• Anthropologie,  Ironie,  Moderne,  Zeitgeist

    Philosophie in Echtzeit

    Die Sloterdijk–Debatte: Chronik einer Inszenierung. Über Metaphernfolgenabschätzung, die Kunst des Zuschauers und die Pathologie der Diskurse

    Am 17. Juli 1999 hielt Peter Slo­ter­di­jk im ober­baye­ri­schen Schloß Elmau eine Rede mit dem Titel „Regeln für den Men­schen­park“ – eine in Inhalt und Form über­aus pro­vo­kan­te Aus­ein­an­der­set­zung mit Fra­gen der Gen­tech­nik im all­ge­mei­nen und des Klo­nens im beson­de­ren. In über 1000 Arti­keln und Rund­funk­bei­trä­gen sowie zahl­lo­sen Leser­brie­fen arti­ku­lier­te sich das Unbe­ha­gen an Slo­ter­di­jks unbe­que­men, schnell unter Faschis­mus­ver­dacht gestell­ten Überlegungen.

    Gera­de die­ser Skan­dal hielt sich beträcht­lich lang in der öffent­li­chen Auf­merk­sam­keit. Die Eska­la­ti­on der Debat­te begann, wie so vie­le zuvor, mit einem Faschismus–Vorwurf, ver­lief dann aber doch anders und ende­te eben nicht mit der Exkom­mu­ni­ka­ti­on. Der Hype um die Sloterdijk–Debatte erreich­te sei­nen Kul­mi­na­ti­ons­punkt mit dem Philosophen–Kongreß in Kon­stanz und ende­te, als die Frank­fur­ter Buch­mes­se eröff­net wurde.

    Die Kara­wa­ne öffent­li­cher Auf­merk­sam­keit war längst wei­ter­ge­zo­gen, so daß kaum Jemand ein win­zi­ges aber ent­schei­den­des Detail noch hät­te zur Kennt­nis neh­men kön­nen. — Nur wer lan­ge genug vor Ort blieb, ein­fach mit dem Gefühl, das kön­ne noch nicht alles gewe­sen sein, soll­te belohnt wer­den durch die Infor­ma­ti­on über eine Bege­ben­heit, auf die nur die Wirk­lich­keit kommt. Das Fazit ist dann auch über­ra­schend mit­ten aus dem Leben gegriffen.

    Heinz-Ulrich Nennen: Philosophie in Echtzeit. Die Sloterdijk–Debatte: Chronik einer Inszenierung. Über Metaphernfolgenabschätzung, die Kunst des Zuschauers und die Pathologie der Diskurse. Königshaus & Neumann, Würzburg 2003. [ISBN: 978-3-8260-2642-3] 650 S. 49,80 EU.
    Heinz-Ulrich Nen­nen: Phi­lo­so­phie in Echt­zeit. Die Sloterdijk–Debatte: Chro­nik einer Insze­nie­rung. Über Meta­phern­fol­gen-abschät­zung, die Kunst des Zuschau­ers und die Patho­lo­gie der Dis­kur­se. Königs­haus & Neu­mann, Würz­burg 2003. [ISBN: 978–3‑8260–2642‑3] 650 S. 49,80 EU
    Die­ses merk­wür­di­ge Detail war zwar schon früh­zei­tig bekannt, aber nicht ganz. Die inkri­mi­nier­te Rede war schon zwei Jah­re zuvor im Thea­ter zu Basel auf einer Sonn­tags­ma­ti­nee zu Gehör gebracht und mit Geläch­ter gou­tiert wor­den. Die Iro­nie des gan­zen Arran­ge­ments, die Spitz­fin­dig­keit die­ser Kri­tik am Huma­nis­mus, das Gro­tes­ke an der The­se, der Huma­nis­mus habe ver­sagt, man müs­se nun­mehr unter Ein­satz der Gen­tech­nik an die Ver­bes­se­rung, vul­go, an die Züch­tung des Men­schen­ge­schlechts her­an­ge­hen, war unter dem Aus­druck gro­ßer Hei­ter­keit vom Publi­kum auf­ge­nom­men wor­den. Das alles hat­te der Red­ner selbst zu Pro­to­koll gege­ben in den vie­len Inter­views die­ser Tage und Wochen.

    Was er jedoch offen­bar nicht ohne Hin­ter­sinn ganz bewußt zunächst nicht publik gemacht hat, war ein eben­so win­zi­ges wie ent­schei­den­des Detail. Dar­auf hat­te nie­mand kom­men kön­nen, der nicht dabei gewe­sen ist oder, der nicht nach­re­cher­chiert hat im Thea­ter zu Basel, was es mit die­ser Mati­née auf sich gehabt haben könn­te. — Slo­ter­di­jk hat­te höchst­selbst berich­tet von die­ser Ver­an­stal­tung, in der er also anwe­send gewe­sen sein muß. Was er aber nicht aus­ge­plau­dert, son­dern mut­maß­lich ganz bewußt ver­schwie­gen hat, war die nicht uner­heb­li­che Tat­sa­che, daß die­sel­be Menschenpark–Rede von Elmau zuvor im Thea­ter zu Basel von einem Schau­spie­ler vor­ge­tra­gen wor­den war. Es waren zwar die­sel­ben Wor­te, aber Red­ner, Publi­kum und auch die Kulis­sen waren wie aus­ge­wech­selt. Die Iro­nie, die Sati­re und die huma­ne Kri­tik am Huma­nis­mus kam gar nicht mehr oder ganz anders an. Noch dazu waren Bericht­erstat­ter vor Ort, die den Skan­dal such­ten und fan­den. Sie miß­ach­te­ten dann auch die Signa­le der Iro­nie, son­dern sahen und hör­ten, was sie gese­hen und gehört haben wollen.

    Es wäre ein wünsch­ba­rer Neben­ef­fekt die­ser Stu­die, wür­de es künf­tig hin und wie­der eine der­ar­ti­ge Unter­su­chung in einem ähn­li­chen „Fall“ geben, nicht zuletzt, um die Qua­li­tät der Medi­en und ihrer Ver­tre­ter ein­mal mehr einer kri­ti­schen Prü­fung zu unter­zie­hen. Dabei las­sen sich gro­ße qua­li­ta­ti­ve Unter­schie­de fest­stel­len: Es gibt durch­aus posi­ti­ve Bei­spie­le auch in die­ser Debat­te, wo Bericht­erstat­ter und Kom­men­ta­to­ren mit gutem Gespür, gro­ßem Fein­ge­fühl und nicht zuletzt auch mit Sach­kennt­nis vor­ge­gan­gen sind. Vor­ent­schie­den­heit und beflis­sent­li­che Par­tei­lich­keit, gepaart mit Unver­ständ­nis, sind dage­gen häu­fig die ent­schei­den­den Fak­to­ren für defi­ni­tiv schlech­te, fal­sche, mög­li­cher­wei­se bewußt fal­sche Bericht­erstat­tung, mit der nie­man­dem und schon gar nicht der Öffent­lich­keit gedient sein kann.

    Die vor­lie­gen­de Chro­nik der Slo­ter­di­jk-Debat­te ist zugleich ein phi­lo­so­phi­sches Expe­ri­ment, den Fall einer Skan­da­li­sie­rung ein­mal bewußt syste­ma­tisch zu rekon­stru­ie­ren, um zu beob­ach­ten, wie sich Infor­ma­ti­on und Des­in­for­ma­ti­on, Insze­nie­rung und Gegen­in­sze­nie­rung zuein­an­der ver­hal­ten, wie sich Öffent­lich­keit im Zeit­al­ter ihrer Medi­en­för­mig­keit kon­sti­tu­iert, wie sich dabei die All­tags­ver­nunft aus­nimmt und wie es um die Idea­li­tät idea­ler Dis­kur­se bestellt ist, — alles wie­der­um beob­ach­tet unter Anlei­tung eines Chro­ni­sten und bewer­tet aus den wech­seln­den Per­spek­ti­ven eines Zuschau­ers, von dem ange­nom­men wird, daß die­ser sich auf etwas Beson­de­res ver­steht: „Die Kunst des Zuschau­ers“, erst all­mäh­lich her­aus­zu­be­kom­men, was eigent­lich gespielt wird.

    Heinz-Ulrich Nen­nen: Phi­lo­so­phie in Echt­zeit @ Goog­le Books

    Heinz-Ulrich Nen­nen: Phi­lo­so­phie in Echt­zeit @ Königs­hau­sen & Neu­mann Verlag

    Heinz-Ulrich Nen­nen: Phi­lo­so­pie in Echt­zeit. @ Amazon

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