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    Wenn Worte sich enthalten

    Erlösung gibt es nur durch Sprache, aber was, wenn die Worte fehlen?

    Wenn Worte fehlen, suchen wir stammelnd nach Beispielen: Es ist wie…, es ist wie…, es ist wie… – Ja wie denn?

    Wenn etwas gesagt werden soll, aber eigentlich gar nicht klar ist, was denn jetzt und vor allem wie, dann stehen die, die sich jetzt mal äußern sollen wie Lehrer vor einer Klasse von Schülern, die den Teufel tun werden, sich jetzt zu melden. 

    Keines der bekannten Worte wird sich bereit erklären für ein solches Himmelfahrtskommando, darstellen zu sollen, wie es denn so ist, ein Impfgegner zu sein und gegen den Strom zu schwingen. Ein Student sagte mal im Seminar, da müsse man aufpassen, nicht blaue Augen zu bekommen, wenn man gegen den Strom schwimmt. Auf Nachfrage erklärte er dann das köstliche Bild, die blauen Augen entstünden durch Zusammenstöße mit entgegenkommenden Fischen. 

    Gustave Doré: Die babylonische Sprachverwirrung (1865ff.).

    Im Corona-Diskurs ist Verstehen aus vielerlei Gründen ganz besonders schwierig, weil im Hintergrund tiefe religiöse Traumata das Orchester der Gefühle dirigieren und tagtäglich neue Ängste geschürt werden. Die meisten “Rechtgläubigen” bemerken nicht einmal, daß sie sich angepaßt haben und tunlichst nur angepaßte Worte verwenden aber gar nicht die eigenen. Viele beten nur nach und kommen dann auch sehr schnell ins Stammeln, wenn sie ihrerseits begründen sollen, was sie warum für richtig halten. 

    Tatsächlich ist es ungeheuer schwer, etwas zu verstehen, in dem man sich gerade befindet. Man kann in einer Höhle nicht erklären, daß man sich in einer Höhle befindet, ohne daß die, denen man das gern mitteilen möchte, schon mal davon gehört haben, daß es auch ein Außerhalb gibt. Das ist die berühmte Allegorie in Platons Höhlengleichnis  mit dem sich Platon an den Athenern bis in aller Ewigkeit revanchiert, daß sie seinen geliebten Lehrer zum Tode verurteilt haben, weil er den Mainstream gestört hat beim Nichtdenken. 

    Die Sprache ist das Haus des Seins, sagt Heidegger und in der Tat ist diese der “Weinberg”, von dem die Christen so gern reden. Die Erweiterung des Ausdrucksvermögens ist alles entscheidend.

    Das ist ja gerade das Schlimme an einem Trauma, es lastet auf der Seele, ohne daß man sich davon erleichtern könnte. Das würde nur gehen, wenn man es mit-teilen würde. Aber dazu sind Worte nötig, die sich freiwillig melden und sagen: Ich versuche das jetzt mal.  Aber die meisten dieser mutigen Worte kommen dabei um. Mutig sein allein genügt nämlich nicht.

    Außerdem ist da noch die Grammatik, und die ist weit mehr, als nur das, was man im Deutschunterricht zu hören bekommt. In der Philosophie gibt es “Ontologien”, das sind “Seinslehren”, die zu anderen Zeiten ernsthaft vertreten und auch geglaubt wurden, wo dann eben so Nebensächlichkeiten drin stehen, wie etwa die “Natur des Menschen, des Mannes oder auch der Frau”.

    Man sollte nicht zu hart mit anderen Epochen ins Gericht gehen, denn diese hatten auch ihre Problem, nur andere als wir. – Man hat das eben geglaubt, daß es so etwas wie eine fixierte Natur gibt und das war wohl auch gut so, weil einem die Welt ohnehin bereits über den Kopf gewachsen war. 

    Nun nimmt im Zuge der Kulturgeschichte das sprachliche Differenzierungsvermögen immer weiter zu. Daher braucht es ständig neue, bessere, tiefere Worte, aber auch die Grammatik muß sich öffnen für die neuen Fälle des Lebens. Sie darf und soll neuen Lebens- und Empfindungsformen nicht ihre Existenzberechtigung aberkennen, indem sie gar nicht zuläßt, das so etwas überhaupt gesagt werden kann. – Wenn die Worte falsch sind, führen sie in die Irre, wenn die Grammatik nicht mitspielt, dann bleibt nur Stammeln, das keiner versteht. 

    Daher müssen wir mit dem, was wir zu sagen hätten, aber noch gar nicht wirklich mit-teilen können, ziemlich lange hadern. Wir müssen mit der Schulklasse unserer Worte viele Diskussionen führen, bis einige sagen, ich kenne da wen, der das kann, den hole ich mal.  – Wir brauchen die Musen dazu, denn erst sie schenken uns die nötigen Inspirationen, etwas Unsägliches doch zur Sprache zu bringen. 

    Einer der Anklagepunkte im Prozeß gegen Sokrates, neben dem ehrenwerten Vorwurf, er würde die Jugend (zum Denken) verführen, bestand darin, er würde “fremde Götter” einführen. Man sollte hier nicht auf der Überholspur denken, sondern das Ganze erst einmal auf sich, wie auf ein Kind wirken lassen. Was kann das bedeuten, fremde Götter nicht einführen zu dürfen? – Das ist das Schöne am Denken, sich selbst dabei zusehen zu können, wie man “dahinterkommt”. 

    Also, die Griechen hatten den Polytheismus und das muß man wiederum auch betrachten als ziemlich kostspielige Angelegenheit. Man kennt das noch in der Debatte über die Feiertage, wo doch damals die evangelische Kirche einen Feiertag abgetreten hat, nur um der armen Wirtschaft zu helfen. Ja, an Feiertagen wird in vielen Sektoren nicht gearbeitet, sondern gezahlt, vor allem von denen, die sonst immer kassieren. 

    Sokrates sprach von seinem “Daimonion”, einer Art Geist, eine innere Stimme, die er hört. Sie würde ihm nie etwas anraten zu tun, sondern sich nur melden, sobald er etwas Ungutes zu tun beabsichtigen würde. – Wenn ich damals vom Athener Gericht mit einem Gutachten betraut worden wäre, hätte ich darzustellen versucht, daß es sich bei dieser Instanz nicht um einen neuen, fremden Gott handeln würde, der unerlaubterweise eingeführt worden sei, sondern um eine Ausdifferenzierung in der Psyche und in der Seele des Sokrates, die wegweisend werden sollte, die sich hier nur ausnahmsweise schon einmal melden würde. 

    Ich stelle mir also vor, daß es so etwas wie eine Einfuhrbehörde für Götter gegeben haben muß. Wenn da also mit einer neuen Unterwerfung auch die neu unterworfenen Götter eingeführt werden müssen, dann wird man sich gefragt haben, also, haben wir die nicht schon, wer unsere Götter könnte das machen? So hat Zeus an die hunderte zusätzlicher Namen, das sind alles Götter aus einverleibten Häuptlingstümern oder Königreichen mit ihren höchst spezifischen Zuständigkeiten. 

    Es ist unerläßlich, den Göttern und zwar allen das Ihrige zu geben, wo nicht, droht Ärger. Etwa als, kurz bevor die Athener in den Krieg zogen, irgendwelche Jugendlichen an den Hermesstauetten, die an den Straßen zu Hunderten standen, mal so eben die erigierten Penisse abgeschlagen haben. 

    So ist etwa die Aphrodite mit rotem Haar, weil sie eben aus Zypern kommt, wo auch das Kupfer herstammt. Wenn man also die Aphrodite ungebührlich behandeln würde, verdirbt man es sich nicht nur mit der Schönheit, sondern auch mit den Frauen, mit der Rolle der Frau als solcher und dann auch noch mit den Zyprioten. – Daher muß allen Ernstes eine Kommission darüber entscheiden, was man denn mit einem konkreten Gott, der da neu aufgetreten ist, anstellen soll. Und man hat die neue Kompetenz des Sokrates einfach völlig falsch gedeutet und gar nicht verstanden. 

    Wenn die Worte sich drücken, wenn die Grammatik die Arme verschränkt und bei so etwas nicht mitmachen will, dann gibt die Sprache mit Bedauern zu verstehen, daß sie da jetzt auch nicht weiterhelfen könnte. Dann hat man ein Problem mit sich und den Anderen. Man versteht sich selbst nicht wirklich, weil die Worte fehlen, man wird nicht verstanden, weil die Grammatik streikt für solche Fälle und zugleich spuken da noch tiefe religiöse Traumata, von denen die meisten nicht einmal etwas ahnen. 

    Und dann wird zu Vergleichen gegriffen, die einfach schräg rüberkommen müssen. Historische Vergleiche sind immer problematisch, weil es ja konkrete Verhältnisse, Ereignisse und Folgen sind, die sich so, auf dieselbe Art und Weise, ganz gewiß nicht wiederholen. Andererseits sind wir darauf angewiesen, mit Analogien zu arbeiten, wenn kein Wort sich traut, überhaupt Stellung zu nehmen. 

    Wir sollten das, was die Sprache ist und was sie ausmacht, was sie kann, wo sie ihre Grenzen hat und was wir tun können, uns mehr Ausdruck zu verschaffen, endlich anders sehen. Dieses nachrichtentechnische Modell von Sender, Empfänger und Botschaft ist grottenschlecht und absolut unangemessen.

    Es ist vielmehr so, daß wir miteinander im Dialog kooperieren müssen, wenn wir etwas vorstellbar machen wollen, um dann erst das Urteil eines Freundes oder einer Freundin zu erbitten. Andere können uns erst dann wirklich etwas anraten, wenn sie uns ver-stehen, das heißt, wenn sie aus unserer Position heraus ihre Stellungnahme abgeben. – Zu hoch? Da kann ich dann auch nicht mehr helfen. 

    Man achte bitte einmal darauf, wie viele “Regieanweisungen” da einander gegeben werden: “Nein, so ist das nicht. Du mußt Dir das anders vorstellen, etwa wie, wenn…” – Verstehen ist Arbeit, auch wenn das unter Freunden nicht so gesehen wird. Denken ist ähnlich, es ist ein Dialog der Seele mit sich selbst.

    Und dieses Bohren ganz dicker Bretter, wie Max Weber die Politik charakterisiert, um Gesinnungstäter, Tugendwächter und Hitzköpfe von irgendeine Propaganda durch die Tat abzubringen, ist genau das. Politik ist, wenn sie wirklich etwas leistet, der Versuch, neue Zugänge zu finden, durch Sprache, Verstehen und neue Gemeinsamkeiten.

    Das macht dann in der Tat den Jargon der Diplomatie so interessant. Was macht man, wenn man nicht einmal “Beziehungen” zueinander hat? Man besucht sich, spricht miteinander, sucht nach “Gemeinsamkeiten”, bis man dann eine “gemeinsame Gesprächsgrundlage” findet, auf der weitere “Konsultationen” stattfinden können. Und das wäre nur der alleranfänglichste Anfang.

    Impfgläubige wollen immer gleich mit den Beitrittsverhandlungen beginnen. Sie sprechen den Ungläubigen einfach ab, daß es so etwas wie sie überhaupt geben könne.  – Es ist aber naiv zu erwarten, daß es in der Corona-Krise nur einen einzig richtigen Glauben gibt.

    Corona ist nur so stark, weil viele unserer Systeme erstaunlich schwach sind. Es ist gut zu wissen, dann wird man in Zukunft weit weniger vertrauen, sondern sehr viel mehr kritisch sein und bleiben müssen. – Aber auch das muß erst einmal zur Sprache gebracht werden, mit den richtigen Worten und einer Grammatik, die neuen Gedanken aufgeschlossener ist als die Angstrhetorik unserer Tage.  

    Es bleibt nur, mit dem Kopf immer wieder gegen die Grenzen der Sprache anzurennen und derweil die Musen darum zu bitten, das Gespür für die richtigen Metaphern zu schenken. 

     

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    Mangel an Denken, Geist und Kultur

    Über Traumata, die aus ganz anderen Zeiten stammen

    “Weil Harald Schmidt seinen Impfstatus offenlässt, wird gemutmaßt, daß er ein Corona–Leugner sei.”, konstatiert RND, das Redaktionsnetzwerk Deutschland, geflissentlich darum bemüht, blitzgescheit zu wirken. 
     
    Geht es noch? So einfach ist also inzwischen die Mainstream-Logik geworden. — Ist er getauft und ein “Kind Gottes” oder verweigert er den Glauben an die Lehre der heiligen Mutter Kirche, daß nur die “Taufe” gegen die Versuchungen des Teufels Corona immun macht?

    Diese verschwurbelte Logik geht zurück auf ein uraltes religiöses Trauma, das über Generationen geschlummert hat im Unbewußten derer, die wenig oder gar nicht über die Tiefen der eigenen Seele nachdenken. — Die Kirche hat über Jahrhunderte die Menschen eingeschüchtert und in psychotische Angstzustände versetzt, so daß viele wirklich krank daran wurden, gegen Gott gesündigt zu haben.

    Hieronymus Bosch: Der Garten der Lüste, Ausschnitt (1480ff).

    Eine besondere Rolle dabei spielten hochtraumatisierte Mütter, wie die von Augustinus, Albrecht Dürer, Immanuel Kant oder auch Max Weber und viele andere Geistesgrößen mehr, von denen unbekannten Namens mal zu schweigen, obwohl doch diese sich gerade mangels Intellekt noch am wenigsten zur Wehr setzen konnten.

    Die Folgen sind Depressionen, Schuldgefühle, Melancholie und das Gefühl, nicht würdig zu sein, überhaupt nicht würdig. 

    Eine Politik der Angst muß nicht unbedingt mit äußerlicher, also militärischer, polizeilicher, psychiatrischer, sozialarbeiterischer oder pädagogischer Mißhandlung einhergehen.
     
    Es genügt auch eine Bedrohung von Seele und Leib durch elementare Ängste, um Menschen gefügig zu machen und in Lämmer zu verwandeln, die sich von den selbsternannten Hirten bewachen und führen lassen. Die christliche Missionierung der Kelten war auch erst erfolgreich, als man ihnen die Übel der Hölle vor Augen führte.
     
    Ähnlich verhielt es sich auch mit den unethischen Fernseh-Bildern aus Bergamo. Über Nacht war ein Großteil des Mainstreams “überzeugt”. Dabei waren sie nur eingeschüchtert und total verängstigt, weil da uralte Ängste heraufbeschworen wurden.
     
    Dabei wissen wir doch eigentlich inzwischen, daß einer ein Mensch sein kann, sogar ein guter Mensch, der nicht getauft ist. Und, die Erkenntnis des Tages: Es ist sogar auch möglich, die “Existenz” von Corona NICHT in Zweifel zu ziehen und dennoch kein Vertrauen zu haben, in die Impfpropheten dieser Tage. – Die Impfgläubigen begehen einen Fehler, wenn sie nicht den “ganzen Menschen” sehen, der eben mehr ist als die Summe seiner Organe im biologischen Sinne.

    Eines der Motive, sich nicht impfen zu lassen, liegt auch darin, einen individuellen seelisch-leiblichen Widerstand zu empfinden. Wer sich bisher nie gegen die neuesten Grippeviren hat impfen lassen, vielleicht gerade aufgrund von mangelndem Vertrauen in diese unsere viel zu käuflichen Wissenschaften, wird auch bei der Corona–Impfung, nach allem, was inzwischen bekannt wird, sich bestärkt fühlen in der eigenen Skepsis. Und viele werden sich ganz gewiß nicht einer Zwangstaufe beugen.

    Das mag in den Ohren derer, die an die Naturwissenschaften “glauben” und das dann auch noch für die ganze Wissenschaft halten, “esoterisch” klingen. Dabei ist es nur der Wunsch und Wille auf “Ganzheitlichkeit”. Wir haben nicht nur Körper und Psyche, sondern auch Leib und Seele. Wir haben mit der Entzauberung der Welt den Zugang zu vielem verloren, was andere Kulturen noch hatten, so etwas wie das Gefühl einer kosmischen Geborgenheit. 
     
    Die transzendentale Obdachlosigkeit führte im 19. Jahrhundert zum Nihilismus, eine der gefährlichsten Demütigungen, die dann zu vielen Verzweiflungstaten führt. Das zu leugnen, daß wir auch Wesen sind, mit großen transzendentalen Wünschen, ist die Schwäche der szientistischen Konfession. Es ist ein haltloser, substanzloser, absolut inhaltsleerer Glaube daran, daß die Banalisierung von allem, was mal heilig war, der Wissenschaft letzter Schluß sein soll.
     
    Insofern paßt auch die Corona-Politik in diese Weltanschauung, wenn man sich vor Augen führt, was alles geopfert wurde, wie etwa das Seelenheil von Kindern und Jugendlichen, die Grundrechte, die Freiheit und vor allem die Fähigkeiten zur Selbstverantwortung.
     
    Man hat sofort die Entmündigung betrieben und ein dementsprechend geistloses, antihumanes, pädagogisch gestriges Menschenbild in Kraft gesetzt, nur, um zu herrschen. — Geist paßt nicht in die bornierte Weltanschauung szientistischer Naturalisten, die von Kultur überhaupt nichts verstehen und daher meinen, das kann alles weg, wo wir doch jetzt alle Corona haben und der Versucher unter uns weilt.
     
    Daß dabei große Teile der Presse wie Inquisitoren auftreten, ist ein ganz böses Omen – für die Presse selbst. Sie werden damit nicht punkten, stattdessen wird der schon vor Jahrzehnten von Jürgen Habermas in seiner Habilitation diagnostizierte “Strukturwandel der Öffentlichkeit” jetzt geradezu “geboostert”. Die Qualität der Diskurse im Internet steigt rapide, man empfindet es als Erholung, endlich nicht mehr belehrt oder umerzogen zu werden von einer Presse, die sich selbst in ihrer Funktion mißversteht.
     
    Da lobe ich mir die Nachrichten im Fernsehen von “Welt”. Das geht so: “Sack Reis in China umgekippt. Rußland macht die USA verantwortlich, die EU schweigt.”  So möchte ich es. Selig die Zeiten, als es Beschwerden gab, wenn der Nachrichtenspreche Köpke die Nase verzog, vielleicht weil sie kribbelte und viele sich sofort beschwerten.
     
    Es ist verständlich, daß die  bisherigen Medien eine Heidenangst haben vor dem Internet und was es ermöglicht an einer noch weiter sich ausdifferenzierenden Öffentlichkeit. Darüber zu spekulieren, müßte eigentlich dazu führen, daß nur Qualitätsmedien auf der einen und der Boulevard auf der anderen Seite werden überhaupt überleben können.
     
    Da aber ganz offenbar fast allenthalben die Qualität sinkt und immer weniger Diskurs stattfindet, sondern Wertung, Verunglimpfung, Hypermoral und Erziehung, wird sich das, was bisher etabliert war, immer weiter selbst schädigen.  Auch die  bisherige “repräsentative Demokratie” wird in the long run ganz allmählich obsolet, denn wir leben nicht mehr im Postkutschenzeitalter. Es braucht keine Repräsentanten mehr, die für die sprechen sollen, die selbst die richtigen Worte nicht finden. Denn im Internet nimmt das sprachliche Differenzierungsvermögen, die Dialog- und Diskursfähigkeit ganz rapide zu.

    Und natürlich wird es Wettkämpfe in Hate speech geben, bis alles raus ist und wirklich nichts mehr einfällt. Im Jargon der Diplomaten sind das “Anpassungsschwierigkeiten”. — Der Popanz, der da aufgebaut wird, von wegen es drohe Gefahr von Rechts, ist im eigenen Interesse maßlos übertreiben. Es gab immer diese unterirdischen Stammtischparolen, sie sind nur zu anderen Zeiten nicht publik geworden. Und jetzt meinen alle, denen es in den Kram paßt, da würde sich eine neue “rechte” Gefahr auftürmen, für alle, die sich nicht führen lassen, sondern sich selbst orientieren wollen. Und dann wird alles in einen Topf geworfen: Ungeimpft, Coronaleugner, Wissenschaftsfeind, Antidemokrat, Antisemit, rechtsradikal, Verfassungsfeind.

    Was, wenn auf den Montags-Demos so allmählich auch FDP-Wähler auftreten? Was, wenn ein kleiner Regelbruch nun einmal dazu gehört, zu einer Demonstration. Wenn das als Spaziergang verkauft wird, dann sollte es auch ein ebensolcher bleiben. Das ist Kultur und die Polizei sollte gute Miene machen. – Aber vielleicht sind ja auch manche an einer Eskalation interessiert?
     
    Und was die Causa Harald Schmidt anbelangt, so bereitet es mir ein großes Vergnügen, wie er alle an der Nase herumführt, die nicht nachdenken.  Man sollte wissen, daß er, worüber er sich selbst in einer Sendung einmal köstlich amüsant geäußert hat, ein Hypochonder ist. 
     
    Da ist dann dieses Intimverhältnis zwischen Leib und Seele derart aktiv, so daß man nur die Wahl hat zwischen Skylla und Charybdis, Pest oder Cholera.
     
    Man erkrankt also entweder an Corona oder an der Impfung. Es gibt aber noch ein Drittes: Man geht auf Distanz, ganz konsequent, und das macht er. Wo das Problem liegt? Im Mangel an Denken, an Geist, an Kultur.
     
     
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    Amok und Nihilismus

    Über transzendentale Obdachlosigkeit

    Ich habe Amok nie verstanden. Bei Charles Bukowski, durch den man ebenso hindurch muß, wie durch Niklas Luhmann, geschieht das so nebenher. Irgendwer hat mal so richtig schlechte Laune, legt sich dann irgendwo auf die Lauer, nimmt sich ein Gewehr, wird Heckenschütze und ballert irgendwelche Leute ab, die einfach nur das Unglück haben, gerade in diesem Augenblick vor Ort zu sein.

    Nun, mir geht es ums Verstehen, nicht unbedingt um Verständnis. Das ist ein himmelweiter Unterschied.

    Man legt sich dann irgendwelche Erklärungen zurecht, so etwas die bei Schulmassakern, daß da jemand mit narzisstischer Störung zutiefst verletzt worden sein muß, der darauf “Rache” ausübt. Das ist auch dürftig, weil es nicht die tieferen Gründe erklärt. Wir alle sind schon mal so richtig mies verletzt worden und waren ernstzunehmend sauer, haben aber in der Regel nicht einmal daran gedacht, auf diese Weise damit umzugehen, um die Sache wieder “aus der Welt zu schaffen”.

    Edvard Munch: Melancholie (1894f).

    Einmal habe ich, um besser zu empfinden, in meiner Vorlesung einen Amoklauf aus der Perspektive desjenigen Schülers versucht zu beschreiben, der nun mit seiner Waffe durch den Flur läuft, während die ihm persönlich bekannten und doch vielleicht auch ehedem freundschaftlich verbunden Mitschüler vor ihm fliehen.

    Darauf bin ich auf die Idee gekommen, daß es eine Exit–Strategie geben muß. Es kam mir nämlich so vor, als würde mancher Täter sich womöglich den Flüchtenden anschließen, gewissermaßen auf der Flucht vor sich selbst und dem eigenen Horror.

    Aber bei dem Anschlag in Heidelberg waren es Studenten, die zumeist persönlich einander gar nicht bekannt sein dürften. Hier entfällt also ein zentrales Argument, persönliche Rache aufgrund persönlicher Demütigungen sei der Grund und der Anlaß. — Also, wie kommt einer dazu, Leute zu “bestrafen”, die so rein gar nichts mit irgendetwas zu tun haben? Was ist dann deren “Schuld”?

    Mir tut es leid für alle die, die da in diesem Hörsaal waren, für die Verletzten und noch mehr für die Toten, ihre Angehörigen, Freunde und Freundesfreunde. Sie alle haben mein Mitgefühl.

    Dennoch will man immer etwas über die Motive hören, als ob es doch irgendwelche zureichende Gründe gäbe. Fast schon entlastend wirkt da, wenn diese Motive religiöser oder politischen Natur sind. Dadurch wird die Absurdität nicht geringer, aber irgendwie hat die Ratio dann etwas, an dem sie sich halten kann.

    Eines ging mir nicht mehr aus dem Kopf, als ich von dem Amokläufer an der Uni in Heidelberg hörte. Er soll per Whatsapp kurz zuvor mitgeteilt und angekündigt haben, nachdem er sich die Waffen zuvor im Ausland beschafft hatte, „daß Leute jetzt bestraft werden müssen“. Dieses “Motiv” hat weiter gearbeitet in mir. Irgendwie scheint das ein Schlüssel zu sein für ein tieferes Verstehen ohne Verständnis.

    Dabei ist mir aufgefallen, daß diese Formel vom “Bestrafen” häufig verwendet wird, nicht nur von religiös motivierten Amoktätern, sondern auch von solchen, die eigentlich nicht religiös motiviert sein dürften, weil ihnen dazu jeder Backround fehlt. Dann bin ich heute beim Verfassen eines Textes auf den Zeitgeist der Moderne zu sprechen gekommen und darauf, daß mit der Entzauberung der Welt, mit dem Verlust eines Glaubens und einer transzendentalen Obdachlosigkeit diese grundverzweifelten Leute zunächst in Russland aufkommen, wie sie Dostojewski so eindringlich zur Darstellung bringt.

    Das hilft nun den Opfern und allen Betroffenen nicht wirklich, weil ihnen das die gesuchte und nicht zu findende Erklärung nicht geben kann. Und dennoch, es hat mit dem “Bestrafen” eine eigene Bewandtnis. Strafe, Sühne und Buße sind nämlich als Motive zutiefst religiös in einem tiefenpsychologischen Sinne. Das bedeutet, man muß nicht unbedingt auf irgendeine Weise gläubig sein, diese Archetypen sind einfach vorhanden im kollektiven Unbewußten.

    Edvard Munch: Der Schrei.

    Also, in der Moderne, wo nicht einmal mehr die Idee vom großen Ganzen noch möglich scheint, dort zerspringt die Welt in tausend Stücke und alle diese Fragmente erscheinen nur noch profan. Darauf wird dann die unselige Profanität selbst zum Skandal und zum verzweifelten Anlaß für Selbstverletzung, sei es am eigenen Leib oder auch am ›Körper‹ der Gemeinschaft. — Der Grund scheint zu sein, daß die Seele der Akteure in der von ihnen verachteten Welt seit geraumer Weile keine Nahrung mehr findet, zumal der Blick für Seelennahrung entweder gar nicht entwickelt oder eingetrübt ist.

    Auf diese Weise läßt sich nachvollziehen, warum es unter psychologisch prekären Umständen in den völlig entzauberten und profanisierten Fragmenten moderne Welten immer wieder zu diesen äußerst spektakulären und demonstrativen Terrorakten kommt, und woher die vielen religiösen Motive vor allem doch bei eigentlich religiös gar nicht motivierten Tätern rühren.

    Es läßt sich spekulieren, ob das Unvorstellbare nicht doch vorstellbar wird, wenn wir ernst nehmen, was viele dieser Täter als Motiv bekunden, sie wollten ›strafen‹. Als würde da ein geistig vollkommen entwurzeltes Prophetentum exerziert. Tatsächlich läßt sich aber annehmen, daß die Verletzungen in der Tat eine Art ›Buße‹ sein sollen, nur, in einem Kontinuum, das selbst völlig verirrt ist.

    Das hat Fjodor Michailowitsch Dostojewski in der ganzen seelischen Dramatik vor Augen geführt. Er war ein Seismograph der Konflikte, in die der Mensch mit dem Anbruch der Moderne geriet. In seinen Werken spiegelte er die irrlichternde menschliche Seele, ihre Sehnsüchte, Regungen und Träume, dann aber auch die Zwänge und Befreiungsversuche bis hin zum Verbrechen.

    Seit die Welt nur noch in Fragmenten erscheint, die allesamt nur noch profaner Natur sein können, konzentriert man sich ersatzhalber auf Äußerlichkeiten, spricht allenfalls von ›Werten‹ und verliert jede Vorstellung von Geist und Vernunft in ihrem Bezug zum Schönen, Erhabenen und daher auch zum Göttlichen. — Folgerichtig führt Friedrich Nietzsche dieser Befund zu einer verheerenden Diagnose: Nihilismus.

    Der junge Nietzsche selbst verwarf bereits in jungen Jahren diese Weltsicht der Haltlosigkeit und wandte sich der Philosophie von Arthur Schopenhauer zu, die nicht nur die Verzweiflung auf eine sehr konstruktive Weise deutet, sondern die auch eine Philosophie des Mitleids entwickelt und dabei bedeutende Gemeinsamkeiten mit fernöstlichem Denken entwickelt. — Es gäbe also schon philosophische Alternativen, die vor allem eigenes Handeln wieder möglich machen und nicht nur die aktive Weltverneinung und noch dazu die völlig unberechtigte “Bestrafung” zufällig anwesender Menschen, die dann zu Opfern werden. Kein Gott, kein Geist und nicht einmal ein Ungeist wird ein solches Opfer akzeptieren.

    Das ist keine Erklärung, die Trost spenden kann, es ist allerdings eine beunruhigende Einsicht in die seelische Kälte unserer Welt, die manche einfach nicht ertragen, schon gar nicht dann, wenn sie sich Hilfe nicht einmal mehr vorstellen können sondern meinen, sie könnten durch solche Taten irgendetwas bewirken, was alten Wunden heilt. – Stattdessen werden neue aufgerissen.

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    Die Narrative der Metaphern

    Über die Magie der Sprache und die Macht der Bilder 

    Narrative, immer wieder ist von Narrativen die Rede in letzter Zeit. Es ist eigentlich nur ein anderes Wort für eine Metaphorik, wobei das Narrativ scheinbar oder tatsächlich noch etwas Bekenntnishaftes hat, als wäre es ein Glaubensbekenntnisse. Man kann mitunter tatsächlich auch den Begriff “Weltanschauung” einsetzen. — Narrative sind zunächst einmal nichts weiter als Erzählungen, mustergültige Typen von Erzählungen, die wir einsetzen, um etwas zu verdeutlichen aber auch, um andere über den Tisch zu ziehen. 

    Narrative sind Metaphern, also “Übertragungen” von Sinnzusammenhängen, die zumeist mit der Sache eigentlich nicht das geringste zu tun haben. Nur wir stellen die Verknüpfung her, weil wir das Bild verstehen und glauben, wenn es sich mit der Sache auch so verhält, tatsächlich auch die Sache selbst verstehen zu können. — Man muß sich nicht schämen, so schwer von Begriff zu sein. Das ist typisch menschlich und kommt in den härtesten Naturwissenschaften vor.

    Interessanterweise arbeiten gerade die Natur- und Technikwissenschaften, die sich so viel darauf zu Gute halten, daß sie rechnen und nicht reden, mit erstaunlich vielen Metaphern. Wenn Einstein behauptet, “Gott würfelt nicht”, dann will er keine Theologie betreiben, sondern den universellen Anspruch von Mathematik deutlich machen. — Sollte aber der Schöpfer rein gar nicht gewürfelt haben, dann braucht der Physiker gar keinen Gott mehr, dann ginge alles wie von selbst, eben “evolutionär”. Und schon haben wir das nächste hochwissenschaftlich–literarische Bild vom Prozeß natürlicher Genese, wie Darwin es beschrieben hat.

    Interessant ist nun, daß Einstein, obwohl es ihm um Mathematik ging, zugleich auch Theologie betrieben hat, mit diesem Narrativ. Ob er es wollte oder nicht, der Geist dieser von ihm gewählten Formel besteht darauf, daß er auch das habe gesagt haben wollen soll.  Das ist nun der springende Punkt, Metapher unterschieben uns Aussagen, die konsequenterweise aus dem Narrativ folgen, aber sie unterstellen es in der Sache, also Vorsicht!

    Darwin als Affe, eine Anspielung auf seine Evolutionstheorie, die seinerzeit ungeheuerlich erschien. In: The Hornet magazine, 22. März 1871.

    Wer hat nicht immerzu dieses darwinsche Narrativ im Kopf, das zumeist auch falsch verstanden wird. Aber es ist nicht nur schön, sondern vor allem bequem. Man kann sich damit manches erklären, solange man sich genügend kosmische Zeit nimmt. Aber das Narrativ entstammt dem seinerzeit so rasenden Frühkapitalismus. Dieses dauernde Gerede vom Überleben des Stärksten ist typisch deutsch, weil im Original von “to fit in”, also vom Eingepaßtsein gesprochen wird. Es überlebt also unter Selektionsbedingungen genau dasjenige Individuum, das am besten “angepaßt ist”, nämlich an seine Umwelt. — Es ist schön, über Narrative zu verfügen, so weit die Füße tragen. Interessant wird es, wenn sie aber kollabieren. 

    Die Zeit ist nämlich dankbar, verweist sie doch so gern kapitalistisch auf die als Naturzustand beschriebenen Verhältnisse der freien Wildbahn, was angeblich auf die “freie Wirtschaft” und vor allem auf die “freien Märkte”  zutreffen soll. Dabei wird schnell sichtbar, daß es auch Ammenmärchen sind, die gern erzählt werden, wenn mit solchen Narrativen eine unsolidarische Politik des wirtschaftlichen Freibeutertums als “natürlich” legitimiert werden soll. — Ein russischer Anarchist, Fürst Igor Kropotkin, hat ein anderes Narrativ dagegen gesetzt, das auch mit der Darwinschen Evolutionstheorie kompatibel ist, das Prinzip von der “Gegenseitigen Hilfe”, daß sich eben die Beutetiere zusammentun können, um den Habicht abstürzen zu lassen, eben durch Schwarmintelligenz. 

    Nun dürfte klar geworden sein, wie sehr mit Narrativen die Richtlinien der Politik bestimmt werden, durch die Macht der Bilder. Dagegen wiederum kann man sich nur verwahren durch ein wenig humanistische Bildung und durch Metaphorologie. Es macht aber auch Freude, ein solches Bild ernst zu nehmen wie ein Kind, um dann immer weiter zu fragen: Also wenn in der Natur die Zeit reichlich knapp ist wegen der Feinde und der dringend notwendigen Fortpflanzung, wieviel Zeit hat eigentlich eine Orchidee, wenn sie mit einer Innovation herauskommen möchte, um am “Markt” zu bestehen?

    Jean-Baptiste Barla: Flore illustrée de Nice et des Alpes-Maritimes, Iconographie des orchidées. Nice 1868.

    Also, wenn sich eine Orchidee eine Innovation hat einfallen lassen wie die, einen Hummelhintern zu simulieren, nebst dazu passender Pheromone, um Hummelmännchen rasend wild zu machen, so daß sie die Blüte begatten und dabei mißbraucht werden, um Bestäubungsarbeit für die Pflanze zu leisten, dann möchte ich gern wissen, wie lange Zeit die Orchidee hatte, den Hummelhinter doch einigermaßen echt hinzubekommen. Wenigstens fallen die Männchen einmal darauf herein, dann sinkt die Begeisterung statistisch gesehen rapide ab. 

    Genauso verhält sich das mit den Bildern, sie sind wie Zauberkünstler und machen uns was vor. Man sollte aber immer dorthin schauen, wovon man abgelenkt wird durch die Macht der Bilder. Es ist so schön, etwas verstanden zu haben, es ist aber schlimm, auf einem Holzweg zu sein. — Viele derer, die von Narrativen sprechen, meinen vor allem die manipulative Macht, die sie selbst nutzen oder vielleicht auch aufklären helfen. 

    Seit Goethes Zauberlehrling ist es offiziell, daß man die Geister, die man ruft auch wieder loswerden muß. Es ist eine Erfahrung, die jedes Kind macht, daß eine kleine Flamme nur ein wenig Nahrung braucht und schon wächst sie einem über den Kopf. — Man sollte also bei der Wahl der Metaphorik ganz besonders vorsichtig sein. Darum geht es eigentlich, wenn in der Diplomatie so schön verklausuliert von der Suche nach einer “gemeinsamen Gesprächsgrundlage” gesprochen wird, das sind die entscheidenden Narrative.  

    Wenn beispielsweise in der aktuellen Corona–Krise so etwas wie eine “moralische Pflicht” konstatiert wird, sich aus Gründen der “Solidarität” impfen zu lassen, dann steckt ein Narrativ dahinter, das man nicht wirklich teilen muß. Man kann nicht nur, sondern sollte zurückfragen, ob diese, unsere Gesellschaft denn ihrerseits solidarisch ist, oder nicht vielmehr betont lieblos. Nimmt sie denn die Rücksicht auf die Armen und Schwachen, denen es im Verlauf dieser Krise immer schlechter ergeht? Nimmt sie denn Rücksicht auf die Pflegekräfte und nicht vielmehr auf marode Verhältnisse im Gesundheitssystem, die sie selbst zu verantworten hat, als man Kliniken zu Spekulationsobjekten gemacht hat? 

    Der Zaubertrick, den man durchschauen sollte, liegt darin, bewußt die Unterschiede zu verdecken zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft kann und darf Solidarität ihren Mitgliedern abverlangen und sogar erwarten, eine Gesellschaft wie die unsere, kann es, je weniger sie vom Geist der Gemeinschaft beseelt ist, umso weniger. So erklären sich auch die Unterschiede im Staatsvertrauen. Die Nordländer sind nie so verführt, betrogen und mißbraucht worden von ihrem eigenen Staat wie die Deutschen. Da wäre mal Abbitte zu leisten. Die Sonntagsreden an den Kranzabwurfstellen der Republik sind inzwischen nicht mehr statthaft. Wer will das denn noch glauben, daß hier in unserem Lande die Grundrechte gewahrt werden, wenn sie bei der ersten Belastung ausgesetzt werden?

    Ganz anders, wenn es sich um wirkliche Gemeinschaft handelt. In der Afrikanischen Philosophie ist „Ubuntu“, der afrikanische Glaube daran, daß wir das, was wir sind, den Menschen um uns herum verdanken. — Während es hier bei uns nur eine Leihmutter, eine Nanny und eine Privatschule braucht, um ein Kind zu ‘erziehen’, nehmen Afrikaner bekanntlich ganze Dörfer dazu.

    So gesehen ist der ‘freie’ Westen einfach nur geistig–soziales Entwicklungsland. Wir sollten daher die Philosophie der Afrikaner endlich zur Kenntnis nehmen, dann würde es auch bei uns mit der Solidarität funktionieren. — Nur Gemeinschaften können Solidarität zu erwarten, Gesellschaften mitnichten.

    Daher steht in solchen Kulturen der Ausgang eines Rituals oftmals von vornherein fest, Beschlüsse können nur einstimmig gefaßt werden. Alles wird getan, auf daß bloß keine Antagonismen auftreten. Es soll und darf keine Verlierer geben. — Ein in diesem Zusammenhang beliebtes und instruktives Beispiel stammt von dem Ethnologen K. E. Read:
    “Als die Gahuku–Gama auf Neuguinea anfingen, Fußball zu spielen, konnten zwei gegnerische Klans tagelang um den Ausgang spielen — so lange, wie es notwendig war, um ein Unentschieden zu erzielen”. (K. E. Read: Leadership and Consensus in a New Guinea Society. In: American Anthropologist, 1959, N.S., 61 (3). S. 428, zit. n.: Heinz-Ulrich Nennen: Ökologie im Diskurs. Zu Grundfragen der Anthropologie und Ökologie und zur Ethik der Wissenschaften. Mit einem Geleitwort von Dieter Birnbacher; Opladen 1991. S. 51.)

    ‘Gewinnen’ bedeutet im Symbolismus solcher Kulturen ‘töten’. — Ich frage mich da immer: Wer sind eigentlich die Primitiven? 

    Metaphern sind fremde, eigensinnige aber auch hilfreiche Geister der Sinnstiftung, auf die wir angewiesen sind, weil wir ansonsten “nur Bahnhof verstehen”, wie jene Soldaten, die nur nach Hause wollten, also “Bahnhof” hören wollten. — Da wir nun einmal die Sachen nicht gleich durchschauen, sondern nur mit übertragenen Bildern indirekt deuten können, müssen wir uns behelfen mit Sprachbildern, Dialogen und Diskursen. 

    Der Jargon der Diplomaten in seiner trockenen, übersachlichen, minutiösen Kleinkariertheit läßt durchblicken, worauf es ankommt, wenn man sich auf eine “Formel” als “gemeinsame Gesprächsgrundlage” einigt, so daß bald die “Verhandlungen auf dieser Grundlage” beginnen können. — Die Wahl des Narrativs ist aber auch wie ein Gottesurteil, denn niemand weiß im Voraus genau, ob die gewählte Metapher für die eigenen Interessen die notwendigen Gelegenheiten bieten wird, um möglichst viel herausverhandeln zu können für die eigenen Seite. 

    Unsere Sprache ist ein Wunderwerk, bei dem wir uns zu behelfen wissen, um Sachen zur Sprache zu bringen, für die die Worte versagen. Es hat etwas mit Magie zu tun, dann zu sehen, wie ein Bild die Imagination augenblicklich gefangen nimmt und alles glaubt, urplötzlich zu verstehen. Dabei versteht man vor allem das Bild und glaubt, damit auch in der Sache weiterzukommen. Vorsicht!

    Wenn eine Metaphorik im Verlauf eines Gesprächs aus dem Ruder läuft und immer mehr in eine unerwünschte, nicht mehr konstruktive Richtung verläuft, dann sollte man das sagen und daraufhin vorschlagen, gemeinsam die Richtung zu verändern. Es ist wie im Netzplan einer U-Bahn. Wichtig ist, sich zuvor möglichst offen und höflich und dankbar von der nunmehr zu verlassenden metaphorischen “Linie” zu verabschieden.

    Sie muß offiziell verabschiedet werden, wie ein Geist, der ansonsten ungemütlich werden könnte. Auch kommen Zuhörer, die nicht ganz bei der Sache sind, mit abstrusen Rückfragen, worauf ein heilloses Durcheinander entstehen kann. — Daher trifft das Bild vom “Mitnehmen” solche Prozesse der Verständigung über Verstehen so gut. 

    Immerhin tut man sich da mit mächtigen Geistern zusammen, die erhebliche Probleme bereiten können und schnell eine gewisse Eitelkeit an den Tag legen, wenn sie nicht gewürdigt werden. Metaphern wollen im Geiste ihres Narrativ gewürdigt werden, es darf und kann daher nur das gesagt werden, was diesem Geist entspricht. — Wenn das aber beim besten Willen nicht geht, muß die Metaphorik ausgetauscht werden. Aber die anderen müssen dabei mitgehen, ansonsten wird man unter Umständen das Nachsehen haben. 

    Caspar David Friedrich: Das Eismeer (1823f.)

    Wer sich auf eine Metaphorik einläßt, verspricht sich etwas davon, also einen Gewinn von Verstehen, einen Zugewinn an Sinn oder vielleicht auch die Überzeugung Andersdenkender. Aber das kann alles scheitern. Es gibt daher zwei Metaphern, die unser Sein darstellen, die Metapher vom Theater und die von der Seefahrt. Dabei können die Planken, die beim Untergang bleiben, zu den Brettern werden, die die Welt bedeuten. 

    Narrative zu benutzen, ist abenteuerlich wie eine Seefahrt aufs offene Meer, was zu anderen Zeiten noch viel riskanter war. Die Risiken beim Metaphorisieren sind derweil nicht etwa kleiner, sondern eher größer geworden, weil unsere Ansprüche auf Begründungen selbst größer geworden sind.

    Wenn ein Redner seinen Schiffbruch erleidet, dann vermerkt das Protokoll im Bundestag darüber eine “allgemeine Heiterkeit” vor allem dann, wenn einer am Geist einer selbst gewählten Metaphorik scheitert, wie etwa der FDP–Abgeordnete Günter Verheugen, der eine etwas degoutante Vorlage von Joschka Fischer versuchte, in einen Treffer zu verwandeln aber ein Eigentor schießt: 

    “Immerhin gelingt es auch Günter Verheugen in seiner Rede, Kohl und das Hohe Haus zu amüsieren. Verheugen spricht kritisch von einem ‘Kanzler des Stillstands, der in sich ruht wie ein chinesischer Buddha’. Kohl ruft dazwischen: ‘Gefällt mir gut.’ Verheugen fassungslos: ‘Gefällt Ihnen gut?'” Man sieht, wie Kohl augenblicklich von der Regierungsbank zum Telefonhörer greift. 

    Minuten später erläutert Kohl, “warum er den Vergleich mit Buddha so schätze. Von der Regierungsbank aus habe er sich telefonisch informiert und aus einem Lexikon erfahren, daß Buddha als Persönlichkeit ‘sich durch Lebensernst, Sinn für das Wirkliche und Nötige, Mäßigung und Ausdauer’ ausgezeichnet habe. Jetzt muß selbst Verheugen lachen. Kohl bedankt sich für soviel Lob von der SPD und sagt: ‘So hat mich meine Partei nie verwöhnt.’ Was Buddhas Eigenschaften angehe, so sei er bereit, ‘all das zu akzeptieren’. Eine Einschränkung macht der Pfälzer jedoch: ‘Mit der Mäßigung hab’ ich gewisse Probleme, die teile ich mit dem Vorsitzenden der Grünen-Fraktion, eine der wenigen Gemeinsamkeiten. Kohl vergleicht sich im Parlament mit Joschka Fischer.” (Martin S. Lambeck: “So hat mich meine Partei nie verwöhnt”. Schlagabtausch mit Respekt: “Buddha” Kohl zwischen Fischers Häme und Verheugens “Lob”. In: Die Welt, 9.11.1995.)

    Die Titanic, die Metapher aller Schiffsmetaphern, als Inbegriff von Hybris und als Demütigung des modernen Größenwahns.

    Es gibt einige wirklich schillernde Bespiele für die Eigendynamik der Narrative und den Schiffbruch von Rednern. — Eine Metaphorik hat eben ihr Narrativ und dem muß man folgen. Wer einen solchen Geist ruft, wird sich nolens volens auf das Schicksal einlassen müssen, unmittelbar darauf nicht mehr wirklich der Herr des Verfahrens zu sein, so auch bei einer Begebenheit, die der Münsteraner Philosoph Hans Blumenberg erwähnt.

    “In der Haushaltsdebatte schildert ein Abgeordneter der Regierungskoalition den festen Kurs, den das Staatsschiff dank der koalierten Besatzung habe, und vergleicht die Opposition mit unruhigen Passagieren, die einen Nachholkurs in Navigation nehmen müßten, um eines Tages wieder auf die Kommandobrücke zu kommen.
    Zwischenruf der Opposition: ›Wir sitzen nicht in einem
    Boot.‹ —
    Redner: ›Ich spreche von dem Schiff unseres Landes, und
    dazu gehören Sie doch!‹ —
    Zwischenruf Wehner: ›Er ist ein blinder Passagier!‹ —
    Zwischenruf Opposition: ›Sie sitzen bald auf Grund, wenn
    Sie so weitermachen.‹ —
    Als der Redner seinen Vortrag mit nochmaligem Gebrauch
    der Metapher schließt: ›Weil dieses Schiff den richtigen
    Kurs hat und damit es weiterhin gute Fahrt macht …,‹
    bekommt er beim Abgang als letzten Ruf:
    ›Und Sie sind der Klabautermann.‹”

    (Hans Blumenberg: Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt am Main 1979. Anm. 5, S. 14.)

    Die Wahl der Metapher ist entscheidend, je nachdem erhält man Zuspruch vom Geist einer Metapher und ihrem Narrativ oder aber eine Abfuhr. Dabei haben wir die Wahl zwischen Hafen und offener See nicht wirklich. Betrachtet aus der unmenschlichen Langeweile im Paradiesgarten war die neue App vom Baum der Erkenntnis, also selbstständig zwischen dem Guten und dem Bösen unterscheiden zu können, einfach zu verlockend.

    Aber auch damals schon wurde das Kleingedruckte im Paradiesvertrag zu schnell weggeklickt, denn dort steht, daß es unendlich lang dauern könnte, bis Menschen zu Göttern werden, mit allem, was dazu gehört nicht nur an Mächten, sondern auch an Kompetenzen.

    Einstweilen sollte gut überlegt werden, ob man nun die “Ehe als Hafen” mit paradiesischer Langeweile betrachtet oder eher als “Seefahrt” mit der Aussicht auf Katastrophen. Der in allem sehr zurückhaltende Caspar David Friedrich hat lieber ein Seestück gewählt, denn er mochte sich erst spät überhaupt dazu entschließen.
    Caspar David Friedrich und Caroline Bommer verlobten sich im Jahr 1816. Mit seiner Berufung in die Dresdner Akademie im Dezember 1816 bekam der Maler 150 Taler Gehalt und konnte sich somit eine Familie leisten. Er war damals 42 Jahre alt.

    Bei dem Paar handelt es sich um den Künstler selbst und seine junge Frau Caroline Bommer. Friedrich galt zeitlebens als ,,menschenscheuer Melancholiker“. Umso größer war das Erstaunen seiner Freunde und Bekannten, als der 44–Jährige am 21. Januar 1818 die 19 Jahre jüngere Caroline Bommer heiratete. 

    Bei dem im Bild dargestellten Paar handelt es sich um den Künstler selbst und seine junge Frau Caroline Bommer. Die Hochzeit fand am 21. Januar 1818 in der Dresdner Kreuzkirche statt, ohne Friedrichs Verwandtschaft. — Der Ehemann setzte seine Verwandten erst eine Woche nach der Eheschließung per Brief darüber in Kenntnis, nachdem seine Frau ihn dazu gedrängt hatte. In dem Brief offenbarte er auch seine Anschauungen über den neuen Zustand der Ehe:

    „… meine Frau fängt bereits an, unruhig zu werden und hat mich wiederholt malen erinnert zu schreiben; denn auch sie will schreiben um mit ihren neuen Brüdern bekannter zu werden. Es ist doch ein schnurrig Ding wenn man eine Frau hat, schnurrig ist wenn man eine Wirthschaft hat, sei sie auch noch so klein; schnurrig ist wenn meine Frau mir Mittags zu Tische zu kommen einladet. Und endlich ist es schnurrig wenn ich jetzt des Abends fein zu Hause bleibe, und nicht wie sonst im Freien umher laufe. Auch ist es mir gar schnurrig daß alles was ich jetzt unternehme immer mit Rücksicht auf meine Frau geschieht und geschehen muß.“ (Zit. n.: Wikipedia: Caroline Friedrich.)

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    Demut schützt vor Hybris

    Hochmut kommt vor dem Fall

    Es ist mehr als nur eine Geste der Bescheidenheit, es ist auch eine Verneigung, wenn man konstatiert, bei aller Größe sei man selbst nun auch nicht voraussetzungslos. — Wie irre muß man eigentlich sein, das als Demütigung zu empfinden. Tatsächlich geht es um die Würde der Gesellschaft.

    Ähnlich irre meinen ja auch Vertreter der Wirtschaft, daß sie der Gesellschaft von Nutzen sei, einfach weil sie Geschäfte macht, um dabei die Infrastruktur, die Bildung, das Rechtsystem und die Infrastruktur einfach kostenlos zu nutzen. Wieso soll man sich denn an den Voraussetzungen beteiligen?

    Das ist auch die wirklich gemeingefährliche Vision der Superreichen, die offenbar dabei sind, genau diese Dystopie wirklich werden zu lassen. — Die Gated community, die geschlossenen und bewachten Wohnanlagen, in denen Privatrecht herrscht, sind bereits das erste Zeichen dieser unheilvollen Entwicklung. Dort gibt es ja schon Privatpolizei, wie wäre es denn mit einem eigenen Rechtssystem?

    Es ist ein Gebot von Demut und Bescheidenheit, generell anzuerkennen, daß das, was man ist, kann und geleistet hat, ob Gewinn oder Verlust, Sieg oder Niederlage, im Zweifelsfall den Göttern oder sonstigen höheren Mächten zu verdanken ist. Wo das nicht geschieht, dort wird es immer gefährlicher, denn dann kommt Hybris auf. Das ist nicht nur Hochmut, sondern Dummheit, weil man sich und die eigenen Kompetenzen dabei ganz erheblich überschätzt. Natürlich muß es dann zu Katastrophen kommen.

    Die Demutsformel von den „Voraussetzungen, die man selbst nicht geschaffen hat“, muß wirklich von Herzen kommen. Denn dann versteht man sich als das, was man ist, ein ziemlich kleines Teil eines reichlich großen Ganzen, das man nicht nur nicht in der Hand hat, sondern zumeist nicht einmal versteht. Ich empfehle zunächst eine Roßkur mit Luhmann–Lektüre gerade für Weltverbesserer, wie ich selbst einer bin. Und darüber hinaus muß auf jeden Fall sehr viel mehr Philosophie in die öffentlichen Debatten, denn es ist einfach ganz schrecklich, was da so tagein tagaus an Böcken geschossen wird. Als würde neuerdings mangelndes Denken belohnt.

    Es besteht die Gefahr, daß man mit dem besten Willen und noch besseren Absichten ganz schlimmes Unheil anrichten kann. — Daher hat man die Gewaltenteilung erfunden und den Monotheismus auf der Ebene von Staatstheorie und Rechtsphilosophie schon seit langem überwunden. Nur, daß die Leute es nicht verstehen, weil sie größtenteils noch in Märchenwelten leben. Immerzu wird gequatscht, wie im Kindergarten, es sollten für alle dieselben Regeln herrschen, das müsse doch alles zentralistisch, aus einem Guß, ohne Ausnahmen, selbstverständlich mit hartem, härtestem, ach, drakonischen Maßnahmen. Seufz. — Nein!

    Das Gegenteil ist richtig. Auch Schwarmintelligenz braucht erst einmal Zeit, sich zu entwickeln und eine gute Pädagogik, die Gelegenheiten schafft, daß sie sich auch entfalten kann.

    Was tut man, das Gegenteil. Jetzt soll auch noch telegram verboten werden, so wie es den totalitären Staaten nun auch nicht gefällt, daß die Leute einfach so, also unkontrolliert miteinander reden. Sorry, geht es noch?

    Das Gegenzeit ist richtig! Es soll eine argwöhnische und eifersüchtige Feindschaft zwischen den staatlichen Gewalten herrschen! Es soll, darf und kann nicht alles in einer Hand liegen. – Diese Lektion sollten alle aus der Geschichte längst bezogen haben.

    Wieso kommt das Gesundheitsamt in Mainz dieser Tage einer Bitte der Polizei nach und simuliert einen Infektionsfall, um an Daten der Luca-App zu kommen, um eine Straftat aufzuklären? Ich habe meine Teilnahme nunmehr deinstalliert. — Wer „pragmatisch“ wird, ist nur ein Mensch ohne Prinzipien und sollte gar nicht in Staatsdienste übernommen werden. Wo zum Pragmatismus aufgefordert wird, wollen Leute pfuschen und nur das. Warum, weil sie die Demutsformel nicht beherrschen.

    Das Leben ist komplizierter und auch das Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft, Gemeinschaft und Identität ist es. Es ist einfach grober Unfug, wenn so getan wird, Gesellschaft und Staat, das alles sei dasselbe. Nein, ist es überhaupt nicht! – Im Prozeß der Zivilisation haben Könige kleine Häuptlingstümer unterworfen und in Gesellschaften gezwungen. So sind die ersten Staaten entstanden.

    Staaten sind in diesem Sinne noch immer die Unterdrücker ganzer Gesellschaften und die Unterjocher von Gemeinschaften, die dann als Minderheiten tituliert und darüber hinaus verunglimpft und entmenschlicht werden. Das sieht man allenthalben aber nun auch immer unverblümter im angeblich freien Westen. Im Westen galt bisher noch ein gewisser Stil.

    Der Staat lebt nicht für, sondern von der Gesellschaft, ebenso wie die Wirtschaft. Sie ist die Kuh, die alle besitzen, melken und am liebsten schlachten würden.  

    Im wohlverstandenen eigenen Interesse ist jedoch wärmstens zu empfehlen, sich die Demutsformel zu Herzen zu nehmen. Denn ein Parasit ohne Wirt sieht alt aus. Es wäre viel klüger, wenn der Parasit zum Symbionten wird. Genau das steckt ja auch hinter der Gewaltenteilung. Und dieses Theater wird auch schon häufig inszeniert. Es kommt aber noch immer nicht von Herzen.

    Die uralte Brutalität, die übrigens erst mit der Zivilisation in die Welt gekommen ist, schlägt noch immer durch. — Daher nun mal kein historischer Vergleich, sondern eine Allegorie.

    Der Staat ist ein Schläger, immer schon, ein brutaler Ausbeuter und nicht eben ein Freund der Gesellschaft, sondern ihr Unterdrücker, eigentlich  ihr Zuhälter. Natürlich ist diesem am Wohlergehen seiner „Liebste“ gelegen. — Aber wie macht man daraus allmählich ein ausgewogenes Verhältnis?

    Wie oft ist es allein in den letzten 200 Jahren dazu gekommen, daß der Staat die Gesellschaft mißbraucht, geschändet, verkauft, geschädigt, ausgebeutet, erniedrigt und auf den falschen Weg geführt hat? Heraus aus dem Glück und der Hochkultur in der Aufbruchstimmung um 1900, hinein in den Krieg. Warum? Weil eine „Elite“ keine Demokratisierung wollte. — Moderne ja, aber nur nach militaristischer Manier, später dann als Faschismus. Man will die Vorzüge, aber nicht die Nachtteile, nämlich „mehr Demokratie“ wagen.

    „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ (Perikles, um 500 – 429 v. Chr., athenischer Politiker und Feldherr, Quelle: Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges.)

    Genau das spielte sich damals ab im alten Athen, als die Griechen sich gegen die übermächtigen Perser wehren mußten. Sogar das Orakel von Delphi lag falsch. Natürlich war es unwahrscheinlich, daß die Griechen das durchstünden. Aber es gab da einen Mann namens Perikles, ein begnadetet Stratege und Rhetor, der dafür sorgte, daß der gemeine Mann auf eigene Kosten mit in den Krieg zog und nicht nur der Adel, der ja im Zweifelsfalle doch ein wenig schwach ist, wenn es wirklich darauf ankommt.

    Aber und das ist der Gag: Also forderte der gemeine Mann dann aber auch bei der Herrschaft im Staat mitzuwirken. So entstand die erste Demokratie, in der nicht in Ämter gewählt wurde, sondern sie wurden verlost und es war Pflicht, dem nachzukommen. Man sollte vielleicht wieder das Los entscheiden lassen, dann hätte das Glück wenigstens eine Chance.

    Das Bundesverfassungsgericht trägt den größten Teil der Verantwortung für den Niedergang der Demokratie in der Corona–Krise, für die Spaltung der Gesellschaft und dafür, daß die Politik inzwischen über Hecken und Zäune geht. Es wäre an der Zeit gewesen, die Demutsformel in Erinnerung zu rufen und zu konstatieren, daß der Zweck die Mittel nicht heiligen kann, wenn es gegen Grundgesetze geht und einfach alles, was heilig ist.

    Franz von Stuck: Dissonanz (1910).

    Hätte das nicht mehr ehrenwerte Gericht doch die Politik in Grenzen verwiesen. Das hätte die Politik entlastet, denn sie hätte immer sagen können, es seien ihr nun mal die Hände gebunden. Sie könne nur und müssen daher mehr Eigenverantwortung wagen, der Staat wäre darauf angewiesen, daß die Gesellschaft ihm Voraussetzungen schafft, die er nicht herbeizwingen kann.

    Schön wäre es gewesen, wir hätten dann eine Zivilgesellschaft mit Achtung vor dem Gesetz und der Gesellschaft und vor Andersdenkenden bekommen. Wir hätten eine Solidargemeinschaft, die heute nur noch angeführt wird, um Druck gegen Andersdenkende zu erzeugen. Wir hätten den Schritt vom Obrigkeitsstaat in die Zivilgesellschaft geschafft, das wäre nach 1989 so etwas gewesen wie eine Metamorphose. Aus der häßlichen Raupe der Deutschen wäre ein Schmetterling geworden…

    Klingt das zu naiv, nun, naiv sind vor allem die Moralisten dieser Tage, denn sie geben vor, alles abzuwägen, dabei sind sie nur Denkverweigerer. Und so fragt man sich: Was ist schlimmer, Querdenken oder Nichtdenken?

     

     

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    Berühren verboten!

    Aber Gedanken sind frei

    Der Verlust an Nähe ist das eigentliche Problem. Ein Eisberg, von man die Tiefen nur ahnen kann.

    Seit Ischgl wissen wir, es kommt auf die Viruslast an. Man infiziert sich kaum im Vorbeigehen, auf die Gefahren der Nähe kommt es an.

    Kultur ist am Feuer entstanden. Vorne wird man gut angebraten und von hinten friert es. Also rückt man noch näher aneinander und reibt sich gegenseitig den Rücken. Und dazu werden berauschende Substanzen gereicht. Man starrt wie hypnotisiert ins Feuer, öffnet sich dem Anderen, dann wird erzählt…

    So sind die ersten Geschichten der Menschheit ausgetauscht worden. Und während man da so sitzt, kreisen drumherum die Ungeheuer. Wohlige Schauer laufen über den Rücken. Das ist Geborgenheit.

    Und dann steckt man die Köpfe zusammen. Wie oft saßen wir nächtelang schwitzend beieinander. Im Nebel aller erdenklicher Körperausdünstungen.  Menschen sind Säugetiere, sie machen sehr viel mit der Nase. Auch die Wahl von Partnern und Freunden geht über den Geruch.

    Aber jetzt traut man sich nicht einmal mehr, die Nasenflügel zu blähen. Es liegt womöglich Corona in der Luft. Also besser nicht allzu tief und frei atmen. Als wäre Nähe inzwischen nur noch etwas für Lebensmüde.  

    John Collier: Circe (1885).

    Was der Verlust an Nähe mit den Menschen macht, dürfte ebenso gefährlich sein, wie die Ängste, die Kinder in den Suizid treiben. Wie soll man Kindern, Dementen und Sterbenden erklären, daß Nähe gefährlich geworden ist.

    Es ist, wie eine Umprogrammierung. Man soll Nähe zulassen, sich berühren lassen, empathisch sein, andere auch gern einfach umarmen, weil es mehr ist als eine Geste, es ist ein Bekenntnis der Mitmenschlichkeit.   Und jetzt?

    Das ist wohl der Grund, warum der Haß immer größer wird.

    Berühren verboten! Nähe ist verdächtig geworden.

    Kultur ist Nähe, also gefährlich. Denken sowieso.

    Aber Philosophie findet im Kopf statt. Die Gedanken sind frei.

     

     

     

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    Verstehen

    Über Sacha Lobos „Denkpest“

    und die Steingärten des Denkens

    Hannah Arendt stellte sich im Interview mit Günther Gaus vor mit dem Satz: „Ich will verstehen!“ Das spricht mir aus dem Herzen. Ich muß, was ich verstehen will, überhaupt nicht teilen und derselben Meinung sein. Ich muß es nur nachvollziehen können, denn Verstehen ist eine Art Mit–Sein. Nicht–Verstehen, Unverständnis, Falschverstehen, Mißverstehen, das alles ist problematisch und gewissermaßen unphilosophisch.

    Sollten wir nämlich auf falscher Grundlage zu einem Urteil oder zu einer Reaktion gelangen, ist das alles natürlich auch falsch. Wir hätten dann ja rein gar nichts verstanden, glaubten aber dennoch, darüber auch noch abschließend urteilen zu können.  Die Kunst des Zuschauers verlangt daher, ohne Ansicht der Person, der Partei und auch ohne Ansehen der eigenen Vorurteile möglichst alles in Betracht zu ziehen.  

    In der Denkpraxis ist das binäre Kodieren, wonach alles entweder ganz wahr oder ganz falsch ist, natürlich völlig naiv. Es gibt immer irgendein Fünkchen Wahrheit und sei es noch so klein.

    Ein Wort von Sacha Lobo dieser Tage läßt tief durchblicken und erahnen, wie militant Parteilichkeit praktiziert wird. Er spricht allen Ernstes von der „Denkpest“ dieser Tage. Er meint wohl, andere sollen nicht so viel nachdenken, es sei denn, man dächte das Denken der Vorbeter, wie er einer ist. Denken ist aber nun mal kein Nachbeten.

    Ich habe mehrfach in meinem Buch ernsthafte Versuche unternommen, den Gipfel der Verschwörungstheorien zu erklimmen, den QAnon-Mythos. Der Mega–Plot hat was, denn wir leben ja angeblich darin.

    Das ist ja alles auch spannend: Also, in der Nähe des einzig wahren Präsidenten Trump soll sich ein gewisser Herr Q aufhalten, der wie ein guter Geist diesem gescheitesten aller Präsidenten dabei helfen soll, den „Deep State“, den Sumpf einer verschworenen Elite und das ganze Machtkartell ihrer Privilegien auszutrocknen. Anweisung von der Regie: Bitte nicht darauf achten, daß Trump doch selbst einer von denen ist…

    Generalanweisung der Regie: Generell bitte nicht zu sehr auf Widersprüche und vor allem nicht auf Selbstwidersprüche achten. Auch das Ockhams Rasiermesser, also das Prinzip der Denkökonomie, darf vorerst nicht zum Einsatz kommen! Es gibt eine ganze Reihe philosophischer Methoden, die bei diesem Selbstversuch nicht zum Einsatz kommen dürfen, will man den Gipfel dieser Verschwörung erklimmen.

    Die Kunst des Zuschauers macht es erforderlich, jede beliebige Perspektive einnehmen zu können, also auch solche. Es ist allerdings abenteuerlich, dort überhaupt hinzugelangen. Am besten versorgt man sich gleich zu Beginn dieses Weges mit passenden Allegorien. Zum Beispiel wirkt der Weg, um auf den Berg dieser Verschwörung zu kommen, eher märchenhaft. Es scheint, als wäre es eine verrückte Welt, besser noch, als wäre es nicht wirklich diese Welt, sondern eine mit sehr viel Phantasie und Absurditäten.

    Das fiel mir auf, als ich heute einen Artikel las über diesen QAnon–Schamanen beim Sturm auf das Kapitol. Ich habe sodann versucht, mir   aus seiner Perspektive   seine Motive zu eigenen zu machen, ohne sie zu teilen. Ich will einfach nur verstehen, wie man ticken muß, um wie er zu sein.

    Es sei kein Angriff auf dieses Land gewesen, das sei nicht sein Motiv, sagte Jake Angeli dem US-Sender CBS News in seinem ersten Interview nach seiner Verhaftung. „Ich habe ein Lied gesungen, das ist Teil des Schamanismus. Es geht darum, positive Energie in einer heiligen Kammer zu erzeugen“. Seine Absicht sei es gewesen, „Gott zurück in den Senat zu bringen“. Deswegen habe er dort „ein Gebet gesprochen.“ Nun das klingt subjektiv glaubwürdig.

    Er wußte also, daß er einen Ort mit großer Bedeutung doch eigentlich als Unberufener einfach so besetzt und damit doch vielleicht eher selbst entweiht hat. Ich hätte nicht übel Lust auf einen Disput mit ihm genau darüber.

    Übrigens kommen jetzt gewiß bei einigen Nicht–Facklern und Durchgreifern die üblichen Formulierungen auf wie: „Spielt doch keine Rolle, was er sich dabei gedacht hat. Ab ins Gefängnis und Schluß mit der Debatte!“

    Vorsicht, das Bild dieses singenden QAnon–Schamanen ist zur Ikone geworden, vielleicht auch, weil es das schlechte Gewissen bedient, den indianischen Ureinwohnern gegenüber. Diese Bildikone ist in aller Köpfe und wirkt, auch auf die stolzen Besitzer von Steingärten des Denkens, in denen garantiert nichts mehr wächst.

    Aber genau darum geht es doch eigentlich: Gedanken anzuzüchten wie in der Infektiologie, um zu sehen, was sie eigentlich für welche sind. Und natürlich treffen auch Philosophen ihre Schutzmaßnahmen.   Ich muß zugeben, daß das Verstehen-Wollen manchmal etwas zu viel wird. Mir ist mehrfach wie bei einem kollossalen Systemfehler das ganze Denken zusammengebrochen. Ratsam wäre es, wenigstens nicht auch noch an den Ästen sägen, auf denen man gerade sitzt.

    Nun macht das Verschwörungsdenken ja deswegen so große Probleme, weil man es „nachwollziehen“ will, um es aus seiner Perspektive zu verstehen, weil aber immerzu behauptet wird, das alles sei wirklich wirklich wirklich. Also das mit der Pizzeria, in deren Keller kleine Kinder verkauft werden, das mit der Schuppenhaut von “Bill Gates”, den ich in seiner Rolle als angemaßter Weltgesundheitsminister völlig inakzeptabel finde, das mit dem “Deep State” oder auch das mit dem “Great Reset”, also dem „Menschenaustausch“. 

    Alle diese Theoreme bringen denkerisch ganz erhebliche Belastungen mit sich, es sind Attacken, die schnell zur Systemüberlastung führen, so daß zusammenbrechen muß, was eigentlich obligatorisch wäre. Das macht die Gespräche mit aktiven Verschwörungstheorie–Anhängern so schwierig, weil man schnell konfus wird darüber, daß sie von eins aufs andere kommen. Alles hängt mit allem zusammen, gewiß, nur sieht man es auch beim besten Willen nicht. 

    Mein Lieblingssatz aus der Ethologie lautet folgendermaßen: Der Schamane Katka sieht auf einem Baum eine Hexe. Ich sehe, wie Katka die Hexe sieht, sehe aber selbst die Hexe nicht. Nun damit sollte man schon klarkommen, als Ethnologe und auch als Philosoph.

    Mit dem hypothetischen Für-Wahr-Halten ist das so eine Sache. Da irren die Steingarten-Besitzer nicht. Und die Denkpest von Sacha Lobo fordert tatsächlich ihre Opfer, wenn man denn keine Methoden hat und noch dazu die Hosen voll. Es könnte sich ja irgendwas Ungeheuerliches als wahr herausstellen und was dann? Daher die Steingärten, in denen gleich gar nichts wächst. 

    Aber ich habe mich nie damit zufriedengegeben, nur über Verschwörungstheorie zu reden und mich darüber billig zu amüsieren. Ich habe es mehrfach und immer wieder anders versucht, obwohl so ein Breakdown ziemlich viel kostet. Es dauert, bis man danach einigermaßen auf der Höhe ist und sich wieder selbst über den Weg trauen kann, von wegen: All Systems Running.

    Ich hatte bereits bei vorangegangenen Untersuchungen feststellen können, daß manche der Ereignisse, von denen in den Verschwörungs–Theoremen gesprochen wird, tatsächlich in der Menschheitsgeschichte vorgekommen sind, wie etwas der “Menschen–Austausch”, etwa mehrfach durch die Pest oder auch durch die Sintflut, also den Einbruch des Schwarzen Meeres, was inzwischen nachweisbar geworden ist.

    Mit der Hypothese, daß wir das alles präsent haben im kollektiven Unbewußten, läßt sich dann auch nachvollziehen, warum diese Horrorvorstellungen präsenter erscheinen als sie es sind. Das ist dann auch der entscheidende Aspekt, daß so etwas stattfinden kann und auch bereits geschehen ist, daß man aber   jetzt kommt Ockhams Rasiermesser doch zum Einsatz nicht ohne weiteres behaupten darf, daß beispielsweise jetzt der “Great Reset” wieder unmittelbar bevorstünde.

    Man macht diese Behauptung gern fest anhand eines Appells von Klaus Schwab, dem Leiter des Bonzenfestivals in Davos, genannt Weltwirtschaftsforum. Auch da läßt sich die Perspektive durchaus übernehmen. Es ist vom „Great Reset“ die Rede, weil es um die menschengemachte Welt ökologisch, ökonomisch und politisch überhaupt nicht gutsteht. Es braucht in der Tat einen Kurswechsel, ein Update, einen Reboot, um die Metapher voll zur Geltung zu bringen. Aber nun anzunehmen, es käme dabei auf einen Gen–Austausch etc. an, ist reichlich bei den Haaren herbeigezogen und bedürfte daher eigens einer hinreichenden Begründung, warum das denn doch gelten soll, warum diese Behauptung glaubhaft sein soll.

    So weit so gut. Das genügt mir aber noch nicht, denn es ist noch nicht hinreichend für das Verstehen. Bis ich heute darauf kam, wie man auch und ganz bewußt mit Verschwörungstheorien umgehen könnte.

    Es sind Träume. Daher haben sie alle Rechte von Träumen und so gut wie keine Pflichten. Denn Träume machen ja nun wirklich, was sie wollen. Und dabei regen wir uns auch nicht darüber auf, daß sie wirr sind, unrealistisch, blödsinnig und sonstwie für den hemdsärmeligen Intellekt einfach ein Ärgernis, weil er nicht weiß, wie und wo er anpacken soll.

    Anders geht damit jedoch unser Geist um, über den wir auch verfügen sollten, falls wir keine stolzen Steingarten–Besitzer sind und auch nicht Sacha Lobo heißen. Der Geist kann mitunter Träume deuten, und das ist die Lösung des Problems. Es sind „Träume“, zumeist Horrorträume, oft ohne Sinn und Botschaft aber auch das ist ja nun etwas, das wir den Träumen zugestehen müssen. Wir sollten die Zeichen darin sehen und erkennen, um ihnen die Bedeutung zuzugestehen, wie wir sie manchmal auch Träumen geben, wenn sie uns etwas zu Verstehen geben, zumeist auf symbolischer Ebene. 

    Am Ende kommt es darauf an, was der Zuschauer im Rücken des Zuschauers sieht. Was er glaubt, ganz allmählich verstehen und dann sogar auch in eigenen Worten vertreten zu können. Das ist dann wiederum der Abstieg aus den massiven Gebirgen unserer Phantasien, die wer weiß wo in den unendlichen Weiten unseres Unbewußten zu besuchen sind, denn dort sind sie in der Tat „real“.   

    Es liegt an den Grenzen der Sprache, denn zumeist fehlen einfach die Worte. Und im übrigen regelt die Grammatik das Privileg der Phänomene generell, ob sie für die Wirklichkeit überhaupt in Frage kommen. Wir können aber nun unser Denken nicht erweitern, wenn wir uns von der Grammatik das Denkmögliche vorbeten lassen. Die deutsche Sprache hat einige Entwicklungen noch nicht genommen. Sie verfügt über keinen Irrealis als eigenständigen Modus, jedoch über das Konzept.

    Der Konjunktiv II kann dazu benutzt werden, einen Irrealis der Gegenwart und einen Irrealis der Vergangenheit zu bilden, der als irreales bzw. unerfüllbares Konditionalgefüge erscheint:

    Wenn ich gedanklich reich wäre, also keinen Steingarten des Denkens hätte und auch nicht Sacha Lobo hieße, böten sich mir mehr Möglichkeiten des Verstehens. (Irrealis der Gegenwart, mit Konjunktiv II)

     

     

     

     

     

     

     

     

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    Querkopf II

    Worum es geht? Darum, daß wir alle selbst denken

    Als das Orakel von Delphi mit dem Spruch herauskam, Sokrates sei der Weiseste unter den Athenern, hatte er nichts Besseres zu tun, als daran zu zweifeln.   Jetzt müßte der Chor des Mainstreams energisch ausrufen: Das ist Gotteslästerung gegenüber Apollon, dem Herrn des Orakels zu Delphi!

    War es das? Vielleicht ja, vielleicht nein. Wir wissen nicht, was Apollon gesagt hätte.

    Aber Sokrates hatte nun einmal nicht den Eindruck von sich, wirklich weise zu sein. Also „testete“ er alle anderen, von denen er annehmen mußte, sie verstünden wenigstens was von ihrer Sache und da er nun mal von gar nichts was wußte, mußten sie ja nun nachvollziehbar auch als weiser erscheinen. Er hat dann ganz Athen gegen sich aufgebracht, aber das ist eine längere Geschichte…

    Das bei derartigen Untersuchungen etwas Überraschendes herauskommt und eben keine Petitio Principii, ist ja der Grund, warum man sich überhaupt solcher Mühen unterzieht, an allem zu Zweifeln. Und Descartes als Vater der Methode des systematischen Zweifels hatte zeitlebens Angst vor der Inquisition.

     Man wird aber auch immer mal wieder belohnt dafür, sich mit Zweifeln abzugeben.

    Erst so kommt man zur eigenen Sicht, zu Inspirationen, zu Vorstellungen, daß irgend etwas auch ganz anders gesehen, gewesen oder sein könnte. Das ist der Moment, wo im Krimi der Kommissar nach der vermeintlichen Lösung des Falles einem entsetzten Kollegen sagt: Das war zu einfach, wir fangen jetzt noch einmal von vorne an!

    Mir ist nun derweil tatsächlich etwas Überraschendes untergekommen, als ich versucht habe, dahinterzukommen, was denn wohl die Motive der Impfverweigerer sein könnten. So arbeite ich und das ist meine Methode: Man glaubt einfach alles, tritt gutwillig wie ein Kind voller Vertrauen heran und versucht alles nachzuempfinden, um aus der Perspektive des Anderen einfach nur zu verstehen. Dabei muß man die Einstellung nicht wirklich übernehmen oder gar teilen. Es genügt bereits, die Beweggründe nur nachvollzogen zu haben.

    Als Philosoph weiß ich nun wiederum aus Erfahrung, daß die meisten Thesen schon bei der Vorstellung in sich zusammenbrechen, sie können sich einfach nicht halten aus vielerlei Gründen. Oft haben sie gar kein Fundament. Sobald sie stabil erscheinen, mache ich Belastungstests wie die Brückenbauer es tun. Ich will genauer wissen, wie belastbar eine These ist und wann sie, unter welchen Umständen, wie schnell kollabiert.

    Das Besondere an den allseits verteufelten Ungeimpften scheint mir zu sein, daß sie es sich nicht leichtgemacht haben, zu ihrer Entscheidung zu kommen und dann auch dazu zu stehen. Mich reizt immer die Qualität von Begründungen, daher teste ich möglichst vieles tagtäglich auf philosophische Dignität. Ich teste nicht auf Kompatibilität zu den Glaubensbekenntnissen des Mainstreams. Da interessiert mich vieles andere, etwa, woher diese Kirchengläubigkeit kommt, die jetzt „die“ Wissenschaft zum einzig wahren Glauben erklärt und in allen Zweiflern nur gemeingefährliche Ketzer sieht.

    Es geht um sehr viel mehr in der Corona-Kris. Und auch beim Philosophieren geht es um alles. Das Ganze ist immer das, was man mit Spekulationen andauernd in Erfahrung zu bringen versucht, das Ganze ist die Vernunft. Die vielbeschworenen Rationalitäten, im Plural, stehen immer nur für einen Teil des Ganzen.

    Meinen vielen Untersuchungen zufolge ist es die Aufgabe der Vernunft, Modell–Vorstellungen vom großen Ganzen zu entwickeln. Also wann wäre etwa eine Expertenrunde vollständig, welche Positionen müssen einfach vertreten werden? Das war mein Job in der Technikfolgenabschätzung über viele Jahre, so etwas zu organisieren, zu moderieren und den Diskurs darüber zu initiieren. Wenn ich dagegen heute sehe, wie engstirnig, ja hochnotpeinlich einseitig die öffentlichen Debatten verlaufen, dann bin ich auf der falschen Party.

    Wir haben es, so meine Diagnose, mit multiplen Systemversagen zu tun, was nicht hätte müssen sein. Die Hauptlast der Verantwortung liegt beim Bundesverfassungsgericht und dann bei den Medien, weil sie von Anfang an in Konkurrenz zum Internet auf Eskalation gesetzt haben. Die Politik hat sich verführen lassen, den großen Zampano zu geben.

    Genau davor hat der heilige Niklas (Luhmann) immer gewarnt, zu glauben, man könnte den Autopiloten der Systeme mal abschalten und auf Handsteuerung gehen. Sorry, die Pilotenkanzel ist unbesetzt! Ja es gibt sie nicht einmal, die Hebel der Macht. Da irren viele derer, die wirklich was dafür geben würden, wenn es die eine Geschichte von dem einen Bösen, also vom Haupt der Verschwörung wirklich gäbe, so wie bei James Bond, den ich deswegen mit Eifer schaue, weil er so rein gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.

    Philosophie ist die Mutter aller Wissenschaften, daher haben wir auch einen Zugang zu allen Disziplinen. Als sie sich emanzipiert haben, um selbständige Wissenschaft zu werden, haben sie die radikalsten Fragen in der Philosophie zurückgelassen. Daher und daran läßt sich zu jeder Zeit sehr leicht anknüpfen. Wir haben jeder Zeit jeden Zugang.  

    Aber Philosophie ist auch eine Wissenschaft, was mich damals, als ich anfing, schwer begeistert hat, daß sogar die Denkfehler einen Namen haben, wie gute alte Bekannte.   Aber Philosophie ist auch Literatur, also arbeitet sie mit Metaphern, Mythen, mit allen erdenklichen Motiven für Idealvorstellungen, wie es die Götter für uns sind.

    Worum es geht? Darum, daß wir alle selbst denken, auch auf die Gefahr hin, schief angesehen zu werden, was man sich denn wohl einbildet. Das ist nun mal der Preis. Und im übrigen besteht die Gefahr, ganz enorm daneben zu liegen.

    Vieles ist eine Frage der Methode, und es gibt ein paar ziemlich gute Methoden. Ich bezeichne eine davon als die „Kunst des Zuschauers“, die andere als „Philosophie in Echtzeit“. Und über allem hängt als Damoklesschwert der Leitspruch meiner Philosophie: Und hättest Du geschwiegen, wärst Du Philosoph geblieben!

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

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    Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

    Über Menschenwürde und Impfzwang

    Viel war immer von „Würde“ die Rede, gerade in Deutschland. Dieser Begriff war wie ein Fetisch, man hob ihn sehr hoch und höher. Aber den allermeisten war das Gemeinte so faßbar wie die Begriffe Leib und Seele.

    Und da nun die „harten“ Wissenschaften keinen Zugang haben zu alledem, ist es eigentlich schlecht bestellt um das,  was gemeint sein könnte. Allenfalls wird widerwillig noch so etwas wie Psyche zugestanden aber dann auch nur mit einem Manko. Wenn etwas „psychologisch bedingt“ ist, dann ist es zugleich „nur psychologisch“.   Es ist gewissermaßen grundlos, weil es ja nun keine „kausale“ Ursache gibt, oder?

    Das ist der bornierte Materialismus einer Kultur, die inzwischen gefährlich geistlos geworden ist, wie sich an der aktuellen Debatte um den Impfzwang zeigt.

    „Würde“ ist unfaßbar für alle diejenigen, die meinen, es gäbe nur eine einzige Wahrheit, nämlich diejenige, die sich in Zahlen messen und naturwissenschaftlich thematisieren läßt. Ja und Liebe wird zur Hormonstörung, ist es nicht so? Und Schönheit kommt von außen, tausend InfluencerInnen können nicht irren?

    Alles, was nicht ins Prokrustenbett dieser Unbildung paßt, wird passend gemacht. Das geht so weit, daß BiologInnen in den Talkshows der Republik unwidersprochen zwischen Glauben und Wahrheit unterscheiden, um dann “die Wahrheit” für sich zu reklamieren. Und alles andere ist Hokuspokus? – Ich muß doch sehr bitten.

    Das Niveau ist inzwischen unterirdisch. Die so scheel beäugte Psyche geht gerade über Hecken und Zäune. Es geht schon längst nicht mehr um körperliche Gesundheit. Wir haben es mit einer Massenhysterie zu tun, die nun Sündenböcke braucht, weil aus alledem, was man sich versprochen hat, durch Impfen wiederzugewinnen, nichts wie erwartet gekommen ist.  

    Dabei wurde von Anfang an rücksichtslos alles ins Opferfeuer geworfen, ob es das Seelenheil von Kindern ist, denen man sagte, sie würden den Tod bringen oder die Würde der Sterbenden und Dementen, die ohne jede menschliche Berührung wegdämmern und sterben. Die Liste ist inzwischen unübersehbar, was da an Schäden angerichtet worden ist.

    „Würde“ ist ein höchst intimes Selbstverhältnis zwischen Ich und Selbst, Körper und Psyche, Leib und Seele, Sinnlichkeit und Geist. Es ist dieser seltsame Widerspruch, daß wir von den einen nicht einmal flüchtig berührt werden möchten, während wir uns den anderen mitunter vorbehaltlos hingeben können. Das hat etwas mit einem Vertrauen zu tun, das nicht eingefordert werden kann.

    Was haben wir denn für Bilder im Kopf, wenn „unser Körper“ gerade mit etwas ringt? Das sind Narrative, die wir uns durch den täglichen Wissenschaftsjournalismus einfangen. Als ob das alles wäre, um zu sagen, wer und was „wir“ denn so alles „sind“.

    Naiv sind weniger die der Esoterik Verbundenen, sie versuchen wenigstens eigene Worte zu finden für dieses Intimverhältnis. Während die anderen nur ihre Geistlosigkeit demonstrieren und einen längst arbeitslos gewordenen Kirchenglauben nunmehr auf „die“ Wissenschaft richten, ja welche denn?  Es gab zu allen Zeiten einfache Gemüter und diese wußten darum. Nur, inzwischen halten sich diese auch noch für aufgeklärt, wenn sie daran gehen, andere zu belehren, um sie auf den richtigen Glaubensweg zu bringen.

    Der Mensch lebt nicht vom Brot allein und das Leben ist der höchsten Güter nicht; vieles, unendlich vieles ist schon gesagt worden darüber, daß es Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, zwischen Körper und Geist, von denen sich unsere Wissenschafts–Weisheiten nun wirklich nicht einmal eine Vorstellung machen können.

    Alle diese Schuster sollten bei ihren Leisten bleiben, denn es ist zwischen Technik– und Naturwissenschaften einerseits und zwischen Geistes– und Kulturwissenschaften andererseits zu unterscheiden. Und die Borniertheit mancher Fachvertreter und ihrer Nachbeter sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir es mit einer komplexen und auch tiefgründigen Wirklichkeit zu tun haben.  Wir haben eine Innenwelt, die es mit den unendlichen Weiten des Kosmos spielend aufnehmen kann, wenn man bedenkt, wer und was in unserer Phantasie so alles leibhaftig ist.

    Als ich in einem Thinktank vorzeiten desöfteren interdisziplinäre Expertenkreise moderiert habe, gab es nicht selten diese Kindlichkeit im Auftreten von Sachverständigen, wenn sie mal für etwas nicht zuständig sind, sondern andere, noch dazu konkurrierende Disziplinen. Man mußte dann schon energisch werden, um sie dahin zu bewegen, nur über ihre Sache sprechen, wovon sie schließlich etwas verstehen aber nicht andere schlecht reden.  Genau das aber geschieht nun in dieser Gesellschaft. Da sucht eine aufgehetzte Mehrheit nach Sündenböcken und erklärt alle Andersdenkenden zu „Gefährdern“.

    Die Mehrheit hat nicht das Recht, sich so eine Minderheit zu erschaffen, um dann über sie herzufallen, nur weil sie sich hat Angst machen und mit falschen Versprechungen und trügerischen Hoffnungen ins Bockshorn jagen lassen. Die Gesellschaft hat nicht das Recht, so zu tun, als sei sie eine Gemeinschaft und hätte dementsprechende Rechte. Gerade unsere real existierende Gesellschaft ist sozial kälter als viele andere, daher hat sie sogar noch weniger Rechte als jene.

    Der Staat hat nicht das Recht, ein Impfregister aufzubauen, denn bereits das verletzt die Würde im Datenschutz und die informationelle Selbstbestimmung. Und der Staat hat schon gar nicht das Recht, in das intime Verhältnis zwischen mir und meinem Körper einzugreifen. Das wäre mehr als die Verletzung meiner Würde, das wäre bereits Mißhandlung. Nur eine Vergewaltigung wäre noch übler.

    Und für Neunmalkluge: Wenn ich in eine Alkoholkontrolle gerate und gefragt werden, ob ich mit einer „freiwilligen Alkoholkontrolle“ einverstanden sei, dann frage ich stets, was daran freiwillig sein soll. Wenn nicht, dann müsse ich eben mit zur Wache kommen, wo mir zwangsweise Blut für einen Alkoholtest abgenommen würde, erklärte mir der Beamte.  Da habe ich ihm wiederum erklärt, daß das keine Freiwilligkeit sei. Verdeutlicht habe ich es ihm am Beispiel seiner Kollegin, die daneben stand. Wenn ich diese auffordern würde, mich nicht abzuweisen, wenn ich ihr würde nahetreten wollen, weil ich ansonsten „Maßnahmen“ ergreifen würde, was das dann wäre. Nötigung mindestens, vielleicht Freiheitsberaubung, vielleicht mehr.

    Nur, wenn ich mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teilnehme, gebe ich gewissermaßen einen Teil meiner Grundrechte preis. Sollte mir das nicht geheuer sein, könnte aber auch auf das Fahren verzichten…  In der Corona-Krise habe ich diese Alternative nicht, ich kann nicht nicht leben oder mal eben auswandern.

    Die Geschichte wiederholt sich nicht, das ist eines der meistgeglaubten Standards, und dann werden immer wieder Analogien gesucht, wohl, weil wir dann doch aus den Fehlern der Geschichte lernen wollen. Ich denke in den letzten Wochen desöfteren an die berühmt-berüchtigte Schrift von Henry David Thoreau: Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat:

    „Auf diese Weise konfrontiert der Staat nie das Innere eines, intellektuell oder moralisch, sondern nur seinen Körper, seine Sinne. Der Staat ist nicht mit überlegener Weisheit oder Redlichkeit ausgerüstet, er besitzt nur überlegene physische Stärke. Ich bin nicht geboren, um mich zwingen zu lassen. Ich will nach meiner eigenen Art atmen. Laßt uns sehen, wer der Stärkere ist.“ (Henry David Thoreau: Uber die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. 1849. S. 9.)

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    Georg Stefan Troller zum Hundertsten

    Sich auf das Verstehen verstehen

    Er hat mich geprägt, denn er zeigt immer wieder, wie Verstehen möglich ist und wie fantastisch es sein kann. Dabei ist sein Verständnis oft etwas mutwillig hergeholt, aber genau damit wird er zum Vorbild.

    Ja, man kann verstehen, muß sich aber nicht gleichmachen. Aber vielleicht war und ist es ja auch “nur” die Sonne in seinem Herzen und das bei diesem Lebensweg, – vielleicht auch gerade deswegen.

     

     

    Dieses Niveau ist einmalig. Der freundliche, leicht ironische Unterton, das stets bereitwillige Understatement, das zur Not auch betont hemdsärmelig daherkommt, von wegen, es müsse doch wohl so sein…  Das ist höchste Kunst der Begegnung. Dabei kommt alles so leichtsinnig und flaneurhaft daher, aber es werden Tiefen erreicht, die oft nicht einmal erahnt werden.
     
    Es ist schon bestechend, dabei zu sein, um mitzuerleben, wie leicht man auf wirklich Wichtiges kommt ohne diese stromlinienförmige Oberflächlichkeit, die nur so tut, als wäre da Tiefe. Dann dieser Ton mit einer verlockenden Komplizenschaft für den Zuschauer, der mit ihm gern auf Erkundung. Man vertraut sich gern an.
     
    Da weiß einer sehr viel zu erzählen und versteht sich auf das Verstehen und das auch noch in grotesken Begegnungen. Man spürt, wie eine Zeit auf die andere folgt im Sauseschritt. Stets sind es bereichernde Begegnungen und Erfahrungen, die sogleich ein Teil werden, als hätte man es selbst erlebt.
     
    Troller tut das, was die Mythen immer schon wollten: Weltvertrauen schaffen auf der Grundlage eines Understatements, das es sich leisten kann, sich zu riskieren.
     
    Herzlichen Glückwunsch, Georg Stefan Troller!