Pandora ist das Abschiedsgeschenk der abdankenden olympischen Götter, danach kommt nur noch der Mensch. Es sollte keine weitere Dynastie von Göttern mehr geben. — Wir sind werdende Götter in einer Welt, die wir selbst erschaffen haben, für die wir auch ganz allein verantwortlich sind.
Mit sämtlichen göttlichen Gaben bedacht, ist Pandora die Allegorie aller Verlockungen, wie sie nur zivilisierte Welten bieten. Zugleich bringt sie auch alle damit verbundenen Übel in die Welt. Um die Frage nach dem Warum ranken sich seither viele Meistererzählungen. Grund genug, sie erneut zu befragen, um ›unsere‹ Antworten zu finden.
Also wie gehen wir um mit unserer Souveränität in Fragen von Moral, Gefühl und Selbstbestimmung? Der Weg führt vom ersten Gewissen bis zur multiplen Identität, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Geborgenheit. — Inzwischen tragen wir die Götter in uns.
Die Reihe ZeitGeister ist der Psychogenese gewidmet, denn Orientierungswissen ist von zunehmender Bedeutung. Es geht um die neuen Perspektiven einer Philosophischen Psychologie, die in den Meistererzählungen ein uraltes Orientierungswissen findet, das überraschend aktuell ist.
Wenn der berühmt–berüchtigte Sophist Protagoras von Sokrates um Erläuterung gebeten wird, was man denn nun gegen teures Geld bei ihm erlernen könne, dann zeigt sich ein tiefgreifender Wandel. — Nicht einmal mehr die Einführung ins Erwachsenenleben gehorcht noch der Tradition der Jäger. Die Kultur in den Städten setzt eigene Maßstäbe und bespiegelt sich dabei selbst. Fraglose Maßstäbe sind nicht mehr vorhanden: Der Mensch ist das Maß aller Dinge!
Protagoras erläutert anhand des Mythos von Prometheus, es mangle nicht an der nötigen Technik, Städte zu errichten. Allein sie zu halten, sei schier unmöglich gewesen. — In der Tat mußte die dringend gebotene Kunst der Politik eigens von Hermes im Auftragdes Zeus nachgereicht werden. Und er, der Sophist, vermittle genaudiese vakanten Kompetenzen.
Politik ist die Kunst, ständig gegenzusteuern, wenn Gesellschaften wieder einmal aus irgendeinem Gleichgewicht geraten. Die eigentliche ›Wildnis‹, in der es zu bestehen gilt, liegt daher in den Städten. — Seither muß also ›studiert‹ werden. Dann ist es durchaus möglich, Karriere zu machen, auch ohne von Adel zu sein. Pandora ist das Abschiedsgeschenk der abdankenden olympischen Götter, danach kommt nur noch der Mensch. Mit sämtlichen göttlichenGaben bedacht, ist sie die Allegorie aller Verlockungen, wie sie nurzivilisierte Welten bieten. Zugleich bringt sie auch alle Übel mit indie Welt, die vorher nicht waren. — Um die Frage nach dem Warum ranken sich seither viele Meistererzählungen. Grund genug, sie erneutzu befragen, um ›unsere‹ Antworten zu finden.
Philosophie kommt auf, wo Götter schlecht gedacht werden. So entsteht allmählich Souveränität in Fragen von Moral, Gefühl und Selbst. Der Weg führt vom ersten Gewissen bis zur multiplen Identität, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Geborgenheit.
Die Reihe ZeitGeister ist der bisher kaum bedachten Psychogenese gewidmet, dabei ist Orientierungswissen von zunehmender Bedeutung. Es geht um die neuen Perspektiven einer Philosophischen Psychologie, die in Zweifelsfällen immer wieder auf die Orientierungsorientierung durch Philosophische Anthropologie zurückgreifen kann.
Die Reihe ZeitGeister erscheint mit insges. 7 Bänden bei tredition: → Reihe ZeitGeister
Lucas Cranach der Ältere: Melancholie. Nationalgalerie, Kopenhagen.<fn>Public domain via Wikimedia Commons.</fn>
Erläuterungen zur Psychogenese
Bereits die Ideale, an denen das eigene Selbstverständnis ausgerichtet wird, können korrupt sein. Oft wird auf naive, vor allem unreflektierte Weise das Unmögliche erwartet, etwa ein vollkommenes Selbst, das man zu finden oder zu heben versucht, als wäre es wie ein versunkenes Schiff, wie der Schatz in einem Berg, der von einem eifersüchtigen Drachen bewacht wird. — Viele der einschlägigen Ideale bedürfen der philosophischen Kritik, sie kommen irgendwoher, stellen maximale Ansprüche und werden doch nie und nirgends befragt, woher sie eigentlich ihre Autorität und ihren Anspruch auf Geltung nehmen. Dagegen ist es erst einmal von Interesse, ganz allgemein zur Kenntnis zu nehmen, was sich eigentlich so alltäglich im Selbst abspielt, welche Konflikte immer wieder neu entschieden werden müssen.
Wenn mit dem Ende der Kindheit auch noch das persönliche Reflexionsvermögen hinzukommt, wenn also dieser höhere Bewußtseinsgrad dann auch noch beherrscht werden soll, so wird schnell Chaos daraus. Schamgefühle, Ängste, Irrationalismen kommen auf, die sich gar nicht so einfach beherrschen lassen. — Nicht nur die Ideale sind problematisch, auch werden falsche Erwartungen gehegt. Und alles, was sich nicht erreichen läßt, wird womöglich zum Anzeichen einer persönlichen Unzulänglichkeit, die schlichtweg so gar nicht attestiert werden kann.
Wer glaubt, ein für allemal mit diesen Problemen fertig werden zu können und sich schämt, weil es immer noch nicht gelungen ist, diesem Ideal zu entsprechen, macht sich selbst unglücklich. Wer innere Probleme in der Außenwelt oder äußere Probleme in der Innenwelt anzugehen versucht, der irrt nicht nur, sondern ist per se falsch orientiert. Persönlich zu verantwortendes, psychisches oder soziales Unglück entsteht auch dann, wenn die Ideale korrupt sind, wenn wir von der Lösung eine falsche Vorstellung haben, wenn wir mit falschen Mitteln agieren oder etwas Unmögliches versuchen, vor allem aber, wenn wir Innen- und Außenwelt gegeneinander setzen. — Wir sollten uns die vielen Fronten vor Augen zu führen, an denen die Konfliktlinien verlaufen, an denen immer wieder neue Kämpfe ausbrechen müssen, von Augenblick zu Augenblick, um zu verstehen, welche Orientierungsleistungen ohnehin bereits erbracht werden.
Es ist gar nicht verwunderlich, daß sich inzwischen Anzeichen mehren, die mehr und mehr auf eine Erschöpfung des Selbst verweisen. Noch fehlt der philosophische Blick für die erstaunlichen Weiten unserer Innenwelten und vor allem fehlt noch jegliches Verständnis dafür, was sich ohnehin schon so alles ereignet, wenn die Götter in uns wieder einmal die uralten Streitigkeiten aufleben lassen.
Die Sloterdijk–Debatte: Chronik einer Inszenierung. Über Metaphernfolgenabschätzung, die Kunst des Zuschauers und die Pathologie der Diskurse
Am 17. Juli 1999 hielt Peter Sloterdijk im oberbayerischen Schloß Elmau eine Rede mit dem Titel „Regeln für den Menschenpark“ – eine in Inhalt und Form überaus provokante Auseinandersetzung mit Fragen der Gentechnik im allgemeinen und des Klonens im besonderen. In über 1000 Artikeln und Rundfunkbeiträgen sowie zahllosen Leserbriefen artikulierte sich das Unbehagen an Sloterdijks unbequemen, schnell unter Faschismusverdacht gestellten Überlegungen.
Gerade dieser Skandal hielt sich beträchtlich lang in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Eskalation der Debatte begann, wie so viele zuvor, mit einem Faschismus–Vorwurf, verlief dann aber doch anders und endete eben nicht mit der Exkommunikation. Der Hype um die Sloterdijk–Debatte erreichte seinen Kulminationspunkt mit dem Philosophen–Kongreß in Konstanz und endete, als die Frankfurter Buchmesse eröffnet wurde.
Die Karawane öffentlicher Aufmerksamkeit war längst weitergezogen, so daß kaum Jemand ein winziges aber entscheidendes Detail noch hätte zur Kenntnis nehmen können. — Nur wer lange genug vor Ort blieb, einfach mit dem Gefühl, das könne noch nicht alles gewesen sein, sollte belohnt werden durch die Information über eine Begebenheit, auf die nur die Wirklichkeit kommt. Das Fazit ist dann auch überraschend mitten aus dem Leben gegriffen.
Heinz-Ulrich Nennen: Philosophie in Echtzeit. Die Sloterdijk–Debatte: Chronik einer Inszenierung. Über Metaphernfolgen-abschätzung, die Kunst des Zuschauers und die Pathologie der Diskurse. Königshaus & Neumann, Würzburg 2003. [ISBN: 978-3-8260-2642-3] 650 S. 49,80 EUDieses merkwürdige Detail war zwar schon frühzeitig bekannt, aber nicht ganz. Die inkriminierte Rede war schon zwei Jahre zuvor im Theater zu Basel auf einer Sonntagsmatinee zu Gehör gebracht und mit Gelächter goutiert worden. Die Ironie des ganzen Arrangements, die Spitzfindigkeit dieser Kritik am Humanismus, das Groteske an der These, der Humanismus habe versagt, man müsse nunmehr unter Einsatz der Gentechnik an die Verbesserung, vulgo, an die Züchtung des Menschengeschlechts herangehen, war unter dem Ausdruck großer Heiterkeit vom Publikum aufgenommen worden. Das alles hatte der Redner selbst zu Protokoll gegeben in den vielen Interviews dieser Tage und Wochen.
Was er jedoch offenbar nicht ohne Hintersinn ganz bewußt zunächst nicht publik gemacht hat, war ein ebenso winziges wie entscheidendes Detail. Darauf hatte niemand kommen können, der nicht dabei gewesen ist oder, der nicht nachrecherchiert hat im Theater zu Basel, was es mit dieser Matinee auf sich gehabt haben könnte. — Sloterdijk hatte höchstselbst berichtet von dieser Veranstaltung, in der er also anwesend gewesen sein muß. Was er aber nicht ausgeplaudert, sondern mutmaßlich ganz bewußt verschwiegen hat, war die nicht unerhebliche Tatsache, daß dieselbe Menschenpark–Rede von Elmau zuvor im Theater zu Basel von einem Schauspieler vorgetragen worden war. Es waren zwar dieselben Worte, aber Redner, Publikum und auch die Kulissen waren wie ausgewechselt. Die Ironie, die Satire und die humane Kritik am Humanismus kam gar nicht mehr oder ganz anders an. Noch dazu waren Berichterstatter vor Ort, die den Skandal suchten und fanden. Sie mißachteten dann auch die Signale der Ironie, sondern sahen und hörten, was sie gesehen und gehört haben wollen.
Es wäre ein wünschbarer Nebeneffekt dieser Studie, würde es künftig hin und wieder eine derartige Untersuchung in einem ähnlichen „Fall“ geben, nicht zuletzt, um die Qualität der Medien und ihrer Vertreter einmal mehr einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dabei lassen sich große qualitative Unterschiede feststellen: Es gibt durchaus positive Beispiele auch in dieser Debatte, wo Berichterstatter und Kommentatoren mit gutem Gespür, großem Feingefühl und nicht zuletzt auch mit Sachkenntnis vorgegangen sind. Vorentschiedenheit und beflissentliche Parteilichkeit, gepaart mit Unverständnis, sind dagegen häufig die entscheidenden Faktoren für definitiv schlechte, falsche, möglicherweise bewußt falsche Berichterstattung, mit der niemandem und schon gar nicht der Öffentlichkeit gedient sein kann.
Die vorliegende Chronik der Sloterdijk-Debatte ist zugleich ein philosophisches Experiment, den Fall einer Skandalisierung einmal bewußt systematisch zu rekonstruieren, um zu beobachten, wie sich Information und Desinformation, Inszenierung und Gegeninszenierung zueinander verhalten, wie sich Öffentlichkeit im Zeitalter ihrer Medienförmigkeit konstituiert, wie sich dabei die Alltagsvernunft ausnimmt und wie es um die Idealität idealer Diskurse bestellt ist, — alles wiederum beobachtet unter Anleitung eines Chronisten und bewertet aus den wechselnden Perspektiven eines Zuschauers, von dem angenommen wird, daß dieser sich auf etwas Besonderes versteht: „Die Kunst des Zuschauers“, erst allmählich herauszubekommen, was eigentlich gespielt wird.
Walter Crane: Die Rosse des Neptun. Neue Pinakothek München, Public Domain @ Wikimedia
Das multible Selbst
Die Götter der Antike sind wie die Stars unserer Tage, die Sterne von damals sind die Sternchen von heute. Alle ihre einzelnen Fähigkeiten, mit denen sie sich im Verlaufe der Zeit angereichert haben, lassen sich oft noch an den vielen Beinamen erkennen, es sind Spuren vereinnahmter Häuptlingstümer, es sind die Geister von Clans, Landschaften und Kulturen, die längst aufgegangen sind im größeren Ganzen dieser Göttergestalten. Gerade Götter verfügen über multiple Identitäten, daher fällt es ihnen so leicht, in fremder Gestalt aufzutreten, um sich selbst dabei doch treu zu bleiben. Daher beherrschen sie das Spiel mit den Masken. Besonders Zeus wechselt ein ums andere Mal für Liebesabenteuer äußerst spektakulär die eigene Gestalt: Er nähert sich seiner späteren Gattin Hera als durchnäßter, zitternder Kuckuck, als Stier der Europa, als Schwan der Leda, als goldener Regen der Danaë und um den Herakles zu zeugen, verwandelt er sich in Amphitryon, den Gatten der Alkmene.
Götter wie Zeus beherrschen einfach dieses bedeutende Kunststück, sich auch in fremder Gestalt noch immer selbst treu zu bleiben. Im Prozeß der Zivilisation wird nicht nur die Außenwelt, sondern auch die Innenwelt immer weiter ausdifferenziert. Mit der Zivilisation, Rationalität und Moderne geht daher stets auch ein Prozeß der Psychogenese einher. Götter haben uns dabei stets etwas voraus, sie verkörpern die Ideale, auf die es ankommt. Dementsprechend läßt sich anhand der außerordentlichen Fähigkeiten von Götter die Zukunft der Psyche ablesen. Das nunmehr im Zuge der Psychogenese anstehende multiple Selbst wird seinerseits über diese entscheidende göttliche Fähigkeit verfügen, sich anverwandeln zu können.
Die klassischen Einwände dagegen, das sei keine Wahrhaftigkeit mehr, sondern eben Inszenierung, es sei keine Authentizität, sondern nur Vorspiegelung im Spiele, können nicht mehr verfangen. Wir haben nicht eine einzig wahre Natur, das einzig verbindliche Selbst oder irgendeine fixierte Identität in uns, die ehrlichkeitshalber nur zum Ausdruck gebracht werden muß, während alles andere nur Lug und Trug sein würde. Die Frage nach der Wahrhaftigkeit eines Gottes, der eine Metamorphose vollzogen hat, ist unangebracht, es kommt darauf an, was sich in der Wahrnehmung ereignet. Entscheidend ist das Erleben, etwa einem Schauspieler abnehmen zu können, was er vorgibt zu sein.
Wir alle spielen Theater, was eben nicht bedeutet, daß es uns nicht ernst damit wäre. Das Maskenspiel ist dabei mehr als nur eine ausgezeichnete Metaphorik für das, was sich da eigentlich ereignet, es ist der Bruch mit der naiven Erwartung, daß wir immer dieselben sind und es auch bleiben. Wer eine Maske aufsetzt, übernimmt eine Rolle, wird somit zu jemand Anderen, wechselt also die Identität.
Auguste Rodin: Der Denker. Detail aus: Das Höllentor; Musée d’Orsay. Foto: Stefan Kühn via @ Wikimedia.org, Creative Commons 3.0 (CC-BY-SA 3.0).
Ich stand vor wenigen Stunden noch vor einem monumentalen Werk von Auguste Rodin (1840–1970): Das Höllentor, 1880–1970, — ein fast sieben Meter hoher und acht Tonnen schwerer Bronze–Guß für ein äußerst beeindruckendes Portal, das in einer Kopie seit 1949 vor dem Kunsthaus in Zürich steht. Es handelt sich dabei um eine von Dantes Inferno inspirierten Vision mit 186 Figuren, die sich um einen darüber befindlichen ›Denker‹ gruppieren, während alles derweil im Sturz begriffen ist.
Wieder einmal ist die Welt alles, was im Fall ist. Wieder einmal vollzieht sich ein Höllensturz; wieder einmal ist kein Halten mehr, wenn alle mit vergeblicher Verzweiflung einfach nur noch zu Objekten der näheren Umständen geworden sind und von einer unmenschlichen Bewegung, die einfach nur noch alles in die Tiefe reißt, mitgerissen werden.
Und über allem dann dieser Denker, es scheint, als thronte er über dem ganzen apokalyptischen Höllentheater. Er hockt brütend darüber und zermatert sich sein
Hirn über das Ganze. — Und dieser Denker thront genau dort, wo kurz zuvor noch der Gott des Christentums thronte.
So ist also der Mensch in die Verantwortung seines eigenen Schicksals getreten, auch
die Apokalypse bereiten wir uns nunmehr selbst. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht,
der Mensch macht die Geschichte selbst und ist dabei Gott und Teufel in einer Person.