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Anthropologie, Diskurs, Ethik, Identität und Individualismus, Lehramt, Moderne, Moral, Politik, Professionalität, Psyche, Religion, Schule, Seele, Theorien der Kultur, Wissenschaftlichkeit, Zeitgeist, Zivilisation
Bildungskatastrophe II
„Ich weiß, was auf mich zukommt, aber ich will trotzdem Lehrerin werden“, sagte mir neulich eine Lehramtsanwärterin, nachdem es im Seminar mal wieder düster geworden war und sich kein Silberstreif am Horizont mehr abzeichnete.
Seit 10 Jahren veranstalte ich nun Seminare zur Berufsethik für Lehrern und Lehrerinnen am KIT in Karlsruhe. Wir machen keine Textarbeit, wie es üblich ist in der Philosophie.
Es soll nicht um Theorie gehen, sondern die Praxis selbst ist das, was wir durchspielen, mit dem ganze Arsenal möglicher Konflikte.
Dabei lautet einer der bewußt provokanten Leitsprüche: „Wer einen Burnout bekommt, macht etwas falsch. Profis bekommen keinen Burnout“. – Also versuchen wir, gemeinsam zu entwickeln, wie man es „richtig“ macht.
Aber wenn die Ansprüche und Widersprüche mal wieder über den Kopf wachsen, etwa beim Thema „Inklusion“, dann zweifle ich in letzter Zeit an der Berechtigung dieser eigentlich witzig gemeinten Maxime. Tatsächlich werden die Ansprüche an Lehrpersonen immer höher, aber die Wertschätzung wird immer geringer. Wie soll das eigentlich auf Dauer gut gehen?
Inzwischen kokettiert die Gesellschaft bereits mit ihrer Bildungsferne, wie es Altkanzler Schröder vorgemacht hat. Einer Schülerzeitung hat er im Interview mal die Binsenweisheit verkauft: „Ihr wißt doch alle, daß Lehrer faule Säcke sind“.
Mein Glaube an die Mission einer humanistischen Pädagogik sieht sich immer größeren Prüfungen ausgesetzt. In den goldenen 70er Jahren wurde der Alarmruf von der „Bildungskatastrophe“ noch wirklich ernst genommen, die Gesellschaft war schockiert und von seiten der Politik wurde massiv gegengesteuert. Heute zuckt man nur noch mit den Schultern.
Mir scheint, die Basis für Humanismus, Aufklärung und Bildung ist abhanden gekommen. Die Fundamente tragen nicht mehr und die Leitbilder, die noch vor Generationen galten, sind demoliert. Aber ohne ein Bewußtsein für das, was von Wert ist, wird nicht mehr gelingen, was doch gelingen muß, Entwicklung in jeder Generation neu.
Wenn in den Märchen das Ungeheuer die Bühne betritt, dann verliert das Leben schon bald jeden Reiz. Das Ungeheuer verlangt täglich noch mehr Opfer und man hat schlußendlich zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Das ist der Inbegriff einer Krise, wie sie nicht nur Individuen, sondern auch ganze Gesellschaften ergreifen kann. – Zumeist werden Kinder als Opfer verlangt, was unschwer zu deuten ist, dann damit steht die Zukunft der ganzen Gesellschaft auf dem Spiel.
Catalina Schröder: Lehrermangel an Grundschulen. Bildungsland bald abgebrannt. DLF, 29.08.2022.
Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II.
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Anthropologie, Diskurs, Ethik, Götter und Gefühle, Identität und Individualismus, Ironie, Kunst, Lüge, Melancholie, Moderne, Moral, Motive der Mythen, Platon, Psyche, Psychosophie, Religion, Seele, Theorien der Kultur, Urbanisierung der Seele, Zeitgeist
Warum der Teufel den Schnaps gemacht hat
Ein Kritiker vor dem Herrn
Nur in bestimmten Religionen ist der Teufel nicht wohl gelitten, sondern gefürchtet und sogar verhaßt. Das sagt mehr über den schlechten Charakter mancher Religionen, als über den Teufel selbst aus. Natürlich muß auch er ein Geschöpf Gottes sein, wenn nun mal alles aus einer Hand stammen soll.
Wenn es nur einen einzigen, noch dazu wahren, allgegenwärtigen, allwissenden und gütigen Gott geben soll, dann darf es keinen zweiten und schon gar keinen Gegen–Gott geben. Warum? — Eher aus Gründen der Konkurrenz, die Priester nicht mögen. Sie möchten vielmehr das Monopol für alles Göttliche.
Mit dem sogenannten Bösen geht nicht nur in Hollywood–Streifen immer eine Herausforderung einher, so daß sich das sogenannte Gute bewähren muß.
An seiner Aufgabe, die er sich selbst gegeben hat, läßt sich der Teufel am ehesten verstehen: Er ist der Versucher , das ist seine Sache. — Mephistopheles stellt sich in Goethes Faust vor als:
Ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
(…)
Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, daß es zugrunde geht;
Drum besser wär’s, daß nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.
(…)
Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, …(Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Eine Tragödie. In: Werke; Bd. 3. S. 47.)
Ein Geschöpf Gottes soll er sein, sogar einer der Mächtigsten, wenn nicht der Mächtigste überhaupt, dann aber sei er abtrünnig geworden. — Das soll so gekommen sein: Als der mit sich selbst jeden Schöpfungstag immer zufriedener werdende Schöpfer seinen Engeln endlich die fertige Schöpfung und dann auch deren vermeintliche Krone vorstellte, soll er von den Geistwesen verlangt haben, vor dem Menschen niederzuknien.
Das haben auch fast alle folgsam getan, nur einer nicht. Luzifer, einer vom Schlage der Erzengel mit dem Flammenschwert soll diese Huldigung ebenso selbstbewußt wie konsequent verweigert haben. — Und jetzt kommt, was nur Philosophen sich getrauen: Der Sache nachgehen, die möglichen Gründe prüfen, um dann zu dem ketzerischen Ergebnis zu kommen: Recht hat er, der Luzifer!
Es gehört stets gewisser Mut dazu, auszuscheren und aus der Reihe zu tanzen, und das bringen nur wenige fertig. Wenn man sich in die so feierliche Situation hineinversetzt: Da ist der Schöpfer dieser Welt über alle Maßen stolz auf sich und sein Werk, dann kommt dieser Kritiker daher. Die allererste Lektion erteilt Luzifer dem Schöpfergott. — Das Selberdenken macht ihn philosophisch höchst interessant, so wird er zum Kritiker aller Kritiker.
Unermüdlich wie Sisyphos versucht der Teufel seither, möglichst konkret nachzuweisen, daß der Mensch es nicht verdient, daß Engel sich tatsächlich vor ihm verneigen. — Da wir uns den Sisyphos aufgrund einer Bemerkung von Albert Camus als einen glücklichen Menschen vorstellen sollten, dürfte es sich auch bei Luzifer um einen glücklichen Engel handeln, weil er sich seine Aufgabe selbst gegeben hat.
Im jüdischen Glauben werden Engel sehr viel differenzierter vorgestellt. Das findet sich auch bei Rainer Maria Rilke in seinen Duineser Elegien. — Dort sind sie nicht einfach nur lammfromm, vielmehr mystische Wesen. Sie sind schön und schrecklich zugleich, und sie stehen dort, wo große Geheimnisse zu erwarten sind. Der Anfang der ersten Elegie hat etwas von dem, was hier dargestellt werden soll:
Wer, wenn ich
schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich
ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren
Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen
Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern
es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.(Rainer Maria Rilke: Duineser Elegien. In: Sämtl. Werke; Bd. 1. S. 685.)
Der Mensch ist zwischen Tier und Engel gestellt und ist nicht sicher zu Hause bei sich, wie Rilke sagt. — Das ist dann wohl auch der eigentliche Grund, warum Luzifer in seiner Eigenschaft als Lichtbringer und als der Oberste aller Teufel gewisse Entwicklungsdienste leistet. Der Teufel ist also ein Selbstdenker, mehr noch, er ist ein Schöpfungskritiker und dabei nicht unbedingt ein Feind des Menschen, sondern eher einer, der sich vom sogenannten allzu Menschlichen ebensowenig abhalten läßt in seinem Urteil, wie der ägyptische Schreibergott Thot beim Jüngsten Gericht. Auf der Seelenwaage wird das Gewicht einer Feder, in der einen Schale, gegen die mit Erdenschwere belastete Seele, in der anderen Schale, abgewogen. Derweil wirkt die Waage wie ein Lügendetektor, der auf jede Unwahrheit reagiert. Für den Fall ist die Seele verloren, sie wird verstoßen und dem hundsköpfigen Anubis zum Fraß zugeworfen.
Es ist in der Tat befremdlich, desöfteren dabei zu sein, wenn Zeitgenossen sich selbst und anderen einiges vormachen wollen, was einfach nicht stimmt. Das ist schon eine wundersame Art der Urteilsbildung, sich auf den eigenen Leim zu kriechen. — Es braucht nicht viel an geistiger Durchdringungskraft und empathischer Beobachtungsgabe, um zu sehen, daß manche sich selbst und anderen gewissenlos etwas vormachen wollen.
Wir haben allerdings auch ein Gespür für Unstimmigkeiten: Zumeist warten Sprache und Grammatik mit Seltsamkeiten auf, wobei man sehen kann, was alles zueinander passen muß, wenn etwas wirklich stimmt. — Wahrheit ist weit mehr als eine Frage der Logik, sondern ein ganzes Ensemble unterschiedlichster Aspekte, die nicht nur in der Aussage, sondern in ihrer ganzen Darbietung harmonisch abgestimmt sein müssen. Es zeigt sich, was alles im Kleinen und auch im Großen zusammenstimmen und im Einklang miteinander sein muß.
Wenn eine Seele belastet ist durch die Erdenschwere solcher Selbstbetrügereien, dann wird sie gewiß keinen Freispruch erhalten. Es würde ohnehin nicht funktionieren, sich im Leben zu belasten, um dann nach dem Tode entlastet zu sein. — Da wirkt das Manöver der Christlichen Kirchen, daß die Schuld wie eine Lokalrunde schon für alle Zeiten im Voraus abgetragen sei, kaum besser als eine durchsichtige Abofalle.
Erlösen müssen wir uns schon selbst. Luzifer ist dabei einer der besten Ratgeber, denn wenn etwas zu schwer ist, dann kann es auch nicht schweben. Dabei würden wir so gern engelsgleich abheben.
Bei Platon gibt es dazu einen phantastischen Mythos vom gemeinsamen Zug mit den Göttern über das nächtliche Firmament bis zum Reich der Ideen am Rande der Welt.
Die Götter haben allerdings ein Gespann mit zwei sehr guten Pferden. — Beim Seelenwagen der Menschen ist jedoch nur eines der Pferde wirklich tauglich für den Aufstieg ins Reich der Ideen.
Der Versucher ist ein begnadeter Prüfer und wir tun gut daran, ihm zu vertrauen, denn wo er sich nicht bereit finden kann für seine Zustimmung, da haben wir sie auch noch nicht verdient. — Man sollte daher eher auf die Hilfestellung achten, die Luzifer als Versucher zu leisten imstande ist.
Bei Goethe ist Mephisto ein Ironiker und manchmal zynisch, aus guten Gründen. Aber seine Ironie hat Empathie und sein Intellekt ist messerscharf, man kann ihm nicht mit dummen Ausreden kommen, denn er kennt sie alle.
Das Teuflische am Alkohol
Da sich der Teufel aber nicht ständig um alle höchstpersönlich kümmern will, hat er den Schnaps gemacht. Daher ist es so wesentlich, das Teuflische am Alkohol zu verstehen, um darüber sich selbst zu verstehen.
Udo Jürgens irrt, wenn er meint, der Teufel habe den Schnaps gemacht, um uns zu verderben. Das ist zu kurz gegriffen.— Wie bereits dargestellt, geht es ihm darum, uns zu prüfen, ob wir es verdient haben, seine Achtung zu erhalten und eine Fluglizenz ins Transzendentale.
Der Songtext von Udo Jürgens, hat allerdings eine bemerkenswerte Pointe. Da sitzt ein Antiheld in seiner Stammkneipe. Ein Mädchen von der Heilsarmee versucht ihn engelsgleich zu retten, indem sie dem Trinker ins Gewissen redet, was natürlich mitnichten verfängt. — Bekanntlich können alle, immer und zu jeder Zeit aufhören, nur momentan gerade nicht, und darauf trinken wir erst mal noch einen.
Dann aber kommt die wirklich luziferische Pointe: Er bringt das Mädchen nach Hause und sie nimmt ihn mit zu sich auf ihr Zimmer. — Aber dort macht der verhinderte Held eine teuflische Selbsterfahrung:
Sie lud mich in ihr Zimmer ein
Und dort erfuhr ich dann
Wer zuviel trinkt
Ist leider oft
Nur noch ein halber Mann.(Udo Jürgens: Der Teufel hat den Schnaps gemacht (1973).
Unvergeßlich ist auch Wilhelm Busch:
Es ist ein Brauch von alters her,
wer Sorgen hat, hat auch Likör!(Wilhelm Busch: Die Fromme Helene. In: Gesammelte Werke. Bd. 2, S. 282.)
Der Spruch bringt es zuverlässig auf den Punkt. Man achte wieder auf den Kontext: Wäre sie nicht ganz so fromm, die Helene, dann hätte sie nicht ganz so viele Sorgen und bräuchte auch nicht so viel Likör. — Wer der alkoholischen Versuchung nicht widerstehen kann, tröstet sich also über etwas ganz Anderes hinweg.
Der Alkohol ist wie ein Eisberg, bei dem auch vier von fünf Teilen unter der Oberfläche liegen. Aber weder Luzifer, noch der Alkohol ist das Problem, sondern der vermeintliche Trost, den er spendet, durch Betäubung seelischer Schmerzen. — Aber die Linderungen halten nicht vor, denn es werden nur die Symptome bekämpft. Dann kommen die Schmerzen wieder, um erneut im Alkohol ertränkt zu werden. Alles schreit förmlich danach.
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Anthropologie, Diskurs, Ethik, Götter und Gefühle, Identität und Individualismus, Kunst, Lüge, Melancholie, Moderne, Moral, Motive der Mythen, Platon, Psyche, Psychosophie, Religion, Seele, Theographien, Theorien der Kultur, Urbanisierung der Seele, Wahrheit, Zeitgeist, Zivilisation
Die Schönheit der Seele
Psyche und Seele
Das Symposion ist schon weit fortgeschritten, als sich unerwartet ein illustrer Gast einstellt. Alkibiades, reichlich berauscht und gestützt auf zwei Flötenspielerinnen, begehrt Einlaß, was ihm selbstredend gewährt wird. — Und wie es in solchen Situationen häufig so ist, läßt er sich kurz erläutern, daß man sich nicht zum Zechen, sondern zu einem weiteren Dichterwettstreit zusammengefunden haben. Es gelte, ein Loblied auf den Gott der Liebe, auf Eros aufzuführen.
Wer so spektakulär auftritt, steht ohnehin im Mittelpunkt. Also legt der später nicht unumstrittene Machtpolitiker einstweilen los mit seinem Lobgesang auf den Gott der Liebe. Er läßt sich nieder und erzählt von einer ungeheuren Liebe, der er verfallen sei, die ihm aber unerfüllt blieb. Dabei sei die Verführung bestens vorbereitet worden. Er habe die Diener weggeschickt, die Bettdecken bis auf eine reduziert, so daß man einander zwangsläufig habe näherkommen müssen, und dennoch habe er kein Glück damit gehabt. — Dabei sei doch die Person, um die es ging, rein äußerlich nicht nur nicht schön, sondern eigentlich häßlich, wäre da nicht diese Schönheit der Seele, die von innen her kommt.
Platon ist ein Schalk, wenn er dem überschwenglichen Alkibiades erst in diesem Augenblick erlaubt, sich der anderen Seite hinzuwenden, um dann unmittelbar neben sich jenen zu erblicken, um den es ihm in allen seinen Liebesbekundungen die ganz Zeit geht: Sokrates. Dieser hatte zuvor seine Lobrede auf den Gott der Liebe gehalten, aber durch die Wiedergabe eines wegweisenden Dialogs über die Liebe, mit einer Lehrerin namens Diotima. — Diese prägende Unterweisung hat er in jungen Jahren erfahren. Die weise Frau aus Mantineia in Arkadien muß
ihn sehr beeindruckt haben.Erneut geht es, wie bereits im Höhlengleichnis oder beim Seelengespann um einen Aufstieg, nunmehr aber in der Liebe.—Diotima empfiehlt eine Orientierung am Begehren des Schönen, wobei nicht typischerweise die Erotik schlecht geredet und dann ausgegrenzt wird. Vielmehr wird zugestanden, daß diese Form der Liebe zum Schönen den Anfang macht.
Insofern ist die Rede von ›platonischer Liebe‹ als einer ohne Begehren philosophisch nicht berechtigt, weil ausdrücklich jede Form der Liebe zugelassen wird. — Sie sei ein ›heiliger Wahn‹, der von sich aus über sich selbst hinaus in transzendente Höhe führen werde, wenn sich dem nichts entgegengestellt. Den Anfang macht das erotische Begehren und die Fixierung auf äußere und individuelle Schönheit, dann aber erweitert sich diese Liebe zur Schönheit und wandelt sich zur Freude an der Schönheit der Liebe. Allmählich wird man mehr die innere und universelle Schönheit schätzen lernen, was sich schließlich auf den ganzen Kosmos erweitern kann.
Damit hat die Schönheit einen bedeutenden Rang erhalten, der kaum mehr übertroffen werden kann. Und tatsächlich gibt es einige Hinweise, die Anlaß geben können, darüber zu spekulieren, ob womöglich diese ›innere‹ Schönheit nicht tatsächlich dem Absoluten noch am allernächsten kommen kann.
Auch über die Vernunft läßt sich gleichermaßen spekulieren, daß sie, wenn sie damit betraut ist, ein Ganzes als solches vor Augen zu führen, sich dabei stets auf die Perspektiven der Ästhetik und der ästhetischen Urteilskraft zu stützen versteht. Das Interessante daran liegt darin, daß beim Empfinden von Schönheit nur noch plädiert aber nicht mehr argumentiert und schon gar nicht mehr bewiesen werden kann.—Das wiederum hat Hannah Arendt zu einem bemerkenswerten Experimentieren motiviert, eine Politische Theorie auf der Grundlage der Ästhetischen Urteilskraft zu entwickeln.
Damit ist ein tiefes Geheimnis angesprochen, es geht darum, daß wahre Schönheit von innen herkommt, von der Schönheit der Seele. — Und wie sich den begehrlich Vorwürfen des Alkibiades dem Sokrates entnehmen läßt, ist der Politiker in seinen Besitzansprüchen und seinen Eifersüchteleien eben weit weniger an wahrer Liebe interessiert, sondern vielmehr an seiner eigenen Eitelkeit. Er wird damit zu einem mustergültigen Beispiel, wie man es besser nicht halten sollte, mit der Liebe.
Hier läßt sich der Faden aufnehmen, um zu untersuchen und zu verstehen, wie denn der Zusammenhang zwischen Seele und Psyche beschaffen sein mag. Vor allem interessiert eines: Die zunehmenden Depressionen mögen auch als Hinweis genommen werden, daß wir uns viel zu sehr mit der Psyche, aber viel zu wenig mit der Seele befassen.
Es ist an der Zeit, manche Begriffe endlich auch allgemeinsprachlich wieder in Gebrauch zu nehmen, die allenfalls noch von Theologen bemüht werden, die daher in diesen Sachen über das bessere Artikulationsvermögen verfügen. — Wir sollten nicht mehr nur vom Körper , sondern auch vom Leib sprechen, was nicht dasselbe ist. Wir sollten nicht mehr nur von der Psyche, sondern auch von der Seele reden. Wir sollten nicht mehr nur von Rationalität, sondern auch von Vernunft sprechen. Und wir sollten nicht mehr nur Rationalität, Verstand und Vernunft bemühen, sondern auch, was nicht leicht faßbar ist, den Geist.
Psyche und Seele
Nur bei oberflächlicher Betrachtung scheinen Psyche und Seele dasselbe zu meinen. Während die Seele häufig in religiösen, meditativen und esoterischen Kontexte thematisiert wird, erscheint die Psyche inzwischen eher wie ein Part of the game mit alltäglichen Belangen. — Und mögen wir noch so verheißungsvoll von unserem vermeintlichen Inneren sprechen, die Psyche ist nicht selten auch nur ein Spiel mit der Alltagsmaske.
Es scheint, als habe die Psyche viel weniger von jener Tiefe, wie sie der Seele zugesprochen wird. Die Psyche ist offenbar sehr viel jüngeren Datums und damit auch ein Spiegel narzißtischer, selbstbezüglicher und materialistischer Belange, von denen sich viele versprechen, große Sehnsüchte zu stillen. Es sin Illusionen, die durch Konsumismus nicht bewältigt werden können.
Vordergründig wirkt die Psyche als besonderer Teil unserer Seele, den wir uns über uns selbst bewußt machen möchten. — Das Gerede von der ›Suche nach dem wahren Selbst‹ kann die Sehnsucht nicht stillen, denn die Psyche ist selbst ein Teil des Theaters, das wir uns und anderen vorspielen. Ist die Theatermaske erst einmal mit dem eigenen Gesicht und den üblichen Oberflächlichkeiten fest verwachsen, dann kann auch kein Ausdruck von Tiefe mehr aufkommen, denn damit gehen auch Empathie und Authentizität verloren.
Der Geist der Narrative
Zugang zu den Tiefen in uns hat nur der Geist, der in den Narrativen wohnt. Es kommt darauf an, mit Feingefühl die eigene Geschichte in tiefgründigen Dialogen ganz allmählich bewußt werden zu lassen. — Um Freundschaft mit sich selbst zu schließen, sollte man sich einstweilen näher kennenlernen. Dann kann man mithilfe der Philosophischen Psychologie noch einige wesentliche Schritte darüber hinaus gehen.
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Anthropologie, Ausnahmezustand, Corona-Politik, Diskurs, Identität und Individualismus, Kunst, Moderne, Moral, Politik, Psyche, Religion, Theorien der Kultur, Utopie, Wahrheit, Wissenschaftlichkeit, Zeitgeist, Zivilisation
Die Vernunft, die Musen und das Glück
Über Momente des Glücks, für die zu leben sich lohnt
In der Medizin setzen nicht-invasive Eingriffe inzwischen neue Maßstäbe. Derweil betreibt die Politik noch immer hemdsärmeligen Interventionismus. Vernunft oder gar Geist sind unerwünscht.
So ist die Homöopathie dieser Tage gestrichen worden von den Fortbildungen für Ärzten. Sie paßt nicht mehr in diese selbstverliebte Zeit. Man glaubt, größere Probleme nur mit schweren Waffen „lösen“ zu können. – Es wäre aber zu empfehlen, mehr über Soziale Systeme zur Kenntnis zu nehmen.
Die Maulaffen-Performance aus Coronas Zeiten wird unbeirrt weiter fortgesetzt. Dabei ist die Welt längst aus dem Rhythmus geraten, weil Politiker in vielen Ländern allen Ernstes meinten, sie könnten auf Handsteuerung umschalten. Größenwahn inmitten einer Krise ist das Dümmste, was passieren kann.
Es gibt nämlich gar kein Cockpit, keine Brücke mit Kapitän und Steuermann. Soziale Systeme haben alle ihren eigenen Autopiloten. Sie steuern sich selbst, ganz im Sinne ihrer internen Codes, ob Politik, Wissenschaft, Gesundheit, Recht, Religion, Kunst oder Liebe. – Es gibt keine Hebel der Macht. Das sind naive Vorstellungen, die eigentlich nie der Wirklichkeit entsprachen.
Allerdings gibt es mehr oder minder große Dummheiten, die anfangs noch naiv, dann aber fahrlässig und bald schon unverantwortlich werden. „Gut gemeint“ ist nicht „gut gemacht“, beileibe nicht.
Wer sich keinen Kopf macht, kann ihn auch nicht verlieren, das glauben wohl manche von denen, die immer vorneweg sind:
„So tu doch was!“
„Was soll ich denn tun?“
„Das weiß ich auch nicht. –
Aber tu doch endlich irgendwas!“
Auch das 9 Euro-Ticket ist wieder so eine prekäre Meisterleistung. Es ist überhaupt keine gute Idee, gleich ganze Systeme zu marodieren, so wie zuvor noch die Kliniken in der Corona-Krise. Inzwischen sitzen alle erdenklichen Leute spaßeshalber im Zug und nehmen denen die Plätze weg, die nur zur Arbeit fahren. – Das Bahn-Bashing ist jetzt zur Freizeitunterhaltung geworden.
Oder der staatliche Tankrabatt, der nicht wirklich an der Tanksäule ankommt, weil er vorher abgefischt wird. Und dann regen sich alle wieder auf über die bösen Spekulanten. – Es war seinerzeit eine Freude, als manche davon kalt erwischt wurden im Lockdown.
Sie hatten große Kontingente an Sprit in Termingeschäften erworben aber gar keine eigenen Lagerkapazitäten. Als sie die Ware zum erhöhten Preis abnehmen sollten, mußten manche draufzahlen, damit ihnen irgendwer das Zeug zum Dumpingpreis noch vor der Lieferung abkauft.
Was kann Politik? Wenn sie klug, vielleicht sogar vernünftig oder eventuell auch geistreich wäre, dann könnte sie einiges bewirken. Aber nicht durch Södern, Flickschusterei und Populismus. Jetzt mal eben eine Übergewinnsteuer zu beschließen, ist bereits am wissenschaftlichen Dienst gescheitert. Das geht glücklicherweise nicht auch noch, weil ein paar Grundgesetze im Wege stehen.
Wir haben Privatwirtschaft und diese setzt sich selbst ihre Ziele, wie jedes andere System auch. – Schlechte Politik bringt aber die Systeme derart aus der Routine, so daß Desaster nicht mehr ausgeschlossen sind. So war und ist der Umgang des Staates mit Bahn, Bildung und Gesundheit einfach nur katastrophal. Mal eben Kindergärten und Schulen schließen, das war auch wieder so eine Meisterleistung.
Ins Gesundheitswesen hat die Politik derart krass hineinregiert, so daß der eigentliche Zweck längst ins Hintertreffen geraten ist. Geht es wirklich noch um Gesundheit, wo die Fallpauschalen alles beherrschen?
Neuerdings sind bereits die ersten Investoren auf besonders lukrative Arztpraxen aufmerksam geworden? Krankenhäuser sind bereits Spekulationsobjekte, die natürlich nur noch vorhalten, was sich rentiert, nicht gesundheitlich, sondern eben ökonomisch. – Und die Vorfinanzierung teurer Geräte für Facharztpraxen ist offenbar die nächste Stufe.
Aber die Patienten spielen mit und lassen sich brav von Termin zu Termin schicken. Es passiert ja was, es wird ja was getan. Auf den Dossiers der Laboruntersuchungen finden sich Handreichungen für den werten Leser, für die man keinen Arzt mehr braucht. – Es ist ausgewiesen, was als “normal” gilt und was gemessen wurde. Aber die Normalität wurde als solche oft aus ganz anderen Gründen beschlossen, die mit Gesundheit selbst nichts zu tun hat. So sind die Werte für Blutdruck immer wieder gesenkt worden und die Zahl der Patienten stieg. Die wundersame Vermehrung gibt es also auch in der Medizin.
Wer wird sich da noch vertrauensvoll in die Hände solcher Weißkittel begeben? – Aber die Leute vertrauen doch nur zu gern, um die eigenen Verantwortung nicht spüren und schon gar nicht tragen zu müssen. Wir leben in Zeiten eines neuen Paternalismus.
Die Allermeisten konsumieren ihre eigene Unmündigkeit. Sie wollen mit der eigenen Erkrankung höchstselbst eigentlich nichts zu tun haben. Also sind sie auch nicht wirklich bei der Sache, dabei sollte es doch eigentlich um Heilung gehen.
Krankheit ist dann kein Weg mehr, sondern nur wie Kalk im Wasserkessel, der weggemacht werden soll. Wenn ein Leiden “nur” psychisch bedingt ist, dann ist es eher so etwas wie pure Einbildung. – Nur, was sich messen läßt, hat ein Recht darauf, überhaupt ernst genommen zu werden. Kann man Geistlosigkeit messen?
Der neue Diskurs über Depression, der interessanterweise von namhaften Comedians wie Schmidt, Sträter und Krömer angestoßen wurde, dürfte allerdings nicht ohne Wirkung bleiben. – Es gibt zu denken, daß ausgerechnet die Lustigsten unter den Mitmenschen die erforderliche Eloquenz aufbringen, endlich zu sagen, daß der Clown hinter seiner Maske weint und wie ihm dabei zu Mute ist.
Wir leben in bewegten Zeiten. Es ist Chaos genug, mehr geht eigentlich nicht. – Im Hintergrund steht eine Medienrevolution, die ihresgleichen sucht. Nur noch die Erfindung des Buchdrucks kann der Kulturrevolution, die nun ansteht, überhaupt noch das Wasser reichen.
Unter diesen Umständen verändert sich auch die Rolle von Politikern ganz radikal. Daher rühren auch die fortwährenden Versuche, das Netz der Netze unter Kontrolle zu bekommen. – Aber so viel läßt sich jetzt schon mit Gewißheit sagen: Es wird nicht gelingen. Wenn es eine Energiequelle gibt, von der die Kulturgeschichte angetrieben wird, dann ist es die Sehnsucht nach Individualität und individueller Anerkennung.
In diesen Zeiten ist ein „Tal der Ahnungslosen“, wie noch in der DDR, als die Antennen bei Dresden nicht hoch genug sein konnten, um Westfernsehen zu empfangen, gar nicht mehr denkbar. In den hinterletzten Winkeln der Welt wissen alle, daß woanders ein anderes Leben geführt und andere Werte gelebt werden. Die dogmatische Begründung der „Hirten“, Tugendwächter und Gesinnungswächter, verfängt einfach nicht mehr. Es gibt immer Alternativen!
Auch im gar nicht mehr ganz so freien Westen zeigen sich Veränderungen. Die Diskurse finden nicht mehr nur in der „Systempresse“ statt, sondern überall. Und sie werden derart divers, so daß sich manche Vertreter der Presse in Missionare verwandelt haben, die wie vor Zeiten in fremden Ländern den „Aberglauben“ bekämpften, um ihre „frohe Botschaft“ vorzubereiten. – Ganz so froh war die Botschaft für die Natives dann doch nicht, wenn man bedenkt, daß außereuropäischen Kulturen einfach der eigenen Identität beraubt wurde, um sie unter die Fuchtel fremder Herrschaft zu zwingen und Geschäfte auf ihre Kosten zu machen.
Der Westen hat unendliches Leid über alle erdenklichen Kulturen gebracht. Schweigen wir hier von den Niederlanden, von Belgien oder Frankreich. Um nur ein Beispiel zu bringen: Die Briten haben während ihrer Besatzungszeit den Indern die Sinnenfreude ausgetrieben, weil sie bei sich zuhause gerade ihren Viktorianismus hatten und den Frauen gar keine und schon gar keine eigene Lust zugestehen mochten. – Noch heute zeigen sich die traumatischen Spätfolgen in Indien anhand von Gewaltverbrechen mit sexuellem Hintergrund.
Die fremde Herrschaft ist zwar abgezogen, man hat aber seither keinen eigenen Umgang mit Sinnenfreuden mehr, sondern eine repressive Scheu und ein Schamempfinden, unter dem es brodelt und kocht. – Die Kultur wurde mutwillig zerstört, nur um Geschäfte zu machen. Es fehlt der Respekt vor dem Geist, wo immer nur aufs Materielle gestarrt wird.
Man denke nur an den Opiumhandel in China. Das geschah, um die eigentlich stabile Kultur in China empfindlich zu schwächen und das Land mithilfe dieser Sucht in die Kniee zu zwingen. – Der Westen möge sich also bitte nicht so aufspielen, er sollte erst einmal Buße tun, im Gedenken an diese Verbrechen. Und wenn man bedenkt, daß ein Gutteil der Landesgrenzen von den Briten gezogen wurde, in Afrika und in Asien, bewußt mitten durch Stammesgebiete, weil man den Hader immer wieder für eigene Zwecke instrumentalisieren wollte.
Man kann inzwischen erstaunlich viel über miese Machenschaften wissen. Das meiste davon ist nicht einmal mehr geheim, sondern läßt sich im Zweifelsfall mit Links sehr schnell dokumentieren. Das ist es, was das Netz ausmacht. – So war es eine Sternstunde, als die Planespotter an verschiedenen Flughäfen der Welt ihre Beobachtungen untereinander abstimmten und dann publik wurde, daß es regelrechte Folterflüge im Auftrag der CIA gab und daß die USA in Europa geheime Gefängnisse betreibt.
Wir stehen erst am Anfang einer neuen, unübersehbar mächtigen Kulturrevolution. So etwas dauert mehrere Generationen und das Netz läuft sich gerade erst warm.
Auf eine Medienrevolution folgt immer eine Kulturrevolution, weil ja nun noch mehr Menschen miteinander ins Gespräch kommen, ohne daß sich Herrscher oder Priester noch dazwischenschalten könnten.
Zuvor entschied die Kirche, ob und wie ein Text das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Aber der Buchdruck machte die Kontrolle der Kommunikation durch die Kirche unmöglich. Fortan entschieden schnell namhaft werdende Drucker, was sie drucken wollten, aus ganz eigenen Motiven heraus. – Darauf ging die Zensur von der Kirche an den Staat über.
Martin Luther hielt nicht viel vom Buchdruck, aber bösartige Karikaturen über Papst und Kirche brachten seiner Reformation erst den richtigen Schwung. Der Papst als Schwein mit der dreifachen Krone, das konnten auch Leute verstehen, die noch nicht des Lesens mächtig waren.
Darauf kam die Zeitungspresse und mit ihr kamen Parlamente, Parteien und Politiker. Und mit dem Radio kamen totalitäre Systeme auf, wie Faschismus oder Sozialismus. Neue Medien sind zu vielerlei einsetzbar, im Guten wie auch im Bösen. – Derweil splittet „die“ Öffentlichkeit sich immer weiter auf. Es gibt nicht mehr die einzig wahre herrschende Meinung aller Wohlmeinenden und Wohlinformierten.
Manche unter den Politikern kommen in ihrer neuen Rolle gar nicht mehr an. Sie können sich nicht mehr als „Repräsentanten“ verstehen, als Volksvertreter, weil das „Volk“ selbst mündig geworden ist und niemanden mehr braucht, der noch das Wort stellvertretend ergreift.
Die Zeiten sind vergangen, als Politiker noch in aller Eitelkeit betonten, sie seien die nächste Woche wieder in der Hauptstadt. Dort würden sie dann turnusmäßig auf irgendeine Wichtigkeit von Mensch treffen, um bei Gelegenheit das gemeinsame Anliegen umso dringlicher vorzutragen. – Man sollte sich aufgehoben, ernst genommen, verstanden und vertreten fühlen.
Jetzt braucht es sie nicht mehr, diese Form der Repräsentative Demokratie, weil sich alle selbst ausdrücken und insofern auch repräsentieren können. Es gilt, endlich mehr Demokratie zu wagen. – Warum wählen wir den Bundespräsidenten nicht online? Wahlmänner braucht es nicht mehr, also auch nicht mehr eine Bundesversammlung.
Die Rolle von Religionsfürsten, Priestern und „Hirten“ ist vakant geworden. Daher ist es auch kein Skandal mehr, wenn sich ein Bischof aus dem Ruhrgebiet vor etwa 10 Jahren in voller Überzeugung noch gegen die gleichgeschlechtliche Elternschaft aussprach, von wegen, das sei „widernatürlich“, Kinder bräuchten nun einmal Vater und Mutter. Das ist inzwischen einfach nur noch eine beliebige Meinungsäußerung. – Rosa von Praunheim saß mit in der Diskussionsrunde und sagte baff nicht ohne Schmunzeln: Daß er das noch mal erleben dürfte!
Es ist alles auch ein bißchen viel, was sich in den letzten Jahrzehnten so alles radikal gewandelt hat. Und Manchen geht es noch immer nicht schnell genug. Dagegen hilft eine Sentenz von Niklas Luhmann: Viele würden immerzu noch mehr Veränderungen verlangen, ohne aber zu bedenken, „wie schnell wir schon fahren“.
Jede Intervention führt zu Gegen-Reaktionen von Seiten der Sozialen Systeme, die sich ihrerseits auf die veränderten “Umweltbedingungen” einstellen, wie die Mineralöl-Spekulanten, die bei der Gelegenheit ganz außerordentliche Gewinne erwirtschaften werden. – Das stützt übrigens auch einen schlimmen Verdacht, dem bedingungslosen Grundeinkommen gegenüber.
Im Prinzip kann man nur für ein Grundgehalt sein, wenn es denn wirklich so kommen würde, wie es im Traum erscheint: Eine Gesellschaft, in der Menschen einander durch Kreativität beglücken, die sich endlich darauf verstünde, die vielen schlummernden Talente in vielen von uns zu erwecken. Wäre das nicht wirklich lebenswert und sogar liebenswert? – Aber wie beim Tankrabatt würde schlußendlich nur eines die Folge eines solchen Grundeinkommens sein: Die Mieten würden steigen, weil Vermieter nun einmal mit Mietwohnraum spekulieren, um möglichst hohe Gewinne zu erzielen.
Nein, die Welt ist überhaupt nicht einfach. Das Getue von Politikern mit ihrem Hang zum Interventionismus ist Budenzauber. Deswegen hat man den Tankrabatt auch nicht an dem Großhandel gegeben, dann wäre er an den Tankstellen angekommen. Auf den Hype kam es an, auf die Show, what ever it costs.
Die Religion soll dieser Tage durch eine deterministische Wissenschaft ersetzt werden, die päpstlicher sein soll als der Papst. – „Follow the Science?“, da fragt sich nur wohin. Im übrigen, gibt es etwas Dümmeres als diesen Spruch?
Man kann eine Hürde auch nehmen, indem man sie nicht etwa überspringt, sondern “unterbietet”, wie Trump, Johnson, Erdogan, Putin, Jong-un oder auch wie die Taliban. Wenn man nur die Frauen oder auch die Andersdenkenden aus vorgeschobenen Glaubensgründen möglichst radikal unterdrückt, dann wird alles wieder gut. – Sorry, welcher Gott sollte daran Gefallen finden?
Um abzulenken werden Probleme zur Not auch künstlich erzeugt und dann „gelöst“. Im Hintergrund stehen zumeist tiefer liegende Ressentiments gegen die Moderne, gegen jede Emanzipation und vor allem gegen Vernunft und Geist. Alles soll so bleiben wie es ist, besser noch, alles soll so werden, wie es einmal war, als alles angeblich noch gut war. – Aber auch das funktioniert mit Sicherheit nicht.
Der treibende Faktor im Prozeß der Zivilisation ist Individualisierung. Alle suchen so gut sie können nach sich selbst, wollen sich spüren und sehen lassen können in ihrer Einzigartigkeit. Aber die Wenigsten wissen von sich, wer sie eigentlich sind oder sein wollen, ganz unabhängig vom Sollen. – Was hilft?
Philosophie kann helfen, wenn es darum geht, mehr Boden unter die Füße zu bekommen. Man kann nicht alles zugleich anzweifeln und sollte schon gar nicht den Ast absägen, auf dem man sitzt. Der Reihe nach, also mit Methode geht das durchaus. – Wichtig und wesentlich ist aber vor allem eines, daß geredet wird. Es braucht Dialoge und Diskurse vor allem über das, was peinlich sein könnte, über Ängste, Gefühle, Sehnsüchte, Gelüste, Unsicherheiten, Rollenkonflikte. Wenn immer mehr Menschen einander authentisch begegnen, dann können Dialoge entstehen, die den Horizont wirklich erweitern. Dann könnte es auch sein, daß manche dieser Bannflüche brechen, mit denen wir uns und unseresgleichen immerzu klein machen und klein halten.
Derzeit ist jedoch allenthalben ein Mangel an Geist, an Bescheidenheit und ein Mangel an Gelassenheit zu verzeichnen. Man glaubt ernsthaft, überall hineinpfuschen zu können, ohne wirklich eine Ahnung zu haben von dem, was da eigentlich vor sich geht in den Systemen.
Wer hat denn die Endokrinologie wirklich so auf dem Schirm, daß die Wirkung künstlicher Hormongaben nicht nur so ungefähr verstanden wird, sondern in ihrer ganzen Wechselwirkung bis hinauf zur Seele, zur Psyche und bis hin zum Geist beurteilen zu können? – Es müßte schon ein Universalgenie sein, daß es so nicht mehr geben kann. Also braucht es den Streit der Fakultäten, aber keine Einheitspartei, keine Einheitswissenschaft und auch keinen Einheitsbrei.
In der Tat steht ein Kurswechsel an, der Ausstieg aus dem Carbon-Zeitalter und der Einstieg in die Welt der regenerativen Energie. – Politik kann im Namen des Staates die Rahmenbedingungen schaffen oder auch verändern. Populismus ist aber kontraproduktiv.
Ein schönes Beispiel für gelungene Politik ist das Patentrecht. Ein Erfinder wird seine Erfindung geheim halten wollen, weil er nichts davon hätte, wenn andere ernten, was er gesät hat. – Genau das aber wäre nicht im Sinne von Wirtschaft und Gesellschaft. Deren Interesse besteht vielmehr darin, daß Patente öffentlich gemacht werden. – Also verbürgt sich der Staat dafür, daß die Rechte des Urhebers gewahrt bleiben. Dafür muß aber die Erfindung öffentlich gemacht werden, und der Erfinder erhält darauf sein Patent, mit dem er am Markt mit den Verwertern auftreten und verhandeln kann. Es braucht also eigentlich nicht viel, um ganz gewaltig etwas zu verändern, so daß es auf den richtigen Kurs kommt.
In der chinesischen Philosophie gibt es dazu ein Prinzip, es ist das „Wu Wei“, was bedeutet „Nicht-Tun“. Damit ist aber keineswegs „Nichtstun“ gemeint, vielmehr geht es um eine Philosophie der Intervention. Es kommt darauf an, mit geringfügigen Eingriffen die entscheidenden Reize zu setzen, um einen Kurswechsel in die gewünschte Richtung zu bewirken. Das macht gute Politik zur Kunst.
Das macht gute Pädagogik, gute Psychologie, gute Philosophie aus. In den Dialogen sind Mentoren nur anwesend und tun dabei, rein äußerlich betrachtet, nicht sonderlich viel. Sie “moderieren” und sind wie die Katalysatoren in der Chemie oder in der Biologie. – Wenn und solange sie anwesend sind, wird aber das Unmögliche möglich.
Reaktionen, für die eigentlich anspruchsvolle Rahmenbedingungen erforderlich sind, gehen ohne Probleme vonstatten, als wäre ein ganz besonderer Zauber im Spiel. – Die Meme, also gute Ideen haben etwas von solcher Zauberkraft. Wesentlich ist, daß ein Geist aufkommt, der die Musen zur Hilfe rufen kann, so daß man sich vor Begeisterung vor so vieler guter Einfälle kaum noch erwehren kann.
Dann gilt es, mit bewußter Unterkühlung die einzelnen Optionen zu prüfen und womöglich ins Konzept zu bringen. Das wäre gute Politik, das ist aber bereits Kunst und vielleicht auch Philosophie, wenn denn das Gute, Schöne und Wahre wirklich zusammengebracht werden könnten.
Wenn sich im Dialog die erlösenden Worte einstellen, so daß wir endlich sagen können, was schon längst sollte gesagt und verstanden worden sein, erst dann kommen wir uns selbst und einander näher in einem Verstehen, das seine Basis gefunden hat. Das sind Momente des Glücks, für die es zu leben sich lohnt.
Die Wirklichkeit selbst wird immer vielfältiger, nur schwarz-weiß oder wenigsten grau zu denken, sie Sloterdijk anregt, ist noch immer nicht farbig. Aber das wäre vielleicht auch ein wenig zu viel des Guten. – Dagegen ist aber auch der kausalfetischistische Ungeist keineswegs dazu angetan, wirklich auf gute Ideen zu kommen.
Wie wäre es, wenn sich die Vernunft und die Musen zusammentun? – Wenn ich darüber spekuliere, wie die Vernunft es wohl macht, wenn sie ein Modell dessen erstellen soll, worauf es insgesamt ankommt, dann wird es doch wohl nicht im Sinne der MINT-Fächer sein, nicht im Sinne der vielberufene “Rationalität” oder “Wissenschaftlichkeit”, denn es gibt so viele davon wie Götter im Pantheon.
Der Leitstern kann nicht der allenthalben bemühte Kausal-Fetischismus sein, der in der Corona-Krise schon so viel geistige Verwirrung gestiftet hat. Nein, die Vernunft optimiert sich in Hinsicht auf Schönheit, als Einheit des Wahren, Schönen und Guten. – Dieser Meta-Diskurs sollte endlich an die Stelle der Papstkirche treten, um die alten Götter ebenso wie die Musen dazu zu bewegen, ihre uralten Kämpfe, Tänze und Inspirationen wieder aufzunehmen. -
Anthropologie, Ausnahmezustand, Götter und Gefühle, Identität und Individualismus, Moderne, Moral, Religion, Zeitgeist
Ich bin dagegen, dafür sein zu müssen
Freiheit sei “Einsicht in die Notwendigkeit”, dieser Satz von Hegel hat es in sich. Und genau dieser Fall ist jetzt eingetreten. – Corona war nur der Vorkrieg, danach kam wirklicher Krieg und auch wieder die obligatorischen Denkverbote. Aber mit der entstandenen Zerrissenheit zwischen Herz und Kopf rechnen und leben zu lernen, ist das Gebot der Stunde.
Wie diese Wirklichkeit erzeugt und arrangiert wurde, ist das eine. Aber nun ist dieser Krieg in der Welt und daher stellt sich die Frage, wie damit umzugehen sei. – Und wieder sind die USA verantwortlich für die entstandene Situation. Man hätte einen anderen Putin haben können, aber die USA wollten eben diesen und keinen anderen. – Es liegt nicht im Interesse der USA, daß sich europäischer Geist und russische Weite zusammentun. Und natürlich wäre dabei sehr viel mehr Demokratie zu wagen gewesen, endlich auch in Russland, wo man von der Zarenherrschaft in die Diktatur und dann in Autokratie und Oligarchie geraten ist.
Was wäre geworden, wenn EU und RU im “Europäischen Haus” näher zusammengekommen wären, anstatt sich auseinander dividieren zu lassen? Natürlich wäre ein anderer Putin in einem anderen Russland am Ruder. Putin hätte ernten können, was Gorbatschow gesät hat. Ob er sich dann auch so demokratiefeindlich und despotisch entwickelt hätte, ist zwar noch immer eine Frage der Spekulation. Aber gerade auch die Interessen von Europa sind immer wieder mutwillig verletzt worden. Reihenweise wurden Nachbarstaaten von den USA destabilisiert, bis sich die Flüchtlingsströme in Bewegung setzten, was dann allenthalben zu unguten Tendenzen geführt hat.
Wer oder was ist also der “Feind”? Es sind demokratiefeindliche Staaten mit religiösen oder ideologischen Identitäten, die dazu neigen, Kriege anzuzetteln, um Demokratien zu hintergehen. Heuchelei spielt in der schwarzen Kunst der Kulissenschieberei eine ganz große Rolle. Darin liegt die Meisterschaft der USA, selbst herbeigeführte Entwicklungen so erscheinen zu lassen, daß die Welt wieder einmal in die Guten und die Bösen unterteilt werden kann. Dabei sind die Banker von Blackrock und die Söldner von Blackwater nur zwei Seiten derselben Medaille. Die dunkelsten Machenschaften werden von Privatarmeen betrieben, so daß die Staaten im Lichte der Öffentlichkeit ihre Hände heuchelnd in Unschuld waschen können.
Nicht die Medien sind das Problem, sondern manche ihrer Vertreter und vor allem jene darunter, die sich selbst zu Gesinnungswächtern ernannt haben und dazu neigen, mündige Bürger umerziehen zu wollen. Es ist einiges an neuer Unsicherheit entstanden, vieles, was verläßlich schien, hat sich als brüchig erwiesen. Die entwürdigenden Verunglimpfungen der Andersdenkenden ist gerade nicht der Ausdruck einer offenen Gesellschaft mit Demokratie und Gedankenfreiheit.
Die Impfskeptiker von gestern sind die “Putin-Versteher” von heute. Die Pazifisten haben die Rolle der “Covidioten” übernommen, und die Russen sind wie die Ungeimpften, die auch schon mal zur Umerziehung in Beugehaft genommen werden sollten, damit sie zur Einsicht kommen und sich “bessern”.
Alle diese Auseinandersetzungen sind allerdings auch “Anpassungsschwierigkeiten” an eine der größten Medien-Revolutionen seit Erfindung der Schrift. Urheber und Verstärker bei alledem ist die Kommunikation im Netz der Netze. Es läßt sich in der neueren Menschheitsgeschichte nachweisen, daß neu aufkommende Medien wie Sprache, Schrift, Buchdruck, Presse und Radio stets ganz gewaltige gesellschaftliche und kulturelle Umbrüchen auslösen.
Derweil halten sich die Despoten und Schlafwandler aller Zeiten viel darauf zugute, daß sie ja doch nur “gerechte” Kriege führen. Aber nicht auf die angeblich so “große” Vergangenheit längst untergegangener Reiche kommt es an, sondern auf die noch viel größere Zukunft des Menschseins. – Der geheime Plan der Natur, die im Menschen ein Auge aufschlägt, um sich selbst zu betrachten, ist allen Tendenzen und Latenzen im Zuge der Menschheitsentwicklung zufolge sehr eindeutig. Es geht um mehr Selbstorientierung, Individualität, Selbstbestimmung und Emanzipation, also um immer weniger angeblich fürsorgliche Entmündigungen.
Die Schafe brauchen keine Guten Hirten mehr, um sich führen, bevormunden und klein halten zu lassen. Der Despotismus muß zu immer mehr Gewalt greifen, weil er nicht mehr geduldet wird. Emanzipation steht auf dem Programm der Weltgeschichte. Das Totalitäre muß untergehen, weil es der Menschheit kaum mehr zuträgliche Dienste leistet, sich tatsächlich weiter und höher zu entwickeln, durch Aufklärung, Bildung und individuelles Urteilsvermögen.
Im Verlauf der nächsten Zeit wird sich zeigen, wie wenig sich digitale Kommunikation wird zähmen lassen, so wie zuvor noch Menschen gezähmt, gebrochen und dressiert wurden. Nicht nur diese Pädagogik, auch dieses Politik ist von vorgestern. – Die Gedanken sind frei und seit erst die freie Kommunikation hinzukommen ist, ist unangepaßtes Denken bald schon in aller Munde.
Luther mochte seinerzeit den Buchdruck ganz und gar nicht, was ihn jedoch nicht daran gehindert hat, sich das neue Medium für seine Reformation zu Nutze zu machen. – Nicht einmal die Kirche hat darauf ihre despotische Macht zur Gedankenkontrolle wahren können, als der Buchdruck aufkam. Was erst wird sein, wenn die Kommunikation immer grenzenloser wird?
“Dialektik” ist nicht das, was die Einpeitscher verkünden, sondern ein ständiges Hin und Her für alle diejenigen, die sich selbst ein eigenes Urteil bilden möchten. – Natürlich muß dieser Krieg so schnell wie möglich durch Verhandlungen beendet werden. Aber es gibt auch Akteure, die ihn gar nicht beendet sehen wollen, weil manche ihr eigenes Süppchen kochen. Solche Kriegsspekulanten können in allen erdenklichen Lagern sitzen, um je nach Interesse wahlweise im Schafsfell oder auch im Wolfsfell aufzutreten.
Aber nun kommt dieser ominöse dialektische Umschlag: Die USA haben es durch Geheimpolitik und Kulissenschieberei wieder einmal erreicht, daß es fast danach aussieht, als wäre so etwas wie “Armageddon”, dieser hochreligiös motivierte, apokalyptische “letzte Kampf zwischen den Mächten des Guten und denen des Bösen” nicht mehr ausgeschlossen werden kann. – Diesem religiös motivierten Wahn der USA stehen nicht minder unzeitgemäße Autokraten gegenüber, denen zuzutrauen ist, daß sie auch vor dem Einsatz von Atomwaffen nicht zurückschrecken. Und Europa ist jetzt der Spielball, um den gekämpft wird, auf den alle nur noch eintreten.
Das viel zu lang währende 19. Jahrhundert schien endlich beendet worden zu sein mit der Wiedervereinigung. Es war ein unendlich langer Abschied von Monarchien und Militärdiktaturen auf der ganzen Welt. Zwei Weltkriege wurden heraufbeschworen, nur weil die Mächtigen im Zuge der aufkommenden Moderne “ihre” Macht nicht teilen wollten. Und das alles nur, um irgendwelche Privilegien nach Altväter-Sitte gegen demokratische und humanistische “Verirrungen” zu verteidigen.
Nun ist ausgerechnet dieser reaktionäre Zeitgeist wie ein Untoter wieder auferstanden, in seiner ganzen unaufgeklärten, inhumanen und psychotischen Impertinenz. Und schon wird das Gerede wieder markig und zackig, wenn Waffen verschoben werden, als wären es Hilfsgüter ganz im Geist der Humanität.
Friedenstauben tragen jetzt Uniform, man soll das Selberdenken einstellen, weil schon wieder nur noch möglichst schnelles, radikales Handeln besser sein soll als jedes Nachdenken. – Es war schon seltsam, daß immer mehr Frauen den Krieg erklären in den Talkshows und nicht mehr die Riege derer, die doch immer auch den Eindruck erweckten, als wäre der Krieg auch eine Lust.
Hat sich da etwas verändert? Hoffentlich ja, aber wenn, dann nur in der Theorie. Die Praxis steht noch aus, in dem Beweis, wie Demokratie und Humanität zu verteidigen sind. – Zunächst einmal ist diese Konstellation mutwillig herbeigeführt worden, der letzte Schritt war nur der, ihn dann auch zu beginnen. Die Falken haben es wieder einmal geschafft, den Tauben vorzugaukeln, sie seien welche von ihnen. – Die öffentliche Meinung ist das eigentliche Land, das angegriffen, verteidigt und erobert werden soll.
Ich bin dagegen, daß ich dafür sein muß, der putinschen Aggression die Stirn zu bieten. Ich bin dagegen, daß dieser Krieg zwischen Demokratie und Diktatur mutwillig vom Zaun gebrochen worden ist. So wird die anstehende Lektion nur noch schmerzvoller. – Es kann aber auch nicht mehr angehen, daß eine Riege von Oligarchen die Welt, die Gedanken, Reichtümer und Meinungen einfach unter sich aufteilt und anderen nicht einmal mehr Gedankenfreiheit gewährt. Allein der Zynismus der Macht spricht Bände.
Die erste wahrhafte Demokratie ist in Athen entstanden, in einer vergleichbaren Bedrohung durch das viel mächtigere Reich der Perser. Sogar das Orakel von Delphi wechselte vorsorglich die Seiten, riet zur Unterwerfung und setzte damit auf die falsche Seite, zum Nachteil der eigenen Reputation. – In dieser Situation konnte der hochwohlgeborene Adel die Lasten des anstehenden Krieges nicht mehr standesgemäß tragen und auch allein bewältigen. Es galt, eine Flotte zu bauen, um dann die Bürger zu motivieren, auf eigene Kosten in den Krieg zu ziehen. – Aber wer aus freien Stücken mit in den Krieg zieht, um die eigene Freiheit zu verteidigen, wird dieselbe Freiheit auch gegenüber dem eigenen Staat geltend machen, darauf entstand die erste Basis-Demokratie der Welt.
Mit der Renaissance führte die Wiedererinnerung an diese Epoche zum Humanismus, und dieser steht seither immer wieder neu auf dem Spiel. Herausgefordert wird er durch üble Menschenbilder im Auftrag von Religionen, Ideologien, Wirtschafts- und vor allem Machtinteressen. – Daraufhin wurden oft barbarische Exzesse in Szene gesetzt, die eine Weiterentwicklung der Menschheit immer wieder um Jahrzehnte, wenn nicht um Jahrhunderte zurückwarfen. Dagegen das humanistische Menschenbild hochzuhalten und auch zu verteidigen, ist selbst ein ehrenwertes Motiv.
Aber gerade den Hitzköpfen ist in einer solchen Krise gar nicht zu trauen, schon gar nicht den Kulissenschiebern, und das allfällige Moralisieren ist nichts weiter als geistige Umweltverschmutzung. Da erdreisten sich manche, die eigene Einfalt zum Maß aller Dinge zu erklären. – Für wirklich große Fragen gibt es keine einfachen Lösungen, sondern nur eine reflektierende Haltung, die darauf Wert legt, die Würde zu wahren und Widersprüche auszuhalten. Nur dann sind wir wach genug, im Hin und Her zwischen Herz und Kopf immer wieder neu den Ausgleich für unsere Stellungnahmen und Entscheidungen zu finden.
Das ändert jedoch nichts daran, daß auch andere Konsequenzen gezogen werden müssen, vor allem das Ende der Nibelungentreue. Seit Jahren haben die USA mit ihrer ganzen Politik der Demütigung, Herabsetzung und mit der gezielten Einflußnahme in der Ukraine darauf hingearbeitet, für Russland ein neues Afghanistan zu erschaffen. Aber nun soll nicht mehr nur Russland, sondern zugleich auch die EU ganz entscheidend geschwächt werden. Beide sollen zu Provinzmächten werden, um in der nächsten Auseinandersetzung mit China nicht mehr stören zu können.
Zugleich besteht die Gefahr, daß der Humanismus erneut eine katastrophale Niederlage erlebt. Denn dieser ist es eigentlich, der gedemütigt werden soll. Die Angriffe richten sich gegen den alteuropäischen Geist, gegen Demokratie, Emanzipation, Individualismus, Meinungsfreiheit, Philosophie und gegen die Idee vom ewigen Frieden. – Europa muß sich endlich lösen von der Nibelungentreue zu den USA, die ihre Spiele spielen und ihre Interessen verfolgen, dabei aber immer wieder verheerende Konflikte auslösen, große Schäden anrichten und sehr viel neuen Haß erzeugen, der sich später wieder in neuen Konflikten entladen wird.
Im Zentrum stehen momentan aber Despoten, die von vorgestern sind. Sie wissen, daß ihre Zeit längst abgelaufen ist. Daher machte Putin diesen letzten Versuch, nach alter Manier einfach zu erobern, was sich nicht standhaft genug zu erwehren versteht. Und die Kollegen unter den Despoten werden derweil sehr genau beobachten, wie weit Putin mit seinen Übergriffen kommt, um sich an seinem Schicksal ein Beispiel zu nehmen. Und dennoch gilt: Gewalt ist keine Lösung sondern nur ein Zeugnis geistiger Armut.
Daher ist es nicht nur nachvollziehbar, sondern akzeptabel, mit dem Herzen anderer Meinung zu sein, im Widerspruch und im Widerstand zu den neunmalklugen Scharfmachern, die sich wieder einmal selbst berauschen am eigenen Wahn. – Wozu haben wir ein Gewissen? Was bedeutet uns die Fähigkeit, Zukünfte vorwegnehmen zu können, um daran das eigene Entscheiden und Handeln immer wieder neu auszurichten, wenn man ausgerechnet in der Krise auf Demagogen, Hitzköpfe oder auf die Manipulationen von Geheimdiensten, Propaganda und Gesinnungswächtern hereinfällt?
Ich bin von Herzen dagegen, daß ich aus Vernunftgründen dafür sein muß, diesen Fehdehandschuh aufzuheben. Aus Einsicht in die Notwendigkeit bin ich dafür, dieser Konfrontation, diesem Despotismus die Stirn zu bieten und das bedeutet: Es gilt, der Willkürherrschaft von Despoten und Kulissenschiebern endlich entgegenzutreten und dafür zu sorgen, daß deren Politik weltweit nicht mehr aufgeht. Die Zeiten, als im Absolutismus sich noch einzelne Herrscher selbst zum Staat erklärten und ebendas auch so meinten, wenn sie “wir” sagten, waren ein aberwitziges Durchgangsstadium in der Neueren Geschichte, das endlich vorbei sein sollte.
Es gibt nur einen Grund, die Verteidigung gegen diesen Krieg zu rechtfertigen, wenn es schlußendlich auf mehr Demokratie, mehr Humanität und weniger dunkle Machenschaften hinausläuft. Es ist an der Zeit, dem ständige Zündeln der USA endlich Einhalt zu gebieten. Es scheint, als läge eines der Motive, die Welt andauernd mit neuen Konflikten zu überziehen auch darin, im eigenen Land von einem drohenden Bürgerkrieg abzulenken. Man sorgt ständig für neue äußere Feinde, um den Haß im eigenen Land damit zu übertünchen.
Was bei alledem überhaupt nicht geheuer sein kann, ließ sich bereits in der Corona-Krise beobachten. Es war ein Rückfall in vormalige Zeiten, in ein längst überwunden geglaubtes Stadium der Entwicklung – aus Gründen der Angst und der Panikmache. Genau damit spielen Despoten immer wieder, aber auch Politiker in Demokratien auf der Grundlage von Staaten, die wie Monster im Zaum gehalten werden müssen.
Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und die Balance of Power sind inzwischen unerläßlich geworden, es reicht aber noch immer nicht. Noch mehr Demokratie ist erforderlich, noch mehr Bildung, Entwicklung, Emanzipation. Also genau das Gegenteil dessen, was den Autokraten und den sich allenthalben bereichernden Oligarchen genehm ist. Sie sollen nicht mehr von dieser Welt sein, denn sie stammen aus dem letzten, eigentlich toten 19. Jahrhundert, das jetzt wie ein Zombie die Gemüter erschrickt. – Sich nicht einschüchtern zu lassen und nicht erpressbar zu sein, ist von größter Bedeutung. Auch und gerade Demokratien müssen wehrhaft sein, nur ganz anders, als es sich die Militaristen und Bellizisten wünschen.
Ein Krieg im Namen der Demokratie ist nur dann legitim, wenn mehr Demokratie dabei herauskommt. Erst dann läßt sich auch das Herz gewinnen. Es ist ein Ausdruck der Würde, sich nicht einschüchtern, verängstigen und unterdrücken zu lassen. – Aber in Russland sind demokratische Erfahrungen noch gar nicht gemacht, sondern immer nur verhindert worden. Und die Demütigungen, die zuletzt vom Westen her gezielt adressiert wurden, taten ihr übriges, eben nicht den Weg der Humanität in die Zukunft, sondern den der Gewalt in die Vergangenheit zu wählen.
Bei alledem sollte man den humanen Geist zu würdigen wissen, denn gerade der Umgang mit Gedemütigten ist ganz besonders heikel. In Krisen und Konflikten die Würde der Verlierer zu wahren und dafür verläßlich zu sorgen, daß sich gerade sie sich gewürdigt fühlen dürfen, können und auch sollen, das ist die höchste Kunst jeder Diplomatie. – Aber schon seit Jahren findet immer weniger Diplomatie statt, Demütigungen werden bewußt ausgesprochen, es wurde betont undiplomatisch provoziert, weil nicht der Frieden, sondern der Krieg gewählt worden ist, lange bevor Putin seinen Marschbefehl gab.
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Anthropologie, Ethik, Götter und Gefühle, Identität und Individualismus, Kunst, Moderne, Moral, Psyche, Seele, Theorien der Kultur, Zeitgeist
Man will den Esel strafen, schlägt aber den Sack
Über Sexismus und Sprachkritik
Es ist erklärungsbedürftig, was dieser, zugegeben nicht ganz tierliebe Spruch besagen soll. Deutlich wird, was gemeint ist, anhand der aktuellen Debatten über Sexismus.Tatsächlich läßt sich ein nicht unwesentlicher Teil des Sexismus anthropologisch auf animalische Anteile zurückführen, die wir noch immer in uns tragen. Menschen sind herausgefallen aus ihrer vormaligen Tier-Natur im Paradies, es ist unser Schicksal, nie wieder “ganz” zu werden. – Rilke sagt über den Menschen,“und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt.” (Rainer Maria Rilke: Duineser Elegien.)
Das ist der Preis dafür, Mensch geworden zu sein: Daher die vielen Widersprüche in und zwischen uns. Und davon ist der zwischen „Körper haben“ und „Leib sein“ nur einer von vielen. – Wir beobachten uns, oft nicht gerade freundlich gestimmt. Auch sind wir nicht entweder das eine oder das andere, sondern mal das eine, mal das andere und das zumeist nicht wirklich voll und ganz.An der Sprache nun andauernd neue Exempel wegen Sexismus vorzunehmen, ist auch keine Lösung im Umgang mit alledem. Genau das besagt offenbar dieser Spruch: Der „Esel“ ist also der Sexismus, den manche bestrafen möchten, aber nicht können. Daher wird die Sprache, also der „Sack“ geschlagen.Viele dieser Hypothesen über Sprechen und Sprache haben den Tiefgang von Verschwörungstheorien. Sie geben sich viel zu schnell mit möglichst einfachen Erzählungen vom angeblich Bösen hinter den Kulissen zufrieden.Nichts gegen mehr sprachliche Sensibilität und mehr Differenzierungsvermögen. Nur das kann helfen. Aber das geht nicht auf dem Umweg über Sprechverbote, sondern nur auf dem Umweg über noch mehr, noch bessere Worte, noch mehr Nebensätze und nur durch tiefere Dialoge, in denen die Empathie immer mehr zur Einfühlung kommen kann.Durch neu errichtete Tabus werden aus Widersprüchen nur noch größere Probleme, weil auch diese Aspekte des Menschlichen ein Recht darauf haben, Gehör, Ausdruck und Verständnis zu finden. – Über die angemessene Form läßt sich allerdings trefflich streiten. Es war schon immer eine Frage der Kultur, zu „kultivieren“, was, wie zum Ausdruck gebracht werden kann und auch soll.Allerdings hat der alltägliche Sexismus auch biologische Grundlagen, die noch aus dem Tierreich stammen. Das kann jede Frau am eigenen Leib erfahren. Spätestens dann, wenn ab einem gewissen Alter die begehrlichen Blicke seltener werden.Und mir als Mann entlockt es ein Schmunzeln über meine eigene Tiernatur, wenn ich sehe, wie mein Blick „fremdgesteuert“ wird. Allein vom Klackern höherer Absätze geht ein unwiderstehlicher Reiz aus. Dabei ist den TrägerInnen der richtige Klackerton offenbar von Bedeutung. Wären die Pumps stumm, blieben sie in den Regalen. – Aber ich muß ja nun nicht die Steuerung aus der Hand geben. Natürlich kann Mann sich über die eigene Tiernatur hinwegsetzen.Auf “Sexuelle Bildung” kommt es an, der Weg dorthin ist aber anspruchsvoller als gedacht. Vor allem geht es darum, möglichst viele solcher Widersprüche in angemessene Worte zu kleiden. – Wir können Weine degustieren und winden Worte zu Girlanden des ereignisreichen Geschmacksgeschehens, aber über Orgasmen reden, über Erotik und über die Spannung dieser Widersprüche, das können wir nicht.Nicht weniger, sondern sehr viel mehr neue Worte sind die Lösung. Nicht neue Tabus, nicht die Einschränkung, sondern erst die Erweiterung des Ausdrucksvermögens ist “Bildung”. – Der Baum der Erkenntnis hat noch viele Früchte, die allesamt verkostet werden sollten. Das “Verbotene” an diesen Früchten besteht allerdings darin, daß es immer auch ein Wagnis ist, sich zu öffnen, um sich zu erklären und einander zu verstehen.Wichtig ist jedoch nicht nur Reden, entscheidend ist erst das Verstehen. – Nur, wo mindestens zwei Menschen beisammen sind und einander verstehen, nicht allgemein, sondern ganz konkret in einer ganz bestimmten, höchst heiklen Angelegenheit, dort ist auch der Geist unter ihnen, der die Sicherheit verschaffen kann, sich aufgehoben zu fühlen, für Momente des Glücks. -
Ausnahmezustand, Corona, Corona-Diskurs, Corona-Politik, Ironie, Lüge, Moderne, Politik, Professionalität, Wahrheit, Wissenschaftlichkeit, Zeitgeist
Stoibern und Drosten
Inkompetenzkompensationskompetenz
Ja, die gibt es wirklich. Odo Marquardt hat sie entdeckt, die Kompetenz der Philosophen als Stuntman in Kompetenzfragen. Wenn man des nächtens durch universitäre Katakomben streifte und aus irgendeinem der Räume große Heiterkeit zu vernehmen war, dann konnte man sich vielleicht daran erfreuen, einer Rede des begnadeten Bedeutungskünstlers Odo Marquardt beizuwohnen.
So beginnt er seinen Vortrag “Inkompetenzkompensationskompetenz? Über Kompetenz und Inkompetenz der Philosophie” mit einer makabren Geschichte, die gleich auf den Kopf zu sprechen kommt, um den es gehen soll, den philosophischen Kopf.
Bei einem chinesischen Henkerwettstreit – so wird erzählt – geriet der zweite Finalist in die Verlegenheit, eine schier unüberbietbar präzise Enthauptung durch seinen Konkurrenten, der vor ihm dran war, überbieten zu müssen. Es herrschte Spannung. Mit scharfer Klinge führte er seinen Streich. Jedoch der Kopf des zu Enthauptenden fiel nicht, und der also scheinbar noch nicht enthauptete Delinquent blickte den Henker erstaunt und fragend an. Drauf dieser zu ihm: nicken Sie mal.
Mich interessiert, was dieser Kopf denkt, bevor er nickt; denn das müßte doch Ähnlichkeit haben mit Gedanken der Philosophie über sich selber.
Wenn genügend hintersinniger Witz, also Geist vorhanden ist, dann ist auch die Sprache in ihrem Element. Schließlich muß der Geist die Worte, denen wir anvertrauen wollen, was wir mitteilen möchten, erst ‘beseelen’. Diese geisterhafte Geistigkeit kommt von den Metaphern, die man sich herbeiruft, um mit ihnen wie im Zirkus nicht ungefährliche Dressurstückchen vorzuführen. – Das Spannende daran ist allerdings, daß Metaphorisieren schief gehen kann und zwar ganz gewaltig.
Auch das hat wiederum einen ausgezeichneten Unterhaltungswert. Dann fehlt allerdings der Geist, der dem Gesagten die Seele einhaucht. Aber in den Vorstellungswelten aufmerksamer Zuhörer können Geister auch durch demonstrative Abwesenheit eine Botschaft absetzen. Dann geht so gut wie alles schief, was schief gehen kann. – Dann steckt der Geist im unberücksichtigten Hintersinn, der in der letzten Reihe seine Faxen macht und den ordnungsgemäßen Ablauf der Ziehung der Worte als Glückstreffer so richtig sabotiert.
Eines der erlesensten Demonstrationen sprachlicher Inkompetenz ist die unvergeßliche Rede des damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der sich für eine Strecke mit dem Transrapid zwischen Münchener Hauptbahnhof und Flughafen stark machen wollte. Er hatte dabei etwas vor Augen, das ihm aufgrund sprachlichen Unvermögens oder auch, weil er einen schlechten Tag gehabt haben mag, einfach nicht gelang, eigentlich eine Banalität zum Ausdruck zu bringen: Eine Flugreise vom Münchener Flughafen könnte bereits im Hauptbahnhof beginnen, deshalb solle man sich doch die Vorzüge nicht nur vor Augen führen, sondern nicht entgehen lassen und die Strecke für den Transrapid endlich befürworten und bauen.
Es ist ein unvergessenes Werk der Sprachkunst, weil man sieht, was alles schief gehen kann. Ich weiß, es ist böse, aber die Schadenfreude bereitet gerade auch eine große, halbverbotene Freude, die in diesen finsteren Zeiten auch etwas Entlastendes haben kann. – Also katholisch gesehen, ist es nur eine läßliche Sünde, auf eine Sammlung hinzuweisen, die Kenner der Redekunst bei Youtube zusammengetragen haben unter dem Titel “Stoibers Gestammelte Werke”. Die Trans-Rapid-Rede findet sich dort gleich zu Beginn.
Gut gestoibert ist halb gedrostet. Ich komme darauf, weil mir manche Ähnlichkeiten ist Auge fallen und ich gerade dabei bin, nachzuvollziehen, warum der NDR-Podcast von Prof. Dr. Christian Heinrich Maria Drosten sich so großer Beliebtheit erfreut, seit den Anfängen unserer Pan-Hysterie.
Ich denke mal, daß es viele Geisteswissenschaftler sein müssen, die ehrfurchtsvoll lauschen, wenn da jemand so ähnlich stammelt, wie Stoiber. Und ich frage mich: Kann es sein, daß viele Kollegen aus den Geisteswissenschaften dem Naturwissenschaftler seinen unbeholfenen Umgang mit Sprache gern nachsehen? – Ist es möglich, daß sie darin sogar eine besonderes Zeichen von Kompetenz sehen?
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Nähe und Enge
Wenn es eng wird ums Herz
“Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg. Falls es da Regeln gäbe, müßte man sie weitersagen.” (Christa Wolf: Kassandra. Voraussetzungen einer Erzählung. Frankfurter Poetik–Vorlesungen; Darmstadt, Neuwied 1983. S. 76f.)
Es gibt einen ethisch nicht zulässigen Tierversuch: Zwei Ratten werden in einen Käfig gesperrt, der eine ziemlich klar definierte Größe unterschreitet. Dann gehen sich beide augenblicklich an die Gurgel, bis nur noch eine übrig bleibt.Auf mehrtägigen Veranstaltungen gibt es diesen magischen 3. Tag. Auch da gehen sich Teilnehmer aus einem inneren Zwang heraus an, weil irgendeine Geduld am Ende ist und man vom vielen Weglächeln allmählich Gesichtskrämpfe bekommt. — Es ist auch komisch, wenn gleich ganz viele wie auf ein geheimes Kommando ziemlich unvermittelt und aufgrund von Nichtigkeiten plötzlich aufeinander losgehen.Wenn man als Referent später dazu kommt und wissen möchte, wie die Stimmung so ist, kann man sehr gut Teilnehmerinnen befragen. Frauen haben es wie selbstverständlich auf dem Schirm, wer mit wem, warum nicht und weswegen. — Ich bin da immer bass erstaunt, wie leicht frau Gruppendynamik durschauen kann, weil ich dazu mit Bordmitteln ziemlich lange brauche, bis ich es auch sehe.Es ist überaus wichtig, hinter die Kulissen zu schauen. Das ist auch der Sinn von Höflichkeit, denn es gilt, anderen zuvorkommend zu begegnen, so daß sie gar nicht erst Beklemmungen bekommen, sondern sich wohlfühlen, verstanden, geachtet, gewürdigt. — Das läßt sich sehr schön bei Knigge studieren, dem es mitnichten um den Einsatz des Fischmessers geht.Tatsächlich ist Gesellschaft immer auch Theater. Wir spielen unsere Rollen und dabei uns selbst und anderen etwas vor. Aber was wäre die Alternative? — Der Untertitel bei Knigge lautet, vom Umgang mit Menschen. Dabei geht es um eine Diplomatie, die alles andere ist als Schmeichelei oder Manipulation. Allerdings ist dazu ein wenig Lebensart und Lebenserfahrung erforderlich und vor allem ein humanistischer Geist.Das Rollenspiel ist ja selbst wieder ein Medium, eine Sprache, mit der wir uns darstellen. Das wird einem klar bei einer Empfehlung, die Knigge gibt: Seinerzeit war die Bewegungsfreiheit nicht so wie heute. Nur Adelige und Handwerksgesellen durften und mußten reisen, um sich in der weiten Welt zu beweisen. In der Tat lernt man sich selbst am besten in der Fremde kennen und vor allem dann, wie man mit dem Unbekannten umgehen muß.Wenn man in der Stadt eine Kutsche gemietet hat und die Kutscher wie verrückt losfahren, sollte man sich keineswegs darüber beschweren. Es geht nur um eine Belastungsprobe. Wenn nämlich die Räder schwach sind, dann sollten sie hier und jetzt brechen – aber nicht im Wald, wo bekanntlich die Räuber sind.Die meisten Probleme entstehen durch nicht thematisiertes Mißverstehen. Es ist falsche Höflichkeit, irgendeine Form zu wahren, aber nicht auf das zu sprechen zu kommen, was wirklich von Bedeutung ist, um einander zu verstehen. — Das ist voraussetzungsreicher als gedacht. Zunächst müßte man erst einmal sich selbst verstehen und dann auch den Anderen. Dann braucht man eine gemeinsame Gesprächsgrundlage, wie es schon im Jargon der Diplomaten heißt. Das alles verlangt der Sprache derart viel ab, so daß viele lieber alles weglächeln und Meta–Toleranz–Gepflogenheiten vor sich hertragen oder auch Parteinahmen, je nach Tagesbefehl, wasnoch mehr Probleme bereitet.Die Welt ist in der Tat abhängig vom Willen und von der Vorstellung, die man sich darüber macht oder auch nur machen läßt. Das hat die Corona-Krise leidlich unter Beweis gestellt. Die Grenzen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft, wurden ständig verletzt. Man hat sich in eine Stimmung aus Panik, Furcht und Bedrohung versetzen und dauerhaft halten lassen.Und jetzt erscheint es so, als wäre Corona nur eine Art Vorkrieg gewesen. Die Polarisierung der Gesellschaft, der Kultur, mancher Gemeinschaften und das Gefühl, im Anderen eine infektiöse Bedrohung zu sehen und Nähe generell fürchten zu müssen, sich auf nichts mehr verlassen zu können, schon gar nicht auf das eigene Immunsystem, das hat alles sehr viel mehr Schaden angerichtet, als manche bereit wären, sich zuzugestehen.Auch ist es kein Zufall, daß nunmehr mit möglichst großer Öffentlichkeit dieses toxische Männlichkeitsgehabe wieder fröhliche Urstände feiert. — Wie war es noch, als Deutsche in den Krieg fuhren? Das taten sie ja nur, um dort mit ihrer neuen, französischen Geliebten auf der Chaussee de Elysee flanieren zu gehen. Zurück kamen sie, wenn überhaupt, zutiefst traumatisiert.Die Weltkriege haben diese Schattenfiguren des prekären Maskulinismus erzeugt, einen manisch-depressiven Männertyp, der nicht sprechen kann über die Scheußlichkeiten, die nicht wieder verschwinden wollen. Also liegt er den ganzen Tag auf der Couch, bekommt aber einmal am Tag seinen Anfall, die ganze Familie zu vermöbeln.Das gegenwärtige, affenhafte Brustklopfen der Machomanie ist ja nur das, was im Vorkrieg demonstriert wird. Später wird sich die Gesellschaft in großer Dankbarkeit für die erbrachten Opfer von diesen Helden nur noch angewidert abwenden. Also was soll das?Es ist kein Kunststück, gegen den Krieg zu sein, gegen jeden, weil das einfach für nichts gut ist. Außerdem befand man sich schon immer in der besseren Gesellschaft mit denen, die sich ein eigenes Urteilsvermögen zutrauen und auch zumuten mochten. — Zwischen der Zustimmung zur Impfung und der Zustimmung zum Krieg gibt es eine gespenstische Gemeinsamkeit.I am not convinced. — Wo kommt nur das Bedürfnis nach Haß her? Ist es nicht eine viel zu späte Reaktion darauf, daß man sich wieder einmal hat viel zu viel Duldsamkeit abverlangt, zu viel Nähe zugemutet und zu wenig Verstehen aufgebracht hat? Warum wehren sich so wenige gegen Übergriffe und lächeln sich weg? Warum kommt es dazu, daß man irgendwann einfach platzt, wenn es bereits zu spät ist? Das ist falsche Höflichkeit, das ist Feigheit, Unbedarftheit, Unselbstständigkeit, Unsicherheit, Unmündigkeit.Warum haben so viele die Gelegenheit zum Bashing nicht verstreichen lassen, um auch mal ganz kräftig auszuteilen? — Die Gründe liegen woanders, in einem allgemeinen Unglücklichsein, das mit dem eigentlichen Anlaß kaum etwas zu tun hat.In einem Mangel an Denken und Sprache liegen die eigentlichen Gründe. Daher laufen die Konflikte völlig aus dem Ruder nach dem Motto: Und was ich Dir überhaupt immer schon mal sagen wollte…! — Machtworte sind Verlautbarungen einer Ohnmacht, aus Gründen der Sprache, des Denkens und aus Mangel an Geist.Als Ethologen einem Volk ohne Fernseher vom Weltkrieg erzählten, haben sich diese zunächst köstlich amüsiert. So etwas bräuchten sie auch mal. Offenbar dachten sie an eine zünftige Wirtshausschlägerei, die sie auch noch nicht kannten. — In einem Science Fiction las ich mal über eine fremde Spezies, sie seien ursprünglich sehr kriegerisch gewesen, dann aber hätten sie sich selbst immer weiter pazifiziert. Aber von Zeit zu Zeit bräuchten sie noch eine Drangwäsche, ein bemerkenswertes Wort für das, was da gerade vor sich geht.Es ist vielen zu eng geworden. Es wäre aber besser, einander mehr Raum zu gewähren. Raum gewähren kann man auch durch mehr Verständnis, etwa für die, die sich gerade völlig verunsichert in den Geschäften bewegen, daß jetzt keine Maskenpflicht mehr herrscht. Aber wo kommen wir da jetzt hin, wenn jeder wieder macht was er oder sie will! – Genau das ist das Problem, dieses unausgesprochene Mißtrauen, der verborgene Selbst– und Menschenhaß.Der Liberalismus steht einer rechtskatholische Tiefengesinnung gegenüber und einer Reihe von selbstüberzeugten Besserwissern, die in sich das Potential zum guten Diktator verspüren. Nicht nur Krieg, sondern auch Diktatur scheint wieder machbar.Aber der Liberalismus hat den Humanismus auf seiner Seite. Er kann sagen, warum wir uns in unserer Freiheit selbst finden und entwickeln müssen. Nur so wird aus Menschen das, was sich aus ihrer Emanzipationsgeschichte längst herauslesen läßt, Wesen individueller Weisheit, Selbstverantwortung, Empathie, Authentizität und einem immens gestiegenen Verbalisierungsvermögen.Erst wenn wir sagen können, was mit uns und der Welt nicht stimmt, wenn wir auch in der Bewegtheit noch die Contenance bewahren können, um uns gleichwohl nicht unterbuttern zu lassen, erst dann sind wir auf dem richtigen Weg. — Dabei ist die Bezeichnung Homo sapiens bislang nur eine Anmaßung.Die letzte aller Kompetenzen ist die schwerste von allen, das ist in jeder Entwicklung so. Sich selbst moderieren zu können, freundschaftlich, verständnisvoll und hoffnungsvoll, das ist einzig das, was zählt. Der Staat hat überhaupt nicht das Recht, sich da einzumischen. Er hat nicht die Aufgabe, über die Gesellschaft zu herrschen, er hat ihr zu dienen, um sie darin zu unterstützen, zu sich selbst zu kommen. — In Pädagogik und Psychologie ist das der state of the art, alle Eltern wissen das. -
Anthropologie, Diskurs, Ethik, Götter und Gefühle, Identität und Individualismus, Kunst, Lehramt, Lehre, Lüge, Moderne, Moral, Motive der Mythen, Politik, Professionalität, Psyche, Religion, Schule, Seele, Theorien der Kultur, Urbanisierung der Seele, Utopie, Wahrheit, Wissenschaftlichkeit, Zeitgeist, Zivilisation
EPG II b (online und Block)
Oberseminar
EPG II b (Online)
Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II
SS 2022 | Beginn: 30. Juni 2022 | Ende: 14. August 2022 | Online und Block
Ab 30. Juni 2022: 5 Seminare online | donnerstags: 14:00–15:30 Uhr, sowie3 Workshops im Block: 12., 13., 14. August 2022 | 14–19 Uhr | Raum: 30.91-110Zum Kommentar als PDF
Zwischen den Stühlen
Eine Rolle zu übernehmen bedeutet, sie nicht nur zu spielen, sondern zu sein. Wer den Lehrerberuf ergreift, steht gewissermaßen zwischen vielen Stühlen, einerseits werden höchste Erwartungen gehegt, andererseits gefällt sich die Gesellschaft in abfälligen Reden. — Das mag damit zusammenhängen, daß jede(r) von uns eine mehr oder minder glückliche, gelungene, vielleicht aber eben auch traumatisierende Schulerfahrung hinter sich gebracht hat.
Es sind viele potentielle Konfliktfelder, die aufkommen können im beruflichen Alltag von Lehrern. Daß es dabei Ermessenspielräume, Handlungsalternativen und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eigenen Ideale mit ins Spiel zu bringen, soll in diesem Seminar nicht nur thematisiert, sondern erfahrbar gemacht werden.
Das Selbstverständnis und die Professionalität sind gerade bei Lehrern ganz entscheidend dafür, ob die vielen unterschiedlichen und mitunter paradoxen Anforderungen erfolgreich gemeistert werden: Es gilt, bei Schülern Interesse zu wecken, aber deren Leistungen auch zu bewerten. Dabei spielen immer wieder psychologische, soziale und pädagogische Aspekte mit hinein, etwa wenn man nur an Sexualität und Pubertät denkt. — Mitunter ist es besser, wenn möglich, lieber Projekt–Unterricht anzuregen, wenn kaum mehr was geht.Es gibt klassische Konfliktlinien, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht selten die eigenen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hineinspielen. Aber auch interkulturelle Konflikte können aufkommen. Das alles macht nebenher auch Kompetenzen in der Mediation erforderlich. — Einerseits wird individuelle Förderung, Engagement, ja sogar Empathie erwartet, andererseits muß und soll gerecht bewertet werden. Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund, daß dabei Lebenschancen zugeteilt werden.
Gerade in letzter Zeit sind gestiegene Anforderungen bei Inklusion und Integration hinzugekommen. Auch Straf– und Disziplinarmaßnahmen zählen zu den nicht eben einfachen Aufgaben, die allerdings wahrgenommen werden müssen. — Ein weiterer, immer wieder akuter und fordernder Bereich ist das Mobbing, das sich gut ›durchspielen‹ läßt anhand von Inszenierungen.
Es gibt nicht das einzig richtige professionelle Verhalten, sondern viele verschiedene Beweggründe, die sich erörtern lassen, was denn nun in einem konkreten Fall möglich, angemessen oder aber kontraproduktiv sein könnte. Pädagogik kann viel aber nicht alles. Bei manchen Problemen sind andere Disziplinen sehr viel erfahrener und auch zuständig. — Unangebrachtes Engagement kann selbst zum Problem werden.
Wichtig ist ein professionelles Selbstverständnis, wichtig ist es, die eigenen Grenzen zu kennen, und mitunter auch einfach mehr Langmut an den Tag zu legen. Zudem werden die Klassen immer heterogener, so daß der klassische Unterricht immer seltener wird. — Inklusion, Integration oder eben Multikulturalität gehören inzwischen zum Alltag, machen aber Schule, Unterricht und Lehrersein nicht eben einfacher.
Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit setzen zwar hohe Erwartungen in Schule und Lehrer, gefallen sich aber zugleich darin, den ganzen Berufstand immer wieder in ein unvorteilhaftes Licht zu rücken. — Unvergessen bleibt die Bemerkung des ehemaligen Kanzlers Gehard Schröder, der ganz generell die Lehrer als faule Säcke bezeichnet hat.
„Ihr wißt doch ganz genau, was das für faule Säcke sind.“
Dieses Bashing hat allerdings Hintergründe, die eben darin liegen dürften, daß viel zu viele Schüler*innen ganz offenbar keine guten Schulerfahrungen gemacht haben, wenn sie später als Eltern ihrer Kinder wieder die Schule aufsuchen.
Ausbildung oder Bildung?
Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grundlagenstudium (EPG) obligatorischer Bestandteil des Lehramtsstudiums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modulen, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünftige LehrerInnen für wissenschafts– und berufsethische Fragen zu sensibilisieren und sie dazu zu befähigen, solche Fragen selbständig behandeln zu können. Thematisiert werden diese Fragen im Modul EPG II.
Um in allen diesen Konfliktfeldern nicht nur zu bestehen, sondern tatsächlich angemessen, problembewußt und mehr oder minder geschickt zu agieren, braucht es zunächst einmal die Gewißheit, daß immer auch Ermessens– und Gestaltungsspielräume zur Verfügung stehen. Im Hintergrund stehen Ideale wie Bildung, Entfaltung der Persönlichkeit, die Erfahrung erfüllender Arbeit und Erziehungsziele, die einer humanistischen Pädagogik entsprechen, bei der es eigentlich darauf ankäme, die Schüler besser gegen eine Gesellschaft in Schutz zu nehmen, die immer fordernder auftritt. In diesem Sinne steht auch nicht einfach nur Ausbildung, sondern eben Bildung auf dem Programm.
Auf ein– und dasselbe Problem läßt sich unterschiedlich reagieren, je nach persönlicher Einschätzung lassen sich verschiedene Lösungsansätze vertreten. Es ist daher hilfreich, möglichst viele verschiedene Stellungnahmen, Maßnahmen und Verhaltensweisen systematisch durchzuspielen und zu erörtern. Dann läßt sich besser einschätzen, welche davon den pädagogischen Idealen noch am ehesten gerecht werden.
So entsteht allmählich das Bewußtsein, nicht einfach nur agieren und reagieren zu müssen, sondern bewußt gestalten zu können. Nichts ist hilfreicher als die nötige Zuversicht, in diesen doch sehr anspruchsvollen Beruf nicht nur mit Selbstvertrauen einzutreten, sondern auch zuversichtlich bleiben zu können. Dabei ist es ganz besonders wichtig, die Grenzen der eigenen Rolle nicht nur zu sehen, sondern auch zu wahren.
Stichworte für Themen
#„ADHS“ #Aufmerksamkeit #Bewertung in der Schule #Cybermobbing #Digitalisierung #Disziplinarmaßnahmen #Elterngespräche #Erziehung und Bildung #Genderdiversity #Heldenreise und Persönlichkeit in der Schule #Inklusion #Interesse–Lernen–Leistung #Interkulturelle Inklusion #Islamismus #Konflikte mit dem Islam in der Schule #Konfliktintervention durch Lehrpersonen #LehrerIn sein #Lehrergesundheit #Medieneinsatz #Medienkompetenz #Mitbestimmung in der Schule #Mobbing #Online-Unterricht #Political Correctness #Professionelles Selbstverständnis #Projektunterricht #Pubertät #Referendariat #Respekt #Schule und Universität #Schulfahrten #Schulverweigerung #Sexualität und Schule #Strafen und Disziplinarmaßnahmen #Ziviler Ungehorsam
Studienleistung
Eine regelmäßige und aktive Teilnahme am Diskurs ist wesentlich für das Seminargeschehen und daher obligatorisch. — Studienleistung: Gruppenarbeit, Präsentation und Hausarbeit.
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Anthropologie, Diskurs, Ethik, Identität und Individualismus, Lehramt, Lehre, Moderne, Moral, Politik, Professionalität, Psyche, Religion, Schule, Seele, Theorien der Kultur, Urbanisierung der Seele, Wahrheit, Wissenschaftlichkeit, Zeitgeist, Zivilisation
EPG II a (online)
Oberseminar
EPG II a
Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II
SS 2022 | freitags | 14:00-15:30 Uhr | online
Beginn: 22. April 2022 | Ende: 29. Juli 2022
Zum Kommentar als PDF
Zwischen den Stühlen
Eine Rolle zu übernehmen bedeutet, sie nicht nur zu spielen, sondern zu sein. Wer den Lehrerberuf ergreift, steht gewissermaßen zwischen vielen Stühlen, einerseits werden höchste Erwartungen gehegt, andererseits gefällt sich die Gesellschaft in abfälligen Reden. — Das mag damit zusammenhängen, daß jede(r) von uns eine mehr oder minder glückliche, gelungene, vielleicht aber eben auch traumatisierende Schulerfahrung hinter sich gebracht hat.
Es sind viele potentielle Konfliktfelder, die aufkommen können im beruflichen Alltag von Lehrern. Daß es dabei Ermessenspielräume, Handlungsalternativen und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eigenen Ideale mit ins Spiel zu bringen, soll in diesem Seminar nicht nur thematisiert, sondern erfahrbar gemacht werden.
Das Selbstverständnis und die Professionalität sind gerade bei Lehrern ganz entscheidend dafür, ob die vielen unterschiedlichen und mitunter paradoxen Anforderungen erfolgreich gemeistert werden: Es gilt, bei Schülern Interesse zu wecken, aber deren Leistungen auch zu bewerten. Dabei spielen immer wieder psychologische, soziale und pädagogische Aspekte mit hinein, etwa wenn man nur an Sexualität und Pubertät denkt. — Mitunter ist es besser, wenn möglich, lieber Projekt–Unterricht anzuregen, wenn kaum mehr was geht.Es gibt klassische Konfliktlinien, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht selten die eigenen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hineinspielen. Aber auch interkulturelle Konflikte können aufkommen. Das alles macht nebenher auch Kompetenzen in der Mediation erforderlich. — Einerseits wird individuelle Förderung, Engagement, ja sogar Empathie erwartet, andererseits muß und soll gerecht bewertet werden. Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund, daß dabei Lebenschancen zugeteilt werden.
Gerade in letzter Zeit sind gestiegene Anforderungen bei Inklusion und Integration hinzugekommen. Auch Straf– und Disziplinarmaßnahmen zählen zu den nicht eben einfachen Aufgaben, die allerdings wahrgenommen werden müssen. — Ein weiterer, immer wieder akuter und fordernder Bereich ist das Mobbing, das sich gut ›durchspielen‹ läßt anhand von Inszenierungen.
Es gibt nicht das einzig richtige professionelle Verhalten, sondern viele verschiedene Beweggründe, die sich erörtern lassen, was denn nun in einem konkreten Fall möglich, angemessen oder aber kontraproduktiv sein könnte. Pädagogik kann viel aber nicht alles. Bei manchen Problemen sind andere Disziplinen sehr viel erfahrener und auch zuständig. — Unangebrachtes Engagement kann selbst zum Problem werden.
Wichtig ist ein professionelles Selbstverständnis, wichtig ist es, die eigenen Grenzen zu kennen, und mitunter auch einfach mehr Langmut an den Tag zu legen. Zudem werden die Klassen immer heterogener, so daß der klassische Unterricht immer seltener wird. — Inklusion, Integration oder eben Multikulturalität gehören inzwischen zum Alltag, machen aber Schule, Unterricht und Lehrersein nicht eben einfacher.
Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit setzen zwar hohe Erwartungen in Schule und Lehrer, gefallen sich aber zugleich darin, den ganzen Berufstand immer wieder in ein unvorteilhaftes Licht zu rücken. — Unvergessen bleibt die Bemerkung des ehemaligen Kanzlers Gehard Schröder, der ganz generell die Lehrer als faule Säcke bezeichnet hat.
„Ihr wißt doch ganz genau, was das für faule Säcke sind.“
Dieses Bashing hat allerdings Hintergründe, die eben darin liegen dürften, daß viel zu viele Schüler*innen ganz offenbar keine guten Schulerfahrungen gemacht haben, wenn sie später als Eltern ihrer Kinder wieder die Schule aufsuchen.
Ausbildung oder Bildung?
Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grundlagenstudium (EPG) obligatorischer Bestandteil des Lehramtsstudiums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modulen, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünftige LehrerInnen für wissenschafts– und berufsethische Fragen zu sensibilisieren und sie dazu zu befähigen, solche Fragen selbständig behandeln zu können. Thematisiert werden diese Fragen im Modul EPG II.
Um in allen diesen Konfliktfeldern nicht nur zu bestehen, sondern tatsächlich angemessen, problembewußt und mehr oder minder geschickt zu agieren, braucht es zunächst einmal die Gewißheit, daß immer auch Ermessens– und Gestaltungsspielräume zur Verfügung stehen. Im Hintergrund stehen Ideale wie Bildung, Entfaltung der Persönlichkeit, die Erfahrung erfüllender Arbeit und Erziehungsziele, die einer humanistischen Pädagogik entsprechen, bei der es eigentlich darauf ankäme, die Schüler besser gegen eine Gesellschaft in Schutz zu nehmen, die immer fordernder auftritt. In diesem Sinne steht auch nicht einfach nur Ausbildung, sondern eben Bildung auf dem Programm.
Auf ein– und dasselbe Problem läßt sich unterschiedlich reagieren, je nach persönlicher Einschätzung lassen sich verschiedene Lösungsansätze vertreten. Es ist daher hilfreich, möglichst viele verschiedene Stellungnahmen, Maßnahmen und Verhaltensweisen systematisch durchzuspielen und zu erörtern. Dann läßt sich besser einschätzen, welche davon den pädagogischen Idealen noch am ehesten gerecht werden.
So entsteht allmählich das Bewußtsein, nicht einfach nur agieren und reagieren zu müssen, sondern bewußt gestalten zu können. Nichts ist hilfreicher als die nötige Zuversicht, in diesen doch sehr anspruchsvollen Beruf nicht nur mit Selbstvertrauen einzutreten, sondern auch zuversichtlich bleiben zu können. Dabei ist es ganz besonders wichtig, die Grenzen der eigenen Rolle nicht nur zu sehen, sondern auch zu wahren.
Stichworte für Themen
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Studienleistung
Eine regelmäßige und aktive Teilnahme am Diskurs ist wesentlich für das Seminargeschehen und daher obligatorisch. — Studienleistung: Gruppenarbeit, Präsentation und Hausarbeit.