Stoibern und Drosten
Inkompetenzkompensationskompetenz
Ja, die gibt es wirklich. Odo Marquardt hat sie entdeckt, die Kompetenz der Philosophen als Stuntman in Kompetenzfragen. Wenn man des nächtens durch universitäre Katakomben streifte und aus irgendeinem der Räume große Heiterkeit zu vernehmen war, dann konnte man sich vielleicht daran erfreuen, einer Rede des begnadeten Bedeutungskünstlers Odo Marquardt beizuwohnen.
So beginnt er seinen Vortrag “Inkompetenzkompensationskompetenz? Über Kompetenz und Inkompetenz der Philosophie” mit einer makabren Geschichte, die gleich auf den Kopf zu sprechen kommt, um den es gehen soll, den philosophischen Kopf.
Bei einem chinesischen Henkerwettstreit – so wird erzählt – geriet der zweite Finalist in die Verlegenheit, eine schier unüberbietbar präzise Enthauptung durch seinen Konkurrenten, der vor ihm dran war, überbieten zu müssen. Es herrschte Spannung. Mit scharfer Klinge führte er seinen Streich. Jedoch der Kopf des zu Enthauptenden fiel nicht, und der also scheinbar noch nicht enthauptete Delinquent blickte den Henker erstaunt und fragend an. Drauf dieser zu ihm: nicken Sie mal.
Mich interessiert, was dieser Kopf denkt, bevor er nickt; denn das müßte doch Ähnlichkeit haben mit Gedanken der Philosophie über sich selber.
Wenn genügend hintersinniger Witz, also Geist vorhanden ist, dann ist auch die Sprache in ihrem Element. Schließlich muß der Geist die Worte, denen wir anvertrauen wollen, was wir mitteilen möchten, erst ‘beseelen’. Diese geisterhafte Geistigkeit kommt von den Metaphern, die man sich herbeiruft, um mit ihnen wie im Zirkus nicht ungefährliche Dressurstückchen vorzuführen. – Das Spannende daran ist allerdings, daß Metaphorisieren schief gehen kann und zwar ganz gewaltig.
Auch das hat wiederum einen ausgezeichneten Unterhaltungswert. Dann fehlt allerdings der Geist, der dem Gesagten die Seele einhaucht. Aber in den Vorstellungswelten aufmerksamer Zuhörer können Geister auch durch demonstrative Abwesenheit eine Botschaft absetzen. Dann geht so gut wie alles schief, was schief gehen kann. – Dann steckt der Geist im unberücksichtigten Hintersinn, der in der letzten Reihe seine Faxen macht und den ordnungsgemäßen Ablauf der Ziehung der Worte als Glückstreffer so richtig sabotiert.
Eines der erlesensten Demonstrationen sprachlicher Inkompetenz ist die unvergeßliche Rede des damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der sich für eine Strecke mit dem Transrapid zwischen Münchener Hauptbahnhof und Flughafen stark machen wollte. Er hatte dabei etwas vor Augen, das ihm aufgrund sprachlichen Unvermögens oder auch, weil er einen schlechten Tag gehabt haben mag, einfach nicht gelang, eigentlich eine Banalität zum Ausdruck zu bringen: Eine Flugreise vom Münchener Flughafen könnte bereits im Hauptbahnhof beginnen, deshalb solle man sich doch die Vorzüge nicht nur vor Augen führen, sondern nicht entgehen lassen und die Strecke für den Transrapid endlich befürworten und bauen.
Es ist ein unvergessenes Werk der Sprachkunst, weil man sieht, was alles schief gehen kann. Ich weiß, es ist böse, aber die Schadenfreude bereitet gerade auch eine große, halbverbotene Freude, die in diesen finsteren Zeiten auch etwas Entlastendes haben kann. – Also katholisch gesehen, ist es nur eine läßliche Sünde, auf eine Sammlung hinzuweisen, die Kenner der Redekunst bei Youtube zusammengetragen haben unter dem Titel “Stoibers Gestammelte Werke”. Die Trans-Rapid-Rede findet sich dort gleich zu Beginn.
Gut gestoibert ist halb gedrostet. Ich komme darauf, weil mir manche Ähnlichkeiten ist Auge fallen und ich gerade dabei bin, nachzuvollziehen, warum der NDR-Podcast von Prof. Dr. Christian Heinrich Maria Drosten sich so großer Beliebtheit erfreut, seit den Anfängen unserer Pan-Hysterie.
Ich denke mal, daß es viele Geisteswissenschaftler sein müssen, die ehrfurchtsvoll lauschen, wenn da jemand so ähnlich stammelt, wie Stoiber. Und ich frage mich: Kann es sein, daß viele Kollegen aus den Geisteswissenschaften dem Naturwissenschaftler seinen unbeholfenen Umgang mit Sprache gern nachsehen? – Ist es möglich, daß sie darin sogar eine besonderes Zeichen von Kompetenz sehen?