Heinz-Ulrich Nennen | www.nennen-online.de

ZeitGeister | Philosophische Praxis

Akademie für Philosophische Psychologie

Category: Lehramt

Supervision als Weiterbildung

Der Brunnen

Der Brun­nen ist das Sym­bol für die Tie­fe, aus der wir schöp­fen. Im Mär­chen führt das direkt in ande­re Wel­ten. Aber es kommt auch auf die Moti­ve an, denn immer ist auch ein Wag­nis damit ver­bun­den, sich auf Tie­fe einzulassen.

Wenn ande­re in den Brun­nen sprin­gen, müs­sen wir nicht das­sel­be tun. Oft genügt bereits, sich vor Augen zu füh­ren, wie es sich anfühlt und was dar­aus fol­gen kann. Auf das Vor­stel­lungs­ver­mö­gen kommt es an.

Erfahrung

Jean-Léon Gérô­me: Die Wahr­heit kommt aus ihrem Brun­nen (1896).

Das sprich­wört­lich in den Brun­nen gefal­le­ne Kind bezeich­net die eher schlech­te Erfah­rung. Was nicht gesche­hen soll­te, ist dann pas­siert. – Aber wir ler­nen gera­de anhand von schlech­ten Erfah­run­gen ganz beson­ders gut.

Es kommt also dar­auf an, aus „schlech­ten Erfah­run­gen“ etwas Gutes zu machen. Und dabei ent­fal­tet unse­re Spra­che ihre magi­schen Qualitäten. 

Wir kön­nen in der Vor­stel­lung gan­ze Wel­ten auf- und unter­ge­hen las­sen, um die eine Welt, auf die es ankommt, zu erhal­ten und weiterzuentwickeln. 

Wir müs­sen nicht jede Erfah­rung selbst machen. Es genügt, sich gemein­sam vor Augen zu füh­ren, wie „es“ ist. Nicht nur die Pra­xis allein ist daher ent­schei­dend, son­dern vor allem die Fähig­keit, in Alter­na­ti­ven zu den­ken. 

Durch Super­vi­si­on kön­nen wir uns vor Augen füh­ren, wann, war­um und wes­halb etwas nach allen Regeln der Kunst schief gehen muß.—Allein durch unser Vor­stel­lungs­ver­mö­gen kön­nen wir der­weil ganz neue Erfah­run­gen machen, die auch hilf­reich sind, in der Pra­xis das eige­ne Selbst­be­wußt­sein zu entwickeln.

Supervision

Nichts ist hilf­rei­cher als ein inten­si­ver Erfah­rungs­aus­tausch unter Fach­leu­ten, die aus eige­ner Anschau­ung wis­sen, wor­auf es ankommt. Wir sind eben kei­ne Maschi­nen, son­dern jede® von uns ist etwas Beson­de­res mit eige­nen Stär­ken und Schwä­chen, aber auch mit unent­deck­ten Potentialen. 

Ich bin Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Karls­ru­he und gebe seit Jah­ren beson­de­re Semi­na­re für ange­hen­de Lehr­kräf­te. Es geht dabei um eine vor­ge­zo­ge­ne Super­vi­si­on. Aus vie­len Rück­mel­dun­gen von Stu­die­ren­den weiß ich, daß sie mei­ne Semi­na­re schät­zen, weil ihnen genau die­se Erfah­run­gen fehlen. 

In jeder Sit­zung gehen wir gemein­sam in Kri­sen­si­tua­tio­nen, die im All­tag frü­her oder spä­ter auf­kom­men. Es kommt dar­auf an, die Rah­men­be­din­gun­gen zu ken­nen, also was darf, soll, muß ich tun oder auch unter­las­sen? Wo lie­gen die Gren­zen der eige­nen Kom­pe­tenz und der Zustän­dig­keit? Wel­cher „Hut” soll­te jeweils wann auf­ge­setzt werden?—Dabei sind die Erwar­tun­gen oft höchst wider­sprüch­lich, die von Leh­rern und Leh­re­rin­nen gera­de­zu vor­bild­lich erfüllt wer­den sollen.

Wir gehen also bewußt und beherzt auf Dilem­ma-Situa­tio­nen zu. Leh­rer und Leh­re­rin­nen soll­ten vor pro­fes­sio­nel­lem Hin­ter­grund ein­schät­zen und begrün­den kön­nen, was man im Fal­le des Fal­les war­um und wes­halb für ange­mes­sen hält. Das dazu erfor­der­li­che Urteils­ver­mö­gen wird in die­sen Semi­na­ren geför­dert, weil die Dia­lo­ge und Dis­kur­se selbst zur Wirk­lich­keit wer­den, in denen Mög­lich­kei­ten ohne Scheu durch­ge­spielt wer­den können. 

Weiterbildung  

Die Agenda:

  • Wahl­wei­se 14, 8 oder 3 Termine
  • Max. 16 Teil­neh­mer u. Teilnehmerinnen
  • Empa­thi­sche Dialoge
  • Pro­blem­zen­trier­te Diskurse
  • Bear­bei­ten Sie Ihre Stär­ken und Schwä­chen in der Gruppe
  • Mit­ein­an­der und von­ein­an­der lernen.
  • Auch unkon­ven­tio­nel­le Lösun­gen durchspielen
  • Die Welt mit den Augen ande­rer betrach­ten und erörtern
  • Nach der Prä­sen­ta­ti­on erhal­ten Sie ein per­sön­li­ches Feed­back im Dia­log unter vier Augen 

Pro Semester werden drei Veranstaltungen angeboten: 

  1. Ent­we­der wöchent­lich, online via Zoom: Super­vi­si­on (a);
  2. Oder zunächst 5 x online, sowie ein Wochen­en­de, Fr, Sa. und So: Super­vi­si­on (b).
  3. Oder als Prä­sens­ver­an­stal­tung an 3 Sams­ta­gen im Juni 2024: Super­vi­si­on ©.

Anmeldung und Teilnahme

Anfra­gen per Mail

Anmel­dung: heinz-ulrich.nennen@t‑online.de

Sprech­stun­de via Zoom: Nach Ver­ein­ba­rung per Mail.


EPG II

Ober­se­mi­nar

EPG II 

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

SS 2024 | mitt­wochs | 14:00–15:30 Uhr | online 

Beginn: 17. April 2024 | Ende: 24. Juli 2024

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden. 

Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt.—Mitunter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erforderlich.—Einerseits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müssen.—Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zuständig.—Unangebrachtes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird.—Inklusion, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken.—Unvergessen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II.—Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

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EPG II b

EPG II b (Online und Block)

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

WS 2023 | Beginn: 19. Januar 2024 | Ende: 3. März 2023 | Online und Block
Ab 19. Janu­ar 2024: 5 Semi­na­re online | frei­tags: 14:00–15:30 Uhr, sowie
3 Work­shops im Block: Fr, 1.03.2024 | Sa, 2.03.2024 | So, 3.03.2024
jeweils 14–19 Uhr | Raum: 30.91–012.

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden.—Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt.—Mitunter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erforderlich.—Einerseits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müssen.—Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zuständig.—Unangebrachtes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird.—Inklusion, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken.—Unvergessen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II.—Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

Stichworte für Themen

#„ADHS“ #Auf­merk­sam­keit #Bewer­tung in der Schu­le #Cyber­mob­bing #Digi­ta­li­sie­rung #Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men #Eltern­ge­sprä­che #Erzie­hung und Bil­dung #Gen­der­di­ver­si­ty #Hel­den­rei­se und Per­sön­lich­keit in der Schu­le #Inklu­si­on #Interesse–Lernen–Leistung #Inter­kul­tu­rel­le Inklu­si­on #Isla­mis­mus #Kon­flik­te mit dem Islam in der Schu­le #Kon­flikt­in­ter­ven­ti­on durch Lehr­per­so­nen #Leh­re­rIn sein #Leh­rer­ge­sund­heit #Medi­en­ein­satz #Medi­en­kom­pe­tenz #Mit­be­stim­mung in der Schu­le #Mob­bing #Online-Unter­richt #Poli­ti­cal Cor­rect­ness #Pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis #Pro­jekt­un­ter­richt #Puber­tät #Refe­ren­da­ri­at #Respekt #Schu­le und Uni­ver­si­tät #Schul­fahr­ten #Schul­ver­wei­ge­rung #Sexua­li­tät und Schu­le #Stra­fen und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men #Zivi­ler Ungehorsam


EPG II a

Ober­se­mi­nar

EPG II a – Online

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

SS 2023 | don­ners­tags | 14:00–15:30 Uhr | online 

Beginn: 20. April 2023 | Ende: 27. Juli 2023

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden. 

Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt.—Mitunter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erforderlich.—Einerseits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müssen.—Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zuständig.—Unangebrachtes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird.—Inklusion, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken.—Unvergessen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II.—Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

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EPG II b

EPG II b (Online und Block)

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

SS 2023 | Beginn: 30. Juni 2023 | Ende: 13. August 2023 | Online und Block
Ab 30. Juni 2023: 5 Semi­na­re online | frei­tags: 14:00–15:30 Uhr, sowie
3 Work­shops im Block: Fr, 11.08.2023 | Sa, 12.08.2023 | So, 13.08.2023
jeweils 14–19 Uhr | Raum: 30.91–012.

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden.—Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt.—Mitunter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erforderlich.—Einerseits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müssen.—Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zuständig.—Unangebrachtes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird.—Inklusion, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken.—Unvergessen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II.—Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

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Menschenbilder

Für eine neue Pädagogische Anthropologie

Die Auf­ga­ben für Lehr­kräf­te stei­gen seit Jah­ren, weil Gesell­schaft und Staat kei­ne Vor­stel­lung mehr haben, wor­auf es ankommt.—Aus Bil­dung ist Aus­bil­dung gewor­den und das vor dem unmensch­li­chen Bild einer „natür­li­chen” Aus­le­se, als leb­ten wir noch im Tierreich.

Die Zahl der Lehr­kräf­te wird immer gerin­ger, weil es kaum noch ein belast­ba­res, posi­ti­ves Men­schen­bild gibt und Über­zeu­gun­gen, dafür auch ein­tre­ten zu können.—Und die Gesell­schaft gefällt sich dar­in, alles ein­fach nur abzuwälzen.

Im Zuge der Corona–Krise ist deut­lich gewor­den, daß etwas faul ist mit dem mis­an­thro­pi­schen Men­schen­bild. Die Zei­ten sind vor­bei, als reli­giö­se oder poli­ti­sche Ideo­lo­gien noch die Vor­stel­lun­gen von der „Bil­dung des Men­schen­ge­schlechts” beherrsch­ten. Nur der Mis­an­thro­pis­mus ist noch geblieben.

Aber den mie­sen Men­schen­bil­dern kann man bei­kom­men. Es gilt, eine all­ge­mei­ne Rat­lo­sig­keit, die nicht sel­ten in tie­fe Ver­zweif­lung füh­ren, durch neue Zuver­sicht zu überwinden.

Dazu braucht es wie­der ein stand­fe­stes Auf­tre­ten von Phi­lo­so­phen, Erzie­hungs­wis­sen­schaft­le­rin­nen, Päd­ago­gen und Päd­ago­gin­nen. Aber die­se müs­sen sich erst ein­mal ihrer­seits neu über­zeu­gen von der Bedeu­tung ihres Tuns und von der Legi­ti­mi­tät ihrer Professionen.

Zunächst ist in der Päd­ago­gik selbst ein wie­der moti­vie­ren­des Men­schen­bild erforderlich.—Die Theo­rien dazu sind da. Es kommt nun dar­auf an, eine zeit­ge­mä­ße Pra­xis und ein neu­es Selbst­ver­ständ­nis auf die­sen Fun­da­men­ten zu errichten.

Auf das Menschenbild kommt es an

Seit Jah­ren gebe ich Semi­na­re für ange­hen­de Leh­rer und Leh­re­rin­nen am KIT in Karlsruhe.—Aber jetzt möch­te ich nicht mehr nur exklu­siv dort wir­ken, son­dern Semi­na­re zur Super­vi­si­on, zum Atem­ho­len, Über­le­gen, Nach­den­ken und zu neu­em Mut anbie­ten. Denn mir ist immer wie­der auf­ge­fal­len: Die Moti­vation kann nur von innen kom­men, von einem Men­schen­bild, das von einer inne­ren Wär­me erfüllt ist.

Der vitru­via­ni­sche Mensch
Leo­nar­do da Vin­ci, ca. 1490;
Gal­le­ria dell’ Acca­de­mia, Venedig.

In der Theo­rie gibt es die­se Per­spek­ti­ven bereits seit 1928, als mit der Anthro­po­lo­gi­schen Wen­de die ersten Dis­kur­se auf­ka­men dar­über, wel­che wis­sen­schaft­lich gesi­cher­ten Aus­sa­gen gemacht wer­den kön­nen über das ver­meint­li­che „Wesen des Menschen”.

Damals ent­stand die Anthro­po­lo­gie als trans­dis­zi­pli­nä­rer Dis­kurs über die „Con­di­tio humana”.—Inzwischen ist dar­aus ein beein­drucken­des Ensem­ble aus einer Viel­zahl aller erdenk­li­cher Wis­sen­schaf­ten aus Natur–, Kul­tur– und Gei­stes­wis­sen­schaf­ten geworden.

In Zwei­fels­fäl­len kön­nen wir die­se Dis­kur­se wie ein Ora­kel anru­fen, um Fra­gen zu beant­wor­ten, deren Ant­wor­ten oft nur vor­ein­ge­nom­men sind. In sol­chen Streit­fra­gen wirkt die Anthro­po­lo­gie wie ein wis­sen­schaft­li­ches Orakel.

Wich­tig ist nicht nur, was aus­ge­sagt wird, son­dern auch wie und auf wel­che Fra­gen wir tat­säch­lich erschöp­fen­de Ant­wor­ten erhal­ten. So läßt sich man­ches sehr klar ent­schei­den, weil es um beleg­ba­re Fak­ten und rekon­stru­ier­ba­re Zusam­men­hän­ge geht, die sich erör­tern lassen.

Aber noch inter­es­san­ter wird es, wenn wir von der Anthro­po­lo­gie gar kei­ne oder nicht erschöp­fen­de Ant­wor­ten erhal­ten, son­dern nur noch die Aus­kunft, es wür­de ein Prin­zip zugrun­de lie­gen. So ist die Ant­wort auf die Fra­ge nach dem Wesen des Men­schen in etwa so zu beant­wor­ten, daß es dar­in liegt, sich selbst zu kul­ti­vie­ren, sich selbst zu „bil­den”. Dann wird deut­lich, wie sehr das mensch­li­che Wesen davon geprägt ist, „offen” zu sein.

Wir sind nicht vor­de­fi­niert wie Tie­re, wir sind zur Frei­heit gebo­ren, was aber auch mit Frei­heits­schmer­zen ver­bun­den ist.—Daher brau­chen wir Men­to­ren in der Funk­ti­on von Heb­am­men, Beglei­tern und Rat­ge­be­rin­nen bereits bei den ersten Schrit­ten und auch spä­ter noch auf dem Weg in eine ganz indi­vi­du­el­le Zukunft, in der es glück­lich macht, sich selbst bei er eige­nen Ent­fal­tung über die Schul­ter zu sehen.

Die „Unbe­stimmt­heit” des mensch­li­chen Wesens ist das, was die „Wür­de des Men­schen” aus­macht. Dar­in liegt das eigent­li­che Geheim­nis des Erfolgs in der Menschheitsgeschichte.
Wir ste­hen auf den Schul­tern von Riesen.


Soziale Kompetenzen und geistige Inkompetenzen

Fairneß als Zeichen von Größe

Es gibt sozia­le Kom­pe­ten­zen, die weit wich­ti­ger sind als eine in sich selbst ver­lieb­te Kon­kur­renz­ge­sell­schaft, die doch nur am Ast sägt, auf dem sie sitzt.—Das wur­de am Frei­tag deut­lich, im Semi­nar für ange­hen­de Leh­rer und Leh­re­rin­nen, in dem es um Pro­fes­sio­na­li­tät und Berufs­ethik geht.

Man mag es kaum mehr glau­ben, aber Kin­der brin­gen ein Gefühl für Gerech­tig­keit gleich mit auf die Welt. Sie kämp­fen sogar dafür, wis­sen aber viel­leicht noch nicht genau, wie man sol­che Wer­te lebt ohne als dumm hin­ge­stellt zu werden.

Hört man Vor­schul­kin­dern beim gemein­sa­men Spie­len zu, dann ver­han­deln sie die Regeln fast eben­so lan­ge, wie tat­säch­lich auch gespielt wird. Und der Satz: „Das gil­det nicht!“, klingt mir noch immer in den Ohren.—Wie so oft hat Jean Jac­ques Rous­se­au mal wie­der Recht: Die Natur des Men­schen ist und bleibt gut, solan­ge die Gesell­schaft kei­nen schlech­ten Ein­fluß ausübt.

Gera­de im Gere­de über die ver­meint­li­che Natur des Men­schen glau­ben vie­le ohne die gering­ste Ahnung von Anthro­po­lo­gie, ihre beschränk­te Sicht der Din­ge und vor allem ihre Res­sen­ti­ments unwi­der­spro­chen ver­all­ge­mei­nern zu dürfen.

Wolfsmärchen

Man glaubt es aus eige­ner Anschau­ung bes­ser zu wis­sen. Wir leben angeb­lich in einer Kon­kur­renz- und Lei­stungs­ge­sell­schaft, im Kampf aller gegen alle, auf der frei­en Wild­bahn, inmit­ten hoch­zi­vi­li­sier­ter Wel­ten, die von vorn bis hin­ten men­schen­ge­macht sind.—Also was soll die Beru­fung auf die angeb­li­che „Natur des Menschen“?

Tat­säch­lich haben wir alle erdenk­li­chen Frei­hei­ten, uns nach eige­nen Vor­stel­lun­gen zu „kul­ti­vie­ren“ in unse­rer Natur, als Per­son und vor allem in unse­rem Cha­rak­ter. Aber genau die­se Frei­heit ist vie­len suspekt.

Dage­gen dient die Beru­fung auf eine angeb­lich schlech­te Natur des Men­schen der Recht­fer­ti­gung, den Ein­zel­nen die ihnen zuste­hen­den Frei­hei­ten in der Selbst­fin­dung vor­zu­ent­hal­ten und zugleich so etwas wie „Men­schen­füh­rung“ zu bean­spru­chen, mit der sich die Herr­schaf­ten zu allen Zei­ten immer sehr gut legi­ti­mie­ren haben.—Entmündigung und Bevor­mun­dung sind daher noch immer auch in angeb­lich „frei­en“ Gesell­schaf­ten die Regel.

Die Coro­na-Zeit hat über­deut­lich gemacht, wie begrenzt die Halt­bar­keit der angeb­lich garan­tier­ten Grund­rech­te eigent­lich ist. Aus purer Angst haben vie­le ihre unver­äu­ßer­li­chen Grund­rech­te gegen ver­meint­li­che Sicher­hei­ten getauscht. Aber so etwas war schon immer ein schlech­ter Tausch.

Jean-Léon Gérô­me: Die Wahr­heit kommt aus ihrem Brun­nen (1896).

Der von Kant gefor­der­te Mut, sich des eige­nen Ver­stan­des zu bedie­nen, ist eben kein Kin­der­spiel. Angst war schon immer der schlech­te­ste aller Rat­ge­ber, Haß und Het­ze waren noch nie ein Aus­druck guter Poli­tik. Aber man­che sind das Opfer eige­ner Äng­ste und grei­fen hän­de­rin­gend nach allem, was angeb­lich Halt ver­spricht. Es war manch­mal wie bei einer Mas­sen­pa­nik, bei der man­che ein­fach tot­ge­tram­pelt wurden.

Sou­ve­rä­ni­tät, Gelas­sen­heit und Auto­no­mie haben Sel­ten­heits­wert, wo alles über einen Lei­sten geschla­gen wird.

Fairneß

Aus­ge­rech­net im Lei­stungs­sport, bei dem es ja angeb­lich immer nur ums Gewin­nen geht, also inmit­ten der Ellen­bo­gen­ge­sell­schaft, gibt es aber noch ganz ande­re Wer­te: Fair­neß, Gerech­tig­keit und Authen­ti­zi­tät sind Zei­chen wahr­haf­ter Grö­ße. Nur muß man sich so etwas lei­sten wol­len und auch können.

Wenn etwa bei der Tour de France alle Fah­rer auf einen Kon­kur­ren­ten war­ten, der zuvor unglück­lich gestürzt war. Aus Grün­den der Fair­neß zügeln alle plötz­lich den unbe­ding­ten Wil­len zum Sieg. Wenn sie dann mit beein­drucken­den Gesten dar­auf war­ten, daß einer von ihnen aus höhe­ren Grün­den als erster ins Ziel fah­ren kann, dann zeigt sich, was mensch­li­che Grö­ße ausmacht.—Wenn eine Ski­läu­fe­rin der Kon­kur­ren­tin mit­ten im Ren­nen ihren Stock „aus­leiht”, dann aber selbst stür­zen und sogar ver­lie­ren muß. Auch wenn jener Fuß­bal­ler, der im Straf­raum gestürzt aber kei­nes­wegs zu Fall gebracht wor­den ist, beim Schieds­rich­ter gegen den bereits gege­be­nen Elf­me­ter plä­diert, dann haben wir gute Bei­spie­le, die der dump­fen Ideo­lo­gie unse­rer angeb­lich so herz– und geist­lo­sen Kon­kur­renz­ge­sell­schaft haus­hoch über­le­gen sind.

Wie lau­tet doch der drei­ste Spruch einer der dümm­sten Wer­be­kam­pa­gnen aller Zei­ten: „Ich bin doch nicht blöd!“—Genau: Gele­gen­heit macht Die­be und wer etwas steh­len kann und es nicht tut, ist doch ein­fach nur blöd. Wer sich einen betrü­ge­ri­schen Vor­teil ver­schaf­fen kann, wäre doch blöd, es nicht zu tun, oder?

Die Seele des schlechten Gewissens

Alle viel zu dürf­tig den­ken­den Schlau­mei­er ver­ges­sen dabei jedoch eines: Wir sind nie allein. Wir haben immer einen Zeu­gen dabei, näm­lich uns selbst. Es ist das schlech­te Gewis­sen und hin­ter alle­dem steht die eige­ne Seele.

Davon ist seit gerau­mer Zeit immer weni­ger die Rede: Unse­re See­le weiß offen­bar sehr genau, was wirk­lich gut ist für ande­re und auch für uns selbst.—Ich ver­mu­te inzwi­schen, daß man­che Depres­si­on von einem schlech­ten Gewis­sen her­rüh­ren dürf­te, die von einer in die Ecke gestell­ten See­le ausgehen.

Nicht von unge­fähr wird die­ser Tage der Unter­schied zwi­schen Psy­che und See­le immer wich­ti­ger. Denn die Psy­che ist offen­bar inzwi­schen selbst zum Teil des Pro­blems gewor­den. Sie stellt sich nur zu gern als Opfer hin, ist oft aber auch Täter an sich selbst, und dabei wirbt sie wie die Poli­ti­ker für ihre viel zu ein­fäl­ti­gen Machenschaften.—Tatsächlich sind die eigent­li­chen Moti­ve oft nur von die­ser Welt, wenn man an Nar­ziß­mus, Gel­tungs­sucht, Selbst­ver­liebt­heit, Vor­ein­ge­nom­men­heit, Rach­sucht, Haß, Neid und Eitel­keit denkt.

Aber fra­gen wir gene­rell: War­um „gut“ sein wol­len und vor allem wozu?—Nur aus Angst vor Stra­fe, wenn man erwischt wür­de, oder viel­mehr aus eige­nem Antrieb, also von innen her, aus eige­ner Moti­va­ti­on, weil wir uns eben die Frei­heit zur Grö­ße tat­säch­lich her­aus­neh­men und auch lei­sten wollen.

Wür­de den Belan­gen der See­le mehr Raum ver­schafft, die Wei­ter­ent­wick­lung der eige­nen Per­son, der gan­zen Welt, ja sogar der gan­zen Mensch­heit wür­de bemer­kens­wer­te Ent­wick­lun­gen machen bis hin zu einer sehr viel mensch­li­che­ren Welt.—Aber vie­le glau­ben, mit dunk­len Machen­schaf­ten, Rück­sichts­lo­sig­kei­ten, ja sogar mit Lug und Betrug sehr viel bes­ser durch­zu­kom­men. Fragt sich nur wozu und wohin sie „durch­kom­men” wollen.

Ein Zauberring, der unsichtbar macht

Bei Pla­ton wird die­ses Pro­blem näher erläu­tert anhand eines Motivs von einem magi­schen Ring mit der Fähig­keit, den Trä­ger unsicht­bar zu machen. Der Mythos vom Ring des Gyges geht auf eine anti­ke Erzäh­lung zurück, die in vie­len Vari­an­ten durch­ge­spielt wor­den ist.—Die Kern­fra­ge aber lau­tet immer: Was wür­de man tun, wenn man die­sen Ring hät­te und dann unge­straft tun könn­te, was und wie es einem beliebt.

Eglon van der Neer: Die Frau des Kan­dau­les ent­deckt den ver­steck­ten Gyges (1660).

Im Dia­log bei Pla­ton wird mit der Alle­go­rie vom Zau­ber­ring erör­tert, was in Päd­ago­gik und Psy­cho­lo­gie als „intrin­si­sche Moti­va­ti­on“ bezeich­net wird.—Wer sich näm­lich unsicht­bar machen kann, der wäre schlicht unan­greif­bar und daher übermächtig.

Die Fra­ge liegt also auf der Hand: Wenn einem gar nichts pas­sie­ren kann, egal was man tut; war­um soll­te man dann noch mora­lisch moti­viert sein?

Schön und lehr­reich ist es immer, so etwas durch­zu­spie­len, um in Erfah­rung zu brin­gen, was dann wirk­lich geschieht, wenn man es täte. Die Aus­sich­ten auf den ver­meint­li­chen Erfolg fin­ste­rer Machen­schaf­ten wer­den tat­säch­lich als­bald getrübt, wenn wir die Fol­gen näher in Augen­schein nehmen.—Menschen haben näm­lich nicht wirk­lich ech­te Freu­de am Erschwin­del­ten. Genau­er bese­hen zählt es nicht nur nicht, es fällt sogar alles zurück auf die, die es ver­sucht haben, auf die­se Wei­se einen Erfolg ein­zu­heim­sen, der gar kei­ner war.

Gera­de gegen die­sen Impuls, sich sol­che Frei­hei­ten zum Lügen und Betrü­gen her­aus­zu­neh­men, gibt es wie­der sehr schö­ne Gegen­bei­spie­le. Tat­säch­lich ist uns näm­lich an ech­ter, wohl­ver­dien­ter Aner­ken­nung gele­gen und alles ande­re zählt nicht wirklich.

Da gibt es bei­spiels­wei­se die Bal­la­de von einem mäch­ti­gen Mann, der eine jun­ge Frau begehrt, die ihm aber nicht zuge­tan ist. In sei­ner Lie­bes­not ver­legt sich die­ser selt­sa­me Vogel auf einen See­len­zau­ber, um die Dame sei­nes Her­zens doch noch dazu zu bewe­gen, ihm gewo­gen zu sein und der Zau­ber verfängt.—Aber er hat die Rech­nung ohne den Wirt gemacht. Er kann ein­fach nicht glück­lich wer­den mit die­ser gestoh­le­nen Lie­be, weil sie ja nicht „echt“ ist.

Oder wenn etwa der ver­mö­gen­de Intim­freund einer auf­stre­ben­den Künst­le­rin die­ser einen ganz gro­ßen Gefal­len tun will, indem er die von ihr geschaf­fe­nen, bis­her nicht son­der­lich gut ver­kauf­ten Kunst­wer­ke ein­fach sei­ner­seits erwirbt. Er hat ja schließ­lich Geld genug und kann es sich leisten.—Was wird aber gesche­hen, sobald sie dahin­ter­kommt, daß er es war, der alles auf­ge­kauft hat? Käme sie sich dann nicht reich­lich blöd vor?

Man sieht, sol­che Rech­nun­gen gehen ein­fach nicht auf. Wenn etwas nicht echt ist, dann kann und darf es gar nicht zäh­len, das wis­sen bereits Kin­der sehr früh.—Daher wol­len wir ent­we­der ech­te Aner­ken­nung oder lie­ber gar kei­ne. Im Zwei­fels­fall kann man das eige­ne Schei­tern noch immer als Zei­chen ech­ter Grö­ße zele­brie­ren. Man hat es eben ehr­lich ver­sucht, aber die Welt war noch nicht reif genug.

Wir legen also gro­ßen Wert dar­auf, sicher zu gehen, daß ande­re uns nicht ein­fach nur schmei­cheln und etwas vor­ma­chen wol­len. Und sogar Kin­der, die erst noch das Auch–mal–Verlieren–Können ler­nen müs­sen, sind im Prin­zip längst so weit, ein­se­hen zu kön­nen, daß ein geschenk­ter Sieg nicht wirk­lich zählt.—Mit Augen­zwin­kern kann man ihnen tat­säch­lich bereits zu ver­ste­hen geben, daß man sie dies­mal noch gewin­nen läßt, weil sie sich noch all­zu sehr ärgern über eine Nie­der­la­ge im Spiel.

Wie es wäre, Donald Trump zu sein

Bei alle­dem den­ke ich immer mal wie­der über den Cha­rak­ter von Donald Trump nach, weil mir sei­ne Unauf­rich­tig­keit und sein fort­wäh­ren­der Selbst­be­trug nur schwer nach­voll­zieh­bar ist. Ich will ver­ste­hen, schei­te­re aber immer wie­der an mei­nem Vor­stel­lungs­ver­mö­gen, wie es wohl von­stat­ten gehen könn­te, der­art von sich über­zeugt zu sein, so daß man glaubt, sich selbst und ande­re auf Dau­er belü­gen und betrü­gen zu können.—Und die­se Gedan­ken dräng­ten sich mir auch im Semi­nar über die „Fair­neß im Sport­un­ter­richt” wie­der auf.

Enri­co Maz­z­an­ti: Pinoc­chio (1883).

Trump ist gewiß kein Sports­mann, dach­te ich mir. Aber er spielt doch Golf, also müß­te er doch irgend­wie „fair“ sein, dach­te ich mir dage­gen auch wiederum.

Der­weil kam mir die Sze­ne aus dem Bond-Film „Gold­fin­ger“ in den Sinn, wo ein Bond-Böse­wicht auf ganz jäm­mer­li­che Wei­se beim Golf betrügt, weil die von Gerd Frö­be so her­vor­ra­gend gespiel­te Figur ein­fach nicht ver­lie­ren und daher auch nicht fair sein kann.—Der ins Nir­gend­wo ver­schla­ge­ne Golf­ball wird vom fin­ste­ren Gehil­fen ein­fach durch ein Loch in der Hosen­ta­sche an Ort und Stel­le plat­ziert, was natür­lich von Bond durch­schaut und auch auf­ge­klärt wird.

Um aber in der ent­schei­den­den Fra­ge wei­ter­zu­kom­men, habe ich ein­fach nach „Trump sports­man“ gegoogelt.—Gleich der zwei­te Fund ist eine Mel­dung aus dem Spiegel:

„So gewinnt er immer. Der US-Prä­si­dent Donald Trump hält sich für einen exzel­len­ten Gol­fer. Tat­säch­lich schum­melt er bei jeder Gele­gen­heit, sogar gegen pro­mi­nen­te Mit­spie­ler wie Tiger Woods.“—Danke, mehr brau­che ich nicht. Manch­mal ist es mir schon wie­der zu blöd, so ein­fach Recht zu haben.

Das erklärt aber nur, daß er so ist, wie zu befürch­ten war. Aber erklärt wird nicht, war­um Trump so ist, wie er ist.—Also ver­su­che ich mir zu erklä­ren, wie man sich wohl füh­len muß, wenn die See­le als Gei­sel genom­men wor­den ist und am Kopen­ha­gen-Syn­drom lei­det, wo die Gei­seln beim Feu­er­ge­fecht mit der Poli­zei den Tätern die Waf­fen nach­ge­la­den haben.

Um etwas zu ver­ste­hen, müs­sen wir es uns erst ein­mal vor­stell­bar und nach­voll­zieh­bar machen, aber dazu gehört sehr viel Einfühlungsvermögen.—Wenn es schon einen berühm­ten Auf­satz von Tho­mas Nagel gibt unter der Fra­ge­stel­lung: „Wie es ist, eine Fle­der­maus zu sein“, dann soll­te es doch auch gelin­gen, sich vor­stel­len zu kön­nen, wie es wohl sein wür­de, Donald Trump zu sein, nicht auf Dau­er, aber solan­ge, bis man gese­hen hat, wie Trump–Sein geht.

Als Hilfs­ar­gu­ment neh­me ich der­weil ein „Fak­tum“ aus ande­ren Zei­ten. Es wur­de näm­lich vor­zei­ten über Mercedes–Fahrer, ihre Karos­sen und ihr Ver­hal­ten im Stra­ßen­ver­kehr gesagt, daß bei die­sen die Vor­fahrt bereits ein­ge­baut sei.—So jeden­falls ver­su­che ich mir zu erklä­ren, wie der Trum­pis­mus als Betriebs­sy­stem und Mas­sen­be­we­gung wohl funk­tio­nie­ren könn­te. In der non–binären Welt von Trump, sei­ner Anhän­ger­schaft und denen, die an ihn und sei­ne Mis­si­on glau­ben, ist er ja so etwas wie ein Messias.

Im Trump–Spiel kann es immer nur einen Gewin­ner geben. Dem­nach gibt es gar nicht die Mög­lich­keit, daß er auch mal ver­lie­ren könn­te, denn so etwas ist im Schöp­fungs­plan ein­fach nicht vorgesehen!—Also kann eine Wahl, in der er ver­lo­ren hat, ein­fach nur ein Fake sein, genau­so wie die Fotos sei­ner Amts­ein­füh­rung mit einem bemer­kens­wer­ter Neo­lo­gis­mus gekon­tert wur­den, bei dem man sich nicht genug die Augen rei­ben kann: Es gäbe neben der nor­ma­len Wirk­lich­keit noch so etwas wie „Alter­na­ti­ve Fak­ten“, sag­te sei­ne selt­sam anmu­ten­de Pres­se­spre­che­rin damals.

Kritik der Esoterik

Aller­dings berei­tet es mir beson­de­re Pro­ble­me, genau­er nach­zu­voll­zie­hen, war­um es unter Eso­te­ri­kern häu­fi­ger gera­de sol­che Zeit­ge­nos­sen gibt, die in Trump einen ganz gro­ßen, wei­sen, aus­er­wähl­ten, durch­aus von den Göt­tern gesand­ten Erlö­ser sehen.—Ich muß geste­hen, daß ich dann in mei­ner Gedan­ken­ar­beit regel­mä­ßig an Bela­stungs­gren­zen sto­ße, weil ich da ein­fach nicht mehr mit­kom­me. Dabei spie­le ich ganz gern auch mit schrä­gen Gedanken.

In Kin­der­ta­gen hat­te ich uner­müd­li­che Gedan­ken­spie­le mit Ver­su­chen, mir etwas vor­zu­stel­len, was ich mir nicht vor­stel­len kann. Also wur­de eine Vor­stel­lung nach der ande­ren durch­ge­wun­ken; sobald sie vor­stell­bar gewor­den war, wur­de sie auch schon wie­der abgelehnt…—So etwas erwei­tert den Hori­zont des Vor­stell­ba­ren unge­mein und den­noch blei­ben gewis­se Gren­zen der Phantasie.

Nicht ohne scha­den­fro­he Selbst­iro­nie sehe ich mir selbst beim Expe­ri­men­tie­ren mit den Gedan­ken­wel­ten man­cher die­ser Eso­te­ri­ker zu. Bald zei­gen sich näm­lich in mei­ner Welt­vor­stel­lung die ersten Ris­se, dann kom­men Struk­tur­brü­che hin­zu und schon bald bre­chen gan­zen Gedan­ken­ge­bäu­de kra­chend in sich zusam­men, wenn ich ernst­haft ver­su­che, alle­dem einen nach­voll­zieh­ba­ren Sinn einzuhauchen.

Da wer­den nicht nur die zu prü­fen­den Gedan­ken zu Crash­test-Dum­mies, schluß­end­lich kol­la­biert die gan­ze Versuchs-Anlage.—Es dau­ert übri­gens etwa drei Tage, bis alles so eini­ger­ma­ßen wie­der steht.

Trump, Sports­geist, Fair­neß, wahr­haf­te Grö­ße, tat­säch­li­che Wür­de, Kon­zi­li­anz und vor allem Per­sön­lich­keit, wie das alles zusammengehört?—Manchmal paßt es eben nicht wirk­lich und alles bricht unter der Last der Lügen in sich zusammen.

Für Gläu­bi­ge ist so etwas aber nichts wei­ter als eine Prü­fung in der Festig­keit des eige­nen Glaubens.—Wie heißt es doch: Als sie ihr Schei­tern bemerk­ten, da ver­dop­pel­ten sie ihre Anstrengungen.

Aller­dings ist die­ser Tage nicht nur ein Zen­tral­ge­stirn reak­tio­nä­ren Den­kens im Sink­flug begrif­fen. So ergeht es man­chen die­ser Tage, die ein­fach zu hoch geflo­gen sind.—Man kann nicht Angst mit Haß bekämp­fen, man soll­te auch nicht die See­len­heil­kun­de in die Hän­de ver­meint­li­cher Coa­ches legen, die auf den Markt­plät­zen im Inter­net wie Wun­der­hei­ler herumziehen.

Zur Fair­neß, vor allem auch zu der, sich selbst gegen­über, braucht es Mut und Zuver­sicht. Aber so etwas fällt nicht vom Himmel.—Auf Bil­dung kommt es an, so viel Umweg muß sein.

Man­che wol­len aber Erleuch­tung nach dem Mot­to: „I like Genuß sofort”, noch so eine sau­blö­de Wer­bung vor­zei­ten. Und die­sen Spruch haben sich vie­le auch noch aufs Auto geklebt.—Da mag es gün­stig erschei­nen, gleich in den Glau­ben zu sprin­gen, als wäre es nur eine Mut­pro­be. Aber so etwas ist gar kei­ne Lei­stung, son­dern nur die Flucht vor der gei­sti­gen Freiheit.

Auf die Bil­dung der Per­sön­lich­keit kommt es daher an. Wir soll­ten eini­ger­ma­ßen sicher gehen kön­nen, daß wir uns selbst und ande­ren nicht ein­fach nur etwas vor­ma­chen. – Das ist es doch gera­de, was „Kri­tik” aus­macht. Wir soll­ten uns nicht selbst auf den Leim gehen, son­dern uns selbst ganz beson­ders „kri­tisch” betrachten.

Als Kon­trast­mit­tel kann man dabei auf Phi­lo­so­phie, Kunst und Dich­tung zurückgreifen:

„Wer Wis­sen­schaft und Kunst besitzt,

Hat auch Religion;

Wer jene bei­den nicht besitzt,

Der habe Religion.“

(Johann Wolf­gang von Goe­the: Gedich­te. Nach­le­se. In: Ber­li­ner Aus­ga­be; Bd. 2, S. 383.)


Bildungskatastrophe II

„Ich weiß, was auf mich zukommt, aber ich will trotz­dem Leh­re­rin wer­den“, sag­te mir neu­lich eine Lehr­amts­an­wär­te­rin, nach­dem es im Semi­nar mal wie­der düster gewor­den war und sich kein Sil­ber­streif am Hori­zont mehr abzeichnete.

Seit 10 Jah­ren ver­an­stal­te ich nun Semi­na­re zur Berufs­ethik für Leh­rern und Leh­re­rin­nen am KIT in Karls­ru­he. Wir machen kei­ne Text­ar­beit, wie es üblich ist in der Philosophie.

Es soll nicht um Theo­rie gehen, son­dern die Pra­xis selbst ist das, was wir durch­spie­len, mit dem gan­ze Arse­nal mög­li­cher Konflikte.

Dabei lau­tet einer der bewußt pro­vo­kan­ten Leit­sprü­che: „Wer einen Burn­out bekommt, macht etwas falsch. Pro­fis bekom­men kei­nen Burn­out“. – Also ver­su­chen wir, gemein­sam zu ent­wickeln, wie man es „rich­tig“ macht.

Aber wenn die Ansprü­che und Wider­sprü­che mal wie­der über den Kopf wach­sen, etwa beim The­ma „Inklu­si­on“, dann zweif­le ich in letz­ter Zeit an der Berech­ti­gung die­ser eigent­lich wit­zig gemein­ten Maxi­me. Tat­säch­lich wer­den die Ansprü­che an Lehr­per­so­nen immer höher, aber die Wert­schät­zung wird immer gerin­ger. Wie soll das eigent­lich auf Dau­er gut gehen?

Inzwi­schen koket­tiert die Gesell­schaft bereits mit ihrer Bil­dungs­fer­ne, wie es Alt­kanz­ler Schrö­der vor­ge­macht hat. Einer Schü­ler­zei­tung hat er im Inter­view mal die Bin­sen­weis­heit ver­kauft: „Ihr wißt doch alle, daß Leh­rer fau­le Säcke sind“.

Mein Glau­be an die Mis­si­on einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik sieht sich immer grö­ße­ren Prü­fun­gen aus­ge­setzt. In den gol­de­nen 70er Jah­ren wur­de der Alarm­ruf von der „Bil­dungs­ka­ta­stro­phe“ noch wirk­lich ernst genom­men, die Gesell­schaft war schockiert und von sei­ten der Poli­tik wur­de mas­siv gegen­ge­steu­ert. Heu­te zuckt man nur noch mit den Schultern.

Mir scheint, die Basis für Huma­nis­mus, Auf­klä­rung und Bil­dung ist abhan­den gekom­men. Die Fun­da­men­te tra­gen nicht mehr und die Leit­bil­der, die noch vor Gene­ra­tio­nen gal­ten, sind demo­liert. Aber ohne ein Bewußt­sein für das, was von Wert ist, wird nicht mehr gelin­gen, was doch gelin­gen muß, Ent­wick­lung in jeder Gene­ra­ti­on neu.

Wenn in den Mär­chen das Unge­heu­er die Büh­ne betritt, dann ver­liert das Leben schon bald jeden Reiz. Das Unge­heu­er ver­langt täg­lich noch mehr Opfer und man hat schluß­end­lich zum Leben zu wenig und zum Ster­ben zu viel. Das ist der Inbe­griff einer Kri­se, wie sie nicht nur Indi­vi­du­en, son­dern auch gan­ze Gesell­schaf­ten ergrei­fen kann. – Zumeist wer­den Kin­der als Opfer ver­langt, was unschwer zu deu­ten ist, dann damit steht die Zukunft der gan­zen Gesell­schaft auf dem Spiel.

Cata­li­na Schrö­der: Lehr­er­man­gel an Grund­schu­len. Bil­dungs­land bald abge­brannt. DLF, 29.08.2022. 

Ethisch–Philosophisches Grund­la­gen­stu­di­um II.


EPG II b – Online und Block

EPG II b (Online und Block)

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

WS 2022 | Beginn: 12. Januar 2023 | Ende: 12. März 2023 | Online und Block
Ab 12. Janu­ar 2023: 5 Semi­na­re online | don­ners­tags: 14:00–15:30 Uhr, sowie
3 Work­shops im Block: Fr, 10.03.2023 | Sa, 11.03.2023 | So, 12.03.2023
jeweils 14–19 Uhr | Raum: 30.91–012.

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Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden.—Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt.—Mitunter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erforderlich.—Einerseits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müssen.—Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zuständig.—Unangebrachtes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird.—Inklusion, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken.—Unvergessen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II.—Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.

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EPG II a (Online)

Ober­se­mi­nar

EPG II a 

Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

WS 2022 | frei­tags | 14:00–15:30 Uhr | online 

Beginn: 22. Okto­ber 2022 | Ende: 11. Febru­ar 2023

Universe333: Yoga­Bey­ond Hon­za & Clau­di­ne Bon­di; Beach, Austra­lia 2013.—Quelle: Public Domain via Wiki­me­dia Commons.

Zwischen den Stühlen

Eine Rol­le zu über­neh­men bedeu­tet, sie nicht nur zu spie­len, son­dern zu sein. Wer den Leh­rer­be­ruf ergreift, steht gewis­ser­ma­ßen zwi­schen vie­len Stüh­len, einer­seits wer­den höch­ste Erwar­tun­gen gehegt, ande­rer­seits gefällt sich die Gesell­schaft in abfäl­li­gen Reden.—Das mag damit zusam­men­hän­gen, daß jede® von uns eine mehr oder min­der glück­li­che, gelun­ge­ne, viel­leicht aber eben auch trau­ma­ti­sie­ren­de Schul­erfah­rung hin­ter sich gebracht hat.

Es sind vie­le poten­ti­el­le Kon­flikt­fel­der, die auf­kom­men kön­nen im beruf­li­chen All­tag von Leh­rern. Daß es dabei Ermes­senspiel­räu­me, Hand­lungs­al­ter­na­ti­ven und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eige­nen Idea­le mit ins Spiel zu brin­gen, soll in die­sem Semi­nar nicht nur the­ma­ti­siert, son­dern erfahr­bar gemacht werden.

Das Selbst­ver­ständ­nis und die Pro­fes­sio­na­li­tät sind gera­de bei Leh­rern ganz ent­schei­dend dafür, ob die vie­len unter­schied­li­chen und mit­un­ter para­do­xen Anfor­de­run­gen erfolg­reich gemei­stert wer­den: Es gilt, bei Schü­lern Inter­es­se zu wecken, aber deren Lei­stun­gen auch zu bewer­ten. Dabei spie­len immer wie­der psy­cho­lo­gi­sche, sozia­le und päd­ago­gi­sche Aspek­te mit hin­ein, etwa wenn man nur an Sexua­li­tät und Puber­tät denkt.—Mitunter ist es bes­ser, wenn mög­lich, lie­ber Projekt–Unterricht anzu­re­gen, wenn kaum mehr was geht.

Es gibt klas­si­sche Kon­flikt­li­ni­en, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht sel­ten die eige­nen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hin­ein­spie­len. Aber auch inter­kul­tu­rel­le Kon­flik­te kön­nen auf­kom­men. Das alles macht neben­her auch Kom­pe­ten­zen in der Media­ti­on erforderlich.—Einerseits wird indi­vi­du­el­le För­de­rung, Enga­ge­ment, ja sogar Empa­thie erwar­tet, ande­rer­seits muß und soll gerecht bewer­tet wer­den. Das alles spielt sich ab vor dem Hin­ter­grund, daß dabei Lebens­chan­cen zuge­teilt werden.

Gera­de in letz­ter Zeit sind gestie­ge­ne Anfor­de­run­gen bei Inklu­si­on und Inte­gra­ti­on hin­zu­ge­kom­men. Auch Straf– und Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men zäh­len zu den nicht eben ein­fa­chen Auf­ga­ben, die aller­dings wahr­ge­nom­men wer­den müssen.—Ein wei­te­rer, immer wie­der aku­ter und for­dern­der Bereich ist das Mob­bing, das sich gut ›durch­spie­len‹ läßt anhand von Inszenierungen.

Es gibt nicht das ein­zig rich­ti­ge pro­fes­sio­nel­le Ver­hal­ten, son­dern vie­le ver­schie­de­ne Beweg­grün­de, die sich erör­tern las­sen, was denn nun in einem kon­kre­ten Fall mög­lich, ange­mes­sen oder aber kon­tra­pro­duk­tiv sein könn­te. Päd­ago­gik kann viel aber nicht alles. Bei man­chen Pro­ble­men sind ande­re Dis­zi­pli­nen sehr viel erfah­re­ner und auch zuständig.—Unangebrachtes Enga­ge­ment kann selbst zum Pro­blem werden. 

Wich­tig ist ein pro­fes­sio­nel­les Selbst­ver­ständ­nis, wich­tig ist es, die eige­nen Gren­zen zu ken­nen, und mit­un­ter auch ein­fach mehr Lang­mut an den Tag zu legen. Zudem wer­den die Klas­sen immer hete­ro­ge­ner, so daß der klas­si­sche Unter­richt immer sel­te­ner wird.—Inklusion, Inte­gra­ti­on oder eben Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät gehö­ren inzwi­schen zum All­tag, machen aber Schu­le, Unter­richt und Leh­rer­sein nicht eben einfacher.

Gesell­schaft, Poli­tik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit set­zen zwar hohe Erwar­tun­gen in Schu­le und Leh­rer, gefal­len sich aber zugleich dar­in, den gan­zen Berufs­tand immer wie­der in ein unvor­teil­haf­tes Licht zu rücken.—Unvergessen bleibt die Bemer­kung des ehe­ma­li­gen Kanz­lers Gehard Schrö­der, der ganz gene­rell die Leh­rer als fau­le Säcke bezeich­net hat.

„Ihr wißt doch ganz genau, was das für fau­le Säcke sind.“

Die­ses Bas­hing hat aller­dings Hin­ter­grün­de, die eben dar­in lie­gen dürf­ten, daß viel zu vie­le Schüler*innen ganz offen­bar kei­ne guten Schul­erfah­run­gen gemacht haben, wenn sie spä­ter als Eltern ihrer Kin­der wie­der die Schu­le aufsuchen.

Ausbildung oder Bildung?

Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grund­la­gen­stu­di­um (EPG) obli­ga­to­ri­scher Bestand­teil des Lehr­amts­stu­di­ums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modu­len, EPG I und EPG II.—Ziel des EPG ist es, zukünf­ti­ge Leh­re­rIn­nen für wis­sen­schafts– und berufs­ethi­sche Fra­gen zu sen­si­bi­li­sie­ren und sie dazu zu befä­hi­gen, sol­che Fra­gen selb­stän­dig behan­deln zu kön­nen. The­ma­ti­siert wer­den die­se Fra­gen im Modul EPG II.

Um in allen die­sen Kon­flikt­fel­dern nicht nur zu bestehen, son­dern tat­säch­lich ange­mes­sen, pro­blem­be­wußt und mehr oder min­der geschickt zu agie­ren, braucht es zunächst ein­mal die Gewiß­heit, daß immer auch Ermes­sens– und Gestal­tungs­spiel­räu­me zur Ver­fü­gung ste­hen. Im Hin­ter­grund ste­hen Idea­le wie Bil­dung, Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit, die Erfah­rung erfül­len­der Arbeit und Erzie­hungs­zie­le, die einer huma­ni­sti­schen Päd­ago­gik ent­spre­chen, bei der es eigent­lich dar­auf ankä­me, die Schü­ler bes­ser gegen eine Gesell­schaft in Schutz zu neh­men, die immer for­dern­der auf­tritt. In die­sem Sin­ne steht auch nicht ein­fach nur Aus­bil­dung, son­dern eben Bil­dung auf dem Programm.

Auf ein– und das­sel­be Pro­blem läßt sich unter­schied­lich reagie­ren, je nach per­sön­li­cher Ein­schät­zung las­sen sich ver­schie­de­ne Lösungs­an­sät­ze ver­tre­ten. Es ist daher hilf­reich, mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Stel­lung­nah­men, Maß­nah­men und Ver­hal­tens­wei­sen syste­ma­tisch durch­zu­spie­len und zu erör­tern. Dann läßt sich bes­ser ein­schät­zen, wel­che davon den päd­ago­gi­schen Idea­len noch am ehe­sten gerecht werden.

So ent­steht all­mäh­lich das Bewußt­sein, nicht ein­fach nur agie­ren und reagie­ren zu müs­sen, son­dern bewußt gestal­ten zu kön­nen. Nichts ist hilf­rei­cher als die nöti­ge Zuver­sicht, in die­sen doch sehr anspruchs­vol­len Beruf nicht nur mit Selbst­ver­trau­en ein­zu­tre­ten, son­dern auch zuver­sicht­lich blei­ben zu kön­nen. Dabei ist es ganz beson­ders wich­tig, die Gren­zen der eige­nen Rol­le nicht nur zu sehen, son­dern auch zu wahren.