­han­den: Der Mensch ist das Maß aller Dinge!

Prot­agoras erläu­tert anhand des Mythos von Pro­me­theus, es mang­le nicht an der nöti­gen Tech­nik, Städ­te zu errich­ten. Allein sie zu hal­ten, sei schier unmög­lich gewesen.—In der Tat muß­te die drin­gend gebo­te­ne Kunst der Poli­tik eigens von Her­mes im Auf­trag­des Zeus nach­ge­reicht wer­den. Und er, der Sophist, ver­mitt­le genau­die­se vakan­ten Kompetenzen.

Poli­tik ist die Kunst, stän­dig gegen­zu­steu­ern, wenn Gesell­schaf­ten wie­der ein­mal aus irgend­ei­nem Gleich­ge­wicht gera­ten. Die eigent­li­che ›Wild­nis‹, in der es zu bestehen gilt, liegt daher in den Städten.—Seither muß also ›stu­diert‹ wer­den. Dann ist es durch­aus mög­lich, Kar­rie­re zu machen, auch ohne von Adel zu sein.
Pan­do­ra ist das Abschieds­ge­schenk der abdan­ken­den olym­pi­schen Göt­ter, danach kommt nur noch der Mensch. Mit sämt­li­chen gött­li­chen­Ga­ben bedacht, ist sie die Alle­go­rie aller Ver­lockun­gen, wie sie nurz­i­vi­li­sier­te Wel­ten bie­ten. Zugleich bringt sie auch alle Übel mit indie Welt, die vor­her nicht waren.—Um die Fra­ge nach dem War­um ran­ken sich seit­her vie­le Mei­ster­er­zäh­lun­gen. Grund genug, sie erneu­tzu befra­gen, um ›unse­re‹ Ant­wor­ten zu finden.

Phi­lo­so­phie kommt auf, wo Göt­ter schlecht gedacht wer­den. So ent­steht all­mäh­lich Sou­ve­rä­ni­tät in Fra­gen von Moral, Gefühl und Selbst. Der Weg führt vom ersten Gewis­sen bis zur mul­ti­plen Iden­ti­tät, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Geborgenheit.

Die Rei­he Zeit­Gei­ster ist der bis­her kaum bedach­ten Psy­cho­ge­ne­se gewid­met, dabei ist Ori­en­tie­rungs­wis­sen von zuneh­men­der Bedeu­tung. Es geht um die neu­en Per­spek­ti­ven einer Phi­lo­so­phi­schen Psy­cho­lo­gie, die in Zwei­fels­fäl­len immer wie­der auf die Ori­en­tie­rungs­ori­en­tie­rung durch Phi­lo­so­phi­sche Anthro­po­lo­gie zurück­grei­fen kann.

Alle Bän­de der Rei­he Zeit­Gei­ster erschei­nen bei tre­di­ti­on – wer­den aber auch hier suk­zes­si­ve zum Down­loads freigegeben.


Über Narziß, Adoleszenz und Anerkennung

Der zerbrochene Spiegel 

Wir wis­sen nicht, was Nar­ziß auf der spie­geln­den Was­ser­ober­flä­che gese­hen haben mag. Der Mythos vom Nar­ziß the­ma­ti­siert weit mehr als den dumm­drei­sten Nar­ziß­mus eines Selbst­ver­lieb­ten; wäre dem so, der Nar­ziß wäre kaum der Rede wert.—Tatsächlich geht es um etwas ande­res: Das Geheim­nis mensch­li­chen Bewußt­seins, das sich selbst spie­gelt, um sich sei­ner selbst gewiß zu wer­den, ist erst der Anfang einer lan­gen Rei­se ins eige­ne Innere.

Die bei­den Haupt­fi­gu­ren in die­sem Mythos haben bemer­kens­wer­te Han­di­kaps, so daß sie ein­an­der nicht begeg­nen kön­nen. Alles beginnt mit der Nym­phe Echo, die von Zeus ani­miert wor­den ist, Hera nach Art der Sche­he­re­za­de mit unend­li­chen Geschich­ten von den Amou­ren des Gemahls abzu­len­ken, ins­be­son­de­re wenn die­ser wie­der ein­mal bei den Nym­phen weilt. Die oft rasend eifer­süch­ti­ge Hera ist bereits im Begriff, ihren Gat­ten in fla­gran­ti zu über­füh­ren, aber die geschwät­zi­ge Echo hält sie davon ab, indem sie wei­ter und wei­ter redet.

Nach­dem Hera das Spiel durch­schaut hat, bestraft sie Echo, die nun­mehr erst zu dem wird, was ihr Name bereits über sie aus­sagt. Es wird der Nym­phe genom­men, was sie miß­braucht hat, um die Göt­tin hin­ters Licht zu füh­ren: Hera nimmt ihr die Fähig­keit eige­ner Rede, so daß sie nicht mehr von sich aus spre­chen, son­dern nur wie­der­ho­len kann, was sie hört. Von sich aus kann sie fort­an gar nicht mehr spre­chen, es bleibt ihr nur noch, die letz­ten Wor­te ledig­lich zu wiederholen,—ein fata­les Han­di­kap, ins­be­son­de­re wenn sie dem Nar­ziß ihre Lie­be geste­hen will.

Eines Tages wird Nar­ziß auf der Jagd von sei­nen Gesel­len getrennt. Er gerät in eine son­der­ba­re Land­schaft am Heli­kon, die von der Nym­phe Echo beseelt wird. Sobald die­se den jun­gen Mann erblickt, wird sie sogleich in Lie­be erglü­hen. Aber sie kann sich nicht äußern, um ihm ihre Lie­be zu geste­hen. Also folgt sie ihm heim­lich, um ihm bei Gele­gen­heit näher zu kommen…


Veröffentlichungen

Verzeichnis der Veröffentlichungen

PDF: Ver­zeich­nis der Veröffentlichungen


Vorlesungen und Seminare


Psychodizee

Ernst-Klimt-Pan-troestet-Psyche-1892

Ernst Klimt: Pan trö­stet Psy­che. Privatbesitz.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Die Recht­fer­ti­gung der Gesell­schaft und die Bela­stung des Ein­zel­nen gehen Hand in Hand. Aber das Skan­da­lon bleibt: Die Welt ist schlecht ein­ge­rich­tet und unge­recht, vor allem, wo sie doch gar nicht mehr von einem Schöp­fer­gott, son­dern ein­zig und allein von Men­schen zu ver­ant­wor­ten ist. Die Theo­di­zee ist zur Sozio­di­zee gewor­den und auf die­se folgt nun die Psy­cho­di­zee. Auf die Ankla­ge Got­tes und dem Ver­such sei­ner Recht­fer­ti­gung, folg­te zunächst die Ankla­ge der Gesell­schaft und schluß­end­lich die Bela­stung der Psyche.—So kehrt die Höl­le im Inne­ren wie­der zurück, wir berei­ten sie uns für­der­hin selbst. Es ist, als habe sich seit Jahr­hun­der­ten kaum etwas wirk­lich ver­än­dert in den Tie­fen unse­res Selbst. Und so zeigt sich dann, war­um die Angst vor dem Jüng­sten Gericht und vor der Höl­le bis in die Gegen­wart hin­ein noch immer eine so gro­ße Rol­le spielt.

Die alles ent­schei­den­den Fra­gen wer­den inzwi­schen syste­ma­tisch über­gan­gen, etwa die, wer uns nach dem Tod Got­tes noch unse­re ›Sün­den‹ ver­gibt, wenn und wo wir es selbst noch immer nicht kön­nen. Das wie­der­um bringt zuneh­men­de Bela­stun­gen für die Psy­che mit sich, wor­auf nun ver­stärkt mit dem Ein­satz von Psy­cho­phar­ma­ka reagiert wird. Es ist aber ver­hee­rend, über die­se Höhen und Tie­fen ein­fach hin­weg­zu­ge­hen, denn dann wird fast schon wie im Mär­chen auch noch die eige­ne See­le verkauft.—Wo die eige­nen Gefüh­le syste­ma­tisch mani­pu­liert wer­den, dort fal­len wei­te­re Anpas­sungs­lei­stun­gen bis hin zur Gewis­sen­lo­sig­keit immer leich­ter. Unge­hemmt kommt dann die für so vie­le Spar­ten obli­ga­to­ri­sche Skru­pel­lo­sig­keit zum Zuge, als Aus­hän­ge­schild einer nega­ti­ven Iden­ti­tät, deren Ethos dar­in besteht, kei­nes zu haben.

Es ist bestechend, wie Max Weber mit spe­ku­la­ti­ven Beschrei­bun­gen die­ser Ten­den­zen sei­ner­zeit schon die mög­li­chen Vari­an­ten der wei­te­ren Ent­wick­lung ein­zu­krei­sen ver­stand. Sol­che Vor­her­sa­gen über lang­fri­sti­ge gesell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen sind sehr wohl mög­lich und haben nichts mit Pro­phe­tie zu tun. Nun hat sich Max Weber dabei auf Nietz­sche gestützt, und wir dürf­ten den bei­den Den­kern daher erschei­nen, wie jene letz­ten Men­schen, von denen im Zara­thu­stra die Rede ist. Es ist die schlech­te­ste aller mög­li­chen Ent­wick­lungs­va­ri­an­ten, mit denen nicht nur Nietz­sche son­dern auch Weber und Freud bereits rechneten.

Wir wer­den also dem ›letz­ten Men­schen‹ tat­säch­lich immer ähn­li­cher? Eines ist jeden­falls gewiß, wir sind sehr viel näher dran, als es noch in der Epo­che von Fried­rich Nietz­sche, Max Weber und Sig­mund Freud mög­lich gewe­sen wäre. Man­che der Fort­schrit­te dürf­ten daher in Wirk­lich­keit eher Rück­schrit­te gewe­sen sein.—Was bei Weber das stäh­ler­ne Gehäu­se der Hörig­keit aus­macht, schil­dert Nietz­sche als Zukunfts–Diagnose im Zara­thu­stra und Freud sieht die Bela­stungs­gren­zen der Psy­che voraus.

Schluß­end­lich kommt es zum Zynis­mus und zur Bor­niert­heit die­ser ›letz­ten Men­schen‹, die allen Ern­stes von sich behaup­ten, das Glück erfun­den zu haben, wohl­ge­merkt, nicht ge– son­dern erfun­den, und genau­so sieht es dann auch aus, die­ses Glück in aller gei­sti­gen Beschei­den­heit: »Wir haben das Glück erfunden«—sagen die letz­ten Men­schen und blin­zeln, heißt es in Zara­thu­stras Vorrede.

Kör­per, Psy­che, See­le und Geist, alles scheint aufs bequem­ste zurecht gerückt wor­den zu sein. Und man möch­te glau­ben, alles sei das­sel­be. Da wird dann die Psy­che zum stö­ren­den Bei­werk, um von See­le und Geist ganz zu schwei­gen. Wir sind eine rein tech­nisch unver­schämt erfolg­rei­che Spe­zi­es von Raub­af­fen, die inzwi­schen nur noch das Kör­per­li­che gel­ten las­sen. Woher soll da noch der Geist kommen?—Nietzsche rech­net mit dem Zeit­geist der Moder­ne ab.

Die unge­heu­er­li­che Pro­phe­tie ist längst zum Klas­si­ker gewor­den, so daß eine jede Zeit, die spät gewor­den ist, ihr Spie­gel– und Zerr­bild dar­in wie­der­fin­den kann:

Man hat sein Lüst­chen für den Tag und sein Lüst­chen für die Nacht: 

aber man ehrt die Gesundheit. 

»Wir haben das Glück erfunden«—sagen die letz­ten Men­schen und blinzeln.


Wenn seelenlose Sachen zum Leben erwachen

Jean–Léon Gérôme: Pygmalion et Galatée. Metropolitan Museum of Art, New York. — Quelle: Public Domain via Wikimedia. Pygmalion, ein Künstler in Zypern, ist maßlos enttäuscht von den Frauen und lebt nur noch für seine Bildhauerei. Unbewußt erfüllt er sich seinen Traum durch eine von ihm erschaffene Elfenbeinstatue, die wie eine lebendige Frau aussieht und dabei seinem Ideal entspricht. Das Abbild behandelt er mehr und mehr wie einen echten Menschen und schließlich verliebt er sich in seine Kunstfigur. Zypern ist die Heimat von Venus, daher fleht der Künstler die Göttin der Liebe an ihrem Festtag inbrünstig an, wenn schon seine Statue nicht zum Menschen werden könne, so sei ihm wenigstens vergönnt, daß seine künftige Frau so sei wie diese. — Als er dann aber von den Feierlichkeiten für die Göttin wieder nach Hause zurückkehrt und die Elfenbeinstatue zu liebkosen beginnt, erwacht diese langsam zum Leben.

Jean–Léon Gérô­me: Pyg­ma­li­on et Gala­tée. Metro­po­li­tan Muse­um of Art, New York.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Pyg­ma­li­on, ein Künst­ler in Zypern, ist maß­los ent­täuscht von den Frau­en und lebt nur noch für sei­ne Bild­haue­rei. Unbe­wußt erfüllt er sich sei­nen Traum durch eine von ihm erschaf­fe­ne Elfen­bein­sta­tue, die wie eine leben­di­ge Frau aus­sieht und dabei sei­nem Ide­al ent­spricht. Das Abbild behan­delt er mehr und mehr wie einen ech­ten Men­schen und schließ­lich ver­liebt er sich in sei­ne Kunstfigur.

Zypern ist die Hei­mat von Venus, daher fleht der Künst­ler die Göt­tin der Lie­be an ihrem Fest­tag inbrün­stig an, wenn schon sei­ne Sta­tue nicht zum Men­schen wer­den kön­ne, so sei ihm wenig­stens ver­gönnt, daß sei­ne künf­ti­ge Frau so sei wie diese.—Als er dann aber von den Fei­er­lich­kei­ten für die Göt­tin wie­der nach Hau­se zurück­kehrt und die Elfen­bein­sta­tue zu lieb­ko­sen beginnt, erwacht die­se lang­sam zum Leben.

***

Es ist aus­schließ­lich das Pri­vi­leg der Göt­ter, dem was leben soll, die See­le ein­zu­hau­chen. Im Sin­ne der magi­schen Welt­auf­fas­sung kön­nen See­len aller­dings beein­flußt wer­den. Gleich­wohl zielt der hin­ter alle­dem ver­bor­ge­ne Wunsch­traum zielt genau dar­auf ab, die­se Dif­fe­renz­zwi­schen Vor­stel­lung und Wirk­lich­keit immer klei­ner wer­den zu lassen.—Bei aller Mühe, erscheint es dann wie ulti­ma­ti­ves Künst­ler­glück, wenn die Wer­ke tat­säch­lich täu­schend echt wir­ken oder viel­leicht sogar zum Leben erwachen.

Dar­auf zie­len letzt­lich sowohl die Magie, als auch die Kunst und die Phi­lo­so­phie: Es gilt, das abso­lu­te Wort, das ulti­ma­ti­ve Werk oder die voll­kom­me­ne Ein­sicht zu fin­den, zu schaf­fen oder zu rea­li­sie­ren. Die­ser nicht sel­ten mit Hybris ein­her­ge­hen­de Wil­le zum Werk legt es tat­säch­lich dar­auf an, daß sich die Sachen von selbst ›bewe­gen‹ und tat­säch­lich zu leben begin­nen. Auch der Traum des Phä­no­me­no­lo­gen steht dem in nichts nach: Mögen die Sachen von sich aus zu spre­chen begin­nen, so daß wir nicht mehr mit Unter­stel­lun­gen, Annah­men und Ver­mu­tun­gen arbei­ten müs­sen, son­dern ein­fach nur zuhö­ren, zuse­hen und mit­er­le­ben können.

ean–Léon Gérôme: Pygmalion et Galatée. Metropolitan Museum of Art, New York. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Jean–Léon Gérô­me: Pyg­ma­li­on et Gala­tée. Metro­po­li­tan Muse­um of Art, New York.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Hybris, das bedeu­tet Grenz­über­schrei­tung und zwar in einem über­aus magi­schen Sin­ne, etwa wenn eine eigent­lich unbe­seel­te Pup­pe wie Pinoc­chio, eine Skulp­tur wie die Gala­tée des Pyg­ma­li­on oder wenn ein Kunst­werk wie Das Bild­nis des Dori­an Gray zum Leben erwacht. Auch das ent­ge­gen­ge­setz­te Ver­fah­ren ist hoch pro­ble­ma­tisch, etwa wenn die See­le in ihrer emo­tio­na­len Beweg­bar­keit, in der sie eben ›gerührt‹ wer­den kann, ein­fach aus­zu­schal­ten, wenn sie durch einen kal­ten Stein ersetzt wird, wie in Das kal­te Herz von Wil­helm Hauff—Mit alle­dem gehen größ­te Befürch­tun­gen ein­her, die kos­mi­sche Ord­nung könn­te fun­da­men­tal gestört und viel­leicht sogar zer­stört wer­den. Es sind womög­lich bald schon kei­ne Ein­zel­fäl­le mehr, wenn so etwas auch nur ein ein­zi­ges Mal unge­straft mög­lich gewor­den ist.

Die Fas­zi­na­ti­on bei der Vor­stel­lung über die Macht magi­scher Wor­te ver­kehrt sich in gera­de Gegen­teil ange­sichts der Hor­ror­vor­stel­lun­gen, die sich sogleich ankün­di­gen, wenn auch nur einen Augen­blick dar­an gedacht wird, so etwas könn­te tat­säch­lich und wirk­lich mög­lich sein. Nicht nur die Gren­ze zwi­schen Wunsch und Wirk­lich­keit wäre dann nicht mehr von Bedeu­tung. Damit aber wür­den fun­da­men­ta­le Ori­en­tie­rungs­wei­sen unmög­lich gemacht, so daß sich zeigt, wor­um es bei sol­chen Hor­ror­vor­stel­lun­gen wirk­lich geht: Wo Arte­fak­te leben­dig wer­den, wo Sachen selbst zu spre­chen begin­nen, wo fun­da­men­ta­le Gren­zen nicht mehr gel­ten, dort wür­de die Ord­nung der Din­ge bis in die Fun­da­men­te erschüttert.

Es geht dabei aller­dings weit weni­ger um die Natur der Sachen selbst, als viel­mehr um den Bestand der Kul­tur. Alle rele­van­ten Ori­en­tie­rungs­mu­ster set­zen auf sol­che Unter­schei­dun­gen, daher kann es gar nicht denk­bar sein, daß die Gren­zen zwi­schen dem Leben­den und dem Toten, dem Unbe­seel­ten und dem Beseel­ten oder zwi­schen dem Künst­li­chen und dem Natür­li­chen nach Belie­ben über­schrit­ten wer­den. Das ist dann auch der Grund für das Grau­en, den Abscheu aber auch die Fas­zi­na­ti­on und das heim­li­che Inter­es­se an der Magie als schwar­ze Wis­sen­schaft oder auch ein­fach nur als Zauberkunst.

Aus­zug aus: https://​www​.nen​nen​-online​.de/​e​m​p​a​t​h​ie/


Das erschöpfte Selbst

Lucas Cra­nach der Älte­re: Melan­cho­lie. Natio­nal­ga­le­rie,
Kopenhagen.<fn>Public domain via Wiki­me­dia Commons.</fn>

Erläuterungen zur Psychogenese