Elon Musk und der Algorithmus der Macht

Über die Konstruktion der herrschenden Meinung

Wer die Spra­che beherrscht, kann Macht für sich bean­spru­chen, weil die Wirk­lich­keit damit kon­stru­iert wer­den kann und damit auch die herr­schen­de Meinung.

Elon Musk will angeb­lich den Algo­rith­mus ver­öf­fent­li­chen, der „hin­ter“ Twit­ter steckt. Aber es sind hun­der­te und im übri­gen bräuch­te man dann auch das Mate­ri­al, mit dem die­se Algo­rith­men “ange­lernt” wor­den sind.

Via Twit­ter ver­kün­den die Alphas unter den Jour­na­li­sten seit gerau­mer Wei­le, wo die herr­schen­de Mei­nung liegt. Auf­stre­ben­de Nach­wuchs­ta­len­te haben das Cre­do der mäch­ti­gen Mei­nungs­ma­cher dank­bar übernommen.

Die „Vier­te Gewalt“ ist kei­ne mehr, son­dern selbst zum Teil des Pro­blems gewor­den, sie hat sich zum Angst­bei­ßer ent­wickelt, weil sie längst vor dem Inter­net in die Knie gegan­gen ist. – Als das Pri­vat­fern­se­hen auf­kam, hat­ten die öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten schließ­lich auch nichts Bes­se­res zu tun, als sich ein schlech­tes Bei­spiel an der neu­en Kon­kur­renz zu nehmen.

Johann Hein­rich von Dannecker, Ari­ad­ne auf dem Pan­ther, 1803–1814, Lie­bieg­haus in Frank­furt am Main.

Nicht ohne klamm­heim­li­che Freu­de gön­ne ich es den Ver­tre­tern der “Vier­ten Gewalt”, daß sie jetzt mit­ver­kauft wor­den sind. Denn sie tun seit Jah­ren nicht mehr, was sie zu tun hät­ten: Den Dis­kur­sen bei der Ori­en­tie­rung in der ver­wir­ren­den Viel­falt aller Stim­men kom­pe­tent zur Sei­te zu stehen.

Natür­lich gibt es immer auch Aus­nah­men, aber die Ten­den­zen sind ins­ge­samt besorg­nis­er­re­gend: Man­che füh­ren sich wie die Ober­prie­ster einer allein­se­lig­ma­chen­den Kir­che auf, um alle exkom­mu­ni­zie­ren zu las­sen, die sich nicht ihrer Auf­fas­sung „fügen“.

Die her­me­ti­sche Mei­nungs­bil­dung via Twit­ter wirkt wie die hei­li­ge Inqui­si­ti­on der römisch-katho­li­schen Kir­che. – Aus­ge­sto­ßen zu wer­den aus der Gemein­schaft, ist seit Anbe­ginn der Mensch­heit die ulti­ma­ti­ve Katastrophe.

Wäh­rend die Kir­chen immer weni­ger rele­vant sind in Fra­gen der Ori­en­tie­rungs­ori­en­tie­rung, haben Pres­se­ver­tre­ter längst die Rol­le der Kir­chen­für­sten über­nom­men. Man kann inzwi­schen sogar die Exkom­mu­ni­ka­ti­on aus­spre­chen und exe­ku­tie­ren, die Betrof­fe­nen wer­den dann vom sozia­len Tod ereilt.

Nun hat Elon Musk gera­de via Twit­ter oft und gern zur Image­pfle­ge, für Spie­le­rei­en, Spe­ku­la­tio­nen und zur Agi­ta­ti­on genutzt. Dabei war das Medi­um immer auch Bot­schaft. – Aber irgend etwas hat den Tycoon ganz offen­bar schon seit lan­gem an Twit­ter gestört: Es muß das Geheim­nis­vol­le im Ran­king gewe­sen sein. Also wer kriegt eigent­lich was, wann und war­um zu sehen?

Man weiß längst von Insi­dern sozia­ler Net­ze, die zu Wist­le­b­lo­wern wur­den, daß gera­de die „gro­ßen“, beson­ders extre­men „Emo­tio­nen“ geför­dert wer­den, weil wir uns angeb­lich nur zu gern maß­los auf­re­gen. Und die Algo­rith­men sind dazu pro­gram­miert, die User mög­lichst lang auf der Platt­form zu hal­ten, damit man sie umso bes­ser mit Wer­bung bestrei­chen kann.

So wie einst­wei­len die Rat­schlüs­se der Göt­ter uner­forsch­lich waren, so sind es jetzt die Algo­rith­men. Es wäre daher begrü­ßens­wert, wür­den die Algo­rith­men von Twit­ter ver­öf­fent­licht. Berich­tet wird, daß Elon Musk mit einer Entou­ra­ge eng­ster Mit­ar­bei­ter wie eine Besat­zungs­macht ein­ge­fal­len ist. Die Chefs wur­den augen­blick­lich in die Wüste geschickt, das Gan­ze ist eine Mischung aus feind­li­cher Über­nah­me und Raz­zia. – Sei­ten­wei­se wur­den Codes geor­dert und aus­ge­druckt, die dann in einer klan­de­sti­nen Com­mu­ni­ty von Bera­tern und Exper­ten, mit denen sich Musk umge­ben hat, geprüft zu wer­den. Worauf?

Jetzt hat er nicht nur ein Satel­li­ten­sy­stem „unter sich“, das der Kom­mu­ni­ka­ti­on vor allem auch in Kriegs­ge­bie­ten dient. Jetzt will er an die Kom­mu­ni­ka­ti­on selbst her­an. – Tat­säch­lich geht es um unse­re Diskurse!

Aber sind Mär­chen, Mythen und Meta­phern nicht auch wie Algo­rith­men? Und ist nicht Ari­ad­ne eine, die sich mit Laby­rin­then aus­kennt? – Ganz so neu ist das alles nun auch wie­der nicht.

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