• Anthropologie,  Corona-Diskurs,  Diskurs,  Emanzipation,  Ethik,  Identität und Individualismus,  Lehramt,  Moderne,  Moral,  Philosophie,  Politik,  Professionalität,  Psyche,  Religion,  Schule,  Seele,  Theorien der Kultur,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Menschenbilder

    Für eine neue Pädagogische Anthropologie

    Die Aufgaben für Lehrkräfte steigen seit Jahren, weil Gesellschaft und Staat keine Vorstellung mehr haben, worauf es ankommt. — Aus Bildung ist Ausbildung geworden und das vor dem unmenschlichen Bild einer “natürlichen” Auslese, als lebten wir noch im Tierreich.

    Die Zahl der Lehrkräfte wird immer geringer, weil es kaum noch ein belastbares, positives Menschenbild gibt und Überzeugungen, dafür auch eintreten zu können. — Und die Gesellschaft gefällt sich darin, alles einfach nur abzuwälzen.

    Im Zuge der Corona–Krise ist deutlich geworden, daß etwas faul ist mit dem misanthropischen Menschenbild. Die Zeiten sind vorbei, als religiöse oder politische Ideologien noch die Vorstellungen von der “Bildung des Menschengeschlechts” beherrschten. Nur der Misanthropismus ist noch geblieben.

    Aber den miesen Menschenbildern kann man beikommen. Es gilt, eine allgemeine Ratlosigkeit, die nicht selten in tiefe Verzweiflung führen, durch neue Zuversicht zu überwinden.

    Dazu braucht es wieder ein standfestes Auftreten von Philosophen, Erziehungswissenschaftlerinnen, Pädagogen und Pädagoginnen. Aber diese müssen sich erst einmal ihrerseits neu überzeugen von der Bedeutung ihres Tuns und von der Legitimität ihrer Professionen.

    Zunächst ist in der Pädagogik selbst ein wieder motivierendes Menschenbild erforderlich. — Die Theorien dazu sind da. Es kommt nun darauf an, eine zeitgemäße Praxis und ein neues Selbstverständnis auf diesen Fundamenten zu errichten.

    Auf das Menschenbild kommt es an

    Seit Jahren gebe ich Seminare für angehende Lehrer und Lehrerinnen am KIT in Karlsruhe. — Aber jetzt möchte ich nicht mehr nur exklusiv dort wirken, sondern Seminare zur Supervision, zum Atemholen, Überlegen, Nachdenken und zu neuem Mut anbieten. Denn mir ist immer wieder aufgefallen: Die Motivation kann nur von innen kommen, von einem Menschenbild, das von einer inneren Wärme erfüllt ist.

    Der vitruvianische Mensch
    Leonardo da Vinci, ca. 1490;
    Galleria dell’ Accademia, Venedig.

    In der Theorie gibt es diese Perspektiven bereits seit 1928, als mit der Anthropologischen Wende die ersten Diskurse aufkamen darüber, welche wissenschaftlich gesicherten Aussagen gemacht werden können über das vermeintliche “Wesen des Menschen”.

    Damals entstand die Anthropologie als transdisziplinärer Diskurs über die “Conditio humana”. — Inzwischen ist daraus ein beeindruckendes Ensemble aus einer Vielzahl aller erdenklicher Wissenschaften aus Natur–, Kultur– und Geisteswissenschaften geworden.

    In Zweifelsfällen können wir diese Diskurse wie ein Orakel anrufen, um Fragen zu beantworten, deren Antworten oft nur voreingenommen sind. In solchen Streitfragen wirkt die Anthropologie wie ein wissenschaftliches Orakel.

    Wichtig ist nicht nur, was ausgesagt wird, sondern auch wie und auf welche Fragen wir tatsächlich erschöpfende Antworten erhalten. So läßt sich manches sehr klar entscheiden, weil es um belegbare Fakten und rekonstruierbare Zusammenhänge geht, die sich erörtern lassen.

    Aber noch interessanter wird es, wenn wir von der Anthropologie gar keine oder nicht erschöpfende Antworten erhalten, sondern nur noch die Auskunft, es würde ein Prinzip zugrunde liegen. So ist die Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Menschen in etwa so zu beantworten, daß es darin liegt, sich selbst zu kultivieren, sich selbst zu “bilden”. Dann wird deutlich, wie sehr das menschliche Wesen davon geprägt ist, “offen” zu sein.

    Wir sind nicht vordefiniert wie Tiere, wir sind zur Freiheit geboren, was aber auch mit Freiheitsschmerzen verbunden ist. — Daher brauchen wir Mentoren in der Funktion von Hebammen, Begleitern und Ratgeberinnen bereits bei den ersten Schritten und auch später noch auf dem Weg in eine ganz individuelle Zukunft, in der es glücklich macht, sich selbst bei er eigenen Entfaltung über die Schulter zu sehen.

    Die “Unbestimmtheit” des menschlichen Wesens ist das, was die “Würde des Menschen” ausmacht. Darin liegt das eigentliche Geheimnis des Erfolgs in der Menschheitsgeschichte.
    Wir stehen auf den Schultern von Riesen.

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    Meisterdenker in Platons Höhle

    So leicht ist Philosophie nicht

    Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn in Platons Höhle philosophiert werden soll und sich alle für Meisterdenker halten. — Aber kein Mensch bemerkt bei dieser ganz und gar nicht akzeptablen Seminar–Moderation in diesem Clip, daß der Student sich mitnichten anpaßt, um einfach nur die “Meinung” der Mehrheit zu übernehmen. Das Problem ist viel komplexer.

    Man kann sehen, wie es in ihm arbeitet, denn er weiß, daß irgendwas generell nicht stimmt. — Also sucht er nach den Regeln für das vermeintliche Sprachspiel, das hier womöglich läuft. Er kommt aber zu keinem Resultat, daher sagt er mit ebenso frustriertem, wie trotzigem Tonfall: Erdbeer–Rot.

    Es bleibt ihm nichts anderes, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. — Er weiß nämlich nicht, was wir als Beobachter längst wissen, daß es gar kein Sprachspiel gibt, sondern nur eine ganz banale Verschwörung.

    Da hat sich also eine ganze Gruppe geschlossen dazu verleiten lassen, jemanden vorzuführen in der grausamen Art, wie Kinder es lieben, weil es so gruselig ist. — Hauptsache es erwischt einen selbst nicht. Und solange man auf Seiten der Täter ist, kann man ja selbst nicht zum Opfer werden, oder etwa doch? 

    Das Dramatische an dieser vermeintlichen “Reinigung” hat etwas Religiöses: Man schließt andere aus, um die Gruppe vom “Übel” reinzuwaschen, beispielsweise vom Opportunismus–Verdacht, um dann ein Exempel an einem Sündenbock zu statuieren. Und alle fühlen sich ebenso weise wie unwohl, weil sie gar nicht realisieren, daß sie jetzt nur der Teil einer grausamen Verschwörung geworden sind, aber nicht wirklich etwas fürs Leben gelernt haben, außer, daß es grausam zugeht. 

    Und der, der zu spät kam, den bestrafte das Leben. — Allerdings hat er Redebedarf signalisiert. Er wollte sich konkret zum Vorwurf äußern, in flagranti beim Opportunismus erwischt worden zu sein. Er wird jedoch gnadenlos abgewürgt. Das grenzt an Mobbing und ist selbst bereits unethisch, weil da einer stumm gemacht und einfach nur vorgeführt werden soll.

    Und diese autoritäre, wichtigtuerische Dozentin geht einfach über alles hinweg, denn sie will genau diese Inszenierung. Dieser Student ist eben Opfer und jetzt soll er sich mal nicht so haben. 

    Die Dozentin hat ihre Show so, wie sie sie wollte. Und sie will sich ihren vermeintlichen Erfolg nicht wieder abspenstig machen lassen. Daher würgt sie den notwendigen Diskurs einfach ab, um zu demonstrieren, daß der Positivismus die einzig wahre Erkenntnistheorie ist und alles andere nur Ideologie sei.

    Ein naiver Realismus, der vom Konstruktivismus und vom Perspektivismus vollkommen unbeleckt ist, soll also das Maß aller Dinge sein? Der Glaube an die Naturwissenschaften soll uns erretten und nicht die Selbsterfahrung in der Selbstorientierung?

    Was hier vorgeführt wird, ist keine Philosophie, sondern selbst wieder nur Ideologie. Es geht zu, wie in der Sonntagsschule, alle sind lieb aber wenige sind böse. 

    Und das Ganze unter dem Hashtag #Erwache? – Da würde ich sagen: #Schlaftweiter!

     

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    ‘Habitus’ bedeutet Charakter

    Bildung braucht eine Grundlage

    Ich habe noch immer den Eindruck, seit Beginn der Corona–Hysterie in einem Paralleluniversum gelandet zu sein.

    Im Nachgang verschieben sich die Bewertungen dieser Panther–Zeit, in der man die Gitterstäbe der Angst–und–Moral–Republik ständig vor Augen hatte. — Viel zu viele haben sich in diesen Jahren um Kopf und Kragen geredet.

    Aber meine Bewertungen dieser Massenpsychose verschieben sich inzwischen nicht mehr so stark, und ich muß zugeben: Das Resultat dieser kollektiven Angstkampagne war für mich verheerend, denn ich mußte einen Gutteil meines Idealismus aufgeben.

    Meine Enttäuschung über den kollektiven Verrat an Werten wie Freiheit, Toleranz, Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung und Würde, hat mich zutiefst verstört. Das hätte ich nicht für möglich gehalten!

    Aber die Panter–Zeit hatte auch ihr Gutes, wir haben alle das Zoomen erlernt, konnten einander tief in die Seele schauen und haben gesehen, mit wem wir es wirklich zu tun haben.

    Und die Diagnose fällt kritisch aus: Den meisten fehlt so etwas wie Persönlichkeit, was der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seiner Theorie “Die feinen Unterschiede” als “Habitus” bezeichnet, beschrieben und näher ausgeführt hat.

    Ich hätte es wissen können, weil ich ihn schon im Studium gelesen und mir zu Herzen genommen hatte. Aber ich wollte nicht, daß der Groschen auch fällt, wohl aus Idealismus wollte ich es nicht.

    Das Erziehungsziel einer “Bildung der Persönlichkeit” ist und bleibt elitär, weil es um einen Habitus geht, den man sich auch herausnehmen können muß. — Manche nehmen sich das einfach heraus, wenn und weil es ja nun mal “standesgemäß” für sie ist.

    Andere stehen sich selbst dabei bereits auf der Leitung und noch andere, die Vielzahl der nichtdenkenden Mitmenschen, sieht das Problem nicht einmal.

    “Gebt dem Volk Brot uns Spiele”. Ja, den meisten Zeitgenossen mangelt es nicht nur an Selbstbewußtsein, Selbstbestimmungs– und Selbstorientierungsvermögen, sie haben auch keinen Zugang zu ihrem eigenen Leib. Sie sehen nur den Körper, den sie dann checken, bearbeiten oder auch reparieren lassen.

    Der Unterschied besteht eben, wie Helmuth Plessner gesagt hat, “zwischen Körper haben und Leib sein”. — Daher lassen sich die Vielen auch so tief verängstigen.

    Franz von Stuck: Tilla Durieux als Circe, 1931.

    Sie sehen nur ihren Körper und ihre Psyche, sehen aber nicht auch den Geist, den Leib und die Seele. Sie wollen auch nur Sex und keine Erotik. — Ach, es ist erbärmlich.

    „Der Mensch will über den Menschen hinaus“, — eigentlich ja. Man denke doch nur an Platon und Nietzsche, die das so eindrucksvoll und eindringlich vor Augen geführt haben.

    Aber viele folgen nicht ihrer Seele, sondern nur den viel zu oberflächlichen Interessen einer Psyche, die “Haben mit Sein” miteinander verwechselt. Viel zu viele lassen sich bereitwillig leiten von den ästhetisch–moralischen Konsumwelten der angeblich „Schönen und Reichen“.

    Wenn darin ganz offenbar die allermeisten Zeitgenossen ihre Lebensziele sehen und sogar finden, dann kann ich sie nicht mehr ernst nehmen.

    Als ich vor langer Zeit noch Ethik–Unterricht für Polizeibeamte an der FH für öffentliche Verwaltung in Dortmund gab, hatte ich irgendwann bereits dieses Konzept für mich als Arbeitsgrundlage: Ich hole die Menschen ab, wo sie stehen, aber ich fahre nicht bis unter die Erde!

    Wer unterirdisch ist und es auch sein und bleiben will, soll es sich wohl ergehen lassen in der Höhle. Und kein Philosoph wird sie bei ihren heiligen Handlungen in der Konsumhölle stören.

    Die Basis für einen eigenen Habitus, so daß man selbstverständlich einen Menschen ernst nehmen kann, muß sich schon jeder selbst schaffen. — Die Seele macht das Spiel.

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    Wohl beraten sein

    Über das Regieren seiner selbst

    Eigentlich sind wir ja alle Könige und Königinnen. Manche sind Diktatoren, andere Despoten und nicht wenige sind die Repräsentanten von “failed states”.

    Frederick Leighton: Römische Vestalin, 1880.

    Wenn in der griechischen Philosophie von “sophrosyne” gesprochen wird, dann geht es um “Wohlberatensein”. Also gut, man ist jetzt König oder Königin, kann ziemlich viel befehlen und muß nicht wirklich diskutieren. – Dabei bin ich mir nicht ganz sicher, ob dieser Vorzug, nicht mal mehr mit sich reden lassen zu müssen, weil man doch so hochwohlgeboren ist, wirklich zum Vorteil gereicht. 

    Gerade am Widersprüchlichen kann man doch die eigene Auffassung minutiös schärfen. Gerade an kleinen Unterschieden läßt sich genauer erkennen, worauf es denn nun wirklich ankommen sollte. – Aber nur die wenigsten verstehen sich darauf, mit solche Fülle an Möglichkeiten auch umgehen zu können. 

    Es träumen ja viele davon, ein guter Diktator zu sein, weil sie neben dem Wetter auch gern noch die Politik und vielleicht gleich die ganze Schöpfung ‘besser’ machen würden, wenn man sie nur mal ranließe, an die Hebel der Macht, die es in Wirklichkeit nicht gibt. 

    Wir sind nämlich spätestens seit Niklas Luhmann vorgewarnt: Sollte man in die hermetisch verschlossenen Kanzeln der Piloten, die wohl nicht von ungefähr dasselbe Wort haben, wie auch die Kollegen in den Kirchen. Sollte man es also tatsächlich fertig bringen, dort einzudringen, die Flugzeug-Kanzeln wären leer. Kein Pilot nirgends. Alles ist auf Autopilot. 

    Das hängt nun wiederum damit zusammen, daß schon seit Jahrmillionen gerade biologische Prozesse sich selbst steuern. Insbesondere auch das Wettrüsten zwischen Viren und Wirten. – Händisch ist da nicht viel zu machen, höchstens kollabieren lassen kann man das Ganze, sogar auf der Stelle.

    Ich hatte mal einen Traum. Da war ich König oder so etwas. Jedenfalls hatte ich die Befehlsgewalt und sonst keiner. Also endlich konnte ich mal sagen, was Sache ist. – Und ich sagte also zu meinem ersten Minister, er möge “Frieden” schaffen und die Leute “glücklich” machen.

    Ein lehrreicher Traum war das, weil ich ziemlich schnell hoch alarmiert aufgewacht bin. Alles war  aus dem Ruder gelaufen. Der Unhold kam doch tatsächlich mit blutverschmierten Händen zurück!

    Das ist, was man oder auch frau beim Königsein berücksichtigen sollte. – Befehlen ist viel zu einfach. Wohlberatensein, das wäre es. Aber wer berät die Berater und vor allem, wer rettet die Beratenen? – Also wann wäre man denn nun wirklich “wohl beraten”? 

    Das Problem mit den Beratern liegt darin, daß diese verkaufen wollen und müssen. – Alle verhinderten Könige und Königinnen mögen daher ersatzhalber an den letzten Arztbesuch denken, in dem es ja auch ‘nur’ um Beratung ging. – Und was hat man “gekauft”, wozu man sich hat “breitschlagen” lassen? 

    Hat man eigentlich verstanden, was der Weißkittel einem hatte weiß machen wollen? – Sorry: Warum hat man einer Behandlung zugestimmt, von der man gar nicht verstanden hat, was sie eigentlich mit einem macht? 

    Ach ja, das ist Vertrauen? – In wen oder was? Kann man Verantwortung abgeben? Wer hätte denn mit den Folgen zu leben? 

    Ich muß schon sagen, daß ich nie verstanden haben, daß Patienten vorgeblich wirklich glauben, daß sie nur einen ganz tiefen, höchst vertrauensvoll inszenierten Blick in die Augen ihres Arztes werfen müßten, und schon haben sie ihn für sich eingenommen. – Wie naiv ist das denn?

    Ich bin heute im Seminar über die “Schönheit der Seele” durch eine Einflüsterung rettender Musen bei Windstille auf die rettende Idee gebracht worden, daß “Wohlberatensein” zustande gebracht wird, wenn wir uns mit allen Instanzen im “forum internum” regelmäßig zum Arbeitsfrühstück verabreden. Das wäre Wohlberatensein.  

    Warum besorgt man sich nicht als nächstes einen Termin beim eigenen Gewissen? Man könnte genauer abstimmen, was im eigenen Interesse wäre, daß das Gewissen in seiner ziemlich kleinkarierten Aufmerksamkeit bitte im Dienste der gemeinsamen Sache seine permanenten Sondierungen zur Anwendung bringt, um dafür zu sorgen, daß uns nichts wesentliches entgeht.  

    Ein weiteres ist heute aufgefallen: Offenbar gibt es eine Verbindung zwischen dem Selbstbewußtsein und dem Gewissen. – Wer sich selbst würdig verhält, kann, darf und wird auf eine dementsprechende Behandlung einen gewissen Anspruch geltend machen.

    Mutmaßlicherweise haben wir in unserer krisengeschüttelten Gegenwart inzwischen einen Entwicklungsstand in der Psychogenese erreicht, von dem ab an es möglich, aber auch erforderlich geworden ist, Multiperspektivität an den Tag zu legen. – Das bedeutet, daß wir das EINE tun können, ohne das ANDERE lassen zu müssen. Wir können nicht nur, wie sollten sogar “widersprüchlich” agieren, ganz nach Art von Königen und Königinnen.  

    Während Kant noch “Einstimmigkeit mit sich selbst” einfordert, können wir es uns offenbar neuerdings sogar leisten, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren. – Das wäre ohnehin das Beste: Eine Gesellschaft, in der solange diskutiert wird, bis eine Partei aufgibt und geht, weil ihr nichts mehr einfällt, der eigenen Auffassung weiterhin Auftrieb zu verschaffen.

    Das soll bei den Indianern im Ältestenrat der Fall gewesen sein. Darf man noch Indianer sagen? – Doch, weil es ein Ehrenwort voller Hochachtung ist für ganz besondere Menschen, denen Zugänge zu Welten zugetraut werden, die wichtiger sind als die unheiligen Botschaften aller Warenfetischisten, die uns neuerdings in den Hype um die Kryptowährungen einweihen wollen, als wäre das so etwas wie eine Initiation. 

    Laß es Liebe sein: Liebe zur Welt, zum Menschen, zur Natur und sogar zum Schicksal. – Es bleibt uns schlußendlich nur eines: Verstehen. Und das in Zeiten, die das Verstehen zur Sünde erklärt haben. 

    Liebe und Verstehen, war das nicht schon immer dasselbe?

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    Ich weiß, daß ich nichts weiß

    Über Urteilsvermögen im Umgang mit Nichtwissen

    Wer kennt diese Selbstaussage nicht. – Aber wer hat wirklich verstanden, was sie bedeutet? Ja, die Sentenz stammt von Sokrates und die meisten machen es sich zu leicht, wenn sie annehmen, daß  es Ausdruck seiner Bescheidenheit ist. Irrtum!

    Sokrates ist ganz und gar nicht bescheiden, er will immer alles ganz genau wissen und geht dann bis an die Grenzen dessen, was überhaupt noch möglich ist. Nicht selten steht er dann da, wie einst Keith Jarrett bei einem Konzert in Hamburg. – Der Flow kam einfach nicht und man kann ja nun die Götter nicht zwingen, wenn sie offenkundig ganz woanders was besseres zu tun haben.

    Also hat er sich redlich bemüht, ist dann aufgestanden und hat sich direkt ans Publikum gewandt mit der Frage: “Ist hier ein Pianist, der das Konzert fortsetzen kann?”

    In solchen Situationen neigen die meisten Zeitgenossen dazu, ins Glauben zu springen. Man gibt die Steuerung aus der Hand und schaltet das Denken auf Autopilot. Aber in Wahrheit weiß man doch gar nicht, wo es hingehen soll. Und beurteilen, was man denn nun annehmen oder gar glauben sollte, können die wenigsten, weil es ihnen an Urteilsfähigkeit fehlt.

    Willkürliche Motive, die mit der Sache selbst kaum etwas zu tun haben, spielen dann immer herein. Aber der eigentliche Grund für dieses Einknicken vor den Risiken der Seefahrt im Denken liegt woanders: Man kann das eigene Denken nicht in der Schwebe halten!

    Und dann wird der Mainstream bemüht, man schließt sich irgendeiner herrschenden Meinung an, die zuvor von den Alphatieren unter den Meinungsmachern bei Twitter ausgekaspert worden ist. Dankbar wird das dann von karrierebeflissenen Nachwuchskräften aufgegriffen und exekutiert. Alle, die jetzt noch anders denken, sollen entweder schweigen oder sie werden exkommuniziert. – Wo kämen wir hin mit der herrschenden Meinung, wenn jeder selbst denken wollte?

    Die wenigsten Zeitgenossen sind willens und in der Lage, die eigenen Gedanken in der Schwebe zu halten, um dann auch noch sanktioniert zu werden von Besserwissern und vor allem von Bessermenschen. – Und dennoch hat sich da eine neue Identität herausgebildet, es ist die derer, die dem Druck beachtlicherweise standgehalten haben. Es sind die, die sich haben verunglimpfen lassen, die sich tagtäglich haben “freitesten” lassen müssen, um noch ihrer Arbeit und ihren Verpflichtungen nachgehen zu können.

    “Zeit der Abrechnung”, das klingt wie der Titel für einen schlechten Western. Wobei ich allerdings zugestehen muß, daß mir ein wenig danach ist, Abrechnung. – Die Doppelmoral, sich einerseits zu verbiegen, weil man doch schon zeitlebens ein Häkchen hatte werden wollen, um dann doppelt zu kassieren, ist geradezu skandalös. Einerseits war man ja so etwas von vorbildlich des “kleinen Piksens” wegen und andererseits wurde man auch noch belohnt, durfte wieder ins Restaurant und in den Urlaub fliegen, während Sonderlinge wie ich nicht einmal mehr in den Baumarkt gehen durften, um sich wenigstens etwas zum Basteln zu holen.

    Ja, ich möchte Vergangenheitsbewältigung, bevor ich überhaupt wieder bereit bin, mich mit denen zu verständigen, die aus ihrem Herzen eine Mördergrube gemacht haben.

    Ich will mir jetzt von den Impfvordränglern nicht auch noch erklären lassen, daß ich nicht nur Impfskeptiker bin, sondern auch noch Putinversteher, wenn ich auf die Verantwortung des Westens unter der egomanischen Führung der USA hinzuweisen nicht müde werde. – Die rhetorischen Figuren sind dieselben, man ist dann ein Leugner, der angeblich ausgegrenzt gehört. In den Augen der Überangepaßten ist Verstehen nunmehr zur Sünde geworden.

    Ich habe frühzeitig öffentlich davor gewarnt, daß sich die Erwachsenen in ihrer panischen Angst nicht auch an Kindern, Jugendlichen und an alten und sterbenden  Menschen vergreifen dürfen. Aber die Angst hat viele ermächtigt, gewissermaßen über Leichen zu gehen. – Und jetzt will es wieder mal keiner gewesen sein. Die Vertreter der Ethik-Kommission, die Bundesverfassungsrichter und die Riege der Scharfmacher und Haßprediger zucken einfach nur mit den Schultern und möchten nicht mehr daran erinnert werden. Shit happens?

    Sorry, als es mir zu dumm wurde, habe ich seinerzeit schon zwischen Nichtdenkern und Selbstdenkern unterschieden. Und nicht selten ging es mir in der Corona-Zeit, hinter den Gitterstäben des Lockdown-Syndroms, wie dem Panther von Rilke und wie Keith Jarrett im mißlungenen Konzert von Hamburg.

    Über dem Eingang zur Akademie von Platon in Athen soll der Spruch gestanden haben, es möge niemand eintreten, der nichts von Mathematik verstünde, was damals eher eine durchaus anschauliche Geometrie war. – Mein Prinzip habe ich bei Hans Blumenberg gefunden, der davon sprach, daß man den Augenhintergrund spiegeln sollte, um zu sehen, worauf andere wirklich Wert legen.

    Es ist ja nun nicht so, daß nicht ein und derselbe Gedanke immer wieder, in allen erdenklichen Darreichungsformen geboten worden ist. Hier etwa bei Frankie Goes to Hollywood:

    “Relax, don′t do it
    When you wanna go do it
    Relax, don’t do it
    When you wanna come”

    In meinen Seminaren fordere ich dazu auf, auch steile Thesen zu vertreten. Die Kunst liegt schließlich darin, möglichst genau in Erfahrung zu bringen, wann eine Theorie kollabiert. Nicht wenige brechen bereits an ihrem eigenen Gewicht in sich zusammen, man muß sie nicht einmal schief anschauen.

    Dann gibt es welche, die unter Belastung erstaunlich lange halten, worauf ich dann aber den Meistertest mache, ob eine hochmögende Auffassung auch in der Lage ist, sich selbst zu ertragen. – Eine gute Theorie sollte fähig sein, “neben sich” auch noch ganz andere, womöglich konkurrierende Auffassung tolerieren und mit ins Gespräch ziehen zu können.

    Wenn eine Theorie die das nicht kann, weil deren Vertreter zumeist derart überzeugt sind von ihrer “Alternativlosigkeit”, dann disqualifizieren sie sich selbst, denn das ist unphilosophisch und nicht selten auch unmoralisch.  – Sokrates war gerade nicht bescheiden, ganz im Gegenteil. Die anderen, haben ihn zum Tode verurteilt, weil sie das Philosophieren nicht mehr ertrugen, weil sie nicht weiterhin bei ihren Dummheiten öffentlich überführt werden mochten.

    Sokrates glaubt den Priestern des Orakels nicht, weil er es doch besser von sich weiß, weil er weiß, daß er nichts weiß. – Darauf beginnt er seine Kampagne, mit der er sich in den Augen der Honoratioren unmöglich macht, wenn er sie der Reihe nach alle vorführt. – Ich habe schon oft darüber nachgedacht, ob es nicht auch ein geschicktes Manöver der Priester von Delphi gewesen sein könnte, dafür zu sorgen, daß Sokrates sich selbst unmöglich zu machen beginnt.

    Mark Antokolski: Death of Socrates, 1875.

    Ich stelle mir vor, wie Sokrates in seiner ganzen Barfüßigkeit an einer Seite die Agora betritt und auf der anderen Seite die gefühlt Wissenden fluchtartig das Weite suchen. Wer nicht schnell genug ist, wird sich einem Gespräch stellen müssen, das eigentlich nicht dazu dient, den anderen nur vorzuführen, denn das machen die Besserwisser schon selbst.

    Ihr Fehler ist kardinal, sie meinen, daß man dieses und jenes wirklich so verbindlich und eindeutig wissen könne, so daß man richten kann über andere, die eben nicht “richtig” denken. – Genau diese hochmögenden Zeitgenossen werden jetzt aber vorgeführt, indem ihnen die Gelegenheit gegeben wird, sich selbst vorzuführen.

    Aber es geht dabei keineswegs um eine Kampf, wie so viele noch immer meinen. Als wäre Philosophie so etwas wie eine Lust am Scharmützel, wobei es darauf ankäme, andere derart in Verlegenheit zu bringen, so daß sie “nichts mehr sagen können”. – Ein wirklicher philosophischer Dialog hat dagegen immer etwas Konsensuelles. Man spricht gemeinsam etwas an und entwickelt dann auch gemeinsam weitergehendes Denken.

    Dabei wird es aber immer komplexer, weil wir ganz allmählich gemeinsam immer mehr sehen und “einsehen”, was auch auf irgendeine Weise relevant sein dürfte. – Genau das aber halten die wenigsten aus. Sie glauben ernsthaft, am Ende käme immer nur die einzige, unteilbare, wissenschaftlich-wissenschaftliche Wahrheit über die wirklich wirkliche Wirklichkeit dabei heraus. Und alle hätten sich nun dieser einzigen Wahrheit wie beim Götzendienst zu unterwerfen.

    Gerade diese Zeitgenossen haben sich gehen lassen während der bleiernen Zeit. Man konnte mal wieder so richtig einer einzig richtigen Auffassung sein und endlich auch mal wieder den Blockwart geben. Ich habe mich gern von manchen Menschen getrennt in dieser Zeit, weil ich gesehen habe, daß sie mir auch bisher eigentlich immer nur meine Denkzeit gestohlen und die Musen vergrault haben.

    Die ganz große Feigheit kam bei denen hinzu, die sich in die Schweigespirale zurückgezogen haben, und rein gar nichts mehr kund getan haben. Sie haben ihr Süppchen im Stillen gekocht. – Aber auch sie sind mit verantwortlich für de Irrsinn, in den sich ein Großteil der Gesellschaft vor allem in Deutschland hat von einer Presse treiben lassen, die sich plötzlich wie die Heilige Inquisition aufgeführt hat. – Ja, und jetzt kommt die Abrechnung, wenn die unseligen Unsäglichkeiten aus den Protokollen der Pantherzeit wieder zum Besten gegeben werden. Im Nachhinein klingt das alles noch schauderhafter, so daß man sich fragen möchte, wie sehr wollen eigentlich die, die sich da so haben gehen lassen, mit ihrem Schamempfinden klar kommen?

    Sie haben sich verführen, in ihrer eingebildeten Gewißheit zu wissen, was sie nicht wissen können, und das alles mit gefährlichem Halbwissen. Mit Entsetzen denke ich an die vielen unbeholfenen Gespräche über naturwissenschaftliche Zusammenhänge zurück, die einfach nur heillos verliefen.

    Ja, es ist so. Wir wissen nichts! – Das hat der griesgrämige Herbert Wehner in dem berühmten Fernsehinterview mit Hans Dieter Lueg mit aggressiver Hochpotenz unbezweifelbar klar gestellt. –  Übrigens ist es köstlich, wie sich beide beharken und Wehner sein Gegenüber als “Herr Lüg” tituliert, worauf dieser, gar nicht verlegen mit “Herr Wöhner” kontert.

    Ungefähr so stelle ich mir eine philosophische Performance des Philosophen unter den Philosophen vor, wie er, gefolgt von einer Entourage hochwohlgeborener Jünger den Honoratioren wieder einmal eine Abfuhr nach der anderen erteilte und die Jünglinge darüber in wieherndes Gelächter ausbrachen. Nichts ist schlimmer als die eingebildete Weisheit, daher habe ich auch kein Mitleid, denn die Vertreter des Nichtselbstdenkens haben sich den Spott redlich verdient.

    Und nein, wir stehen keineswegs nackt da, sondern ganz im Gegenteil. Es wird sogar immer bunter, sobald das Denken ins Schweben kommt, weil sich immer mehr gute Geister einstellen, denn wo einer ist, kommen bald schon andere hinzu. – Das geschieht aber nur, wenn gar nicht mehr irgendein Anspruch erhoben wird, irgendetwas jetzt aber nun ernsthaft und unbezweifelbar mit Gewißheit wissen zu können und zwar so, daß sich andere gefälligst daran zu halten haben.

    Worauf es beim Umgang mit Nichtwissen ankommt? – Wir verfügen hoffentlich über eine Urteilskraft, die sich auf das Schweben versteht. Und dieses Urteilsvermögen ist für Situationen zuständig, in denen wir einfach nicht genug wissen können.

    Philosophie ist daher auch nicht einfach nur eine Tätigkeit, es geht auch nicht nur um Techniken des Denkens, Schlußfolgerns und Beweisens. Es geht vielmehr um eine Lebenshaltung, die allerdings auch eingeübt werden kann.

    Wenn Dialoge und Diskurse sich in unserer einfältigen Zeit und unter Absehung der vielen Eindimensionalitäten endlich einmal lösen von der Gedankenschwere ihrer Blindheit und riskieren, mit dem Schweben zu beginnen, dann ist es der Ausdruck von Selbstbewußtsein.

    Man muß es sich eben auch leisten können, vielen Gedanken ihre Chancen zukommen zu lassen. Dann ist Schluß mit diesem grimmigen Rechthabenwollen, wenn endlich die Einstimmung in die philosophische Grundhaltung aufkommt, um bereitwillig Platz zu machen für den Auftritt aller erdenklicher Gedanken, Gefühle und Geister, von denen einer bemerkenswerter als der andere ist.  

    Wenn dem so ist, dann kann Geist aufkommen. Aber dieser macht das nur in Ausnahmesituationen, weil er ansonsten weit besseres zu tun hat. – Wenn wir uns aber diese Freiheiten herausnehmen im Gespräch, dann kommt auf, was in den alten Schriften als “Lachen der Weisen” dargestellt wird.

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

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    Soziale Kompetenzen und geistige Inkompetenzen

    Fairneß als Zeichen von Größe

    Es gibt soziale Kompetenzen, die weit wichtiger sind als eine in sich selbst verliebte Konkurrenzgesellschaft, die doch nur am Ast sägt, auf dem sie sitzt. — Das wurde am Freitag deutlich, im Seminar für angehende Lehrer und Lehrerinnen, in dem es um Professionalität und Berufsethik geht.

    Man mag es kaum mehr glauben, aber Kinder bringen ein Gefühl für Gerechtigkeit gleich mit auf die Welt. Sie kämpfen sogar dafür, wissen aber vielleicht noch nicht genau, wie man solche Werte lebt ohne als dumm hingestellt zu werden.

    Hört man Vorschulkindern beim gemeinsamen Spielen zu, dann verhandeln sie die Regeln fast ebenso lange, wie tatsächlich auch gespielt wird. Und der Satz: „Das gildet nicht!“, klingt mir noch immer in den Ohren. — Wie so oft hat Jean Jacques Rousseau mal wieder Recht: Die Natur des Menschen ist und bleibt gut, solange die Gesellschaft keinen schlechten Einfluß ausübt.

    Gerade im Gerede über die vermeintliche Natur des Menschen glauben viele ohne die geringste Ahnung von Anthropologie, ihre beschränkte Sicht der Dinge und vor allem ihre Ressentiments unwidersprochen verallgemeinern zu dürfen.

    Wolfsmärchen

    Man glaubt es aus eigener Anschauung besser zu wissen. Wir leben angeblich in einer Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft, im Kampf aller gegen alle, auf der freien Wildbahn, inmitten hochzivilisierter Welten, die von vorn bis hinten menschengemacht sind. — Also was soll die Berufung auf die angebliche „Natur des Menschen“?

    Tatsächlich haben wir alle erdenklichen Freiheiten, uns nach eigenen Vorstellungen zu „kultivieren“ in unserer Natur, als Person und vor allem in unserem Charakter. Aber genau diese Freiheit ist vielen suspekt.

    Dagegen dient die Berufung auf eine angeblich schlechte Natur des Menschen der Rechtfertigung, den Einzelnen die ihnen zustehenden Freiheiten in der Selbstfindung vorzuenthalten und zugleich so etwas wie „Menschenführung“ zu beanspruchen, mit der sich die Herrschaften zu allen Zeiten immer sehr gut legitimieren haben. — Entmündigung und Bevormundung sind daher noch immer auch in angeblich „freien“ Gesellschaften die Regel.

    Die Corona-Zeit hat überdeutlich gemacht, wie begrenzt die Haltbarkeit der angeblich garantierten Grundrechte eigentlich ist. Aus purer Angst haben viele ihre unveräußerlichen Grundrechte gegen vermeintliche Sicherheiten getauscht. Aber so etwas war schon immer ein schlechter Tausch.

    Jean-Léon Gérôme: Die Wahrheit kommt aus ihrem Brunnen (1896).

    Der von Kant geforderte Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, ist eben kein Kinderspiel. Angst war schon immer der schlechteste aller Ratgeber, Haß und Hetze waren noch nie ein Ausdruck guter Politik. Aber manche sind das Opfer eigener Ängste und greifen händeringend nach allem, was angeblich Halt verspricht. Es war manchmal wie bei einer Massenpanik, bei der manche einfach totgetrampelt wurden.

    Souveränität, Gelassenheit und Autonomie haben Seltenheitswert, wo alles über einen Leisten geschlagen wird.

    Fairneß

    Ausgerechnet im Leistungssport, bei dem es ja angeblich immer nur ums Gewinnen geht, also inmitten der Ellenbogengesellschaft, gibt es aber noch ganz andere Werte: Fairneß, Gerechtigkeit und Authentizität sind Zeichen wahrhafter Größe. Nur muß man sich so etwas leisten wollen und auch können.

    Wenn etwa bei der Tour de France alle Fahrer auf einen Konkurrenten warten, der zuvor unglücklich gestürzt war. Aus Gründen der Fairneß zügeln alle plötzlich den unbedingten Willen zum Sieg. Wenn sie dann mit beeindruckenden Gesten darauf warten, daß einer von ihnen aus höheren Gründen als erster ins Ziel fahren kann, dann zeigt sich, was menschliche Größe ausmacht. — Wenn eine Skiläuferin der Konkurrentin mitten im Rennen ihren Stock “ausleiht”, dann aber selbst  stürzen und sogar verlieren muß. Auch wenn jener Fußballer, der im Strafraum gestürzt aber keineswegs zu Fall gebracht worden ist, beim Schiedsrichter gegen den bereits gegebenen Elfmeter plädiert, dann haben wir gute Beispiele, die der dumpfen Ideologie unserer angeblich so herz– und geistlosen Konkurrenzgesellschaft haushoch überlegen sind.

    Wie lautet doch der dreiste Spruch einer der dümmsten Werbekampagnen aller Zeiten: „Ich bin doch nicht blöd!“ — Genau: Gelegenheit macht Diebe und wer etwas stehlen kann und es nicht tut, ist doch einfach nur blöd. Wer sich einen betrügerischen Vorteil verschaffen kann, wäre doch blöd, es nicht zu tun, oder?

    Die Seele des schlechten Gewissens

    Alle viel zu dürftig denkenden Schlaumeier vergessen dabei jedoch eines: Wir sind nie allein. Wir haben immer einen Zeugen dabei, nämlich uns selbst. Es ist das schlechte Gewissen und hinter alledem steht die eigene Seele.

    Davon ist seit geraumer Zeit immer weniger die Rede: Unsere Seele weiß offenbar sehr genau, was wirklich gut ist für andere und auch für uns selbst. — Ich vermute inzwischen, daß manche Depression von einem schlechten Gewissen herrühren dürfte, die von einer in die Ecke gestellten Seele ausgehen.

    Nicht von ungefähr wird dieser Tage der Unterschied zwischen Psyche und Seele immer wichtiger. Denn die Psyche ist offenbar inzwischen selbst zum Teil des Problems geworden. Sie stellt sich nur zu gern als Opfer hin, ist oft aber auch Täter an sich selbst, und dabei wirbt sie wie die Politiker für ihre viel zu einfältigen Machenschaften. — Tatsächlich sind die eigentlichen Motive oft nur von dieser Welt, wenn man an Narzißmus, Geltungssucht, Selbstverliebtheit, Voreingenommenheit, Rachsucht, Haß, Neid und Eitelkeit denkt.

    Aber fragen wir generell: Warum „gut“ sein wollen und vor allem wozu? — Nur aus Angst vor Strafe, wenn man erwischt würde, oder vielmehr aus eigenem Antrieb, also von innen her, aus eigener Motivation, weil wir uns eben die Freiheit zur Größe tatsächlich herausnehmen und auch leisten wollen.

    Würde den Belangen der Seele mehr Raum verschafft, die Weiterentwicklung der eigenen Person, der ganzen Welt, ja sogar der ganzen Menschheit würde bemerkenswerte Entwicklungen machen bis hin zu einer sehr viel menschlicheren Welt. — Aber viele glauben, mit dunklen Machenschaften, Rücksichtslosigkeiten, ja sogar mit Lug und Betrug sehr viel besser durchzukommen. Fragt sich nur wozu und wohin sie “durchkommen” wollen.

    Ein Zauberring, der unsichtbar macht

    Bei Platon wird dieses Problem näher erläutert anhand eines Motivs von einem magischen Ring mit der Fähigkeit, den Träger unsichtbar zu machen. Der Mythos vom Ring des Gyges geht auf eine antike Erzählung zurück, die in vielen Varianten durchgespielt worden ist. — Die Kernfrage aber lautet immer: Was würde man tun, wenn man diesen Ring hätte und dann ungestraft tun könnte, was und wie es einem beliebt.

    Eglon van der Neer: Die Frau des Kandaules entdeckt den versteckten Gyges (1660).

    Im Dialog bei Platon wird mit der Allegorie vom Zauberring erörtert, was in Pädagogik und Psychologie als „intrinsische Motivation“ bezeichnet wird. — Wer sich nämlich unsichtbar machen kann, der wäre schlicht unangreifbar und daher übermächtig.

    Die Frage liegt also auf der Hand: Wenn einem gar nichts passieren kann, egal was man tut; warum sollte man dann noch moralisch motiviert sein?

    Schön und lehrreich ist es immer, so etwas durchzuspielen, um in Erfahrung zu bringen, was dann wirklich geschieht, wenn man es täte. Die Aussichten auf den vermeintlichen Erfolg finsterer Machenschaften werden tatsächlich alsbald getrübt, wenn wir die Folgen näher in Augenschein nehmen. — Menschen haben nämlich nicht wirklich echte Freude am Erschwindelten. Genauer besehen zählt es nicht nur nicht, es fällt sogar alles zurück auf die, die es versucht haben, auf diese Weise einen Erfolg einzuheimsen, der gar keiner war.

    Gerade gegen diesen Impuls, sich solche Freiheiten zum Lügen und Betrügen herauszunehmen, gibt es wieder sehr schöne Gegenbeispiele. Tatsächlich ist uns nämlich an echter, wohlverdienter Anerkennung gelegen und alles andere zählt nicht wirklich.

    Da gibt es beispielsweise die Ballade von einem mächtigen Mann, der eine junge Frau begehrt, die ihm aber nicht zugetan ist. In seiner Liebesnot verlegt sich dieser seltsame Vogel auf einen Seelenzauber, um die Dame seines Herzens doch noch dazu zu bewegen, ihm gewogen zu sein und der Zauber verfängt. — Aber er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er kann einfach nicht glücklich werden mit dieser gestohlenen Liebe, weil sie ja nicht „echt“ ist.

    Oder wenn etwa der vermögende Intimfreund einer aufstrebenden Künstlerin dieser einen ganz großen Gefallen tun will, indem er die von ihr geschaffenen, bisher nicht sonderlich gut verkauften Kunstwerke einfach seinerseits erwirbt. Er hat ja schließlich Geld genug und kann es sich leisten. — Was wird aber geschehen, sobald sie dahinterkommt, daß er es war, der alles aufgekauft hat? Käme sie sich dann nicht reichlich blöd vor?

    Man sieht, solche Rechnungen gehen einfach nicht auf. Wenn etwas nicht echt ist, dann kann und darf es gar nicht zählen, das wissen bereits Kinder sehr früh. — Daher wollen wir entweder echte Anerkennung oder lieber gar keine. Im Zweifelsfall kann man das eigene Scheitern noch immer als Zeichen echter Größe zelebrieren. Man hat es eben ehrlich versucht, aber die Welt war noch nicht reif genug.

    Wir legen also großen Wert darauf, sicher zu gehen, daß andere uns nicht einfach nur schmeicheln und etwas vormachen wollen. Und sogar Kinder, die erst noch das Auch–mal–Verlieren–Können lernen müssen, sind im Prinzip längst so weit, einsehen zu können, daß ein geschenkter Sieg nicht wirklich zählt. — Mit Augenzwinkern kann man ihnen tatsächlich bereits zu verstehen geben, daß man sie diesmal noch gewinnen läßt, weil sie sich noch allzu sehr ärgern über eine Niederlage im Spiel.

    Wie es wäre, Donald Trump zu sein

    Bei alledem denke ich immer mal wieder über den Charakter von Donald Trump nach, weil mir seine Unaufrichtigkeit und sein fortwährender Selbstbetrug nur schwer nachvollziehbar ist. Ich will verstehen, scheitere aber immer wieder an meinem Vorstellungsvermögen, wie es wohl vonstatten gehen könnte, derart von sich überzeugt zu sein, so daß man glaubt, sich selbst und andere auf Dauer belügen und betrügen zu können. — Und diese Gedanken drängten sich mir auch im Seminar über die “Fairneß im Sportunterricht” wieder auf.

    Enrico Mazzanti: Pinocchio (1883).

    Trump ist gewiß kein Sportsmann, dachte ich mir. Aber er spielt doch Golf, also müßte er doch irgendwie „fair“ sein, dachte ich mir dagegen auch wiederum.

    Derweil kam mir die Szene aus dem Bond-Film „Goldfinger“ in den Sinn, wo ein Bond-Bösewicht auf ganz jämmerliche Weise beim Golf betrügt, weil die von Gerd Fröbe so hervorragend gespielte Figur einfach nicht verlieren und daher auch nicht fair sein kann. — Der ins Nirgendwo verschlagene Golfball wird vom finsteren Gehilfen einfach durch ein Loch in der Hosentasche an Ort und Stelle platziert, was natürlich von Bond durchschaut und auch aufgeklärt wird.

    Um aber in der entscheidenden Frage weiterzukommen, habe ich einfach nach „Trump sportsman“ gegoogelt. — Gleich der zweite Fund ist eine Meldung aus dem Spiegel:

    „So gewinnt er immer.  Der US-Präsident Donald Trump hält sich für einen exzellenten Golfer. Tatsächlich schummelt er bei jeder Gelegenheit, sogar gegen prominente Mitspieler wie Tiger Woods.“ — Danke, mehr brauche ich nicht. Manchmal ist es mir schon wieder zu blöd, so einfach Recht zu haben.

    Das erklärt aber nur, daß er so ist, wie zu befürchten war. Aber erklärt wird nicht, warum Trump so ist, wie er ist. — Also versuche ich mir zu erklären, wie man sich wohl fühlen muß, wenn die Seele als Geisel genommen worden ist und am Kopenhagen-Syndrom leidet, wo die Geiseln beim Feuergefecht mit der Polizei den Tätern die Waffen nachgeladen haben.

    Um etwas zu verstehen, müssen wir es uns erst einmal vorstellbar und nachvollziehbar machen, aber dazu gehört sehr viel Einfühlungsvermögen. — Wenn es schon einen berühmten Aufsatz von Thomas Nagel gibt unter der Fragestellung: „Wie es ist, eine Fledermaus zu sein“, dann sollte es doch auch gelingen, sich vorstellen zu können, wie es wohl sein würde, Donald Trump zu sein, nicht auf Dauer, aber solange, bis man gesehen hat, wie Trump–Sein geht.

    Als Hilfsargument nehme ich derweil ein „Faktum“ aus anderen Zeiten. Es wurde nämlich vorzeiten über Mercedes–Fahrer, ihre Karossen und ihr Verhalten im Straßenverkehr gesagt, daß bei diesen die Vorfahrt bereits eingebaut sei. — So jedenfalls versuche ich mir zu erklären, wie der Trumpismus als Betriebssystem und Massenbewegung wohl funktionieren könnte. In der non–binären Welt von Trump, seiner Anhängerschaft und denen, die an ihn und seine Mission glauben, ist er ja so etwas wie ein Messias.

    Im Trump–Spiel kann es immer nur einen Gewinner geben. Demnach gibt es gar nicht die Möglichkeit, daß er auch mal verlieren könnte, denn so etwas ist im Schöpfungsplan einfach nicht vorgesehen! — Also kann eine Wahl, in der er verloren hat, einfach nur ein Fake sein, genauso wie die Fotos seiner Amtseinführung mit einem bemerkenswerter Neologismus gekontert wurden, bei dem man sich nicht genug die Augen reiben kann: Es gäbe neben der normalen Wirklichkeit noch so etwas wie „Alternative Fakten“, sagte seine seltsam anmutende Pressesprecherin damals.

    Kritik der Esoterik

    Allerdings bereitet es mir besondere Probleme, genauer nachzuvollziehen, warum es unter Esoterikern häufiger gerade solche Zeitgenossen gibt, die in Trump einen ganz großen, weisen, auserwählten, durchaus von den Göttern gesandten Erlöser sehen. — Ich muß gestehen, daß ich dann in meiner Gedankenarbeit regelmäßig an Belastungsgrenzen stoße, weil ich da einfach nicht mehr mitkomme.  Dabei spiele ich ganz gern auch mit schrägen Gedanken.

    In Kindertagen hatte ich unermüdliche Gedankenspiele mit Versuchen, mir etwas vorzustellen, was ich mir nicht vorstellen kann. Also wurde eine Vorstellung nach der anderen durchgewunken; sobald sie vorstellbar geworden war, wurde sie auch schon wieder abgelehnt… — So etwas erweitert den Horizont des Vorstellbaren ungemein und dennoch bleiben gewisse Grenzen der Phantasie.

    Nicht ohne schadenfrohe Selbstironie sehe ich mir selbst beim Experimentieren mit den Gedankenwelten mancher dieser Esoteriker zu. Bald zeigen sich nämlich in meiner Weltvorstellung die ersten Risse, dann kommen Strukturbrüche hinzu und schon bald brechen ganzen Gedankengebäude krachend in sich zusammen, wenn ich ernsthaft versuche, alledem einen nachvollziehbaren Sinn einzuhauchen.

    Da werden nicht nur die zu prüfenden Gedanken zu Crashtest-Dummies, schlußendlich kollabiert die ganze Versuchs-Anlage. — Es dauert übrigens etwa drei Tage, bis alles so einigermaßen wieder steht.

    Trump, Sportsgeist, Fairneß, wahrhafte Größe, tatsächliche Würde, Konzilianz und vor allem Persönlichkeit, wie das alles zusammengehört? — Manchmal paßt es eben nicht wirklich und alles bricht unter der Last der Lügen in sich zusammen.

    Für Gläubige ist so etwas aber nichts weiter als eine Prüfung in der Festigkeit des eigenen Glaubens. — Wie heißt es doch: Als sie ihr Scheitern bemerkten, da verdoppelten sie ihre Anstrengungen.

    Allerdings ist dieser Tage nicht nur ein Zentralgestirn reaktionären Denkens im Sinkflug begriffen. So ergeht es manchen dieser Tage, die einfach zu hoch geflogen sind. — Man kann nicht Angst mit Haß bekämpfen, man sollte auch nicht die Seelenheilkunde in die Hände vermeintlicher Coaches legen, die auf den Marktplätzen im Internet wie Wunderheiler herumziehen.

    Zur Fairneß, vor allem auch zu der, sich selbst gegenüber, braucht es Mut und Zuversicht. Aber so etwas fällt nicht vom Himmel. — Auf Bildung kommt es an, so viel Umweg muß sein.

    Manche wollen aber Erleuchtung nach dem Motto: “I like Genuß sofort”, noch so eine saublöde Werbung vorzeiten. Und diesen Spruch haben sich viele auch noch aufs Auto geklebt. — Da  mag es günstig erscheinen, gleich in den Glauben zu springen, als wäre es nur eine Mutprobe. Aber so etwas ist gar keine Leistung, sondern nur die Flucht vor der geistigen Freiheit.

    Auf die Bildung der Persönlichkeit kommt es daher an. Wir sollten einigermaßen sicher gehen können, daß wir uns selbst und anderen nicht einfach nur etwas vormachen. – Das ist es doch gerade, was “Kritik” ausmacht. Wir sollten uns nicht selbst auf den Leim gehen, sondern uns selbst ganz besonders “kritisch” betrachten.

    Als Kontrastmittel kann man dabei auf Philosophie, Kunst und Dichtung zurückgreifen:

    „Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,

    Hat auch Religion;

    Wer jene beiden nicht besitzt,

    Der habe Religion.“

    (Johann Wolfgang von Goethe: Gedichte. Nachlese. In: Berliner Ausgabe; Bd. 2, S. 383.)

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

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    Elon Musk und der Algorithmus der Macht

    Über die Konstruktion der herrschenden Meinung

    Wer die Sprache beherrscht, kann Macht für sich beanspruchen, weil die Wirklichkeit damit konstruiert werden kann und damit auch die herrschende Meinung.

    Elon Musk will angeblich den Algorithmus veröffentlichen, der „hinter“ Twitter steckt. Aber es sind hunderte und im übrigen bräuchte man dann auch das Material, mit dem diese Algorithmen “angelernt” worden sind.

    Via Twitter verkünden die Alphas unter den Journalisten seit geraumer Weile, wo die herrschende Meinung liegt. Aufstrebende Nachwuchstalente haben das Credo der mächtigen Meinungsmacher dankbar übernommen.

    Die „Vierte Gewalt“ ist keine mehr, sondern selbst zum Teil des Problems geworden, sie hat sich zum Angstbeißer entwickelt, weil sie längst vor dem Internet in die Knie gegangen ist. – Als das Privatfernsehen aufkam, hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten schließlich auch nichts Besseres zu tun, als sich ein schlechtes Beispiel an der neuen Konkurrenz zu nehmen.

    Johann Heinrich von Dannecker, Ariadne auf dem Panther, 1803-1814, Liebieghaus in Frankfurt am Main.

    Nicht ohne klammheimliche Freude gönne ich es den Vertretern der “Vierten Gewalt”, daß sie jetzt mitverkauft worden sind. Denn sie tun seit Jahren nicht mehr, was sie zu tun hätten: Den Diskursen bei der Orientierung in der verwirrenden Vielfalt aller Stimmen kompetent zur Seite zu stehen.

    Natürlich gibt es immer auch Ausnahmen, aber die Tendenzen sind insgesamt besorgniserregend: Manche führen sich wie die Oberpriester einer alleinseligmachenden Kirche auf, um alle exkommunizieren zu lassen, die sich nicht ihrer Auffassung „fügen“.

    Die hermetische Meinungsbildung via Twitter wirkt wie die heilige Inquisition der römisch-katholischen Kirche. – Ausgestoßen zu werden aus der Gemeinschaft, ist seit Anbeginn der Menschheit die ultimative Katastrophe.

    Während die Kirchen immer weniger relevant sind in Fragen der Orientierungsorientierung, haben Pressevertreter längst die Rolle der Kirchenfürsten übernommen. Man kann inzwischen sogar die Exkommunikation aussprechen und exekutieren, die Betroffenen werden dann vom sozialen Tod ereilt.

    Nun hat Elon Musk gerade via Twitter oft und gern zur Imagepflege, für Spielereien, Spekulationen und zur Agitation genutzt. Dabei war das Medium immer auch Botschaft. – Aber irgend etwas hat den Tycoon ganz offenbar schon seit langem an Twitter gestört: Es muß das Geheimnisvolle im Ranking gewesen sein. Also wer kriegt eigentlich was, wann und warum zu sehen?

    Man weiß längst von Insidern sozialer Netze, die zu Wistleblowern wurden, daß gerade die „großen“, besonders extremen „Emotionen“ gefördert werden, weil wir uns angeblich nur zu gern maßlos aufregen. Und die Algorithmen sind dazu programmiert, die User möglichst lang auf der Plattform zu halten, damit man sie umso besser mit Werbung bestreichen kann.

    So wie einstweilen die Ratschlüsse der Götter unerforschlich waren, so sind es jetzt die Algorithmen. Es wäre daher begrüßenswert, würden die Algorithmen von Twitter veröffentlicht. Berichtet wird, daß Elon Musk mit einer Entourage engster Mitarbeiter wie eine Besatzungsmacht eingefallen ist. Die Chefs wurden augenblicklich in die Wüste geschickt, das Ganze ist eine Mischung aus feindlicher Übernahme und Razzia.  – Seitenweise wurden Codes geordert und ausgedruckt, die dann in einer klandestinen Community von Beratern und Experten, mit denen sich Musk umgeben hat, geprüft zu werden. Worauf?

    Jetzt hat er nicht nur ein Satellitensystem „unter sich“, das der Kommunikation vor allem auch in Kriegsgebieten dient. Jetzt will er an die Kommunikation selbst heran.  – Tatsächlich geht es um unsere Diskurse!

    Aber sind Märchen, Mythen und Metaphern nicht auch wie Algorithmen? Und ist nicht Ariadne eine, die sich mit Labyrinthen auskennt? – Ganz so neu ist das alles nun auch wieder nicht.

    https://www.nzz.ch/technologie/elon-musk-will-den-twitter-algorithmus-veroeffentlichen-was-wuerde-das-aendern-ld.1681269

     

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    Stoibern und Drosten

    Inkompetenzkompensationskompetenz

    Ja, die gibt es wirklich. Odo Marquardt hat sie entdeckt, die Kompetenz der Philosophen als Stuntman in Kompetenzfragen. Wenn man des nächtens durch universitäre Katakomben streifte und aus irgendeinem der Räume große Heiterkeit zu vernehmen war, dann konnte man sich vielleicht daran erfreuen, einer Rede des begnadeten Bedeutungskünstlers Odo Marquardt beizuwohnen.

    So beginnt er seinen Vortrag “Inkompetenzkompensationskompetenz? Über Kompetenz und Inkompetenz der Philosophie” mit einer makabren Geschichte, die gleich auf den Kopf zu sprechen kommt, um den es gehen soll, den philosophischen Kopf.

    Bei einem chinesischen Henkerwettstreit – so wird erzählt – geriet der zweite Finalist in die Verlegenheit, eine schier unüberbietbar präzise Enthauptung durch seinen Konkurrenten, der vor ihm dran war, überbieten zu müssen. Es herrschte Spannung. Mit scharfer Klinge führte er seinen Streich. Jedoch der Kopf des zu Enthauptenden fiel nicht, und der also scheinbar noch nicht enthauptete Delinquent blickte den Henker erstaunt und fragend an. Drauf dieser zu ihm: nicken Sie mal.

    Mich interessiert, was dieser Kopf denkt, bevor er nickt; denn das müßte doch Ähnlichkeit haben mit Gedanken der Philosophie über sich selber.

     

    Wenn genügend hintersinniger Witz, also Geist vorhanden ist, dann ist auch die Sprache in ihrem Element. Schließlich muß der Geist die Worte, denen wir anvertrauen wollen, was wir mitteilen möchten, erst ‘beseelen’.  Diese geisterhafte Geistigkeit kommt von den Metaphern, die man sich herbeiruft, um mit ihnen wie im Zirkus nicht ungefährliche Dressurstückchen vorzuführen. – Das Spannende daran ist allerdings, daß Metaphorisieren schief gehen kann und zwar ganz gewaltig.

    Auch das hat wiederum einen ausgezeichneten Unterhaltungswert. Dann fehlt allerdings der Geist, der dem Gesagten die Seele einhaucht. Aber in den Vorstellungswelten aufmerksamer Zuhörer können Geister auch durch demonstrative Abwesenheit eine Botschaft absetzen. Dann geht so gut wie alles schief, was schief gehen kann. – Dann steckt der Geist im unberücksichtigten Hintersinn, der in der letzten Reihe seine Faxen macht und den ordnungsgemäßen Ablauf der Ziehung der Worte als Glückstreffer so richtig sabotiert.

    Eines der erlesensten Demonstrationen sprachlicher Inkompetenz ist die unvergeßliche Rede des damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der sich für eine Strecke mit dem Transrapid zwischen Münchener Hauptbahnhof und Flughafen stark machen wollte. Er hatte dabei etwas vor Augen, das ihm aufgrund sprachlichen Unvermögens oder auch, weil er einen schlechten Tag gehabt haben mag, einfach nicht gelang, eigentlich eine Banalität zum Ausdruck zu bringen: Eine Flugreise vom Münchener Flughafen könnte bereits im Hauptbahnhof beginnen, deshalb solle man sich doch die Vorzüge nicht nur vor Augen führen, sondern nicht entgehen lassen und die Strecke für den Transrapid endlich befürworten und bauen.

    Es ist ein unvergessenes Werk der Sprachkunst, weil man sieht, was alles schief gehen kann. Ich weiß, es ist böse, aber die Schadenfreude bereitet gerade auch eine große, halbverbotene Freude, die in diesen finsteren Zeiten auch etwas Entlastendes haben kann. – Also katholisch gesehen, ist es nur eine läßliche Sünde, auf eine Sammlung hinzuweisen, die Kenner der Redekunst bei Youtube zusammengetragen haben unter dem Titel “Stoibers Gestammelte Werke”. Die Trans-Rapid-Rede findet sich dort gleich zu Beginn.

    Gut gestoibert ist halb gedrostet. Ich komme darauf, weil mir manche Ähnlichkeiten ist Auge fallen und ich gerade dabei bin, nachzuvollziehen, warum der NDR-Podcast von Prof. Dr. Christian Heinrich Maria Drosten sich so großer Beliebtheit erfreut, seit den Anfängen unserer Pan-Hysterie.

    Ich denke mal, daß es viele Geisteswissenschaftler sein müssen, die ehrfurchtsvoll lauschen, wenn da jemand so ähnlich stammelt, wie Stoiber. Und ich frage mich: Kann es sein, daß viele Kollegen aus den Geisteswissenschaften dem Naturwissenschaftler seinen unbeholfenen Umgang mit Sprache gern nachsehen? – Ist es möglich, daß sie darin sogar eine besonderes Zeichen von Kompetenz sehen?

     

     

     

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    Wenn Worte sich enthalten

    Erlösung gibt es nur durch Sprache, aber was, wenn die Worte fehlen?

    Wenn Worte fehlen, suchen wir stammelnd nach Beispielen: Es ist wie…, es ist wie…, es ist wie… – Ja wie denn?

    Wenn etwas gesagt werden soll, aber eigentlich gar nicht klar ist, was denn jetzt und vor allem wie, dann stehen die, die sich jetzt mal äußern sollen wie Lehrer vor einer Klasse von Schülern, die den Teufel tun werden, sich jetzt zu melden. 

    Keines der bekannten Worte wird sich bereit erklären für ein solches Himmelfahrtskommando, darstellen zu sollen, wie es denn so ist, ein Impfgegner zu sein und gegen den Strom zu schwingen. Ein Student sagte mal im Seminar, da müsse man aufpassen, nicht blaue Augen zu bekommen, wenn man gegen den Strom schwimmt. Auf Nachfrage erklärte er dann das köstliche Bild, die blauen Augen entstünden durch Zusammenstöße mit entgegenkommenden Fischen. 

    Gustave Doré: Die babylonische Sprachverwirrung (1865ff.).

    Im Corona-Diskurs ist Verstehen aus vielerlei Gründen ganz besonders schwierig, weil im Hintergrund tiefe religiöse Traumata das Orchester der Gefühle dirigieren und tagtäglich neue Ängste geschürt werden. Die meisten “Rechtgläubigen” bemerken nicht einmal, daß sie sich angepaßt haben und tunlichst nur angepaßte Worte verwenden aber gar nicht die eigenen. Viele beten nur nach und kommen dann auch sehr schnell ins Stammeln, wenn sie ihrerseits begründen sollen, was sie warum für richtig halten. 

    Tatsächlich ist es ungeheuer schwer, etwas zu verstehen, in dem man sich gerade befindet. Man kann in einer Höhle nicht erklären, daß man sich in einer Höhle befindet, ohne daß die, denen man das gern mitteilen möchte, schon mal davon gehört haben, daß es auch ein Außerhalb gibt. Das ist die berühmte Allegorie in Platons Höhlengleichnis  mit dem sich Platon an den Athenern bis in aller Ewigkeit revanchiert, daß sie seinen geliebten Lehrer zum Tode verurteilt haben, weil er den Mainstream gestört hat beim Nichtdenken. 

    Die Sprache ist das Haus des Seins, sagt Heidegger und in der Tat ist diese der “Weinberg”, von dem die Christen so gern reden. Die Erweiterung des Ausdrucksvermögens ist alles entscheidend.

    Das ist ja gerade das Schlimme an einem Trauma, es lastet auf der Seele, ohne daß man sich davon erleichtern könnte. Das würde nur gehen, wenn man es mit-teilen würde. Aber dazu sind Worte nötig, die sich freiwillig melden und sagen: Ich versuche das jetzt mal.  Aber die meisten dieser mutigen Worte kommen dabei um. Mutig sein allein genügt nämlich nicht.

    Außerdem ist da noch die Grammatik, und die ist weit mehr, als nur das, was man im Deutschunterricht zu hören bekommt. In der Philosophie gibt es “Ontologien”, das sind “Seinslehren”, die zu anderen Zeiten ernsthaft vertreten und auch geglaubt wurden, wo dann eben so Nebensächlichkeiten drin stehen, wie etwa die “Natur des Menschen, des Mannes oder auch der Frau”.

    Man sollte nicht zu hart mit anderen Epochen ins Gericht gehen, denn diese hatten auch ihre Problem, nur andere als wir. – Man hat das eben geglaubt, daß es so etwas wie eine fixierte Natur gibt und das war wohl auch gut so, weil einem die Welt ohnehin bereits über den Kopf gewachsen war. 

    Nun nimmt im Zuge der Kulturgeschichte das sprachliche Differenzierungsvermögen immer weiter zu. Daher braucht es ständig neue, bessere, tiefere Worte, aber auch die Grammatik muß sich öffnen für die neuen Fälle des Lebens. Sie darf und soll neuen Lebens- und Empfindungsformen nicht ihre Existenzberechtigung aberkennen, indem sie gar nicht zuläßt, das so etwas überhaupt gesagt werden kann. – Wenn die Worte falsch sind, führen sie in die Irre, wenn die Grammatik nicht mitspielt, dann bleibt nur Stammeln, das keiner versteht. 

    Daher müssen wir mit dem, was wir zu sagen hätten, aber noch gar nicht wirklich mit-teilen können, ziemlich lange hadern. Wir müssen mit der Schulklasse unserer Worte viele Diskussionen führen, bis einige sagen, ich kenne da wen, der das kann, den hole ich mal.  – Wir brauchen die Musen dazu, denn erst sie schenken uns die nötigen Inspirationen, etwas Unsägliches doch zur Sprache zu bringen. 

    Einer der Anklagepunkte im Prozeß gegen Sokrates, neben dem ehrenwerten Vorwurf, er würde die Jugend (zum Denken) verführen, bestand darin, er würde “fremde Götter” einführen. Man sollte hier nicht auf der Überholspur denken, sondern das Ganze erst einmal auf sich, wie auf ein Kind wirken lassen. Was kann das bedeuten, fremde Götter nicht einführen zu dürfen? – Das ist das Schöne am Denken, sich selbst dabei zusehen zu können, wie man “dahinterkommt”. 

    Also, die Griechen hatten den Polytheismus und das muß man wiederum auch betrachten als ziemlich kostspielige Angelegenheit. Man kennt das noch in der Debatte über die Feiertage, wo doch damals die evangelische Kirche einen Feiertag abgetreten hat, nur um der armen Wirtschaft zu helfen. Ja, an Feiertagen wird in vielen Sektoren nicht gearbeitet, sondern gezahlt, vor allem von denen, die sonst immer kassieren. 

    Sokrates sprach von seinem “Daimonion”, einer Art Geist, eine innere Stimme, die er hört. Sie würde ihm nie etwas anraten zu tun, sondern sich nur melden, sobald er etwas Ungutes zu tun beabsichtigen würde. – Wenn ich damals vom Athener Gericht mit einem Gutachten betraut worden wäre, hätte ich darzustellen versucht, daß es sich bei dieser Instanz nicht um einen neuen, fremden Gott handeln würde, der unerlaubterweise eingeführt worden sei, sondern um eine Ausdifferenzierung in der Psyche und in der Seele des Sokrates, die wegweisend werden sollte, die sich hier nur ausnahmsweise schon einmal melden würde. 

    Ich stelle mir also vor, daß es so etwas wie eine Einfuhrbehörde für Götter gegeben haben muß. Wenn da also mit einer neuen Unterwerfung auch die neu unterworfenen Götter eingeführt werden müssen, dann wird man sich gefragt haben, also, haben wir die nicht schon, wer unsere Götter könnte das machen? So hat Zeus an die hunderte zusätzlicher Namen, das sind alles Götter aus einverleibten Häuptlingstümern oder Königreichen mit ihren höchst spezifischen Zuständigkeiten. 

    Es ist unerläßlich, den Göttern und zwar allen das Ihrige zu geben, wo nicht, droht Ärger. Etwa als, kurz bevor die Athener in den Krieg zogen, irgendwelche Jugendlichen an den Hermesstauetten, die an den Straßen zu Hunderten standen, mal so eben die erigierten Penisse abgeschlagen haben. 

    So ist etwa die Aphrodite mit rotem Haar, weil sie eben aus Zypern kommt, wo auch das Kupfer herstammt. Wenn man also die Aphrodite ungebührlich behandeln würde, verdirbt man es sich nicht nur mit der Schönheit, sondern auch mit den Frauen, mit der Rolle der Frau als solcher und dann auch noch mit den Zyprioten. – Daher muß allen Ernstes eine Kommission darüber entscheiden, was man denn mit einem konkreten Gott, der da neu aufgetreten ist, anstellen soll. Und man hat die neue Kompetenz des Sokrates einfach völlig falsch gedeutet und gar nicht verstanden. 

    Wenn die Worte sich drücken, wenn die Grammatik die Arme verschränkt und bei so etwas nicht mitmachen will, dann gibt die Sprache mit Bedauern zu verstehen, daß sie da jetzt auch nicht weiterhelfen könnte. Dann hat man ein Problem mit sich und den Anderen. Man versteht sich selbst nicht wirklich, weil die Worte fehlen, man wird nicht verstanden, weil die Grammatik streikt für solche Fälle und zugleich spuken da noch tiefe religiöse Traumata, von denen die meisten nicht einmal etwas ahnen. 

    Und dann wird zu Vergleichen gegriffen, die einfach schräg rüberkommen müssen. Historische Vergleiche sind immer problematisch, weil es ja konkrete Verhältnisse, Ereignisse und Folgen sind, die sich so, auf dieselbe Art und Weise, ganz gewiß nicht wiederholen. Andererseits sind wir darauf angewiesen, mit Analogien zu arbeiten, wenn kein Wort sich traut, überhaupt Stellung zu nehmen. 

    Wir sollten das, was die Sprache ist und was sie ausmacht, was sie kann, wo sie ihre Grenzen hat und was wir tun können, uns mehr Ausdruck zu verschaffen, endlich anders sehen. Dieses nachrichtentechnische Modell von Sender, Empfänger und Botschaft ist grottenschlecht und absolut unangemessen.

    Es ist vielmehr so, daß wir miteinander im Dialog kooperieren müssen, wenn wir etwas vorstellbar machen wollen, um dann erst das Urteil eines Freundes oder einer Freundin zu erbitten. Andere können uns erst dann wirklich etwas anraten, wenn sie uns ver-stehen, das heißt, wenn sie aus unserer Position heraus ihre Stellungnahme abgeben. – Zu hoch? Da kann ich dann auch nicht mehr helfen. 

    Man achte bitte einmal darauf, wie viele “Regieanweisungen” da einander gegeben werden: “Nein, so ist das nicht. Du mußt Dir das anders vorstellen, etwa wie, wenn…” – Verstehen ist Arbeit, auch wenn das unter Freunden nicht so gesehen wird. Denken ist ähnlich, es ist ein Dialog der Seele mit sich selbst.

    Und dieses Bohren ganz dicker Bretter, wie Max Weber die Politik charakterisiert, um Gesinnungstäter, Tugendwächter und Hitzköpfe von irgendeine Propaganda durch die Tat abzubringen, ist genau das. Politik ist, wenn sie wirklich etwas leistet, der Versuch, neue Zugänge zu finden, durch Sprache, Verstehen und neue Gemeinsamkeiten.

    Das macht dann in der Tat den Jargon der Diplomatie so interessant. Was macht man, wenn man nicht einmal “Beziehungen” zueinander hat? Man besucht sich, spricht miteinander, sucht nach “Gemeinsamkeiten”, bis man dann eine “gemeinsame Gesprächsgrundlage” findet, auf der weitere “Konsultationen” stattfinden können. Und das wäre nur der alleranfänglichste Anfang.

    Impfgläubige wollen immer gleich mit den Beitrittsverhandlungen beginnen. Sie sprechen den Ungläubigen einfach ab, daß es so etwas wie sie überhaupt geben könne.  – Es ist aber naiv zu erwarten, daß es in der Corona-Krise nur einen einzig richtigen Glauben gibt.

    Corona ist nur so stark, weil viele unserer Systeme erstaunlich schwach sind. Es ist gut zu wissen, dann wird man in Zukunft weit weniger vertrauen, sondern sehr viel mehr kritisch sein und bleiben müssen. – Aber auch das muß erst einmal zur Sprache gebracht werden, mit den richtigen Worten und einer Grammatik, die neuen Gedanken aufgeschlossener ist als die Angstrhetorik unserer Tage.  

    Es bleibt nur, mit dem Kopf immer wieder gegen die Grenzen der Sprache anzurennen und derweil die Musen darum zu bitten, das Gespür für die richtigen Metaphern zu schenken. 

     

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    Mauern im Schlamm

    Exakter Unsinn mit Metaphern

    Das passiert, wenn man offenbar nur Virologie, bzw. Gesundheitsökonomie studiert hat. Dann fehlt die humanistische Bildung, was zu sehen ist an der grotesken Unfähigkeit, mit Metaphern überhaupt umgehen zu können. — Dabei sind Modellvorstellungen gerade in den Naturwissenschaften, die ja angeblich nicht reden, sondern nur rechnen, von außerordentlicher Bedeutung.

    Bei diesem irrwitzigen Gestammel über Reifen, Schlammpisten, Berge und Mauern, bleibt nur Ludwig Wittgenstein: “Worüber man nicht reden kann, darüber soll man schweigen.”

    Es ist ein Anfängerfehler beim Metaphorisieren, den beide arglos begehen: Es ist zunächst einmal dringend zu vermeiden, etwas Organisches mit etwas Mechanischem gleichzusetzen. Eine solche Übertragung muß schief gehen. Beispiel: Frauen sind wie Blumen, Männer wie Rasenmäher.  — Der Witz entsteht allein durch die Unvereinbarkeit der Metaphern. Und selbstverständlich werden Manche diese Aussage als solche rhetorisch zu nutzen verstehen. Das ist so.
     
    Wer sich auf Metaphern einläßt, sollte schon wissen, was dann geschieht. Wer das nicht kann, ist eigentlich nicht einmal Wissenschaftler, weil die Fähigkeit, sich in und mit Modellen auch allgemein verständlich zu machen, schlichtweg dazu gehört. — Man wird sich nämlich schon fragen, wenn so gestammelt wird, was Drosten und Lauterbach eigentlich wirklich verstehen und verstanden haben, wenn sie so unbeholfen reden und dabei völlig verlassen sind von allen guten Geistern, die in der Sprache wohnen.

    Wenn etwa Einstein sagt: “Gott würfelt nicht”. Dann will er zwar keine Theologie betreiben, sondern “nur” den Universalanspruch der Mathematik behaupten. Dennoch hat er zugleich auch Theologie betrieben, denn wenn Gott überhaupt nicht würfelt, dann wäre er gar kein Thema mehr, nicht nur für die Physik. Also hat er Theologie betrieben und sich deshalb übernommen.

    Das ist das Schöne, Amüsante und für Unberufene auch Bedrohliche beim Metaphorisieren. Man kann förmlich sehen, wie die aus mangelndem Sprachgefühl oder auch, weil nicht zu Ende gedacht worden ist, falsch gewählten Metaphern daraufhin postwendend über den Redner herfallen oder ihm heimtückische Fallen stellen. Nicht selten wird Rednern dann etwas in den Mund legen, was sie gar nicht gesagt haben wollten. Ein berühmtes Beispiel ist die Jenninger–Rede.
     
    Wenn beispielsweise irgendwo die Leitung einer Institution weitergegeben wird, dann gibt es immer diese grotesken Unbeholfenheiten, die zugleich sehr tief blicken lassen. Die bei der “Wachablösung” allseits beliebte Metapher vom “Kapitän eines Schiffes”, also dem “Steuermann”, ist selten schwer beherrschbar. – Daher ist es immer besonders spannend, dabei zu sein, um zu sehen, wann und wie der Schiffbruch solcher Redner kommt, die nicht selten blank ziehen, ohne es zu wollen.
     
    Hinter den Kulissen lassen sich aufgrund der heimtückischen Attacken widerspenstiger Narrative viele der eigentlichen Intentionen, der Selbstzweifel und auch der Anmaßungen ziemlich genau erkennen. Das geschieht unmittelbar dann, sobald eine Metaphorik fadenscheinig wird und aufgesetzt erscheint, also nur benutzt aber nicht auch als solche ernst gemeint werden soll. 
     
    “Benutzen” lassen sich Metaphern schon mal gar nicht. — Das lassen sich die ansonsten so hilfreichen Geister überhaupt nicht bieten, also wenden sie sich gegen den, der sie als Geister rief. Und tatsächlich, wer sich den Sprachgeistern nicht würdig, dankbar und in gewisser Weise auch folgsam erweist, hat auch ansonsten wohl auch noch ganz andere Schwächen. — Und ei den meisten steckt nämlich Hybris dahinter und das fliegt auf, angesichts der Risiken, die die Seefahrt nicht nur metaphorisch nun einmal mit sich bringt. 
     
    Mit Virologie hat das alles nichts zu tun, aber mit Sprache, Kultur, Vernunft und Geist, also mit einem Immunsystem, das von ganz anderer Klasse ist.
     
    Schön ist dieser Beitrag, den ich hier empfehlen möchte deswegen, weil er mir erhebliche Arbeit abnimmt. Ich wollte die sprachliche Unbeholfenheit der Professoren Drosten und Lauterbach immer schon mal aufspießen, weil, wer so schlecht spricht, einfach Spott verdient. — Ich fand es aber irgendwie fies, mir das alles eigens noch einmal anzuhören, um es mit den Mitteln der Glosse dann noch aufzuführen.

    Schön, daß diese Unbeholfenheit hier ineinander geschnitten wurden.