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    Alice Schwarzer zum achtzigsten Geburtstag

    Eine schon lang fällige Glosse

    Für Fried­rich Kaulbach

    Als Mann, nun­mehr aber auch Phi­lo­soph, möch­te ich end­lich die Gele­gen­heit ergrei­fen, die­ser Dame den Spie­gel vor­zu­hal­ten. Sie hat näm­lich ein­fach nur ihr Ding gemacht.

    Es ist mir rich­tig schlecht ergan­gen in der wich­tig­sten Zeit mei­nes Lebens, als noch alles offen war und man sich oft nicht zu erweh­ren wuß­te, gegen alle die­se Anwür­fe. Sie hat über Jahr­zehn­te die Dis­kurs­kon­trol­le an sich geris­sen und viel zu vie­le folg­ten ihr blind.

    Wil­liam Adol­phe Bou­gue­reau: Ore­stes wird von Furi­en gehetzt, 1862.

    Die­ser Geschlech­ter­kampf wur­de dra­ma­tisch und vor allem ago­nal insze­niert. Nein, es muß­te nicht end­lich ein­mal gesagt wer­den, was zu sagen war. Das wäre ohne­hin gekom­men, ein­fach weil es nach dem Krieg auf der Agen­da stand.

    Dabei hät­te ich so gern mit den Frau­en gemein­sa­me Sache gemacht. — Noch heu­te erin­nern mich die Schil­der vor den Flei­sche­rei­en mit den klei­nen Hun­den, die lei­der nicht hin­ein­dür­fen, an die dama­li­ge Gepflo­gen­heit, Män­ner aus­zu­gren­zen, wo Frau­en ihre Weib­lich­keit wie eine Mon­stranz vor sich hertrugen.

    Der Schwarzer–Feminismus ist ein Revan­chis­mus, der Män­ner zu Tätern gemacht hat, ein­fach nur, weil uns ein Stück­chen am Y–Chromosom fehlt. Man kann das als Dege­ne­ra­ti­on deu­ten, man kann aber auch zu bemer­kens­wer­ten Spe­ku­la­tio­nen grei­fen dar­über, ob “die Natur” nicht womög­lich tat­säch­lich die Frau­en auf dem Schirm hat, wenn es um den weib­li­chen Orgas­mus geht.

    Das ist eine inter­es­san­te Spe­ku­la­ti­on, die der idea­li­sti­sche Phi­lo­soph Fried­rich Wil­helm Joseph Schel­ling in die Welt gesetzt hat, eine etwas wun­der­li­che Spe­ku­la­ti­on, die aber natur­ge­schicht­lich gar nicht ganz so abwe­gig erscheint. Wenn wir den Anfang des Lebens im Tüm­pel betrach­ten, dann kle­ben die Weib­chen ihre Eier an einen Strauch und die Männ­chen kämp­fen um die Gele­gen­heit, ihren Samen dar­über zu sprit­zen. — Da fragt man sich schon, wo und wie denn die Lust her­kom­men soll, beim anony­men Sex.

    Dann wur­den die Ver­hält­nis­se in die­sem Ur–Tümpel nach innen ver­legt, als die Gebär­mut­ter ent­wickelt wur­de. Und die Männ­chen beka­men einen Penis, um mög­lichst nahe her­an­zu­kom­men an die Eizel­le, die den Sper­mi­en durch einen Mai­glöck­chen­duft den rich­ti­gen Weg weist. — Dem­nach sind Frau­en ein­fach näher dran, denn das Maxi­mum der Lust­erfah­rung fin­det in ihrem eige­nen Inne­ren statt und Män­ner sind dabei eher außen vor. Das wie­der­um läßt an den blin­den Seher The­re­si­as den­ken, der 9 Mona­te als Frau gelebt hat, um zu bekun­den, die Frau habe das 9–fache der Lust im Ver­hält­nis zum Mann.

    Auch das läßt sich nach­voll­zie­hen. Frau­en brau­chen eben die stär­ke­re Moti­va­ti­on, weil sie auch mehr ris­kie­ren im Ver­hält­nis zum Mann, näm­lich Frei­heit, Gesund­heit, Leben und auch die sozia­le Stel­lung. — Und in der Tat wur­de die “Schwä­che” von Frau­en als Müt­ter, die ein Klein­kind zu ver­sor­gen haben, immer wie­der von Gesell­schaf­ten scham­los ausgenutzt.

    Aber bei alle­dem hat die Schwarzer–Welt einen ganz ein­fa­chen Schwarz–Weiß–Code. Män­ner sind dem­zu­fol­ge in Wirk­lich­keit, als was Frau­en schon immer gese­hen wur­den: min­der­wer­tig. Und seit­her gel­ten Män­ner als brand­ge­fähr­lich. — Wäh­rend Frau­en ihr Schick­sal zum Opfer­sein kaum abweh­ren kön­nen, wird das Mann–Sein selt­sam wider­sin­nig dargestellt.

    “Der” Mann hat halt die fal­sche Natur und kann des­we­gen nicht ein­mal sicher sein vor sich selbst, denn das Trieb– und Täter­haf­te ist angeb­lich bio­lo­gisch ganz tief in ihm ange­legt. — Empa­thie wird exklu­siv nur Frau­en zuge­schrie­ben. Sen­si­bi­li­tät steht im Schwarzer–Feminismus den Män­ner ein­fach nicht zu, weil sie nichts wei­ter sind als ent­ar­te­te Frauen.

    Ich bin sei­ner­zeit nicht in Män­ner­grup­pen gegan­gen, obwohl ich ver­ste­hen kann, daß es eini­ge getan haben. Ich habe mich auch nicht als Emanzipations–Couch ange­dient, um dann Sex zu erbet­teln. Auch bin ich nicht zum Frauen–Versteher oder zum Sof­tie gewor­den. Mir war das alles zu wür­de­los, also habe ich mei­ne Männ­lich­keit lie­ben gelernt. — Wie heißt doch der Werbe–Spruch einer ein­schlä­gi­gen Indu­strie: Beton, es kommt dar­auf an, was man damit macht!

    Aber die Trau­ma­ti­sie­run­gen waren wohl plat­ziert. Ich konn­te Mit–Männer beob­ach­ten, die des nachts hin­ter einer Frau her­lie­fen, um ihr zu bekun­den, daß man ihr wirk­lich nichts wür­de antun wol­len. — Und dann die­se unsäg­li­chen Bemer­kun­gen: Sag­te doch eine die­ser so schreck­lich ober­fläch­lich eman­zi­pier­ten Frau­en zur ande­ren, als ich ihnen beim Ein­tritt zu einer Alumni–Feier im Overberg–Kolleg den Vor­tritt ließ und die Tür auf­hielt: Also das soll­ten man als Frau immer mitnehmen…

    Ich habe bei­zei­ten das Gedan­ken­le­sen ent­wickelt und kann mühe­los in sol­chen Situa­tio­nen den unaus­ge­spro­che­nen Satz wei­ter fort­füh­ren, bis hin zum imper­ti­nen­ten Rest: Anson­sten müs­se frau die Män­ner klein machen und auch so hal­ten. — Das Gan­ze war ja so sicher, weil es die Rache­göt­tin Ali­ce so und nicht anders ver­ord­net hat­te in ihrer gar nicht gött­li­chen Weis­heit. Sel­ber­den­ken war schon immer etwas, was die mei­sten sich nicht zumu­ten moch­ten, gera­de Frau­en nicht.

    Ich bin Phi­lo­soph gewor­den, aber so etwas braucht sei­ne Zeit. Anfangs ist es eher so, daß man ein­fach alles ernst nimmt, auch den größ­ten Unfug, weil man ja nun selbst urtei­len ler­nen will. — Also habe ich mich rich­tig ein­ma­chen las­sen von geist­lo­sen Men­schIn­nen, die ihr Ver­gnü­gen dabei hat­ten, irgend­wel­che Rache­ge­lü­ste an mir zu exekutieren.

    Phi­lo­so­phie macht erst ein­mal schwach, weil man gar nichts mehr sicher weiß, wenn alles mög­lich sein könn­te, was denn nun noch gel­ten darf. Aber es ist unethisch, die Schwä­che ande­rer aus­zu­nut­zen und nicht dafür zu sor­gen, daß sie auf Augen­hö­he sind. — Im Zwei­fels­fall gibt man ihnen bes­se­re Argu­men­te ein­fach selbst zur Hand. Das ist kein Groß­mut, das ist nicht gön­ner­haft, son­dern ein­fach nur mensch­lich. Es ist eben kei­ne Demü­ti­gung, man will doch, daß das Gegen­über ein eben­sol­ches ist und auch blei­ben soll.

    Das wäre Kon­zi­li­anz und wah­re gei­sti­ge Grö­ße, alles ande­re ist ein­fach nur banau­sen­haft. — Aber in der Welt von Ali­ce Schwar­zer, die die­sen uner­bitt­li­chen Geschlech­ter­kampf in Sze­ne gesetzt hat, war das natür­lich ver­pönt. Und alle ihre Vesta­lin­nen taten, was der Furie ein Wohl­ge­fal­len war.

    Ich erin­ne­re mich noch mit Schau­dern dar­an, wie sich die­ser Schwarzer–Feminismus all­mäh­lich das For­mat von Ras­sis­mus zuge­legt hat. Da wur­de näm­lich die natür­li­che Bös­ar­tig­keit “des” Man­nes ein­fach unter­stellt. — Wer da noch in der Iden­ti­täts­fin­dung war, konn­te glatt von die­sen Bull­do­ze­rIn­nen über­fah­ren wer­den. Par­don wur­de nicht gege­ben, um den unse­li­gen deut­schen Kai­ser zu zitieren.

    Zwei Rache­göt­tin­nen
    (Zeich­nung aus dem 19. Jahr­hun­dert nach einer anti­ken Vase)

    Ich erin­ne­re mich mit Ent­set­zen an die Dog­ma­tik nach Schwar­zers Gusto, daß angeb­lich in jedem Mann ein Gewalt­tä­ter, ein Ver­ge­wal­ti­ger und zuletzt auch ein Kin­der­schän­der “natür­lich” mit ange­legt sein soll. — Män­ner waren als sol­che eine Gefahr, denn sie könn­ten jeder­zeit sehen­den Auges außer Kon­trol­le zu gera­ten, weil sie eben ein­fach die­se mie­se männ­li­che Natur haben. Das sind Men­schen­bil­der aus den 50er Jah­ren, in denen das Wort vom “Trieb” jede Psy­cho­lo­gie ersetzt, weil danach gleich das Wort “Täter” kam.

    Das­sel­be Argu­men­ta­ti­ons­prin­zip habe ich neu­lich mit Ent­set­zen in einem mei­ner Semi­na­re wie­der erlebt: Wir müß­ten als ‘Wei­ße’ alle Schuld auf uns neh­men, weiß zu sein. Das sag­te ein Stu­dent, der Leh­rer wer­den will, über Inter­kul­tu­rel­le Gerech­tig­keit. — Ich habe gesagt: Das ste­hen Sie nicht durch. Sie über­neh­men sich, das kön­nen Sie gar nicht bewäl­ti­gen! Sie kön­nen es nur für sich selbst anders machen.

    Die Aus­wüch­se im Geschlech­ter­krieg waren irre: Es gab doch tat­säch­lich Män­ner, die fle­hent­lich um sich blick­ten, wenn sie mit einem Klein­kind zu tun beka­men. Es könn­te sich ja die böse Natur im unge­zähm­ten Inne­ren des Man­nes wider Wil­len los­ma­chen und außer Kon­trol­le gera­ten. — Sol­che Men­schen­bil­der sind selbst the­ra­pie­be­dürf­tig. Aber Ali­ce Schwar­zer hat jede Gele­gen­heit genutzt, die­se Wel­le, die sie selbst erzeugt hat, mit Won­ne und Zor­nes­rö­te zu Tode zu rei­ten. Die Moti­ve dafür lie­gen im Krieg, der nur mit ande­ren Mit­teln als Geschlech­ter­krieg fort­ge­setzt wurde. 

    Ich wäre damals nur zu gern mit den ersten Freun­din­nen, Lieb­schaf­ten und Selbst­su­che­rin­nen ins Ein­ver­neh­men gekom­men: Eman­zi­pierst Du mich, eman­zi­pie­re ich Dich! Wir wuß­ten doch alle gar nicht, wohin die Rei­se hin­ge­hen soll. Nur weg, aber wohin? — Sol­che Part­ner­schaf­ten wären aber Kol­la­bo­ra­ti­on mit dem Feind gewe­sen. Wie­viel Drit­tes Reich steckt eigent­lich noch immer hin­ter alledem?

    Erzählt wird von einer Bege­ben­heit, daß die jun­ge Ali­ce Schwar­zer in Paris mit Jean Paul Sart­re zum Inter­view ver­ab­re­det war. Und ja, die­ses unde­fi­nier­ba­re Ver­hält­nis zwi­schen den bei­den öffent­li­chen Intel­lek­tu­el­len wirk­te äußerst vor­bild­lich. — Aber ich fand das alles etwas suspekt. Was wur­de da eigent­lich ver­herr­licht? Sie führ­ten eben ein öffent­li­ches Leben und ich den­ke, daß vie­les ein­fach nur Insze­nie­rung war.

    Jeden­falls soll mit­ten­drin Simo­ne de Beau­voir plötz­lich ins Zim­mer gepol­tert sein, habe die Inter­viewe­rin abschät­zig ange­schaut und sei dann augen­blick­lich wie­der ver­schwun­den. — Und Ali­ce Schwar­zer, wie sie spä­ter zu Pro­to­koll geben wird, habe sich damals ob der übli­chen Kür­ze ihres Mini­rocks der­art geschämt…

    Die Tech­nik, die Sie im “Klei­nen Unter­schied” ein­setzt, war damals üblich und effekt­ha­schend. Das war auch in der angeb­lich wirk­lich wahr­haf­ten Arbei­ter­li­te­ra­tur so, mit denen jun­ge Leh­rer ihre Schü­ler trak­tier­ten, um sie auf dem Wege zur rich­ti­gen Ideo­lo­gie zu brin­gen, um ein bes­se­rer Mensch zu wer­den. — Ach die vie­len fal­schen Propheten…

    Was ler­nen wir dar­aus, gar nichts! Ich sit­ze gera­de auf dem Flug­ha­fen von Tene­rif­fa und mag die­se weib­li­chen Frau­en hier. Selbst­ver­ständ­lich machen sie alles mög­li­che, aber hier muß nicht dau­ernd her­vor­ge­ho­ben wer­den, daß sie ja eigent­lich ein Han­di­kap haben, näm­lich eine Frau zu sein und trotz­dem Bus­fah­re­rin. — Vor allem sind sie alle­samt immer eine Erschei­nung. Ich den­ke dann immer, daß wir das in Deutsch­land nicht haben, liegt eben am dau­er­haf­ten Krampf in der Geschlechterfrage.

    Es gab damals nicht ein­mal ein Wort für Fakes, weil man noch alles geglaubt hat, was gedruckt wur­de. Also muß­te, was in angeb­li­chen Inter­views, anfangs mit Arbei­tern dar­ge­stellt wur­de, doch auch der Lebens­wirk­lich­keit von Frau­en ent­spre­chen. Man kann ja nun in die­se Inter­views mit “den” Frau­en wer weiß was hin­ein­schrei­ben. — Und bei Ali­ce Schwar­zer ging es immer gegen die Ker­le. Sie wur­den in die­sem Geschlech­ter­krieg syste­ma­tisch in die Defen­si­ve getrie­ben, mit ihren scheuß­li­chen Ange­wohn­hei­ten aus Pene­tra­ti­ons­wut, Bru­ta­li­tät, Orgasm–Gap und grob­schlech­ti­gem Unmenschentum.

    Was mich damals schon gestört hat, weiß ich aller­dings inzwi­schen zu ver­tre­ten. Der “Päd­ago­gi­sche Eros” ist auch wie­der so ein Wort, das nach dem nun wirk­lich nicht aus­ge­präg­ten Sprach­ge­fühl von woken Pam­phle­ti­sten heu­te viel­leicht über­haupt nicht mehr benutzt wer­den darf, ist eine hei­li­ge Sache, aus Grün­den der Päd­ago­gik! — Nur das, was von innen her kommt, was aus eige­ner Ein­sicht, also intrin­sisch einen Pro­zeß der Selbst­ver­än­de­rung moti­viert, um tat­säch­lich ein ande­rer Mensch zu wer­den, ist ein­zig, was zählt.

    Ali­ce Schwar­zer hat die Dis­kur­se über Eman­zi­pa­ti­on geka­pert und dar­aus ihr Ding gemacht. Dabei stand die­se Aus­ein­an­der­set­zung ohne­hin auf der Tages­ord­nung. Die bei­den Krie­ge hat­te bewie­sen, wohin das alles führt, ein­fach nur in den Tod, ins Leid, in die Ver­zweif­lung und lebens­lan­ge Trau­ma­ta. Die mei­sten Kriegs­heim­keh­rer hat­ten Din­ge gese­hen, die kein Mensch sehen sollte.

    Aber auch die Gurus in den 70ern waren eine Pla­ge, weil sie zwar Glau­bens­sät­ze ver­kün­de­ten, aber kei­ne Anlei­tung zum Selbst­den­ken gaben. — Oppor­tu­ni­sten oder sol­che, die nur ihr Süpp­chen kochen woll­ten, haben es immer leich­ter als die, die alles selbst in Erfah­rung brin­gen, sich selbst über­zeu­gen und aus eige­ner Ein­sicht han­deln wollen.

    Ali­ce Schwar­zer hat aller­dings nicht nur Män­nern gescha­det, son­dern vor allem den Frau­en. “Was zie­he ich nur heu­te Abend zur Frau­en­grup­pe an”, das war ein star­kes Pro­blem sei­ner­zeit. — Die Kon­trol­le und Obser­vanz, der gering­schät­zi­ge Blick auf den Toi­let­ten, der miß­bil­li­gen­de Neid von Frau­en unter­ein­an­der, die bei aller Betu­lich­keit immer eher im Ver­drän­gungs­wett­be­werb unter­ein­an­der ste­hen, wur­de als Ver­hal­ten eben nicht über­wun­den. — Da lobe ich mir das Fair­play unter Män­nern, die ihre Aus­ein­an­der­set­zun­gen füh­ren, so daß es gut ist. Und im Unter­schied zur Rach­sucht unter Frau­en ist unter Män­ner vor allem eines völ­lig ver­pönt: Nachtreten.

    Ein­ge­übt wur­de wie­der nur weib­li­che Unter­ord­nung, nun­mehr beim Eman­zi­pie­ren nach zer­ti­fi­zier­ter Schwarzer–Methode. Alles ist, bleibt und blieb also immer nur das­sel­be. Wie schreck­lich. — Aber das war mal wie­der typisch.

    Es kam nicht dar­auf an, wer man/frau ist, wie frau/man sich gera­de fühlt und wor­auf es ankommt, son­dern ein­zig auf Anpas­sung und Duck­mäus­chen­tum kam es an. — Und unser­eins durf­te als Mann natür­lich nichts dazu sagen, von wegen Feind hört mit! Dage­gen hat­te der soeben erwa­chen­de Intel­lekt sich inzwi­schen schon ein paar Navi­ga­ti­ons­mit­tel zuge­legt. Ich plau­de­re ja nur zu gern aus, was ich gefun­den habe, das alles soll doch Men­schen stark machen, so daß sie über sich hin­aus­wach­sen können.

    Ich habe das ent­waff­nen­de Argu­ment zum ersten Mal von einem Kol­le­gen auf einer Tagung in Mann­heim gehört. Es stammt von einem Sozio­lo­gen, der nament­lich nicht genannt wer­den will und wohl im Osten der Repu­blik auf Braut­schau gegan­gen war. Er hob unge­fragt, wohl weil er ein Bedürf­nis ver­spür­te, durch sein Bekennt­nis end­lich Stel­lung zu bezie­hen, mit Ver­ve her­vor, daß die Frau­en im Osten ganz anders wären, als die im Westen, denn die­se wären doch eigent­lich nur Zicken.

    Sor­ry, da ist etwas dran! Vie­le Frau­en haben bei ihrer Eman­zi­pa­ti­on bequem­lich­keits­hal­ber eine Abkür­zung genom­men und sich von Frau Schwar­zer anlei­ten las­sen. Aber es kommt noch bes­ser: Ich muß geste­hen, daß ich die berühmt–berüchtigte klamm­heim­li­che Freu­de nicht ver­heh­len kann, wenn ich inzwi­schen die­sel­be Aus­sa­ge vor allem von Frau­en hören, die aus ande­ren Län­dern stam­men. — Übri­gens, es müs­sen gar nicht gelern­te Ossi–Frauen sein, das “ver­erbt” sich ein­fach so durch das geleb­te Leben an die Töch­ter. Gut so!

    Kunst­stück, bei ihren Müt­tern haben die Töch­ter im Westen immer die­ses Hin und Her des Lamen­tie­rens erlebt. Die­ser andau­ern­de Kampf für und gegen die Män­ner und dann der Dau­er­frust. — Frau will viel, kann sich aber nicht über­win­den, end­lich auch mal damit anzufangen.

    Und alles liegt an den Män­nern, die den Frau­en dann ersatz­hal­ber das Ate­lier finan­zie­ren, damit sie wenig­stens auf Kunst machen kön­nen. Aber glück­lich wird das alles nicht. — Die­sen Keil hat Ali­ce Schwar­zer in die See­len hete­ro­se­xu­el­ler Frau­en getrie­ben, zwi­schen Frau­en und Män­ner, vor allem aber mit­ten durch das Weib­li­che hindurch.

    Es gab eini­ge Kri­ti­ke­rin­nen, die weg­ge­bis­sen und gecan­celt wur­den, der Groß­teil aller ist aber der fal­schen Pro­phe­tin aus Köln gefolgt. Jede Fern­seh­dis­kus­si­on wur­de zur Abrech­nung. Dabei steckt im Hin­ter­grund eigent­lich nur ein gei­sti­ges Hin­ter­welt­le­rIn­nen­tum. — Auch, wie sie im Ver­fah­ren gegen Jörg Kachelm­ann aus­ge­rech­net für die Bild­zei­tung das Urteil schon längst gespro­chen hat­te, als die­se unsäg­li­che Geschich­te der Rache aus Lie­be und Eifer­sucht ans Licht kam.

    Anto­nio Tempesta: 
    Die Furie Tisi­pho­ne im Palast von Atha­mas, 1606.

    Hohes Gericht der Diskurse!

    Ich bean­tra­ge, daß zum ‘päd­ago­gi­schen Eros’ noch ein ‘psy­cho­lo­gi­scher Eros’ hin­zu­kom­men soll, näm­lich einer, der den Leu­ten ihre Wür­de läßt, so daß sie wie­der auf­ste­hen kön­nen. — Was soll all die­ser Haß, die Recht­ha­be­rei und der dum­me Bio­lo­gis­mus, mit dem Ali­ce Schwar­ze in der Geschlech­ter­fra­ge schon seit Jahr­zehn­ten einen Unfrie­den stif­tet, der ihr als Geschäfts­grund­la­ge dient.

    Wann wird sie end­lich Genug­tu­ung fin­den? — Aber soll­te man sie denn als Rache­göt­tin über­haupt ernst neh­men? Mit den Göt­tern ver­hält es sich näm­lich wie mit dem bekann­ten Wer­be­spruch: Die tun was!

    Wie­viel Opfer ver­langt sie noch? Sie ist und bleibt erwart­bar untröst­lich. Wür­de sie wirk­lich über­grei­fen­de Inter­es­sen im Kos­mos ver­tre­ten, so wie Göt­ter es tun, die eben nicht eher ruhen, bis Aus­gleich geschaf­fen wor­den ist, man könn­te es nach­voll­zie­hen. Sie betreibt aber nur ihr Ding nach Gutsherrinnenart.

    Das, genau das wäre eine Fra­ge für den psy­cho­lo­gi­schen Eros. Er soll bit­te sagen, ob die­ses rosti­ge Kriegs­beil nicht lang­sam zur Manie gewor­den ist. — Wenn nur nicht so vie­le Frau­en ihr Leben und ihr Glück dar­auf ver­wet­tet hätten.

    Es ist wie bei den Erin­ny­en. Das sind Pla­ge­gei­ster, die im sel­ben Augen­blick ent­ste­hen, wenn Kro­nos, der jüng­ste Sohn der Erd­göt­tin Gaia in der Geschich­te der Groß­göt­ter, auf Geheiß sei­ner Mut­ter den eige­nen Vater mit einer Sichel ent­mannt. — Sobald die Sichel ihre meu­cheln­de Tat voll­führt, spritzt ein Teil des gött­li­chen Samens ins Meer, wor­aus Aphro­di­te, die ‘Schaum­ge­bo­re­ne’ entsteht.

    Aber aus dem Blut, das auf Land fällt, ent­ste­hen Plagegeister.

    San­dro Bot­ti­cel­li: Die Geburt der Venus, 1485.

    Nun stellt sich immer die Fra­ge in sol­chen über­zeit­li­chen Ange­le­gen­hei­ten, war­um, wann und ob über­haupt sich so etwas wie­der beru­hi­gen könn­te. Immer­hin ist es eine Tat von kos­mi­schem Aus­maß. — Es ist die Fra­ge, was Frau Schwar­zer wirk­lich bewegt. Ist es Ver­gel­tung, ist es Aus­gleich, der Wunsch nach Wie­der­gut­ma­chung oder die Her­stel­lung von Har­mo­nie, auf die sie sich wohl nicht wirk­lich ver­steht? Oder hat sie nicht ein­fach nur den rui­nö­sen Geschlech­ter­kampf zum Geschäfts­mo­dell ihres Lebens gemacht?

    Ich den­ke an einen mei­ner wich­tig­sten Philosophie–Lehrer an der Uni in Mün­ster, dem ich viel zu ver­dan­ken habe, weil er im Zuge sei­ner “Phi­lo­so­phie der Beschrei­bung” den Per­spek­ti­vis­mus zur Metho­de erho­ben hat. Das habe ich über­nom­men. — Ich will alle Per­spek­ti­ven wür­di­gen, denn alle sind gleich weit zu Gott. Daher zäh­len für mich auch immer Posi­tio­nen, die nicht mei­ne sind. Ich will, daß sie alle eine fai­re Chan­cen haben, sich ver­tre­ten und durch­set­zen zu kön­nen. Möge die bes­se­re Theo­rie gewinnen!

    Aber wie sag­te doch die­ser Phi­lo­soph immer wie­der, weil er die Welt schluß­end­lich offen­bar nicht mehr ver­stand: “Ja, da gibt es jetzt so eine neue Zeit­schrift, die Emma.” — Es hat nie jemand dar­auf geant­wor­tet, ich auch nicht. Heu­te wür­de ich es kön­nen und ich wür­de das Wort ergrei­fen, ganz gewiß.

    Ich dan­ke Fried­rich Kaul­bach, der wohl nicht gewußt hat, daß er einer mei­ner wich­tig­sten Leh­rer wur­de. Die­se Glos­se ist ihm gewidmet.

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    Frauenbilder im Mythos

    Oberseminar: Frauenbilder im Mythos

    WS 2019 | donnerstags | 11:30–13:00 Uhr | Raum 30.91–110

    Beginn: 17. Oktober 2019 | Ende: 6. Febr. 2020

    Man sieht, daß sie eben­bür­tig sind, schließ­lich ist sie auch sei­ne Schwe­ster. — James Bar­ry: Jupi­ter and Juno on Mount Ida (um 1790f.) — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia.

    Die Rol­len vie­ler Frau­en­fi­gu­ren in den klas­si­schen Mythen zei­gen weit mehr als nur die Sei­te des Opfers (Hele­na), son­dern auch eine Viel­falt weib­li­cher Macht, durch die Stel­lung im Haus als Matro­ne (Hera), durch beson­de­re Fähig­kei­ten wie Ver­nunft (Athe­ne) oder auch Zau­be­rei (Medea), nicht zuletzt aber auch durch Ver­füh­rung (Salo­me). Auch tie­fen­psy­cho­lo­gi­sche Kon­flik­te spie­len hin­ein, wenn Gefühl, Wil­le, Kör­per und Geist eben nicht mit­ein­an­der har­mo­nie­ren (Anti­go­ne) oder wenn der Zwang zur Selbst­ver­leug­nung so groß wird, daß Psy­cho­sen aus­ge­lebt wer­den müs­sen (Dio­ny­sos). Des­wei­te­ren ist die offe­ne Zukunft im Pro­zeß der Selbst­er­mäch­ti­gung des Men­schen ein dau­er­haf­tes Pro­blem (Pan­do­ra).

    Die­se Ver­an­stal­tung dient der Gegen­wart und dar­in der Selbst­re­flek­ti­on vor dem Hin­ter­grund einer huma­ni­sti­schen Bil­dung, deren Reiz dar­in besteht, sich men­tal und emo­tio­nal den ganz anders­ge­ar­te­ten Ver­hält­nis­sen in der Anti­ke aus­set­zen zu kön­nen, von denen uns vie­les bis auf den heu­ti­gen Tag noch immer tief berührt. Wir soll­ten die­se alten Zei­ten nicht men­tal über­win­den wol­len, denn es wür­de bereits genü­gen, ein­fach nur zu ver­ste­hen, was Kon­ven­tio­nen mit Men­schen machen können.

    Bemer­kens­wert ist die in Sze­ne gesetz­te Empa­thie, als wäre das Werk eine Reak­ti­on auf das von Franz Stuck. — Her­mann Haase–Ilsenburg: Fare­well of the Ama­zon (1902). — Quel­le: Foto von Golf in der Wiki­pe­dia. via Wiki­me­dia, Lizenz: Crea­ti­ve Com­mons, CC-BY‑3.0.

    Auch der Mythos um die Ama­zo­nen ist, neue­ren For­schun­gen zufol­ge, höchst inter­es­sant in der Deu­tung des­sen, was da wirk­lich auf dem Spie­le stand. Die Ver­hält­nis­se waren längst nicht mehr so ein­ver­nehm­lich wie vor­her, als es noch sehr weni­ge Men­schen gab und noch nicht die Ambi­ti­on, dar­aus Unter­ta­nen zu machen. — Viel­leicht ist unter sol­chen Bedin­gun­gen sogar die Blut­ra­che nicht so desa­strös, wie sie spä­ter sein wird.

    Da sind Prin­zes­sin­nen wie Ari­ad­ne oder Medea, die ihr Schick­sal auf­bes­sern möch­ten und end­lich her­aus wol­len aus der eige­nen, als bar­ba­risch emp­fun­de­nen Kul­tur. Daher wür­den sie für einen hoch­wohl­ge­bo­re­nen grie­chi­schen Prin­zen mit Aus­sicht auf Königs­wür­den wirk­lich alles tun, bis hin zum Hoch­ver­rat des eige­nen Lan­des, der Göt­ter und der eige­nen Fami­lie, sogar bis hin zum Brudermord.

    Zwar hat auch Ari­ad­ne ›ihrem Hel­den‹ The­seus ganz ent­schei­dend gehol­fen, den Mino­tau­rus im Laby­rinth von Knos­sos zu töten und wie­der her­aus­zu­fin­den, aber The­seus setzt die Schla­fen­de, also die ihm blind­lings Ver­trau­en­de ganz ein­fach auf der Insel Naxos aus. — Ihr wird aber ein atem­be­rau­bend über­ra­schend schö­nes Schick­sal zu Teil, der Wein­gott Dio­ny­sos ver­liebt sich in die schla­fen­de Schö­ne. Ohne­hin spielt die­ser Gott eine sehr wich­ti­ge Rol­le im Zuge der Frau­en­eman­zi­pa­ti­on, weil er end­lich Mög­lich­kei­ten schafft, daß gera­de auch Frau­en ›unge­zü­gelt‹ sein kön­nen und auch sein dürfen.

    Franz Stuck: Ama­zo­ne zu Pfer­de (1897). Lower Sax­o­ny Sta­te Muse­um. — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia.

    Da sind die Opfer gött­li­cher Avan­cen wie Daph­ne, bei der die uner­wi­der­te, ja auf­dring­li­che Lie­be durch­ge­spielt wird, oder etwa Kas­san­dra, die allein für die Aus­sicht auf eine ein­zi­ge Lie­bes­nacht schon mal im vor­hin­ein von Apol­lon mit der Seher­ga­be belohnt wor­den ist, die sich aber stand­haft ver­wei­gert, so daß auch hier wie­der­um der Gott nicht zurück­neh­men kann, was nun ein­mal ver­lie­hen wor­den ist. Dafür aber konn­te er sie sehr wohl noch emp­find­lich tref­fen, die Seher­ga­be soll­te ihr erhal­ten blei­ben, allein, es wür­de ihr nur nie­mand mehr glauben.

    Es sind vie­le, wirk­lich sehr ein­drucks­vol­le Bege­ben­hei­ten, einer­seits Stan­dard­si­tua­tio­nen, wie die Los­lö­sung vom Eltern­haus, die Ent­füh­rung der Braut, ero­ti­sche Aben­teu­er, unzwei­deu­ti­ge Ange­bo­te, aber auch ihre gewalt­sa­me Über­win­dung, wonach sie dann auf die­se Wei­se zur Frau ›gemacht‹ wor­den ist, wie etwa Hera durch Zeus, der sich in Gestalt eines bib­bern­den Kuckucks in die Nähe ihres Scho­ßes begibt.

    John Wil­liam Water­hou­se: Jason and Medea (1907). — Quel­le: Public Domain via Wiki­me­dia.

    Dann ist es — so will es die­se Geschlechter–Dramaturgie vor­ma­li­ger Zei­ten, um die Frau gesche­hen. Sie hat nicht auf­ge­paßt, ist hin­ters Licht geführt wor­den. Es genügt, der Gelieb­ten die Ehre zu neh­men, dann wird sie nolens volens ihren Über­wäl­ti­ger hei­ra­ten müs­sen. — Mög­lich ist alle­dings auch, daß hier sehr alte Erfah­run­gen reka­pi­tu­liert wer­den, der Frau­en­raub auch unter vor­zi­vi­li­sier­ten Völ­kern. Der Hin­ter­grund dürf­te der sein, daß es eine immens hohe Müt­ter­sterb­lich­keit gege­ben haben dürfte.

    Wir sind inzwi­schen mei­len­weit ent­fernt von die­sen Ver­hält­nis­sen, und nur noch weni­ge wis­sen, was eigent­lich im Ritus der ent­führ­ten Braut noch so alles mit­schwingt. Aber vie­les von alle­dem spukt noch immer in den Köp­fen und Kör­pern her­um. Daher ist es so inter­es­sant, die­se eben­so schil­lern­den wie arche­ty­pi­schen Kon­stel­la­tio­nen ganz bewußt neu auszudeuten.

    Alles ist Kon­ven­ti­on, ganz beson­ders kon­ven­tio­nell sind auch die gegen­wär­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, in denen vie­le Akti­vi­stIn­nen noch immer davon aus­ge­hen, daß Frau­en stets Opfer sind, die Opfer von Män­nern, daß Män­ner immer Täter sind und daß daher den Frau­en immer­zu Schutz gewährt wer­den müs­se. Genau das aber bewirkt nichts anders als die Auf­recht­erhal­tung über­kom­me­ner Ver­hält­nis­se, die längst nicht mehr dem Sta­te of the art im Dis­kurs über Gen­der gerecht werden.

    Aber oft hin­ter­geht gera­de die­ser Dis­kurs sei­ne eige­nen Anfor­de­run­gen. Daher ist es so inter­es­sant, vor dem Hin­ter­grund unse­rer eige­nen Gegen­wart die dra­ma­ti­schen Situa­tio­nen, in die Frau­en im Mythos gera­ten, als sol­che zu deu­ten. — Wir spie­geln uns immer­zu selbst und dar­auf kommt es an. Daher geht es auch nicht ums Urtei­len, schon gar nicht ums Ver­ur­tei­len, son­dern ein­fach nur und immer wie­der ums Verstehen.

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