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ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Category: Technikethik

Über mich

Prof. Dr. phil. Heinz-Ulrich Nennen

Hoch­schul­leh­rer für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he.

Phi­lo­so­phi­sche Pra­xis Münster,

für alle Zwei­fels­fäl­le des Lebens, des Den­kens und nicht zuletzt der Gefühle.

Email: heinz-ulrich.nennen@t‑online.de

Motto:

Zunächst muß

das Eigent­li­che

zur Spra­che gebracht werden,

denn nur so kommt das Neue ins Denken.

Von dort kann es in die Welt gelan­gen und spätestens

dann wird es auch im eige­nen Leben nicht ganz ohne Wir­kung bleiben.

Etwas ausführlicher:

Ich bin Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he (KIT). Im west­fä­li­schen Mün­ster betrei­be ich eine Phi­lo­so­phi­sche Ambu­lanz, eine Bera­tung zur Selbst­be­ra­tung, denn Phi­lo­so­phie ist ein Gespräch der See­le mit sich selbst.

In Mün­ster habe ich Phi­lo­so­phie, Sozio­lo­gie und Erzie­hungs­wis­sen­schaft stu­diert und 1989 mit einer Dis­ser­ta­ti­on unter dem Titel Öko­lo­gie im Dis­kurs pro­mo­viert. Dar­in habe ich den sei­ner­zeit auf­kom­men­de Dis­kur­se über Öko­lo­gie in sei­ner gan­zen Viel­falt der Tech­nik- und Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik doku­men­tiert und die Hin­ter­grün­de syste­ma­tisch rekon­stru­iert. – Dem­nach gibt es drei mög­li­che Begrün­dun­gen für Umweltschutz:

  • prag­ma­tisch-anthro­po­zen­trisch, weil es auf Dau­er unsin­nig ist, sich selbst die Lebens- und Exi­stenz­grund­la­gen zu entziehen
  • ethisch-mora­lisch, weil es gebo­ten erscheint, sich ver­pflich­tet zu füh­len, nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen, ande­ren Lebe­we­sen oder auch Göt­tern gegenüber
  • ästhe­tisch, weil etwa ein Baum weit mehr ist als eine Sau­er­stoff­spen­der, son­dern eben auch ein Erleb­nis, was übri­gens alles ande­re als banal ist

Mit der Dis­ser­ta­ti­on zeig­te sich bereits der Schwer­punkt mei­ner Arbeit: Mich inter­es­sie­ren Dis­kur­se im Gro­ßen und Gan­zen aber auch Dia­lo­ge im Klei­nen und Per­sön­li­chen. Ich bin Dia­log­part­ner und Dis­kurs­ana­ly­ti­ker: Einer­seits inter­es­siert mich die Fra­ge, wie das Neue ins Den­ken kommt, ande­rer­seits, wie Dia­lo­ge und Dis­kur­se sol­che Trans­for­ma­tio­nen schaf­fen. – Daher arbei­te ich gern inter-dis­zi­pli­när, an den Gren­zen zwi­schen Psy­cho­lo­gie, Anthro­po­lo­gie, Kul­tur­wis­sen­schaft und eben Philosophie.

Nach einer 10-jäh­ri­gen Tätig­keit als Wis­sen­schaft­ler im Bereich Dis­kurs an der Aka­de­mie für Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, hat­te ich gestie­ge­nes Inter­es­se dar­an, ein­mal einen Dis­kurs im Pro­zeß, also in “Wild­form” zu beob­ach­ten, zu beschrei­ben und wäh­rend­des­sen zeit­gleich zu analysieren.

Im Som­mer 1999 bot sich die­se Gele­gen­heit. Anläß­lich des Skan­dals um die Elmau­er Rede, die der Phi­lo­soph Peter Slo­ter­di­jk gehal­ten hat­te, kam es zu einem Medi­en-Hype son­der­glei­chen, mit mehr als 1000 Zei­tungs­ar­ti­keln, Kom­men­ta­ren und Berich­ten. Als ich sei­ner­zeit im Radio davor erfuhr, wuß­te ich, daß es “mein” The­ma sein würde.

In einem 700-sei­ti­gen Buch, das auch der Habi­li­ta­ti­on dien­te, habe ich die­sen soeben auf­kom­men­den Skan­dal um die angeb­lich faschi­sto­ide Rede des Phi­lo­so­phen Peter Slo­ter­di­jk in Echt­zeit rekon­stru­iert. Es war ein Phi­lo­so­phi­sches Expe­ri­ment mit der Fra­ge, ob es gelin­gen kann, einen Dis­kurs nicht nur zu beob­ach­ten, son­dern zugleich auch auf den Aus­gang der Slo­ter­di­jk-Debat­te zu spe­ku­lie­ren, noch wäh­rend der Aus­gang des Skan­dals noch offen war.

Die War­nung dage­gen ist bekannt: 

“Und hät­test Du geschwie­gen, wärst Du Phi­lo­soph geblieben.” 

Ich bin davon über­zeugt, daß es mög­lich ist, Phi­lo­so­phie in Echt­zeit betrei­ben zu kön­nen, also wäh­rend der Pro­zeß noch läuft. Erst dann hat auch unser Ver­nunft­ver­mö­gen wirk­lich eine Chan­ce, sich zu bewei­sen. – Bei die­sem phi­lo­so­phi­schen Expe­ri­ment ging es mir um den Beweis, daß es unter gewis­sen metho­di­schen Bedin­gun­gen sehr wohl mög­lich sein kann, Phi­lo­so­phie in Echt­zeit betreiben.

Die Metho­de geht auf man­che Über­le­gung und Beob­ach­tung mei­ner rund 10-jäh­ri­gen Tätig­keit als Wis­sen­schaft­ler im Bereich Dis­kurs an der Stutt­gar­ter Aka­de­mie für Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung zurück. Dort wur­de 1993 im Zuge der Aus­ein­an­der­set­zun­gen um Atom­kraft (wie Geg­ner sagen), resp.  Kern­ener­gie (wie Befür­wor­ter sagen) und Kli­ma­schutz, von der Lan­des­re­gie­rung in Baden-Würt­tem­berg ein “Thinktank” zur Erfor­schung und zur Bewer­tung von Tech­nik­fol­gen gegrün­det, um mehr Wis­sen­schaft und mehr Dis­kurs in die mit­un­ter sehr dra­ma­tisch geführ­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen um neue Tech­no­lo­gien zu brin­gen. Die Poli­tik war sei­ner­zeit in die­sen Fra­gen mit ihrem Latein am Ende, – das ist eben der Augen­blick, in dem neue Insti­tu­tio­nen wie eine sol­che TA-Aka­de­mie gegrün­det werden.

Zu Metho­de: Schaut man sich unse­re Urtei­le, Bewer­tun­gen und Ein­schät­zun­gen genau­er an, so set­zen sie sich zusam­men aus einer Viel­zahl von Aus­sa­gen, die aus unter­schied­lich­sten Sek­to­ren stam­men, die wir aber häu­fig nur zum Teil selbst über­prüft haben. Die Fra­ge ist dann immer, wie sicher, wie ent­schei­dend, wie bela­stungs­fä­hig unse­re Vor­an­nah­men wirk­lich sind. Noch ent­schei­den­der ist es, zu spü­ren, wo die Grund­la­gen und Vor­aus­set­zun­gen nicht wirk­lich sicher sind. 

Das erzeugt eine gewis­sen Offen­heit, auch unge­wohn­ten und ande­ren Per­spek­ti­ven gegen­über. Es geht ums Ver­ste­hen, daher ist jedes „Mit­tel” Recht. Im Hin­ter­grund steht schließ­lich eine Phi­lo­so­phie, die schon beur­tei­len und bewer­ten wird, ob der neue, viel­leicht unge­wohn­te Gedan­ke es mög­lich macht, zu sehen, was sich hin­ter den Kulis­sen abspielt. 

Die Kunst besteht nun genau dar­in, ein jedes mög­li­che Gesamt­ur­teil immer wie­der auf­zu­lö­sen in sei­ne Tei­le, aus denen es zusam­men gesetzt ist, um das eige­ne Urteils­ver­mö­gen noch­mals selbst beur­tei­len zu können.

Wer sich des­sen bewußt ist, soll­te daher wis­sen, was wir eigent­lich wis­sen müß­ten aber viel­leicht gar nicht wis­sen kön­nen, so daß wir uns die Begrenzt­heit unse­res eige­nen Urteils­ver­mö­gens genau­er vor Augen füh­ren können.

„Und hät­test Du geschwie­gen, wärst Du Phi­lo­soph geblie­ben!” Die­se War­nung hat gute Grün­de, denn zwi­schen dem Erha­be­nen und dem Lächer­li­chen liegt nur ein ein­zi­ger Schritt. 

In der Phi­lo­so­phie geht es daher um die Fra­ge, wie­viel wir vom Gan­zen wirk­lich ver­stan­den haben. Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, ein fei­nes Gespür dafür zu ent­wickeln, wie weit ein­zel­ne Aus­sa­gen jeweils tra­gen, wann ein Wort sei­ne Bedeu­tung zu ver­lie­ren beginnt, wann irgend etwas an einer Aus­sa­gen nicht mehr zutref­fend sein kann.

Daher arbei­te ich sehr inten­siv über Sym­bo­le, Mythen und Mär­chen und ins­be­son­de­re auch über Göt­ter­fi­gu­ren, weil sich dar­in, weil sich dahin­ter man­ches ver­birgt, was unse­rem Den­ken in abstrak­ten Begrif­fen wie­der mehr Inhalt, mehr Leben und Geist ver­mit­teln kann.

Phi­lo­so­phie ist weit mehr als nur trocke­ne Theo­rie und eis­kal­te Metho­de. Sie hat auch eine Pra­xis, die sich ganz anders dar­stellt, die nicht nur sehr unter­halt­sam son­dern auch erhei­ternd sein kann. – Das Lachen ist schließ­lich ein immer wie­der­keh­ren­der Topos in der Philosophie.

Phi­lo­so­phie ist nicht nur Theo­rie son­dern auch Pra­xis, geleb­te Pra­xis. Sie setzt daher eine gei­sti­ge Mobi­li­tät vor­aus, die dar­auf aus ist, stän­dig den Stand­ort zu wech­seln, um dabei nicht sel­ten auch die eige­ne Posi­ti­on, also sich selbst zu riskieren.


Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

Über Menschenwürde und Impfzwang

Viel war immer von „Wür­de“ die Rede, gera­de in Deutsch­land. Die­ser Begriff war wie ein Fetisch, man hob ihn sehr hoch und höher. Aber den aller­mei­sten war das Gemein­te so faß­bar wie die Begrif­fe Leib und Seele.

Und da nun die „har­ten“ Wis­sen­schaf­ten kei­nen Zugang haben zu alle­dem, ist es eigent­lich schlecht bestellt um das, was gemeint sein könn­te. Allen­falls wird wider­wil­lig noch so etwas wie Psy­che zuge­stan­den aber dann auch nur mit einem Man­ko. Wenn etwas „psy­cho­lo­gisch bedingt“ ist, dann ist es zugleich „nur psy­cho­lo­gisch“.  Es ist gewis­ser­ma­ßen grund­los, weil es ja nun kei­ne „kau­sa­le“ Ursa­che gibt, oder?

Das ist der bor­nier­te Mate­ria­lis­mus einer Kul­tur, die inzwi­schen gefähr­lich geist­los gewor­den ist, wie sich an der aktu­el­len Debat­te um den Impf­zwang zeigt.

„Wür­de“ ist unfaß­bar für alle die­je­ni­gen, die mei­nen, es gäbe nur eine ein­zi­ge Wahr­heit, näm­lich die­je­ni­ge, die sich in Zah­len mes­sen und natur­wis­sen­schaft­lich the­ma­ti­sie­ren läßt. Ja und Lie­be wird zur Hor­mon­stö­rung, ist es nicht so? Und Schön­heit kommt von außen, tau­send Influen­ce­rIn­nen kön­nen nicht irren?

Alles, was nicht ins Pro­kru­sten­bett die­ser Unbil­dung paßt, wird pas­send gemacht. Das geht so weit, daß Bio­lo­gIn­nen in den Talk­shows der Repu­blik unwi­der­spro­chen zwi­schen Glau­ben und Wahr­heit unter­schei­den, um dann „die Wahr­heit” für sich zu rekla­mie­ren. Und alles ande­re ist Hokus­po­kus? – Ich muß doch sehr bitten.

Das Niveau ist inzwi­schen unter­ir­disch. Die so scheel beäug­te Psy­che geht gera­de über Hecken und Zäu­ne. Es geht schon längst nicht mehr um kör­per­li­che Gesund­heit. Wir haben es mit einer Mas­sen­hy­ste­rie zu tun, die nun Sün­den­böcke braucht, weil aus alle­dem, was man sich ver­spro­chen hat, durch Imp­fen wie­der­zu­ge­win­nen, nichts wie erwar­tet gekom­men ist. 

Dabei wur­de von Anfang an rück­sichts­los alles ins Opfer­feu­er gewor­fen, ob es das See­len­heil von Kin­dern ist, denen man sag­te, sie wür­den den Tod brin­gen oder die Wür­de der Ster­ben­den und Demen­ten, die ohne jede mensch­li­che Berüh­rung weg­däm­mern und ster­ben. Die Liste ist inzwi­schen unüber­seh­bar, was da an Schä­den ange­rich­tet wor­den ist.

„Wür­de“ ist ein höchst inti­mes Selbst­ver­hält­nis zwi­schen Ich und Selbst, Kör­per und Psy­che, Leib und See­le, Sinn­lich­keit und Geist. Es ist die­ser selt­sa­me Wider­spruch, daß wir von den einen nicht ein­mal flüch­tig berührt wer­den möch­ten, wäh­rend wir uns den ande­ren mit­un­ter vor­be­halt­los hin­ge­ben kön­nen. Das hat etwas mit einem Ver­trau­en zu tun, das nicht ein­ge­for­dert wer­den kann.

Was haben wir denn für Bil­der im Kopf, wenn „unser Kör­per“ gera­de mit etwas ringt? Das sind Nar­ra­ti­ve, die wir uns durch den täg­li­chen Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus ein­fan­gen. Als ob das alles wäre, um zu sagen, wer und was „wir“ denn so alles „sind“.

Naiv sind weni­ger die der Eso­te­rik Ver­bun­de­nen, sie ver­su­chen wenig­stens eige­ne Wor­te zu fin­den für die­ses Intim­ver­hält­nis. Wäh­rend die ande­ren nur ihre Geist­lo­sig­keit demon­strie­ren und einen längst arbeits­los gewor­de­nen Kir­chen­glau­ben nun­mehr auf „die“ Wis­sen­schaft rich­ten, ja wel­che denn?  Es gab zu allen Zei­ten ein­fa­che Gemü­ter und die­se wuß­ten dar­um. Nur, inzwi­schen hal­ten sich die­se auch noch für auf­ge­klärt, wenn sie dar­an gehen, ande­re zu beleh­ren, um sie auf den rich­ti­gen Glau­bens­weg zu bringen.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein und das Leben ist der höch­sten Güter nicht; vie­les, unend­lich vie­les ist schon gesagt wor­den dar­über, daß es Din­ge gibt zwi­schen Him­mel und Erde, zwi­schen Kör­per und Geist, von denen sich unse­re Wissenschafts–Weisheiten nun wirk­lich nicht ein­mal eine Vor­stel­lung machen können.

Alle die­se Schu­ster soll­ten bei ihren Lei­sten blei­ben, denn es ist zwi­schen Tech­nik– und Natur­wis­sen­schaf­ten einer­seits und zwi­schen Gei­stes– und Kul­tur­wis­sen­schaf­ten ande­rer­seits zu unter­schei­den. Und die Bor­niert­heit man­cher Fach­ver­tre­ter und ihrer Nach­be­ter soll­te uns nicht dar­über hin­weg­täu­schen, daß wir es mit einer kom­ple­xen und auch tief­grün­di­gen Wirk­lich­keit zu tun haben.  Wir haben eine Innen­welt, die es mit den unend­li­chen Wei­ten des Kos­mos spie­lend auf­neh­men kann, wenn man bedenkt, wer und was in unse­rer Phan­ta­sie so alles leib­haf­tig ist.

Als ich in einem Thinktank vor­zei­ten des­öf­te­ren inter­dis­zi­pli­nä­re Exper­ten­krei­se mode­riert habe, gab es nicht sel­ten die­se Kind­lich­keit im Auf­tre­ten von Sach­ver­stän­di­gen, wenn sie mal für etwas nicht zustän­dig sind, son­dern ande­re, noch dazu kon­kur­rie­ren­de Dis­zi­pli­nen. Man muß­te dann schon ener­gisch wer­den, um sie dahin zu bewe­gen, nur über ihre Sache spre­chen, wovon sie schließ­lich etwas ver­ste­hen aber nicht ande­re schlecht reden.  Genau das aber geschieht nun in die­ser Gesell­schaft. Da sucht eine auf­ge­hetz­te Mehr­heit nach Sün­den­böcken und erklärt alle Anders­den­ken­den zu „Gefähr­dern“.

Die Mehr­heit hat nicht das Recht, sich so eine Min­der­heit zu erschaf­fen, um dann über sie her­zu­fal­len, nur weil sie sich hat Angst machen und mit fal­schen Ver­spre­chun­gen und trü­ge­ri­schen Hoff­nun­gen ins Bocks­horn jagen las­sen. Die Gesell­schaft hat nicht das Recht, so zu tun, als sei sie eine Gemein­schaft und hät­te dem­entspre­chen­de Rech­te. Gera­de unse­re real exi­stie­ren­de Gesell­schaft ist sozi­al käl­ter als vie­le ande­re, daher hat sie sogar noch weni­ger Rech­te als jene. 

Der Staat hat nicht das Recht, ein Impf­re­gi­ster auf­zu­bau­en, denn bereits das ver­letzt die Wür­de im Daten­schutz und die infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung. Und der Staat hat schon gar nicht das Recht, in das inti­me Ver­hält­nis zwi­schen mir und mei­nem Kör­per ein­zu­grei­fen. Das wäre mehr als die Ver­let­zung mei­ner Wür­de, das wäre bereits Miß­hand­lung. Nur eine Ver­ge­wal­ti­gung wäre noch übler.

Und für Neun­mal­klu­ge: Wenn ich in eine Alko­hol­kon­trol­le gera­te und gefragt wer­den, ob ich mit einer „frei­wil­li­gen Alko­hol­kon­trol­le“ ein­ver­stan­den sei, dann fra­ge ich stets, was dar­an frei­wil­lig sein soll. Wenn nicht, dann müs­se ich eben mit zur Wache kom­men, wo mir zwangs­wei­se Blut für einen Alko­hol­test abge­nom­men wür­de, erklär­te mir der Beam­te.  Da habe ich ihm wie­der­um erklärt, daß das kei­ne Frei­wil­lig­keit sei. Ver­deut­licht habe ich es ihm am Bei­spiel sei­ner Kol­le­gin, die dane­ben stand. Wenn ich die­se auf­for­dern wür­de, mich nicht abzu­wei­sen, wenn ich ihr wür­de nahe­tre­ten wol­len, weil ich anson­sten „Maß­nah­men“ ergrei­fen wür­de, was das dann wäre. Nöti­gung min­de­stens, viel­leicht Frei­heits­be­rau­bung, viel­leicht mehr.

Nur, wenn ich mit einem Fahr­zeug am Stra­ßen­ver­kehr teil­neh­me, gebe ich gewis­ser­ma­ßen einen Teil mei­ner Grund­rech­te preis. Soll­te mir das nicht geheu­er sein, könn­te aber auch auf das Fah­ren ver­zich­ten…  In der Coro­na-Kri­se habe ich die­se Alter­na­ti­ve nicht, ich kann nicht nicht leben oder mal eben auswandern.

Die Geschich­te wie­der­holt sich nicht, das ist eines der meist­ge­glaub­ten Stan­dards, und dann wer­den immer wie­der Ana­lo­gien gesucht, wohl, weil wir dann doch aus den Feh­lern der Geschich­te ler­nen wol­len. Ich den­ke in den letz­ten Wochen des­öf­te­ren an die berühmt-berüch­tig­te Schrift von Hen­ry David Tho­reau: Über die Pflicht zum Unge­hor­sam gegen den Staat:

„Auf die­se Wei­se kon­fron­tiert der Staat nie das Inne­re eines, intel­lek­tu­ell oder mora­lisch, son­dern nur sei­nen Kör­per, sei­ne Sin­ne. Der Staat ist nicht mit über­le­ge­ner Weis­heit oder Red­lich­keit aus­ge­rü­stet, er besitzt nur über­le­ge­ne phy­si­sche Stär­ke. Ich bin nicht gebo­ren, um mich zwin­gen zu las­sen. Ich will nach mei­ner eige­nen Art atmen. Laßt uns sehen, wer der Stär­ke­re ist.“ (Hen­ry David Tho­reau: Uber die Pflicht zum Unge­hor­sam gegen den Staat. 1849. S. 9.)


Technikethik

Tech­nik­ethik:

Tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen kon­tro­vers reflektieren

Kolloquium 

WS 2021 | don­ners­tags | 14:00–15:30 | Online
Beginn: 28. Okt. 2021 | Ende: 10. Febr. 2022

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Von Ver­ant­wor­tung ist immer wie­der die Rede. Ja, sie ist vakant und der Lauf der Welt ist alles ande­re als ver­trau­ens­er­weckend. Der gute Wil­le allein genügt nicht. Zu unter­schei­den sind min­de­stens das Sub­jekt der Ver­ant­wor­tung, der Ver­ant­wor­tungs­be­reich und die Ver­ant­wor­tungs­in­stanz, (ehe­dem Gott und jetzt?).

Es gilt näher hin­zu­se­hen, wenn wir Fra­gen der Ver­ant­wor­tung ange­hen wol­len, denn der Begriff ist mehr­di­men­sio­nal. Der Karls­ru­her Tech­nik­phi­lo­soph Gün­ter Ropohl hat das Gan­ze auf eine For­mel mit sie­ben Varia­blen gebracht: Wer ver­ant­wor­tet was, wofür, wes­we­gen, wovor, wann, wie? Wir müs­sen doch nicht alles machen, was wir kön­nen. Wie weit geht ihre (per­sön­li­che) Ver­ant­wor­tung wirklich?

Die­ses Kol­lo­qui­um soll Fra­gen der Tech­nik­ethik prak­tisch erfahr­bar machen. Das wird anhand von Fall­stu­di­en aus ihren eige­nen zukünf­ti­gen Berufs­fel­dern gesche­hen, die sich aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven dis­ku­tie­ren las­sen. Dabei kommt es weni­ger auf das Ergeb­nis an, son­dern auf die Qua­li­tät und den Aus­tausch der vor­ge­brach­ten Argumente.

Betrei­ben wir also Tech­nik­ethik ganz kon­kret. Neh­men wir uns rea­le Situa­tio­nen vor: sei­en es der Abgas­skan­dal, Stel­lung­nah­men zum Ein­satz von Gen­ma­ni­pu­la­ti­on, der Ein­sturz der Brücke in Genua, Unfäl­le im Rah­men von Fahr­ten mit auto­no­men Pkw—oder was immer Sie umtreibt. Tun wir so, als wären wir unmit­tel­bar dabei und hät­ten etwas zu sagen. Insze­nie­ren wir die Kon­tro­ver­sen, in denen Tech­nik­li­ni­en gestal­tet wer­den, um sie am eige­nen Leib zu
erfah­ren. Die Ver­an­stal­tung soll Ihnen dazu die­nen, Erfah­run­gen zu machen, die spä­ter womög­lich auf Sie zukom­men. Es ist dann fast wie ein Pri­vi­leg, sich spä­ter dar­an zurück­er­in­nern zu kön­nen, so etwas Ähn­li­ches schon ein­mal durch­ge­spielt zu haben.

Nein, wir müs­sen es nicht.
Aber?
Aber wir wer­den es machen.
Und wes­halb?
Weil wir nicht ertra­gen, wenn der klein­ste Zwei­fel bleibt,
ob wir es wirk­lich können.

(Hans Blu­men­berg)

Dirck van Babu­ren: Pro­me­theus wird von Vul­kan ange­ket­tet (1623).—Quelle: Public Domain via Wikimedia.—Prometheus, der Gott des Fort­schritts, wird auf Geheiß des Zeus, unter Auf­sicht des Göt­ter­bo­ten Her­mes, vom Gott der Tech­nik Vul­kan an einen Fel­sen im Kau­ka­sus geschmie­det. Sein Ver­ge­hen: Er hat aus Men­schen­lie­be die Tech­nik zu den Men­schen gebracht. Die­se soll­ten dar­auf den Fort­schritt eini­ge Jahr­tau­sen­de nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Die Zei­ten sind vor­bei, als Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen fast jede wei­te­re Ver­ant­wor­tung noch zurück­wie­sen mit den Wor­ten, sie wür­den die Tech­nik nur her­stel­len, sei­en aber nicht ver­ant­wort­lich dafür, was dar­aus würde.—Aber machen wir uns nichts vor, Ver­su­che, den tech­ni­schen Fort­schritt auf ›bes­se­re‹ Bah­nen zu len­ken, gab es vie­le. Unver­ges­sen ist das Wort von Ulrich Beck: Die Ethik spielt im Modell der ver­selb­stän­dig­ten Wis­sen­schaf­ten die Rol­le einer Fahr­rad­brem­se am Inter­con­ti­nen­tal Flugzeug. 

For­de­run­gen nach Ethik, Ver­ant­wor­tung, Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, nach­hal­ti­gem Wachs­tum und Kil­ma­schutz wer­den tag­täg­lich erho­ben und sind nicht unpro­ble­ma­tisch, denn es ist auch Über­for­de­rung im Spiel. Wofür sind wir als Ein­zel­ne ver­ant­wort­lich und wie soll denn die Gesamt­ver­ant­wor­tung wahr­ge­nom­men wer­den? All­mäh­lich wird es Zeit. Wer gibt die Tech­nik­zie­le vor oder gene­rie­ren sie sich selbst? 

Was vie­le Ver­schwö­rungs­theo­rien noch unter­stel­len: Es gibt sie nicht, die Schalt­zen­tra­len der Macht, in denen die Zie­le des Fort­schritts vor­ge­ge­ben, der Kurs ein­ge­stellt und die Ent­wick­lun­gen koor­di­niert wer­den. Zwei­fels­oh­ne spie­len Tech­nik und Wirt­schaft eine gro­ße Rol­le, aber auch Poli­tik und Kultur.

Der blaue Pla­net ist zur Anthro­po­sphä­re gewor­den. Inzwi­schen wur­de bereits ein neu­es Erd­zeit­al­ter aus­ge­ru­fen, das Anthro­po­zän. Die Zivi­li­sa­ti­on ist nun­mehr alles ent­schei­dend für das Schick­sal des gan­zen Pla­ne­ten und die Zukunft der Mensch­heit. Die Erde ist zum Raum­schiff gewor­den. Wir rasen durch einen lebens­feind­li­chen Raum, hin­ter uns eine erst kur­ze Epi­so­de der Zivi­li­sa­ti­on und vor uns eine Zukunft, die mit sich selbst auf Kol­li­si­ons­kurs geht.

Wenn es sie denn gäbe, die Kommando–Brücke, in der die Navi­ga­ti­on vor­ge­nom­men wird, wenn wir dort­hin­ein gelan­gen könn­ten, es wäre der Schock unse­res Lebens. Denn die Pilo­ten­kan­zel ist leer, alles steht auf Auto­pi­lot und nie­mand wäre in der Lage, den Flug ›von Hand‹ zu steu­ern. Dabei ist das Gan­ze kei­nes­wegs nur eine Fra­ge der Tech­nik, son­dern auch eine von Poli­tik, Wirt­schaft, Recht, Kul­tur, Wis­sen­schaft und vie­lem ande­ren mehr.

Jan Cos­siers: Car­ry­ing Fire (ca. 1630). Pro­me­theus stiehlt das Feu­er aus der Werk­statt des Vul­kan. Es ist nicht das Herd­feu­er, das hat­ten die Men­schen schon sehr lang. Es ist das Metall­ur­gen­feu­er, womit die Bron­ze­zeit begann und
dann auch die Zivilisation.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Daher genügt es längst nicht mehr, ein­fach nur ›gute‹ Tech­nik zu machen, Pro­ble­me prag­ma­tisch zu lösen, im Sin­ne des ›sta­te of the art‹ zu ent­wickeln, Nor­men und Vor­schrif­ten ein­zu­hal­ten usw. usf.—Darüber hin­aus stellt sich vor allem auch die Fra­ge, wie weit denn die per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung rei­chen soll. Es ist nicht allein die Tech­nik, die den Fort­schritt bestimmt, es sind vie­le ver­schie­de­nen Fak­to­ren, die eine Rol­le spielen.—Die Rol­len im Mythos vom Pro­me­theus, der den tech­ni­schen Fort­schritt zur Dar­stel­lung bringt, las­sen die Zusam­men­hän­ge erahnen. 

Da ist der Men­schen­freund Pro­me­theus, der mit besten Absich­ten die Ent­wick­lung anfacht, aber eigent­lich nicht sehr glück­lich agiert. Da ist Vul­kan, der Tech­ni­ker, der alles tut, was ihm auf­ge­tra­gen wird. Er murrt zwar, als er den geschätz­ten Kol­le­gen anket­ten soll, aber er tut es. Da ist Zeus, der ein ambi­va­len­tes Ver­hält­nis zur Mensch­heit hat und daher hin und her­ge­ris­sen ist über das Prometheus–Projekt. Da ist Athe­ne, die Göt­tin der Weis­heit, die den neu­en Zivi­li­sa­ti­ons­men­schen eine See­le ein­haucht. Sie spen­det auch die Wis­sen­schaft und die Ver­nunft. Außer­dem ist da noch Pan­do­ra, die mit allen Gaben Beschenk­te, die die Gaben der abdan­ken­den Göt­ter zu den Men­schen bringt, aber eben auch die damit ver­bun­de­nen Übel. Und da ist noch Epi­me­theus, ein Melan­cho­li­ker, der sich in Pan­do­ra verliebt.—Das dürf­te genü­gen, die ver­schie­de­nen Sei­ten und Inter­es­sen zu cha­rak­te­ri­sie­ren, die dafür sor­gen, daß der Fort­schritt eben einen bestimm­ten Gang nimmt.

Als der Mün­che­ner Sozio­lo­gie Ulrich Beck im Jah­re 1958 den Ein­tritt in die Risi­ko­ge­sell­schaft dia­gno­sti­zier­te, sah er den technisch–ökonomischen Fort­schritt über­la­gert von immer grö­ße­ren, unge­plan­ten Neben­fol­gen, grenz­über­schrei­ten­den Umwelt­pro­ble­men und glo­ba­len Fol­gen Es gibt inzwi­schen einen Grad an Kom­ple­xi­tät, der sich nicht mehr steu­ern oder gar beherr­schen läßt. Eigent­lich müß­ten alle unse­re Inno­va­tio­nen unter­halb die­ser Schwel­le blei­ben, aber das Gegen­teil ist der Fall. Also wofür sind Tech­ni­ker, Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen wirk­lich ver­ant­wort­lich? Wel­cher Teil der Ver­ant­wor­tung fällt ande­ren zu?

Har­ry Bates: Akt (1891). Auf Geheiß des Zeus wur­de von Vul­kan eine Frau erschaf­fen, mit allen Gaben der Göt­ter aus­ge­stat­tet und von Her­mes zu den Men­schen gebracht. Sie brach­te jedoch nicht nur die Fähig­kei­ten der Göt­ter, son­dern auch die damit ver­bun­de­nen Übel auf die Erde.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Es ist kei­ne unpro­ble­ma­ti­sche Ent­wick­lung, daß in den letz­ten Jahr­zehn­ten immer mehr Ver­ant­wor­tung auf Ein­zel­ne über­tra­gen wur­de, wäh­rend die Gesamt­ver­ant­wor­tung sich immer wei­ter ver­flüch­tigt. Wer ver­ant­wort­lich sein soll, muß gestal­ten, muß auch anders ent­schei­den kön­nen, erst dann kann Ver­ant­wor­tung zuge­schrie­ben werden.—Insofern ist der Anspruch auf Ethik und Moral das eine, wie damit ganz prak­tisch umge­gan­gen wer­den kann, ist das ande­re. Sich ver­ant­wort­lich zu füh­len für Ver­hält­nis­se, die nicht in der eige­nen Macht ste­hen, ist daher nicht unpro­ble­ma­tisch. Wer Ver­ant­wor­tung über­nimmt, muß ›Nein sagen‹ kön­nen oder ›So nicht!‹.

In die­sem Semi­nar sol­len sol­che Kon­flik­te in Wert­fra­gen, Ziel­kon­flik­ten und der mora­li­schen Inte­gri­tät durch­ge­spielt wer­den. Das geschieht anhand von Bei­spie­len ein­schlä­gi­ger Dilemma–Situationen. Mit­un­ter sind die Rah­men­be­din­gun­gen schon pro­ble­ma­tisch, etwa wenn es gilt, unter den Bedin­gun­gen schlech­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hält­nis­se und aus Sor­ge um die eige­ne Repu­ta­ti­on fach­lich kom­pe­tent und mora­lisch inte­ger zu han­deln. Dazu bedarf es eini­ger Erfah­run­gen, die genau­so wich­tig sind wie das gan­ze tech­ni­sche Know–how.

Dazu hat der Kon­stan­zer Phi­lo­soph und Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ker Jür­gen Mit­tel­straß eine hilf­rei­che Unter­schei­dung geprägt: Zum tech­ni­schen Ver­fü­gungs­wis­sen gehört auch ein eben­so wich­ti­ges Ori­en­tie­rungs­wis­sen. Das eine sagt uns wie, das ande­re aber wozu. —Mit­un­ter gera­ten aber das Wie und das Wozu in Wider­sprü­che. Die Tech­nik­ge­schich­te ist voll sol­cher Bei­spie­le, wo erst sehr viel spä­ter sich Neben­fol­gen mit kolos­sa­len Wir­kun­gen zei­gen, bis sie end­lich wahr­ge­nom­men und the­ma­ti­siert werden.

Und natür­lich stellt sich immer wie­der die Fra­ge, ob es nicht doch eine ›bes­se­re‹ Tech­nik gibt, eine, die von vorn­her­ein weni­ger Neben­fol­gen hat. Tech­ni­ku­to­pien sind daher eine wich­ti­ge Ori­en­tie­rungs­hil­fe, vor allem dann, wenn kri­tisch damit umge­gan­gen wird. Wesent­lich ist es, die ver­schie­de­nen Aspek­te erör­tern zu kön­nen und nicht zuletzt, ande­re zu über­zeu­gen. Dazu ist kri­ti­sches Den­ken erfor­der­lich. Daher geht es um die ethi­sche, poli­ti­sche, öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Ver­ant­wor­tung im Inge­nieur­we­sen. Erst das macht ›gute‹ Tech­nik mög­lich, ein ›gutes‹ Gewis­sen und nicht zuletzt gute Professionalität. 

Band­icoot Robot: Con­ver­ting man­ho­le to robo­ho­le (2018).—Quelle: Public Domain via Wikimedia.


Grundrechte in der Corona-Krise

Das Schweigen der Richter

Von der Mond­lan­dung bis zum Lockdown

Wer die Mond­lan­dung am Fern­se­her live mit­er­lebt hat, hat viel­leicht auch die­ses Erweckungs­er­leb­nis. Wenn so etwas mög­lich war, dann schien eigent­lich alles mach­bar. Dann kam es 1972 mit den Stu­di­en des Club of Rome zu einer Fun­da­men­tal­kri­se aller die­ser Hoffnungen.—Auch das Grund­ge­setz hat­te immer etwas von die­ser Mond­lan­dung, es war und ist eine über­zeit­li­che Lei­stung mit Ewig­keits­cha­rak­ter. Die­ses Sicher­heits­ge­fühl hat sich gehal­ten, wohl weil die Per­for­mance stets stim­mig schien, wenn >Karls­ru­he< sprach.

Leben oder Frei­heit – Ist die Coro­na-Poli­tik mit dem Grund­ge­setz vereinbar?—SWR2-Forum,

Tho­mas Ihm dis­ku­tiert mit

Gigi Dep­pe, SWR-Rechts­exper­tin,
Prof. Dr. Chri­sti­an Kirch­berg, Rechts­an­walt
Prof. Dr. Heinz-Ulrich Nen­nen, Phi­lo­soph

Das hat­te etwas von Del­phi, wo die Prie­ster in ihren Sit­zun­gen dar­über berie­ten, was Apol­lo als Herr des Hau­ses wohl gesagt haben wür­de. Aller­dings ist ein Ora­kel wie das von Del­phi auch nur ein Unter­neh­men mit dem Bestre­ben, mög­lichst immer wie­der kon­sul­tiert zu wer­den. Und 1000 Jah­re kamen Men­schen und Staats­ver­tre­ter aus dem gan­zen Mit­tel­meer­raum mit höchst ent­schei­den­den Fra­gen, es kann also kein Hokus­po­kus gewe­sen sein.

Wenn die Rich­ter in den roten Roben zusam­men­tra­gen, dann hat­te das etwas von die­ser Aura: Immer wenn bewe­gen­de Urtei­le anstan­den, fand sich mit­un­ter auch eine Spur jener Weis­heit, wie sie nun ein­mal einer letz­ten Instanz anstehen.—Auch das ist kein Hokus­po­kus, erfor­der­lich ist gutes Hand­werk, hohe Intel­li­genz, Dis­kurs­ver­mö­gen und vor allem eines, der gemein­sa­me Wil­le im Kol­le­gi­um, her­aus­zu­brin­gen, was wohl die Stim­me der Ver­nunft gesagt haben würde.

 

(Mein Bei­trag beginnt ab: 23:30)

Tie­fen und Untie­fen der Corona-Krise
Online-Dis­kus­si­on vom 9. Febru­ar 2021. Einf. u. Mod.: Ull­rich Eiden­mül­ler,

1. Vor­sit­zen­der des För­der­ver­eins FORUM RECHT e. V. 
Refe­ren­ten:
Prof. Dr. Chri­sti­an Kirch­berg (* 1947), Rechts­an­walt in Karls­ru­he und Vor­sit­zen­der des Ver­fas­sungs­rechts­aus­schus­ses der Bundesrechtsanwaltskammer. 

Prof. Dr. Heinz-Ulrich Nen­nen (* 1955), Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie am Karls­ru­her Insti­tut für Tech­no­lo­gie (KIT). 

Black­out mit Notstromdiesel

Wer am 31. Janu­ar 2008 gegen 17:35 Uhr per Stra­ßen­bahn die Innen­stadt von Karls­ru­he auf dem Weg zum Haupt­bahn­hof pas­sie­ren woll­te, konn­te erle­ben, wie ein Strom­aus­fall sich vor Ort dar­stellt: Das Licht ging aus, die Bahn hielt mit­ten auf der Strecke, drau­ßen war nichts mehr zu sehen. Spär­li­ches Licht flacker­te auf, die Umge­bung wirk­te gespen­stisch. Nur sche­men­haft war erkenn­bar, wie Per­so­nal an den Türen der Geschäf­te sich postierte.

Carl Spitzweg: Das Auge des Gesetzes (Justitia) (1857).

Carl Spitz­weg: Das Auge des Geset­zes (Justi­tia) (1857).

Ich ent­schloß mich, die Not­ent­rie­ge­lung der Stra­ßen­bahn­tür zu betä­ti­gen, aus­zu­stei­gen und ein Taxi zu neh­men, um die Fahrt zum Bahn­hof wei­ter fort­zu­set­zen. Die Impres­sio­nen auf die­ser Taxi­fahrt waren beein­druckend und lehr­reich: Der Weg führ­te an der Badi­schen Lan­des­bank vor­bei. Sie war beleuch­tet, die Not­strom­ver­sor­gung war also ange­sprun­gen. Dann fiel der näch­ste Blick auf das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Das Gebäu­de war hell erleuch­tet, so, als wenn nichts wäre.

Der­weil lag die Uni­ver­si­tät Karls­ru­he im Dunk­len und nur das Rechen­zen­trum hat­te spär­li­ches Licht. Ein ein­zi­ger Hotel­flur war noch beleuchtet.—An einem Kran­ken­haus führ­te der Weg nicht vor­bei. Dabei ist es wesent­lich, daß gera­de auch dort die stö­rungs­freie Strom­ver­sor­gung gewähr­lei­stet sein muß. Auch der Haupt­bahn­hof war hell erleuch­tet, denn die Deut­sche Bun­des­bahn ver­fügt über ein eige­nes Netz und eige­ne Strom­ver­sor­gung. Man hat­te nicht ein­mal etwas bemerkt von der Störung.

Es ist wich­tig, sich vor Augen zu füh­ren, wie fra­gil unse­re sozio­tech­ni­schen Wel­ten eigent­lich sind. Es braucht nur klei­ne Unbe­dacht­sam­kei­ten, die zum Super­gau füh­ren kön­nen. – Ein war­nen­des Bei­spiel dazu sind die nicht über­flu­tungs­si­cher instal­lier­ten Not­strom­ag­gre­ga­te der Kern­kraft­werks­blöcke 1–3 von Fuku­shi­ma I.

Mul­ti­ples Systemversagen

Wir erwar­ten von unse­rer Tech­nik, daß Not­fall­sy­ste­me auto­ma­tisch hoch­fah­ren, das wird regel­mä­ßig geprobt—in der Tech­nik. Dabei soll­ten wir die­sel­ben Anfor­de­run­gen auch an die Sozia­len Syste­me stel­len. Gera­de in Kri­sen sind wir dar­auf ange­wie­sen, daß schlicht und ergrei­fend längst Vor­keh­run­gen getrof­fen wor­den sind.

Immer wie­der wur­de die Unver­brüch­lich­keit des Grund­ge­set­zes beschwo­ren. Plan­spie­le und Sze­na­ri­en für Aus­nah­me­zu­stän­de wären bes­ser gewe­sen als Sonn­tags­re­den. Tat­säch­lich haben wir es mit einem mul­ti­plen System­ver­sa­gen zu tun.—Das Gleich­ge­wicht der Kräf­te ist in der Coro­na-Kri­se von Anfang an ins Ungleich­ge­wicht gera­ten und es hat >sich< auch nicht wie­der ein­ge­pen­delt. Was das bedeu­tet, läßt sich an einem Plat­ten­spie­ler erläu­tern, wenn auf der einen Sei­te der Ton­arm, also die Exe­ku­ti­ve und auf der ande­ren Sei­te das Gegen­ge­wicht, also die Judi­ka­ti­ve und vor allem auch die Legis­la­ti­ve für den rich­ti­gen Aus­gleich sorgen.

Am 14. Mai 2020 hat das ober­ste Gericht zwei Ver­fas­sungs­be­schwer­den um Coro­na und Grund­rech­te nicht zur Ent­schei­dung ange­nom­men. Dabei boten gera­de die­se bei­den, fast muster­gül­ti­gen Ver­fas­sungs­kla­gen die Gele­gen­heit für die Ver­fas­sungs­rich­ter, sich gene­rell in Sachen Coro­na zu äußern. Das hät­te dann wie­der­um der Poli­tik sehr viel mehr Ori­en­tie­rung gegeben.

Durch Nicht­ein­las­sung haben die Karls­ru­her Rich­ter jedoch selbst das Gleich­ge­wicht der Kräf­te zwi­schen Legis­la­ti­ve, Judi­ka­ti­ve, Exe­ku­ti­ve und auch zwi­schen Bund und Län­dern aus dem Gleich­ge­wicht und außer Kon­trol­le gebracht.—Hätten die Rich­ter sich über­wun­den, den Mut und die Weit­sicht gefun­den, im lau­fen­den Pro­zeß der Coro­na-Kri­se das Spek­trum des ver­fas­sungs­recht­lich Gebo­te­nen zu skiz­zie­ren, sie hät­ten die Poli­tik davor bewahrt, zum Opfer der eige­nen Angst­po­li­tik zu werden.

Schön­wet­ter­de­mo­kra­tie?

Das Par­la­ment als Ort öffent­li­cher Mei­nungs­bil­dung wur­de kur­zer­hand ersetzt durch eine ver­fas­sungs­recht­lich gar nicht vor­ge­se­he­ne Mini­ster­prä­si­den­ten-Kon­fe­renz unter Lei­tung der Bun­des­kanz­le­rin, in der man seit einem Jahr alle ent­schei­den­den Erwä­gun­gen unter Aus­schluß der Öffent­lich­keit vornimmt.—Dabei wur­de immer wie­der der Föde­ra­lis­mus schlecht gere­det, der aller­dings ein unver­füg­ba­res Gebot der Ver­fas­sung dar­stellt. Am Bei­spiel von Frank­reich läßt sich zei­gen, was es bedeu­tet, wenn kei­ne effek­ti­ven kom­mu­na­len Struk­tu­ren vor Ort vor­han­den sind.

Auch die immer wie­der auf­ge­brach­te For­de­rung nach Gleich­be­hand­lung, ohne Rück­sicht auf die vor Ort tat­säch­lich vor­lie­gen­den Ver­hält­nis­se, ist stets unwi­der­spro­chen erho­ben wor­den. Dage­gen kam nur noch durch die Län­der­ho­heit über­haupt noch so etwas wie eine Pflicht zur Ver­hand­lung ins Spiel. Inso­fern wur­de das Land durch den Föde­ra­lis­mus vor einem radi­ka­len Zen­tra­lis­mus mit noch mehr Kol­la­te­ral­schä­den bewahrt.

Alle die­se Vor­keh­run­gen der Gewal­ten­tei­lung sind vor dem Hin­ter­grund der Erfah­run­gen mit der Wei­ma­rer Repu­blik und der Mög­lich­keit einer >Gleich­schal­tung< getrof­fen wor­den. Aus guten Grün­den wur­de ein durch­dach­tes Kon­zept von Checks and Balan­ces mit dem Grund­ge­setz eta­bliert. Alle die­se ver­brief­ten Siche­run­gen durch das syste­ma­ti­sche Aus­ba­lan­cie­ren der Gewal­ten gal­ten bis­lang als ver­trau­ens­wür­dig, ver­läß­lich, ja eigent­lich als robust und gera­de­zu unver­wüst­lich. Dabei stell­te sich im Zuge derCoro­na-Kri­se her­aus, daß viel davon offen­bar nur >gefühl­teSicher­heit< war.

Die Ver­trau­ens­wür­dig­keit des Grund­ge­set­zes und sei­ner Orga­ne wur­de in Sonn­tags­re­den immer wie­der gefei­ert. Als es aber zum Schwur kam, da schwie­gen die hohen Rich­ter. Das Mobilé der Gewal­ten kam aus dem Gleich­ge­wicht und ver­hak­te sich end­gül­tig. Ver­hält­nis­se kamen auf, die nicht hat­ten mög­lich sein sol­len, auch und gera­de in einer Kri­se nicht.—Für den Satz >Not kennt kein Gebot< gibt es nicht einen ein­zi­gen denk­ba­ren Anwen­dungs­fall, weil eine Ver­fas­sung genau dann ver­läß­lich sein muß, wenn es dar­auf ankommt. Wir leben nicht in einer Schön­wet­ter­de­mo­kra­tie. Ganz offen­bar fehlt aller­dings ein fun­da­men­ta­ler Dis­kurs über Not­stand und Grund­ge­setz. Kevin allein zu Haus

Nun war die Poli­tik ganz >allein zu Hau­se<. Kei­ne ande­ren Gewal­ten, kei­ne Lob­bys und auch kei­ne Kri­ti­ker moch­ten sich noch zu Wort mel­den, denn vie­le von ihnen waren bereits exkom­mu­ni­ziert. In den vie­len Talk­shows sah man immer wie­der die Anspan­nung in den Gesich­tern, bloß nicht ein womög­lich ver­rä­te­ri­sches Wort zu benut­zen, das unmit­tel­bar zur Exkom­mu­ni­ka­ti­on geführt hätte.

Die­ser Zustand ist eine sozio-kul­tu­rel­le Kata­stro­phe, denn die­se Kon­stel­la­ti­on ent­spricht genau dem, wovor der Sozio­lo­ge Niklas Luh­mann immer wie­der gewarnt hat: Angst­kom­mu­ni­ka­ti­on und Ent­dif­fe­ren­zie­rung. Das bedeu­tet in Ana­lo­gie nichts gerin­ge­res als ein mul­ti­ples System­ver­sa­gen. Es ist ein Rück­fall in den Abso­lu­tis­mus, wenn die Gesell­schaft in künst­li­ches Koma ver­setzt wird.—Die Poli­tik ist völ­lig über­for­dert, sie kann nicht lei­sten, was sie sich da auf­bür­den läßt. Daher wer­den die Maß­nah­men immer radi­ka­ler und immer end­lo­ser.

Das Schwei­gen der Richter

Gewal­ten­tei­lung, Föde­ra­lis­mus, Mei­nungs­ver­schie­den­heit, Dis­kur­se, der Anspruch auf Selbst­ver­ant­wor­tung und Mün­dig­keit, das alles sind kei­ne Stö­run­gen, gera­de in einer Kri­se nicht. Aber vie­len wur­de weis­ge­macht, daß dem so wäre. Man­che gaben dem nach, ande­re blie­ben beim Zwei­fel und durch die Gesell­schaft ging ein Riß, bei dem sich die unter­schied­li­chen Ansich­ten nicht mehr mit­ein­an­der ins Gespräch brin­gen lie­ßen.—Dabei ist gera­de die Viel­falt der Hin­sich­ten die alles ent­schei­den­de Bedin­gung für die Mög­lich­keit einer umsich­ti­gen Poli­tik und einer zeit­ge­nös­si­schen Kul­tur, die dem Unter­ta­nen­geist, Fremd­be­stim­mung und der Bevor­mun­dung end­gül­tig Valet sagen sollte. 

Die Corona–Krise bie­tet auch eine Chan­ce, den Unter­ta­nen­geist in Deutsch­land end­lich zu über­win­den, den auto­ri­tä­ren Cha­rak­ter und vor allem das mis­an­thro­pi­sche Men­schen­bild. War­um über­tra­gen wir nicht den Geist der Reform­päd­ago­gik auch auf ein neu­es Ver­ständ­nis einer zeit­ge­mä­ßen Poli­tik? In Psy­cho­lo­gie und Päd­ago­gik wird spä­te­stens seit den 70er Jah­ren nicht mehr mit Bevor­mun­dung, son­dern mit Ein­ver­neh­men agiert.

Wir müs­sen unbe­dingt unter­schei­den zwi­schen Staat, Gesell­schaft und Gemein­schaft. Wer das alles zusam­men­bringt, führt zumeist nichts Gutes im Schil­de. – Ein Staat ist kei­ne Gemein­schaft, auch eine Gesell­schaft ist er nicht. Unge­hin­dert ver­geht sich der Staat nicht sel­ten an der Gesell­schaft, denn Staat und Gesell­schaft zie­hen nicht unbe­dingt an einem Strang. Daher ist die Ver­fas­sung so ent­schei­dend, weil sie erst die Rah­men­be­din­gun­gen schafft und sicher­stellt, daß alle die­se Gewal­ten getrenn­ter Wege gehen müs­sen. Sie sol­len nicht eins sein, sie sol­len und müs­sen mit­ein­an­der rin­gen: „Audi­ta­tur et alte­ra pars”—Man höre auch die ande­re Sei­te. Das fin­det wie­der­um im Art. 103 Abs. 1 des Grund­ge­set­zes sei­ne Ent­spre­chung: Vor Gericht hat jeder­mann Anspruch auf recht­li­ches Gehör.”

Die Prü­fung der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit obliegt den Ver­fas­sungs- und Ver­wal­tungs­ge­rich­ten. Seit Beginn der Coro­na-Kri­se wur­de erwar­tet, daß enor­me Unver­hält­nis­mä­ßig­kei­ten kon­sta­tiert wür­den. Das war aber nicht der Fall. Auch war es nicht der Fall, daß klä­ren­de Wor­te durch ober­ste Rich­ter gespro­chen wor­den wären.—Ein nicht unbe­trächt­li­cher Anteil an der Pro­test­kul­tur läßt sich auch auf das Schwei­gen der Rich­ter zurück­füh­ren und die Unsi­cher­heit, in der die Gesell­schaft sich selbst über­las­sen wurde.

Die Corona–Krise ist ein umfas­sen­der, mehr als nur poli­ti­scher, son­dern viel­mehr sozio­kul­tu­rel­ler Kon­flikt von höch­ster Bri­sanz. Über Wochen und Mona­te wur­den grund­sätz­li­che Urtei­le und Ein­las­sun­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts förm­lich gewar­tet, aber nichts geschah.—Es mutet an, als hät­ten die Rich­ter in den roten Roben, wie wei­land der römi­sche Stadt­hal­ter Pon­ti­us Pila­tus, sich eine Schüs­sel mit Was­ser rei­chen las­sen, um die Hän­de in Unschuld zu waschen.


Technikethik

Kol­lo­qui­um 

Tech­nik­ethik

Tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen kon­tro­vers reflektieren

SS 2021 | don­ners­tags | 14:00–15:30 | Online
Beginn: 22 April 2021 | Ende: 22. Juli 2021

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Von Ver­ant­wor­tung ist immer wie­der die Rede. Ja, sie ist vakant und der Lauf der Welt ist alles ande­re als ver­trau­ens­er­weckend. Der gute Wil­le allein genügt nicht. Zu unter­schei­den sind min­de­stens das Sub­jekt der Ver­ant­wor­tung, der Ver­ant­wor­tungs­be­reich und die Ver­ant­wor­tungs­in­stanz, (ehe­dem Gott und jetzt?).

Es gilt näher hin­zu­se­hen, wenn wir Fra­gen der Ver­ant­wor­tung ange­hen wol­len, denn der Begriff ist mehr­di­men­sio­nal. Der Karls­ru­her Tech­nik­phi­lo­soph Gün­ter Ropohl hat das Gan­ze auf eine For­mel mit sie­ben Varia­blen gebracht: Wer ver­ant­wor­tet was, wofür, wes­we­gen, wovor, wann, wie? Wir müs­sen doch nicht alles machen, was wir kön­nen. Wie weit geht ihre (per­sön­li­che) Ver­ant­wor­tung wirklich?

Die­ses Kol­lo­qui­um soll Fra­gen der Tech­nik­ethik prak­tisch erfahr­bar machen. Das wird anhand von Fall­stu­di­en aus ihren eige­nen zukünf­ti­gen Berufs­fel­dern gesche­hen, die sich aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven dis­ku­tie­ren las­sen. Dabei kommt es weni­ger auf das Ergeb­nis an, son­dern auf die Qua­li­tät und den Aus­tausch der vor­ge­brach­ten Argumente.

Betrei­ben wir also Tech­nik­ethik ganz kon­kret. Neh­men wir uns rea­le Situa­tio­nen vor: sei­en es der Abgas­skan­dal, Stel­lung­nah­men zum Ein­satz von Gen­ma­ni­pu­la­ti­on, der Ein­sturz der Brücke in Genua, Unfäl­le im Rah­men von Fahr­ten mit auto­no­men Pkw—oder was immer Sie umtreibt. Tun wir so, als wären wir unmit­tel­bar dabei und hät­ten etwas zu sagen. Insze­nie­ren wir die Kon­tro­ver­sen, in denen Tech­nik­li­ni­en gestal­tet wer­den, um sie am eige­nen Leib zu
erfah­ren. Die Ver­an­stal­tung soll Ihnen dazu die­nen, Erfah­run­gen zu machen, die spä­ter womög­lich auf Sie zukom­men. Es ist dann fast wie ein Pri­vi­leg, sich spä­ter dar­an zurück­er­in­nern zu kön­nen, so etwas Ähn­li­ches schon ein­mal durch­ge­spielt zu haben.

Nein, wir müs­sen es nicht.
Aber?
Aber wir wer­den es machen.
Und wes­halb?
Weil wir nicht ertra­gen, wenn der klein­ste Zwei­fel bleibt,
ob wir es wirk­lich können.

(Hans Blu­men­berg)

Dirck van Babu­ren: Pro­me­theus wird von Vul­kan ange­ket­tet (1623).—Quelle: Public Domain via Wikimedia.—Prometheus, der Gott des Fort­schritts, wird auf Geheiß des Zeus, unter Auf­sicht des Göt­ter­bo­ten Her­mes, vom Gott der Tech­nik Vul­kan an einen Fel­sen im Kau­ka­sus geschmie­det. Sein Ver­ge­hen: Er hat aus Men­schen­lie­be die Tech­nik zu den Men­schen gebracht. Die­se soll­ten dar­auf den Fort­schritt eini­ge Jahr­tau­sen­de nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Die Zei­ten sind vor­bei, als Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen fast jede wei­te­re Ver­ant­wor­tung noch zurück­wie­sen mit den Wor­ten, sie wür­den die Tech­nik nur her­stel­len, sei­en aber nicht ver­ant­wort­lich dafür, was dar­aus würde.—Aber machen wir uns nichts vor, Ver­su­che, den tech­ni­schen Fort­schritt auf ›bes­se­re‹ Bah­nen zu len­ken, gab es vie­le. Unver­ges­sen ist das Wort von Ulrich Beck: Die Ethik spielt im Modell der ver­selb­stän­dig­ten Wis­sen­schaf­ten die Rol­le einer Fahr­rad­brem­se am Inter­con­ti­nen­tal Flugzeug. 

For­de­run­gen nach Ethik, Ver­ant­wor­tung, Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, nach­hal­ti­gem Wachs­tum und Kil­ma­schutz wer­den tag­täg­lich erho­ben und sind nicht unpro­ble­ma­tisch, denn es ist auch Über­for­de­rung im Spiel. Wofür sind wir als Ein­zel­ne ver­ant­wort­lich und wie soll denn die Gesamt­ver­ant­wor­tung wahr­ge­nom­men wer­den? All­mäh­lich wird es Zeit. Wer gibt die Tech­nik­zie­le vor oder gene­rie­ren sie sich selbst? 

Was vie­le Ver­schwö­rungs­theo­rien noch unter­stel­len: Es gibt sie nicht, die Schalt­zen­tra­len der Macht, in denen die Zie­le des Fort­schritts vor­ge­ge­ben, der Kurs ein­ge­stellt und die Ent­wick­lun­gen koor­di­niert wer­den. Zwei­fels­oh­ne spie­len Tech­nik und Wirt­schaft eine gro­ße Rol­le, aber auch Poli­tik und Kultur.

Der blaue Pla­net ist zur Anthro­po­sphä­re gewor­den. Inzwi­schen wur­de bereits ein neu­es Erd­zeit­al­ter aus­ge­ru­fen, das Anthro­po­zän. Die Zivi­li­sa­ti­on ist nun­mehr alles ent­schei­dend für das Schick­sal des gan­zen Pla­ne­ten und die Zukunft der Mensch­heit. Die Erde ist zum Raum­schiff gewor­den. Wir rasen durch einen lebens­feind­li­chen Raum, hin­ter uns eine erst kur­ze Epi­so­de der Zivi­li­sa­ti­on und vor uns eine Zukunft, die mit sich selbst auf Kol­li­si­ons­kurs geht.

Wenn es sie denn gäbe, die Kommando–Brücke, in der die Navi­ga­ti­on vor­ge­nom­men wird, wenn wir dort­hin­ein gelan­gen könn­ten, es wäre der Schock unse­res Lebens. Denn die Pilo­ten­kan­zel ist leer, alles steht auf Auto­pi­lot und nie­mand wäre in der Lage, den Flug ›von Hand‹ zu steu­ern. Dabei ist das Gan­ze kei­nes­wegs nur eine Fra­ge der Tech­nik, son­dern auch eine von Poli­tik, Wirt­schaft, Recht, Kul­tur, Wis­sen­schaft und vie­lem ande­ren mehr.

Jan Cos­siers: Car­ry­ing Fire (ca. 1630). Pro­me­theus stiehlt das Feu­er aus der Werk­statt des Vul­kan. Es ist nicht das Herd­feu­er, das hat­ten die Men­schen schon sehr lang. Es ist das Metall­ur­gen­feu­er, womit die Bron­ze­zeit begann und
dann auch die Zivilisation.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Daher genügt es längst nicht mehr, ein­fach nur ›gute‹ Tech­nik zu machen, Pro­ble­me prag­ma­tisch zu lösen, im Sin­ne des ›sta­te of the art‹ zu ent­wickeln, Nor­men und Vor­schrif­ten ein­zu­hal­ten usw. usf.—Darüber hin­aus stellt sich vor allem auch die Fra­ge, wie weit denn die per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung rei­chen soll. Es ist nicht allein die Tech­nik, die den Fort­schritt bestimmt, es sind vie­le ver­schie­de­nen Fak­to­ren, die eine Rol­le spielen.—Die Rol­len im Mythos vom Pro­me­theus, der den tech­ni­schen Fort­schritt zur Dar­stel­lung bringt, las­sen die Zusam­men­hän­ge erahnen. 

Da ist der Men­schen­freund Pro­me­theus, der mit besten Absich­ten die Ent­wick­lung anfacht, aber eigent­lich nicht sehr glück­lich agiert. Da ist Vul­kan, der Tech­ni­ker, der alles tut, was ihm auf­ge­tra­gen wird. Er murrt zwar, als er den geschätz­ten Kol­le­gen anket­ten soll, aber er tut es. Da ist Zeus, der ein ambi­va­len­tes Ver­hält­nis zur Mensch­heit hat und daher hin und her­ge­ris­sen ist über das Prometheus–Projekt. Da ist Athe­ne, die Göt­tin der Weis­heit, die den neu­en Zivi­li­sa­ti­ons­men­schen eine See­le ein­haucht. Sie spen­det auch die Wis­sen­schaft und die Ver­nunft. Außer­dem ist da noch Pan­do­ra, die mit allen Gaben Beschenk­te, die die Gaben der abdan­ken­den Göt­ter zu den Men­schen bringt, aber eben auch die damit ver­bun­de­nen Übel. Und da ist noch Epi­me­theus, ein Melan­cho­li­ker, der sich in Pan­do­ra verliebt.—Das dürf­te genü­gen, die ver­schie­de­nen Sei­ten und Inter­es­sen zu cha­rak­te­ri­sie­ren, die dafür sor­gen, daß der Fort­schritt eben einen bestimm­ten Gang nimmt.

Als der Mün­che­ner Sozio­lo­gie Ulrich Beck im Jah­re 1958 den Ein­tritt in die Risi­ko­ge­sell­schaft dia­gno­sti­zier­te, sah er den technisch–ökonomischen Fort­schritt über­la­gert von immer grö­ße­ren, unge­plan­ten Neben­fol­gen, grenz­über­schrei­ten­den Umwelt­pro­ble­men und glo­ba­len Fol­gen Es gibt inzwi­schen einen Grad an Kom­ple­xi­tät, der sich nicht mehr steu­ern oder gar beherr­schen läßt. Eigent­lich müß­ten alle unse­re Inno­va­tio­nen unter­halb die­ser Schwel­le blei­ben, aber das Gegen­teil ist der Fall. Also wofür sind Tech­ni­ker, Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen wirk­lich ver­ant­wort­lich? Wel­cher Teil der Ver­ant­wor­tung fällt ande­ren zu?

Har­ry Bates: Akt (1891). Auf Geheiß des Zeus wur­de von Vul­kan eine Frau erschaf­fen, mit allen Gaben der Göt­ter aus­ge­stat­tet und von Her­mes zu den Men­schen gebracht. Sie brach­te jedoch nicht nur die Fähig­kei­ten der Göt­ter, son­dern auch die damit ver­bun­de­nen Übel auf die Erde.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Es ist kei­ne unpro­ble­ma­ti­sche Ent­wick­lung, daß in den letz­ten Jahr­zehn­ten immer mehr Ver­ant­wor­tung auf Ein­zel­ne über­tra­gen wur­de, wäh­rend die Gesamt­ver­ant­wor­tung sich immer wei­ter ver­flüch­tigt. Wer ver­ant­wort­lich sein soll, muß gestal­ten, muß auch anders ent­schei­den kön­nen, erst dann kann Ver­ant­wor­tung zuge­schrie­ben werden.—Insofern ist der Anspruch auf Ethik und Moral das eine, wie damit ganz prak­tisch umge­gan­gen wer­den kann, ist das ande­re. Sich ver­ant­wort­lich zu füh­len für Ver­hält­nis­se, die nicht in der eige­nen Macht ste­hen, ist daher nicht unpro­ble­ma­tisch. Wer Ver­ant­wor­tung über­nimmt, muß ›Nein sagen‹ kön­nen oder ›So nicht!‹.

In die­sem Semi­nar sol­len sol­che Kon­flik­te in Wert­fra­gen, Ziel­kon­flik­ten und der mora­li­schen Inte­gri­tät durch­ge­spielt wer­den. Das geschieht anhand von Bei­spie­len ein­schlä­gi­ger Dilemma–Situationen. Mit­un­ter sind die Rah­men­be­din­gun­gen schon pro­ble­ma­tisch, etwa wenn es gilt, unter den Bedin­gun­gen schlech­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hält­nis­se und aus Sor­ge um die eige­ne Repu­ta­ti­on fach­lich kom­pe­tent und mora­lisch inte­ger zu han­deln. Dazu bedarf es eini­ger Erfah­run­gen, die genau­so wich­tig sind wie das gan­ze tech­ni­sche Know–how.

Dazu hat der Kon­stan­zer Phi­lo­soph und Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ker Jür­gen Mit­tel­straß eine hilf­rei­che Unter­schei­dung geprägt: Zum tech­ni­schen Ver­fü­gungs­wis­sen gehört auch ein eben­so wich­ti­ges Ori­en­tie­rungs­wis­sen. Das eine sagt uns wie, das ande­re aber wozu. —Mit­un­ter gera­ten aber das Wie und das Wozu in Wider­sprü­che. Die Tech­nik­ge­schich­te ist voll sol­cher Bei­spie­le, wo erst sehr viel spä­ter sich Neben­fol­gen mit kolos­sa­len Wir­kun­gen zei­gen, bis sie end­lich wahr­ge­nom­men und the­ma­ti­siert werden.

Und natür­lich stellt sich immer wie­der die Fra­ge, ob es nicht doch eine ›bes­se­re‹ Tech­nik gibt, eine, die von vorn­her­ein weni­ger Neben­fol­gen hat. Tech­ni­ku­to­pien sind daher eine wich­ti­ge Ori­en­tie­rungs­hil­fe, vor allem dann, wenn kri­tisch damit umge­gan­gen wird. Wesent­lich ist es, die ver­schie­de­nen Aspek­te erör­tern zu kön­nen und nicht zuletzt, ande­re zu über­zeu­gen. Dazu ist kri­ti­sches Den­ken erfor­der­lich. Daher geht es um die ethi­sche, poli­ti­sche, öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Ver­ant­wor­tung im Inge­nieur­we­sen. Erst das macht ›gute‹ Tech­nik mög­lich, ein ›gutes‹ Gewis­sen und nicht zuletzt gute Professionalität. 

Band­icoot Robot: Con­ver­ting man­ho­le to robo­ho­le (2018).—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

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Philosophische Ambulanz

Philosophische Ambulanz

SS 2021 | freitags | 12:00–13:30 Uhr | Raum: online

Beginn: 23. April 2021 | Ende: 23. Juli 2021

Zum Kommentar als PDF

Fer­di­nand Bart: Der Zau­ber­lehr­ling, (1882). Zeich­nung aus dem Buch Goethe’s Wer­ke, 1882.—Quelle: Public Domain via Wikimedia

Und sie lau­fen! Naß und nässer
Wird’s im Saal und auf den Stufen.
Welch ent­setz­li­ches Gewässer!
Herr und Mei­ster! hör mich rufen! —
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.
»In die Ecke,
Besen! Besen!
Seid’s gewe­sen.
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu sei­nem Zwecke,
Erst her­vor der alte Meister.

(Goe­the: Der Zauberlehrling)

In der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz kommt die Phi­lo­so­phie wie­der zurück auf den Markt­platz, wo Sokra­tes sei­ne Dis­pu­te führ­te, immer auf der Suche nach einer Phi­lo­so­phie, die es bes­ser auf­neh­men kann mit der Wirk­lich­keit. In den Dia­lo­gen und Dis­kur­sen der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz soll es dar­um gehen, in gemein­sa­men Gedan­ken­gän­gen die bes­se­ren, höhe­ren und tie­fe­ren Ein­sich­ten zu gewinnen.

Ver­ste­hen ist Erfah­rungs­sa­che, Ver­stän­di­gung ist eine Fra­ge der Übung. Oft herr­schen aber fal­sche Vor­stel­lun­gen vor: Gemein­sa­mes Ver­ste­hen ent­steht im Dia­log und in Dis­kur­sen, bei denen es nicht vor­ran­gig um Mei­nungs­äu­ße­run­gen und Stel­lung­nah­men geht. Es kommt auch nicht dar­auf an, Recht zu behal­ten, sich zu behaup­ten oder etwa ver­meint­li­che ›Geg­ner‹ mund­tot zu machen.—Gewalt ent­steht, wo Wor­te ver­sa­gen, wenn nicht gesagt und ver­stan­den wer­den kann, was einem wirk­lich am Her­zen liegt. 

Es kommt viel mehr dar­auf an, im gemein­sa­men Ver­ste­hen wei­ter­zu­kom­men, so daß sich die Dis­kur­se anrei­chern und ihre Suk­zes­si­on, also einen Fort­schritt errei­chen. Daher ist es so wich­tig, gera­de im Kon­flikt aus einem Dis­sens her­aus wie der zu neu­em Ein­ver­neh­men zu fin­den. Erst das macht uns zu mün­di­gen Zeit­ge­nos­sen, wenn wir auch über die eige­ne Stel­lung­nah­me noch frei ver­fü­gen können.—Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, Wider­sprü­che und Ambi­va­len­zen nicht schleu­nigst auf­zu­lö­sen, weil sie anstren­gend sind. Viel­mehr gilt es, das Den­ken selbst in der Schwe­be zu hal­ten. Der Weg ist das Ziel, gera­de auch beim Philosophieren.

Es gilt, nicht nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern neue und gänz­lich unbe­kann­te Per­spek­ti­ven zu erpro­ben. Daher ist der Posi­ti­ons­wech­sel von so emi­nen­ter Bedeu­tung. Genau das ist ›Bil­dung‹, den Stand­ort der Betrach­tung wech­seln, um eine Stel­lung­nah­me ggf. auch aus einer belie­bi­gen ande­ren Per­spek­ti­ve vor­neh­men, kom­men­tie­ren und beur­tei­len zu können.

Verstehen ist Erfahrungssache

Im Phi­lo­so­phi­schen Café kommt die Phi­lo­so­phie wie­der zurück auf den Markt­platz, wo Sokra­tes sei­ne Dis­pu­te führ­te, immer auf der Suche nach einer Phi­lo­so­phie, die es bes­ser auf­neh­men kann mit der Wirk­lich­keit. In den Dia­lo­gen und Dis­kur­sen der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz soll es dar­um gehen, in gemein­sa­men Gedan­ken­gän­gen die bes­se­ren, höhe­ren und tie­fe­ren Ein­sich­ten zu gewinnen.

Ver­ste­hen ist Erfah­rungs­sa­che, Ver­stän­di­gung ist eine Fra­ge der Übung. Oft herr­schen aber fal­sche Vor­stel­lun­gen vor: Gemein­sa­mes Ver­ste­hen ent­steht im Dia­log und in Dis­kur­sen, bei denen es um nicht vor­ran­gig um Mei­nungs­äu­ße­run­gen und Stel­lung­nah­men geht. Es kommt auch nicht dar­auf an, Recht zu behal­ten, sich zu behaup­ten oder etwa ver­meint­li­che ›Geg­ner‹ mund­tot zu machen.—Gewalt ent­steht, wo Wor­te ver­sa­gen, wenn nicht gesagt und ver­stan­den wer­den kann, was einem wirk­lich am Her­zen liegt. Es kommt viel­mehr dar­auf an, im gemein­sa­men Ver­ste­hen wei­ter­zu­kom­men, so daß sich die Dis­kur­se anrei­chern und ihre Suk­zes­si­on, also einen tat­säch­li­chen Fort­schritt im Ver­ste­hen erreichen.

Daher ist es so wich­tig, gera­de im Kon­flikt aus einem Dis­sens her­aus wie­der zu neu­em Ein­ver­neh­men zu fin­den. Erst das macht uns zu mün­di­gen Zeit­ge­nos­sen, wenn wir auch über die eige­ne Stel­lung­nah­me noch frei ver­fü­gen können.—Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, Wider­sprü­che und Ambi­va­len­zen nicht schleu­nigst auf­zu­lö­sen, weil sie anstren­gend sind. Viel­mehr gilt es, das Den­ken selbst in der Schwe­be zu hal­ten. Der Weg ist das Ziel, gera­de auch beim Philosophieren.

Es gilt, nicht nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern neue und gänz­lich unbe­kann­te Per­spek­ti­ven zu erpro­ben. Daher ist der Posi­ti­ons­wech­sel von so emi­nen­ter Bedeu­tung. Genau das ist ›Bil­dung‹, den Stand­ort der Betrach­tung wech­seln, um eine Stel­lung­nah­me ggf. auch aus einer belie­bi­gen ande­ren Per­spek­ti­ve vor­neh­men, kom­men­tie­ren und beur­tei­len zu können.

Auf­merk­sam­keit ist eine begrenz­te Res­sour­ce. Wir müs­sen selbst ent­schei­den, wann wir etwas auf sich beru­hen las­sen, für wel­che The­men wir offen sind, und wofür wir uns wirk­lich bren­nend inter­es­sie­ren. Die Zunah­me an Infor­ma­tio­nen ist dabei von erheb­li­cher Bedeu­tung, denn sie führt gegen­wär­tig ganz offen­bar zu Über­for­de­run­gen. Alles könn­te man wis­sen, aber jedes Wis­sen ist eigent­lich unsi­che­rer denn je.


Philosophische Ambulanz

Philosophische Ambulanz

WS 2020 | freitags | 12:00–13:30 Uhr | Raum: online

Beginn: 6. Nov. 2020 | Ende: 19. Febr. 2020

Anmeldung beim House of Competence

Zum Kommentar als PDF

Fer­di­nand Bart: Der Zau­ber­lehr­ling, (1882). Zeich­nung aus dem Buch Goethe’s Wer­ke, 1882.—Quelle: Public Domain via Wikimedia

Und sie lau­fen! Naß und nässer
Wird’s im Saal und auf den Stufen.
Welch ent­setz­li­ches Gewässer!
Herr und Mei­ster! hör mich rufen! —
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.
»In die Ecke,
Besen! Besen!
Seid’s gewe­sen.
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu sei­nem Zwecke,
Erst her­vor der alte Meister.

(Goe­the: Der Zauberlehrling)

In der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz kommt die Phi­lo­so­phie wie­der zurück auf den Markt­platz, wo Sokra­tes sei­ne Dis­pu­te führ­te, immer auf der Suche nach einer Phi­lo­so­phie, die es bes­ser auf­neh­men kann mit der Wirk­lich­keit. In den Dia­lo­gen und Dis­kur­sen der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz soll es dar­um gehen, in gemein­sa­men Gedan­ken­gän­gen die bes­se­ren, höhe­ren und tie­fe­ren Ein­sich­ten zu gewinnen.

Ver­ste­hen ist Erfah­rungs­sa­che, Ver­stän­di­gung ist eine Fra­ge der Übung. Oft herr­schen aber fal­sche Vor­stel­lun­gen vor: Gemein­sa­mes Ver­ste­hen ent­steht im Dia­log und in Dis­kur­sen, bei denen es nicht vor­ran­gig um Mei­nungs­äu­ße­run­gen und Stel­lung­nah­men geht. Es kommt auch nicht dar­auf an, Recht zu behal­ten, sich zu behaup­ten oder etwa ver­meint­li­che ›Geg­ner‹ mund­tot zu machen.—Gewalt ent­steht, wo Wor­te ver­sa­gen, wenn nicht gesagt und ver­stan­den wer­den kann, was einem wirk­lich am Her­zen liegt. 

Es kommt viel mehr dar­auf an, im gemein­sa­men Ver­ste­hen wei­ter­zu­kom­men, so daß sich die Dis­kur­se anrei­chern und ihre Suk­zes­si­on, also einen Fort­schritt errei­chen. Daher ist es so wich­tig, gera­de im Kon­flikt aus einem Dis­sens her­aus wie der zu neu­em Ein­ver­neh­men zu fin­den. Erst das macht uns zu mün­di­gen Zeit­ge­nos­sen, wenn wir auch über die eige­ne Stel­lung­nah­me noch frei ver­fü­gen können.—Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, Wider­sprü­che und Ambi­va­len­zen nicht schleu­nigst auf­zu­lö­sen, weil sie anstren­gend sind. Viel­mehr gilt es, das Den­ken selbst in der Schwe­be zu hal­ten. Der Weg ist das Ziel, gera­de auch beim Philosophieren.

Es gilt, nicht nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern neue und gänz­lich unbe­kann­te Per­spek­ti­ven zu erpro­ben. Daher ist der Posi­ti­ons­wech­sel von so emi­nen­ter Bedeu­tung. Genau das ist ›Bil­dung‹, den Stand­ort der Betrach­tung wech­seln, um eine Stel­lung­nah­me ggf. auch aus einer belie­bi­gen ande­ren Per­spek­ti­ve vor­neh­men, kom­men­tie­ren und beur­tei­len zu können.

Verstehen ist Erfahrungssache

Im Phi­lo­so­phi­schen Café kommt die Phi­lo­so­phie wie­der zurück auf den Markt­platz, wo Sokra­tes sei­ne Dis­pu­te führ­te, immer auf der Suche nach einer Phi­lo­so­phie, die es bes­ser auf­neh­men kann mit der Wirk­lich­keit. In den Dia­lo­gen und Dis­kur­sen der Phi­lo­so­phi­schen Ambu­lanz soll es dar­um gehen, in gemein­sa­men Gedan­ken­gän­gen die bes­se­ren, höhe­ren und tie­fe­ren Ein­sich­ten zu gewinnen.

Ver­ste­hen ist Erfah­rungs­sa­che, Ver­stän­di­gung ist eine Fra­ge der Übung. Oft herr­schen aber fal­sche Vor­stel­lun­gen vor: Gemein­sa­mes Ver­ste­hen ent­steht im Dia­log und in Dis­kur­sen, bei denen es um nicht vor­ran­gig um Mei­nungs­äu­ße­run­gen und Stel­lung­nah­men geht. Es kommt auch nicht dar­auf an, Recht zu behal­ten, sich zu behaup­ten oder etwa ver­meint­li­che ›Geg­ner‹ mund­tot zu machen.—Gewalt ent­steht, wo Wor­te ver­sa­gen, wenn nicht gesagt und ver­stan­den wer­den kann, was einem wirk­lich am Her­zen liegt. Es kommt viel­mehr dar­auf an, im gemein­sa­men Ver­ste­hen wei­ter­zu­kom­men, so daß sich die Dis­kur­se anrei­chern und ihre Suk­zes­si­on, also einen tat­säch­li­chen Fort­schritt im Ver­ste­hen erreichen.

Daher ist es so wich­tig, gera­de im Kon­flikt aus einem Dis­sens her­aus wie­der zu neu­em Ein­ver­neh­men zu fin­den. Erst das macht uns zu mün­di­gen Zeit­ge­nos­sen, wenn wir auch über die eige­ne Stel­lung­nah­me noch frei ver­fü­gen können.—Zu Phi­lo­so­phie­ren bedeu­tet, Wider­sprü­che und Ambi­va­len­zen nicht schleu­nigst auf­zu­lö­sen, weil sie anstren­gend sind. Viel­mehr gilt es, das Den­ken selbst in der Schwe­be zu hal­ten. Der Weg ist das Ziel, gera­de auch beim Philosophieren.

Es gilt, nicht nur die übli­chen Stand­punk­te zu ver­tre­ten, son­dern neue und gänz­lich unbe­kann­te Per­spek­ti­ven zu erpro­ben. Daher ist der Posi­ti­ons­wech­sel von so emi­nen­ter Bedeu­tung. Genau das ist ›Bil­dung‹, den Stand­ort der Betrach­tung wech­seln, um eine Stel­lung­nah­me ggf. auch aus einer belie­bi­gen ande­ren Per­spek­ti­ve vor­neh­men, kom­men­tie­ren und beur­tei­len zu können.

Auf­merk­sam­keit ist eine begrenz­te Res­sour­ce. Wir müs­sen selbst ent­schei­den, wann wir etwas auf sich beru­hen las­sen, für wel­che The­men wir offen sind, und wofür wir uns wirk­lich bren­nend inter­es­sie­ren. Die Zunah­me an Infor­ma­tio­nen ist dabei von erheb­li­cher Bedeu­tung, denn sie führt gegen­wär­tig ganz offen­bar zu Über­for­de­run­gen. Alles könn­te man wis­sen, aber jedes Wis­sen ist eigent­lich unsi­che­rer denn je.


Technikethik

Technische Entwicklungen kontrovers reflektieren

Kolloquium 

WS 2020 | don­ners­tags | 14:00–15:30 | Online
Beginn: 2. Okt. 2020 | Ende: 18. Febr. 2021

Anmeldung beim House of Competence

Zum Kommentar als PDF

Von Ver­ant­wor­tung ist immer wie­der die Rede. Ja, sie ist vakant und der Lauf der Welt ist alles ande­re als ver­trau­ens­er­weckend. Der gute Wil­le allein genügt nicht. Zu unter­schei­den sind min­de­stens das Sub­jekt der Ver­ant­wor­tung, der Ver­ant­wor­tungs­be­reich und die Ver­ant­wor­tungs­in­stanz, (ehe­dem Gott und jetzt?).

Es gilt näher hin­zu­se­hen, wenn wir Fra­gen der Ver­ant­wor­tung ange­hen wol­len, denn der Begriff ist mehr­di­men­sio­nal. Der Karls­ru­her Tech­nik­phi­lo­soph Gün­ter Ropohl hat das Gan­ze auf eine For­mel mit sie­ben Varia­blen gebracht: Wer ver­ant­wor­tet was, wofür, wes­we­gen, wovor, wann, wie? Wir müs­sen doch nicht alles machen, was wir kön­nen. Wie weit geht ihre (per­sön­li­che) Ver­ant­wor­tung wirklich?

Die­ses Kol­lo­qui­um soll Fra­gen der Tech­nik­ethik prak­tisch erfahr­bar machen. Das wird anhand von Fall­stu­di­en aus ihren eige­nen zukünf­ti­gen Berufs­fel­dern gesche­hen, die sich aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven dis­ku­tie­ren las­sen. Dabei kommt es weni­ger auf das Ergeb­nis an, son­dern auf die Qua­li­tät und den Aus­tausch der vor­ge­brach­ten Argumente.

Betrei­ben wir also Tech­nik­ethik ganz kon­kret. Neh­men wir uns rea­le Situa­tio­nen vor: sei­en es der Abgas­skan­dal, Stel­lung­nah­men zum Ein­satz von Gen­ma­ni­pu­la­ti­on, der Ein­sturz der Brücke in Genua, Unfäl­le im Rah­men von Fahr­ten mit auto­no­men Pkw—oder was immer Sie umtreibt. Tun wir so, als wären wir unmit­tel­bar dabei und hät­ten etwas zu sagen. Insze­nie­ren wir die Kon­tro­ver­sen, in denen Tech­nik­li­ni­en gestal­tet wer­den, um sie am eige­nen Leib zu
erfah­ren. Die Ver­an­stal­tung soll Ihnen dazu die­nen, Erfah­run­gen zu machen, die spä­ter womög­lich auf Sie zukom­men. Es ist dann fast wie ein Pri­vi­leg, sich spä­ter dar­an zurück­er­in­nern zu kön­nen, so etwas Ähn­li­ches schon ein­mal durch­ge­spielt zu haben.

Nein, wir müs­sen es nicht.
Aber?
Aber wir wer­den es machen.
Und weshalb?
Weil wir nicht ertra­gen, wenn der klein­ste Zwei­fel bleibt,
ob wir es wirk­lich können.

(Hans Blu­men­berg)

Dirck van Babu­ren: Pro­me­theus wird von Vul­kan ange­ket­tet (1623).—Quelle: Public Domain via Wikimedia.—Prometheus, der Gott des Fort­schritts, wird auf Geheiß des Zeus, unter Auf­sicht des Göt­ter­bo­ten Her­mes, vom Gott der Tech­nik Vul­kan an einen Fel­sen im Kau­ka­sus geschmie­det. Sein Ver­ge­hen: Er hat aus Men­schen­lie­be die Tech­nik zu den Men­schen gebracht. Die­se soll­ten dar­auf den Fort­schritt eini­ge Jahr­tau­sen­de nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Die Zei­ten sind vor­bei, als Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen fast jede wei­te­re Ver­ant­wor­tung noch zurück­wie­sen mit den Wor­ten, sie wür­den die Tech­nik nur her­stel­len, sei­en aber nicht ver­ant­wort­lich dafür, was dar­aus würde.—Aber machen wir uns nichts vor, Ver­su­che, den tech­ni­schen Fort­schritt auf ›bes­se­re‹ Bah­nen zu len­ken, gab es vie­le. Unver­ges­sen ist das Wort von Ulrich Beck: Die Ethik spielt im Modell der ver­selb­stän­dig­ten Wis­sen­schaf­ten die Rol­le einer Fahr­rad­brem­se am Inter­con­ti­nen­tal Flugzeug. 

For­de­run­gen nach Ethik, Ver­ant­wor­tung, Tech­nik­fol­gen­ab­schät­zung, nach­hal­ti­gem Wachs­tum und Kil­ma­schutz wer­den tag­täg­lich erho­ben und sind nicht unpro­ble­ma­tisch, denn es ist auch Über­for­de­rung im Spiel. Wofür sind wir als Ein­zel­ne ver­ant­wort­lich und wie soll denn die Gesamt­ver­ant­wor­tung wahr­ge­nom­men wer­den? All­mäh­lich wird es Zeit. Wer gibt die Tech­nik­zie­le vor oder gene­rie­ren sie sich selbst? 

Was vie­le Ver­schwö­rungs­theo­rien noch unter­stel­len: Es gibt sie nicht, die Schalt­zen­tra­len der Macht, in denen die Zie­le des Fort­schritts vor­ge­ge­ben, der Kurs ein­ge­stellt und die Ent­wick­lun­gen koor­di­niert wer­den. Zwei­fels­oh­ne spie­len Tech­nik und Wirt­schaft eine gro­ße Rol­le, aber auch Poli­tik und Kultur.

Der blaue Pla­net ist zur Anthro­po­sphä­re gewor­den. Inzwi­schen wur­de bereits ein neu­es Erd­zeit­al­ter aus­ge­ru­fen, das Anthro­po­zän. Die Zivi­li­sa­ti­on ist nun­mehr alles ent­schei­dend für das Schick­sal des gan­zen Pla­ne­ten und die Zukunft der Mensch­heit. Die Erde ist zum Raum­schiff gewor­den. Wir rasen durch einen lebens­feind­li­chen Raum, hin­ter uns eine erst kur­ze Epi­so­de der Zivi­li­sa­ti­on und vor uns eine Zukunft, die mit sich selbst auf Kol­li­si­ons­kurs geht.

Wenn es sie denn gäbe, die Kommando–Brücke, in der die Navi­ga­ti­on vor­ge­nom­men wird, wenn wir dort­hin­ein gelan­gen könn­ten, es wäre der Schock unse­res Lebens. Denn die Pilo­ten­kan­zel ist leer, alles steht auf Auto­pi­lot und nie­mand wäre in der Lage, den Flug ›von Hand‹ zu steu­ern. Dabei ist das Gan­ze kei­nes­wegs nur eine Fra­ge der Tech­nik, son­dern auch eine von Poli­tik, Wirt­schaft, Recht, Kul­tur, Wis­sen­schaft und vie­lem ande­ren mehr.

Jan Cos­siers: Car­ry­ing Fire (ca. 1630). Pro­me­theus stiehlt das Feu­er aus der Werk­statt des Vul­kan. Es ist nicht das Herd­feu­er, das hat­ten die Men­schen schon sehr lang. Es ist das Metall­ur­gen­feu­er, womit die Bron­ze­zeit begann und
dann auch die Zivilisation.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Daher genügt es längst nicht mehr, ein­fach nur ›gute‹ Tech­nik zu machen, Pro­ble­me prag­ma­tisch zu lösen, im Sin­ne des ›sta­te of the art‹ zu ent­wickeln, Nor­men und Vor­schrif­ten ein­zu­hal­ten usw. usf.—Darüber hin­aus stellt sich vor allem auch die Fra­ge, wie weit denn die per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung rei­chen soll. Es ist nicht allein die Tech­nik, die den Fort­schritt bestimmt, es sind vie­le ver­schie­de­nen Fak­to­ren, die eine Rol­le spielen.—Die Rol­len im Mythos vom Prome­theus, der den tech­ni­schen Fort­schritt zur Dar­stel­lung bringt, las­sen die Zusam­men­hän­ge erahnen. 

Da ist der Men­schen­freund Pro­me­theus, der mit besten Absich­ten die Ent­wick­lung anfacht, aber eigent­lich nicht sehr glück­lich agiert. Da ist Vul­kan, der Tech­ni­ker, der alles tut, was ihm auf­ge­tra­gen wird. Er murrt zwar, als er den geschätz­ten Kol­le­gen anket­ten soll, aber er tut es. Da ist Zeus, der ein ambi­va­len­tes Ver­hält­nis zur Mensch­heit hat und daher hin und her­ge­ris­sen ist über das Prometheus–Projekt. Da ist Athe­ne, die Göt­tin der Weis­heit, die den neu­en Zivi­li­sa­ti­ons­men­schen eine See­le ein­haucht. Sie spen­det auch die Wis­sen­schaft und die Ver­nunft. Außer­dem ist da noch Pan­do­ra, die mit allen Gaben Beschenk­te, die die Gaben der abdan­ken­den Göt­ter zu den Men­schen bringt, aber eben auch die damit ver­bun­de­nen Übel. Und da ist noch Epi­me­theus, ein Melan­cho­li­ker, der sich in Pan­do­ra verliebt.—Das dürf­te genü­gen, die ver­schie­de­nen Sei­ten und Inter­es­sen zu cha­rak­te­ri­sie­ren, die dafür sor­gen, daß der Fort­schritt eben einen bestimm­ten Gang nimmt.

Als der Mün­che­ner Sozio­lo­gie Ulrich Beck im Jah­re 1958 den Ein­tritt in die Risi­ko­ge­sell­schaft dia­gno­sti­zier­te, sah er den technisch–ökonomischen Fort­schritt über­la­gert von immer grö­ße­ren, unge­plan­ten Neben­fol­gen, grenz­über­schrei­ten­den Umwelt­pro­ble­men und glo­ba­len Fol­gen Es gibt inzwi­schen einen Grad an Kom­ple­xi­tät, der sich nicht mehr steu­ern oder gar beherr­schen läßt. Eigent­lich müß­ten alle unse­re Inno­va­tio­nen unter­halb die­ser Schwel­le blei­ben, aber das Gegen­teil ist der Fall. Also wofür sind Tech­ni­ker, Inge­nieu­re und Inge­nieu­rin­nen wirk­lich ver­ant­wort­lich? Wel­cher Teil der Ver­ant­wor­tung fällt ande­ren zu?

Har­ry Bates: Akt (1891). Auf Geheiß des Zeus wur­de von Vul­kan eine Frau erschaf­fen, mit allen Gaben der Göt­ter aus­ge­stat­tet und von Her­mes zu den Men­schen gebracht. Sie brach­te jedoch nicht nur die Fähig­kei­ten der Göt­ter, son­dern auch die damit ver­bun­de­nen Übel auf die Erde.—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

Es ist kei­ne unpro­ble­ma­ti­sche Ent­wick­lung, daß in den letz­ten Jahr­zehn­ten immer mehr Ver­ant­wor­tung auf Ein­zel­ne über­tra­gen wur­de, wäh­rend die Gesamt­ver­ant­wor­tung sich immer wei­ter ver­flüch­tigt. Wer ver­ant­wort­lich sein soll, muß gestal­ten, muß auch anders ent­schei­den kön­nen, erst dann kann Ver­ant­wor­tung zuge­schrie­ben werden.—Insofern ist der Anspruch auf Ethik und Moral das eine, wie damit ganz prak­tisch umge­gan­gen wer­den kann, ist das ande­re. Sich ver­ant­wort­lich zu füh­len für Ver­hält­nis­se, die nicht in der eige­nen Macht ste­hen, ist daher nicht unpro­ble­ma­tisch. Wer Ver­ant­wor­tung über­nimmt, muß ›Nein sagen‹ kön­nen oder ›So nicht!‹.

In die­sem Semi­nar sol­len sol­che Kon­flik­te in Wert­fra­gen, Ziel­kon­flik­ten und der mora­li­schen Inte­gri­tät durch­ge­spielt wer­den. Das geschieht anhand von Bei­spie­len ein­schlä­gi­ger Dilemma–Situationen. Mit­un­ter sind die Rah­men­be­din­gun­gen schon pro­ble­ma­tisch, etwa wenn es gilt, unter den Bedin­gun­gen schlech­ter Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hält­nis­se und aus Sor­ge um die eige­ne Repu­ta­ti­on fach­lich kom­pe­tent und mora­lisch inte­ger zu han­deln. Dazu bedarf es eini­ger Erfah­run­gen, die genau­so wich­tig sind wie das gan­ze tech­ni­sche Know–how.

Dazu hat der Kon­stan­zer Phi­lo­soph und Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ker Jür­gen Mit­tel­straß eine hilf­rei­che Unter­schei­dung geprägt: Zum tech­ni­schen Ver­fü­gungs­wis­sen gehört auch ein eben­so wich­ti­ges Ori­en­tie­rungs­wis­sen. Das eine sagt uns wie, das ande­re aber wozu. —Mit­un­ter gera­ten aber das Wie und das Wozu in Wider­sprü­che. Die Tech­nik­ge­schich­te ist voll sol­cher Bei­spie­le, wo erst sehr viel spä­ter sich Neben­fol­gen mit kolos­sa­len Wir­kun­gen zei­gen, bis sie end­lich wahr­ge­nom­men und the­ma­ti­siert werden.

Und natür­lich stellt sich immer wie­der die Fra­ge, ob es nicht doch eine ›bes­se­re‹ Tech­nik gibt, eine, die von vorn­her­ein weni­ger Neben­fol­gen hat. Tech­ni­ku­to­pien sind daher eine wich­ti­ge Ori­en­tie­rungs­hil­fe, vor allem dann, wenn kri­tisch damit umge­gan­gen wird. Wesent­lich ist es, die ver­schie­de­nen Aspek­te erör­tern zu kön­nen und nicht zuletzt, ande­re zu über­zeu­gen. Dazu ist kri­ti­sches Den­ken erfor­der­lich. Daher geht es um die ethi­sche, poli­ti­sche, öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Ver­ant­wor­tung im Inge­nieur­we­sen. Erst das macht ›gute‹ Tech­nik mög­lich, ein ›gutes‹ Gewis­sen und nicht zuletzt gute Professionalität. 

Band­icoot Robot: Con­ver­ting man­ho­le to robo­ho­le (2018).—Quelle: Public Domain via Wikimedia.

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Vorlesungen und Seminare


Energie und Ethik

Leitbilder im philosophischen Diskurs

Rio de Janei­ro, Ber­lin, Kio­to und Bue­nos Aires—weitere Kon­fe­ren­zen der UNO wer­den hin­zu­kom­men in dem Bemü­hen um inter­na­tio­nal ver­bind­li­che Ver­ein­ba­run­gen zum Schutz der Erd­at­mo­sphä­re. Die Ver­bren­nung fos­si­ler Ener­gie­trä­ger wie Koh­le, Gas oder Öl im der­zei­ti­gen Umfang führt zu erhöh­ten Kon­zen­tra­tio­nen von Koh­len­di­oxid in der Atmo­sphä­re, wodurch aller Vor­aus­sicht nach das Kli­ma der Erde ent­schei­dend ver­än­dert wird. Als Fol­ge erwar­ten die mei­sten Exper­ten eine Tem­pe­ra­tur­er­hö­hung und damit die Aus­deh­nung von Trocken­ge­bie­ten, eine Erhö­hung des Mee­res­spie­gels sowie die Zunah­me von Wir­bel­stür­men, Über­schwem­mun­gen und extre­men Wet­ter­la­gen. Um die damit ein­her­ge­hen­den Fol­gen abzu­mil­dern, ver­sucht die inter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft, Reduk­ti­ons­zie­le für CO2 fest­zu­le­gen. So hat sich bei­spiels­wei­se Deutsch­land ver­pflich­tet, 25% bei der CO2 –Emis­si­on bis zum Jah­re 2005 ein­zu­spa­ren. Aller­dings sind die­se Maß­nah­men nicht unum­strit­ten, denn die Simu­la­tio­nen der zukünf­ti­gen Kli­ma­ent­wick­lung geben immer noch hin­rei­chend Raum für Inter­pre­ta­ti­on und Spekulation.

Heinz--Ulrich Nennen, Georg Hörning (Hrsg.): Energie und Ethik. Leitbilder im philosophischen Diskurs. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1999.

Heinz–Ulrich Nen­nen, Georg Hör­ning (Hrsg.): Ener­gie und Ethik. Leit­bil­der im phi­lo­so­phi­schen Dis­kurs. Cam­pus-Ver­lag, Frank­furt am Main 1999.

Auch natür­li­che Kli­ma­schwan­kun­gen sind erheb­lich. Eis­zei­ten, Zwi­schen­eis­zei­ten, Wär­me– und Käl­te­pe­ri­oden, mit­un­ter aus­ge­löst durch Meteo­ri­ten­ein­schlag, sind immer wie­der zu ver­zeich­nen gewe­sen. Die­sen Kata­stro­phen sind gan­ze Kul­tu­ren zum Opfer gefal­len, aller­dings sind sie ohne das Hin­zu­tun des Men­schen ein­ge­tre­ten. Die Mög­lich­keit einer anthro­po­ge­nen glo­ba­len Kli­ma­än­de­rung ist dage­gen ein abso­lu­tes Novum in der Erd­ge­schich­te. Mitt­ler­wei­le befas­sen sich Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men in wohl­ver­stan­de­nem Eigen­in­ter­es­se ver­stärkt mit Maß­nah­men zur Vorsorge.

Selbst wenn die Welt­kli­ma­mo­del­le auf abseh­ba­re Zeit kei­ne dezi­dier­ten Vor­her­sa­gen erlau­ben soll­ten, so wäre es auch aus ande­ren Grün­den sinn­voll, nach Wegen zu suchen, den Ein­satz fos­si­ler Ener­gie zu begren­zen. Im Gegen­teil, es wäre begrün­dungs­pflich­tig, den bis­he­ri­gen Ein­satz die­ser Ener­gien im gewohn­ten Umfang bei­zu­be­hal­ten, obwohl Alter­na­ti­ven zur Ver­fü­gung ste­hen. Kon­kret stellt sich damit die Fra­ge glo­ba­ler Umwelt­ver­än­de­run­gen als Her­aus­for­de­rung an das Gestal­tungs­ver­mö­gen vor Ort. Die Moti­ve sind viel­fäl­ti­ger Natur, sie rei­chen von der Sor­ge um den Ver­lust an Lebens­qua­li­tät bis hin zu wirt­schaft­li­chen, sozia­len und ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Anliegen.

Das Problem

Es sind nicht ledig­lich Fra­gen der Tech­nik ange­spro­chen, wenn es um die Gestal­tung zukünf­ti­ger Ener­gie­sy­ste­me geht. Das wird beson­ders dort deut­lich, wo unter­schied­li­che Ver­ständ­nis­se von Ver­zicht auf­ein­an­der tref­fen. Allein die Dif­fe­ren­zie­rung, ob es sich um ein Ver­zich­ten müs­sen oder um ein Ver­zich­ten kön­nen han­delt, ist bezeich­nend für die Ebe­ne auf der sich der Energie–Diskurs bewegt. Wel­che Tech­nik, wel­ches Ver­hal­ten und wel­cher Zukunfts­ent­wurf sind maß­geb­lich für die Gestal­tung der künf­ti­gen Ener­gie­ver­sor­gung? Die­se Aspek­te von Tech­nik­fol­gen­be­wer­tung las­sen sich in Leit­bil­dern ver­dich­ten, mit denen sich auch Gene­ra­tio­nen von­ein­an­der abgrenzen.

Unter­schied­li­che Leit­bil­der mit­ein­an­der in den Dis­kurs zu brin­gen, war Auf­ga­be des hier doku­men­tier­ten Pro­zes­ses. Es galt zu beur­tei­len, wel­ches von vier exem­pla­ri­schen Sze­na­ri­en einer zukünf­ti­gen Ener­gie­ver­sor­gung und –nut­zung zu emp­feh­len sei. Dabei wer­den unmit­tel­bar Fra­gen der Ethik auf­ge­wor­fen, ins­be­son­de­re dort, wo Grund­rech­te zur Dis­po­si­ti­on ste­hen könn­ten. Die Wahl einer der mög­li­chen Stra­te­gien zur CO2 –Reduk­ti­on stellt eine Her­aus­for­de­rung an die demo­kra­ti­sche Kul­tur dar, weil sich mit die­sen Stra­te­gien unter­schied­li­che Lebens­sti­le verbinden.

Dis­kur­se zur Ener­gie­fra­ge sind Aus­druck tie­fer­ge­hen­der gesell­schaft­li­cher Kon­flik­te: Ver­schie­de­ne Ent­wür­fe eines gelin­gen­den Lebens oder einer erfolg­rei­chen und erstre­bens­wer­ten Wirt­schafts­wei­se ste­hen zur Debat­te, gera­de weil nicht ledig­lich Tech­no­lo­gien der Strom­erzeu­gung oder Nut­zungs­tech­ni­ken, wie Kern­ener­gie und 3–Liter–Auto, im Vor­der­grund ste­hen. Gesamt­ge­sell­schaft­li­che Kon­flikt­lö­sun­gen las­sen sich immer weni­ger aus der tages­po­li­tisch moti­vier­ten Zusam­men­schau iso­lier­ter Per­spek­ti­ven ablei­ten. Statt­des­sen ist eine Gesamt­schau erfor­der­lich, im Wech­sel der Per­spek­ti­ven ver­schie­de­ne, auf kon­trä­ren Leit­bil­dern beru­hen­de Optio­nen zu Ener­gie­nach­fra­ge und –ver­sor­gung zu eröffnen.

Die Bewer­tung der Optio­nen erfor­dert einer­seits den phi­lo­so­phi­schen Dis­kurs sowie ande­rer­seits ein geeig­ne­tes Ver­fah­ren der Bür­ger­be­tei­li­gung, wobei ent­schei­dend ist, daß es um mehr geht, als um den iso­lier­ten Aus­druck par­ti­ku­la­rer Fach­in­ter­es­sen, wirt­schaft­li­cher Fol­gen oder gesell­schaft­li­cher Kon­se­quen­zen, son­dern um den umfas­sen­den Pro­zeß der Abwä­gung vor dem Hin­ter­grund des gesam­ten Fra­ge­spek­trums. Dazu sind ein fun­dier­tes Auf­ar­bei­ten der Sach­la­ge, die Dar­stel­lung rea­li­sti­scher Hand­lungs­op­tio­nen ein­schließ­lich der mög­li­cher­wei­se damit ein­her­ge­hen­den Kon­se­quen­zen sowie eine Refle­xi­on der gesell­schaft­lich rele­van­ten Bewer­tungs­kri­te­ri­en aus der Sicht­wei­se von Betrof­fe­nen erforderlich.

Immer häu­fi­ger wer­den auch Ethi­ker um Rat gefragt, wenn es um Fra­gen der Zukunfts­ge­stal­tung geht. Oft­mals wird dabei unter­stellt, sei­tens der phi­lo­so­phi­schen Ethik lie­ßen sich unanzwei­fel­ba­re und ein­deu­ti­ge Ant­wor­ten, ›rich­ti­ge‹ und ›all­ge­mein­gül­ti­ge‹ Lösungs– und Bewer­tungs­stra­te­gien bei kon­tro­vers dis­ku­tier­ten Sach­ver­hal­ten für die ver­ant­wort­li­che und ver­ant­wort­ba­re Ent­schei­dungs­vor­be­rei­tung geben. Die­ser Erwar­tung kann nicht ent­spro­chen wer­den: Ein sol­ches phi­lo­so­phi­sches ›Macht­wort‹ kann nicht die Auf­ga­be der phi­lo­so­phi­schen Ethik sein. Vor dem Hin­ter­grund einer ange­spann­ten Welt, in der fun­da­men­ta­li­sti­sche Strö­mun­gen mit der Wis­sen­schaft um das Mono­pol der Welt­deu­tung rin­gen, kön­nen weder Ethik noch Phi­lo­so­phie zu Garan­ten letzt­ver­bind­li­cher Hand­lungs­ma­xi­men und all­ge­mein­ver­bind­li­cher Gesichts­punk­te der Bewer­tung wer­den. Auf­ga­be der Phi­lo­so­phie kann es schon gar nicht sein, vor­schnell Par­tei zu ergrei­fen. Sie kann Anre­gun­gen geben und auch advo­ka­to­risch pro­vo­zie­ren­de Posi­tio­nen vertreten—in der Hoff­nung, neue Optio­nen und Per­spek­ti­ven zu eröffnen.

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