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    Demut schützt vor Hybris

    Hochmut kommt vor dem Fall

    Es ist mehr als nur eine Geste der Bescheidenheit, es ist auch eine Verneigung, wenn man konstatiert, bei aller Größe sei man selbst nun auch nicht voraussetzungslos. — Wie irre muß man eigentlich sein, das als Demütigung zu empfinden. Tatsächlich geht es um die Würde der Gesellschaft.

    Ähnlich irre meinen ja auch Vertreter der Wirtschaft, daß sie der Gesellschaft von Nutzen sei, einfach weil sie Geschäfte macht, um dabei die Infrastruktur, die Bildung, das Rechtsystem und die Infrastruktur einfach kostenlos zu nutzen. Wieso soll man sich denn an den Voraussetzungen beteiligen?

    Das ist auch die wirklich gemeingefährliche Vision der Superreichen, die offenbar dabei sind, genau diese Dystopie wirklich werden zu lassen. — Die Gated community, die geschlossenen und bewachten Wohnanlagen, in denen Privatrecht herrscht, sind bereits das erste Zeichen dieser unheilvollen Entwicklung. Dort gibt es ja schon Privatpolizei, wie wäre es denn mit einem eigenen Rechtssystem?

    Es ist ein Gebot von Demut und Bescheidenheit, generell anzuerkennen, daß das, was man ist, kann und geleistet hat, ob Gewinn oder Verlust, Sieg oder Niederlage, im Zweifelsfall den Göttern oder sonstigen höheren Mächten zu verdanken ist. Wo das nicht geschieht, dort wird es immer gefährlicher, denn dann kommt Hybris auf. Das ist nicht nur Hochmut, sondern Dummheit, weil man sich und die eigenen Kompetenzen dabei ganz erheblich überschätzt. Natürlich muß es dann zu Katastrophen kommen.

    Die Demutsformel von den „Voraussetzungen, die man selbst nicht geschaffen hat“, muß wirklich von Herzen kommen. Denn dann versteht man sich als das, was man ist, ein ziemlich kleines Teil eines reichlich großen Ganzen, das man nicht nur nicht in der Hand hat, sondern zumeist nicht einmal versteht. Ich empfehle zunächst eine Roßkur mit Luhmann–Lektüre gerade für Weltverbesserer, wie ich selbst einer bin. Und darüber hinaus muß auf jeden Fall sehr viel mehr Philosophie in die öffentlichen Debatten, denn es ist einfach ganz schrecklich, was da so tagein tagaus an Böcken geschossen wird. Als würde neuerdings mangelndes Denken belohnt.

    Es besteht die Gefahr, daß man mit dem besten Willen und noch besseren Absichten ganz schlimmes Unheil anrichten kann. — Daher hat man die Gewaltenteilung erfunden und den Monotheismus auf der Ebene von Staatstheorie und Rechtsphilosophie schon seit langem überwunden. Nur, daß die Leute es nicht verstehen, weil sie größtenteils noch in Märchenwelten leben. Immerzu wird gequatscht, wie im Kindergarten, es sollten für alle dieselben Regeln herrschen, das müsse doch alles zentralistisch, aus einem Guß, ohne Ausnahmen, selbstverständlich mit hartem, härtestem, ach, drakonischen Maßnahmen. Seufz. — Nein!

    Das Gegenteil ist richtig. Auch Schwarmintelligenz braucht erst einmal Zeit, sich zu entwickeln und eine gute Pädagogik, die Gelegenheiten schafft, daß sie sich auch entfalten kann.

    Was tut man, das Gegenteil. Jetzt soll auch noch telegram verboten werden, so wie es den totalitären Staaten nun auch nicht gefällt, daß die Leute einfach so, also unkontrolliert miteinander reden. Sorry, geht es noch?

    Das Gegenzeit ist richtig! Es soll eine argwöhnische und eifersüchtige Feindschaft zwischen den staatlichen Gewalten herrschen! Es soll, darf und kann nicht alles in einer Hand liegen. – Diese Lektion sollten alle aus der Geschichte längst bezogen haben.

    Wieso kommt das Gesundheitsamt in Mainz dieser Tage einer Bitte der Polizei nach und simuliert einen Infektionsfall, um an Daten der Luca-App zu kommen, um eine Straftat aufzuklären? Ich habe meine Teilnahme nunmehr deinstalliert. — Wer „pragmatisch“ wird, ist nur ein Mensch ohne Prinzipien und sollte gar nicht in Staatsdienste übernommen werden. Wo zum Pragmatismus aufgefordert wird, wollen Leute pfuschen und nur das. Warum, weil sie die Demutsformel nicht beherrschen.

    Das Leben ist komplizierter und auch das Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft, Gemeinschaft und Identität ist es. Es ist einfach grober Unfug, wenn so getan wird, Gesellschaft und Staat, das alles sei dasselbe. Nein, ist es überhaupt nicht! – Im Prozeß der Zivilisation haben Könige kleine Häuptlingstümer unterworfen und in Gesellschaften gezwungen. So sind die ersten Staaten entstanden.

    Staaten sind in diesem Sinne noch immer die Unterdrücker ganzer Gesellschaften und die Unterjocher von Gemeinschaften, die dann als Minderheiten tituliert und darüber hinaus verunglimpft und entmenschlicht werden. Das sieht man allenthalben aber nun auch immer unverblümter im angeblich freien Westen. Im Westen galt bisher noch ein gewisser Stil.

    Der Staat lebt nicht für, sondern von der Gesellschaft, ebenso wie die Wirtschaft. Sie ist die Kuh, die alle besitzen, melken und am liebsten schlachten würden.  

    Im wohlverstandenen eigenen Interesse ist jedoch wärmstens zu empfehlen, sich die Demutsformel zu Herzen zu nehmen. Denn ein Parasit ohne Wirt sieht alt aus. Es wäre viel klüger, wenn der Parasit zum Symbionten wird. Genau das steckt ja auch hinter der Gewaltenteilung. Und dieses Theater wird auch schon häufig inszeniert. Es kommt aber noch immer nicht von Herzen.

    Die uralte Brutalität, die übrigens erst mit der Zivilisation in die Welt gekommen ist, schlägt noch immer durch. — Daher nun mal kein historischer Vergleich, sondern eine Allegorie.

    Der Staat ist ein Schläger, immer schon, ein brutaler Ausbeuter und nicht eben ein Freund der Gesellschaft, sondern ihr Unterdrücker, eigentlich  ihr Zuhälter. Natürlich ist diesem am Wohlergehen seiner „Liebste“ gelegen. — Aber wie macht man daraus allmählich ein ausgewogenes Verhältnis?

    Wie oft ist es allein in den letzten 200 Jahren dazu gekommen, daß der Staat die Gesellschaft mißbraucht, geschändet, verkauft, geschädigt, ausgebeutet, erniedrigt und auf den falschen Weg geführt hat? Heraus aus dem Glück und der Hochkultur in der Aufbruchstimmung um 1900, hinein in den Krieg. Warum? Weil eine „Elite“ keine Demokratisierung wollte. — Moderne ja, aber nur nach militaristischer Manier, später dann als Faschismus. Man will die Vorzüge, aber nicht die Nachtteile, nämlich „mehr Demokratie“ wagen.

    „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ (Perikles, um 500 – 429 v. Chr., athenischer Politiker und Feldherr, Quelle: Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges.)

    Genau das spielte sich damals ab im alten Athen, als die Griechen sich gegen die übermächtigen Perser wehren mußten. Sogar das Orakel von Delphi lag falsch. Natürlich war es unwahrscheinlich, daß die Griechen das durchstünden. Aber es gab da einen Mann namens Perikles, ein begnadetet Stratege und Rhetor, der dafür sorgte, daß der gemeine Mann auf eigene Kosten mit in den Krieg zog und nicht nur der Adel, der ja im Zweifelsfalle doch ein wenig schwach ist, wenn es wirklich darauf ankommt.

    Aber und das ist der Gag: Also forderte der gemeine Mann dann aber auch bei der Herrschaft im Staat mitzuwirken. So entstand die erste Demokratie, in der nicht in Ämter gewählt wurde, sondern sie wurden verlost und es war Pflicht, dem nachzukommen. Man sollte vielleicht wieder das Los entscheiden lassen, dann hätte das Glück wenigstens eine Chance.

    Das Bundesverfassungsgericht trägt den größten Teil der Verantwortung für den Niedergang der Demokratie in der Corona–Krise, für die Spaltung der Gesellschaft und dafür, daß die Politik inzwischen über Hecken und Zäune geht. Es wäre an der Zeit gewesen, die Demutsformel in Erinnerung zu rufen und zu konstatieren, daß der Zweck die Mittel nicht heiligen kann, wenn es gegen Grundgesetze geht und einfach alles, was heilig ist.

    Franz von Stuck: Dissonanz (1910).

    Hätte das nicht mehr ehrenwerte Gericht doch die Politik in Grenzen verwiesen. Das hätte die Politik entlastet, denn sie hätte immer sagen können, es seien ihr nun mal die Hände gebunden. Sie könne nur und müssen daher mehr Eigenverantwortung wagen, der Staat wäre darauf angewiesen, daß die Gesellschaft ihm Voraussetzungen schafft, die er nicht herbeizwingen kann.

    Schön wäre es gewesen, wir hätten dann eine Zivilgesellschaft mit Achtung vor dem Gesetz und der Gesellschaft und vor Andersdenkenden bekommen. Wir hätten eine Solidargemeinschaft, die heute nur noch angeführt wird, um Druck gegen Andersdenkende zu erzeugen. Wir hätten den Schritt vom Obrigkeitsstaat in die Zivilgesellschaft geschafft, das wäre nach 1989 so etwas gewesen wie eine Metamorphose. Aus der häßlichen Raupe der Deutschen wäre ein Schmetterling geworden…

    Klingt das zu naiv, nun, naiv sind vor allem die Moralisten dieser Tage, denn sie geben vor, alles abzuwägen, dabei sind sie nur Denkverweigerer. Und so fragt man sich: Was ist schlimmer, Querdenken oder Nichtdenken?

     

     

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    Berühren verboten!

    Aber Gedanken sind frei

    Der Verlust an Nähe ist das eigentliche Problem. Ein Eisberg, von man die Tiefen nur ahnen kann.

    Seit Ischgl wissen wir, es kommt auf die Viruslast an. Man infiziert sich kaum im Vorbeigehen, auf die Gefahren der Nähe kommt es an.

    Kultur ist am Feuer entstanden. Vorne wird man gut angebraten und von hinten friert es. Also rückt man noch näher aneinander und reibt sich gegenseitig den Rücken. Und dazu werden berauschende Substanzen gereicht. Man starrt wie hypnotisiert ins Feuer, öffnet sich dem Anderen, dann wird erzählt…

    So sind die ersten Geschichten der Menschheit ausgetauscht worden. Und während man da so sitzt, kreisen drumherum die Ungeheuer. Wohlige Schauer laufen über den Rücken. Das ist Geborgenheit.

    Und dann steckt man die Köpfe zusammen. Wie oft saßen wir nächtelang schwitzend beieinander. Im Nebel aller erdenklicher Körperausdünstungen.  Menschen sind Säugetiere, sie machen sehr viel mit der Nase. Auch die Wahl von Partnern und Freunden geht über den Geruch.

    Aber jetzt traut man sich nicht einmal mehr, die Nasenflügel zu blähen. Es liegt womöglich Corona in der Luft. Also besser nicht allzu tief und frei atmen. Als wäre Nähe inzwischen nur noch etwas für Lebensmüde.  

    John Collier: Circe (1885).

    Was der Verlust an Nähe mit den Menschen macht, dürfte ebenso gefährlich sein, wie die Ängste, die Kinder in den Suizid treiben. Wie soll man Kindern, Dementen und Sterbenden erklären, daß Nähe gefährlich geworden ist.

    Es ist, wie eine Umprogrammierung. Man soll Nähe zulassen, sich berühren lassen, empathisch sein, andere auch gern einfach umarmen, weil es mehr ist als eine Geste, es ist ein Bekenntnis der Mitmenschlichkeit.   Und jetzt?

    Das ist wohl der Grund, warum der Haß immer größer wird.

    Berühren verboten! Nähe ist verdächtig geworden.

    Kultur ist Nähe, also gefährlich. Denken sowieso.

    Aber Philosophie findet im Kopf statt. Die Gedanken sind frei.

     

     

     

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    Verstehen

    Über Sacha Lobos „Denkpest“

    und die Steingärten des Denkens

    Hannah Arendt stellte sich im Interview mit Günther Gaus vor mit dem Satz: „Ich will verstehen!“ Das spricht mir aus dem Herzen. Ich muß, was ich verstehen will, überhaupt nicht teilen und derselben Meinung sein. Ich muß es nur nachvollziehen können, denn Verstehen ist eine Art Mit–Sein. Nicht–Verstehen, Unverständnis, Falschverstehen, Mißverstehen, das alles ist problematisch und gewissermaßen unphilosophisch.

    Sollten wir nämlich auf falscher Grundlage zu einem Urteil oder zu einer Reaktion gelangen, ist das alles natürlich auch falsch. Wir hätten dann ja rein gar nichts verstanden, glaubten aber dennoch, darüber auch noch abschließend urteilen zu können.  Die Kunst des Zuschauers verlangt daher, ohne Ansicht der Person, der Partei und auch ohne Ansehen der eigenen Vorurteile möglichst alles in Betracht zu ziehen.  

    In der Denkpraxis ist das binäre Kodieren, wonach alles entweder ganz wahr oder ganz falsch ist, natürlich völlig naiv. Es gibt immer irgendein Fünkchen Wahrheit und sei es noch so klein.

    Ein Wort von Sacha Lobo dieser Tage läßt tief durchblicken und erahnen, wie militant Parteilichkeit praktiziert wird. Er spricht allen Ernstes von der „Denkpest“ dieser Tage. Er meint wohl, andere sollen nicht so viel nachdenken, es sei denn, man dächte das Denken der Vorbeter, wie er einer ist. Denken ist aber nun mal kein Nachbeten.

    Ich habe mehrfach in meinem Buch ernsthafte Versuche unternommen, den Gipfel der Verschwörungstheorien zu erklimmen, den QAnon-Mythos. Der Mega–Plot hat was, denn wir leben ja angeblich darin.

    Das ist ja alles auch spannend: Also, in der Nähe des einzig wahren Präsidenten Trump soll sich ein gewisser Herr Q aufhalten, der wie ein guter Geist diesem gescheitesten aller Präsidenten dabei helfen soll, den „Deep State“, den Sumpf einer verschworenen Elite und das ganze Machtkartell ihrer Privilegien auszutrocknen. Anweisung von der Regie: Bitte nicht darauf achten, daß Trump doch selbst einer von denen ist…

    Generalanweisung der Regie: Generell bitte nicht zu sehr auf Widersprüche und vor allem nicht auf Selbstwidersprüche achten. Auch das Ockhams Rasiermesser, also das Prinzip der Denkökonomie, darf vorerst nicht zum Einsatz kommen! Es gibt eine ganze Reihe philosophischer Methoden, die bei diesem Selbstversuch nicht zum Einsatz kommen dürfen, will man den Gipfel dieser Verschwörung erklimmen.

    Die Kunst des Zuschauers macht es erforderlich, jede beliebige Perspektive einnehmen zu können, also auch solche. Es ist allerdings abenteuerlich, dort überhaupt hinzugelangen. Am besten versorgt man sich gleich zu Beginn dieses Weges mit passenden Allegorien. Zum Beispiel wirkt der Weg, um auf den Berg dieser Verschwörung zu kommen, eher märchenhaft. Es scheint, als wäre es eine verrückte Welt, besser noch, als wäre es nicht wirklich diese Welt, sondern eine mit sehr viel Phantasie und Absurditäten.

    Das fiel mir auf, als ich heute einen Artikel las über diesen QAnon–Schamanen beim Sturm auf das Kapitol. Ich habe sodann versucht, mir   aus seiner Perspektive   seine Motive zu eigenen zu machen, ohne sie zu teilen. Ich will einfach nur verstehen, wie man ticken muß, um wie er zu sein.

    Es sei kein Angriff auf dieses Land gewesen, das sei nicht sein Motiv, sagte Jake Angeli dem US-Sender CBS News in seinem ersten Interview nach seiner Verhaftung. „Ich habe ein Lied gesungen, das ist Teil des Schamanismus. Es geht darum, positive Energie in einer heiligen Kammer zu erzeugen“. Seine Absicht sei es gewesen, „Gott zurück in den Senat zu bringen“. Deswegen habe er dort „ein Gebet gesprochen.“ Nun das klingt subjektiv glaubwürdig.

    Er wußte also, daß er einen Ort mit großer Bedeutung doch eigentlich als Unberufener einfach so besetzt und damit doch vielleicht eher selbst entweiht hat. Ich hätte nicht übel Lust auf einen Disput mit ihm genau darüber.

    Übrigens kommen jetzt gewiß bei einigen Nicht–Facklern und Durchgreifern die üblichen Formulierungen auf wie: „Spielt doch keine Rolle, was er sich dabei gedacht hat. Ab ins Gefängnis und Schluß mit der Debatte!“

    Vorsicht, das Bild dieses singenden QAnon–Schamanen ist zur Ikone geworden, vielleicht auch, weil es das schlechte Gewissen bedient, den indianischen Ureinwohnern gegenüber. Diese Bildikone ist in aller Köpfe und wirkt, auch auf die stolzen Besitzer von Steingärten des Denkens, in denen garantiert nichts mehr wächst.

    Aber genau darum geht es doch eigentlich: Gedanken anzuzüchten wie in der Infektiologie, um zu sehen, was sie eigentlich für welche sind. Und natürlich treffen auch Philosophen ihre Schutzmaßnahmen.   Ich muß zugeben, daß das Verstehen-Wollen manchmal etwas zu viel wird. Mir ist mehrfach wie bei einem kollossalen Systemfehler das ganze Denken zusammengebrochen. Ratsam wäre es, wenigstens nicht auch noch an den Ästen sägen, auf denen man gerade sitzt.

    Nun macht das Verschwörungsdenken ja deswegen so große Probleme, weil man es „nachwollziehen“ will, um es aus seiner Perspektive zu verstehen, weil aber immerzu behauptet wird, das alles sei wirklich wirklich wirklich. Also das mit der Pizzeria, in deren Keller kleine Kinder verkauft werden, das mit der Schuppenhaut von “Bill Gates”, den ich in seiner Rolle als angemaßter Weltgesundheitsminister völlig inakzeptabel finde, das mit dem “Deep State” oder auch das mit dem “Great Reset”, also dem „Menschenaustausch“. 

    Alle diese Theoreme bringen denkerisch ganz erhebliche Belastungen mit sich, es sind Attacken, die schnell zur Systemüberlastung führen, so daß zusammenbrechen muß, was eigentlich obligatorisch wäre. Das macht die Gespräche mit aktiven Verschwörungstheorie–Anhängern so schwierig, weil man schnell konfus wird darüber, daß sie von eins aufs andere kommen. Alles hängt mit allem zusammen, gewiß, nur sieht man es auch beim besten Willen nicht. 

    Mein Lieblingssatz aus der Ethologie lautet folgendermaßen: Der Schamane Katka sieht auf einem Baum eine Hexe. Ich sehe, wie Katka die Hexe sieht, sehe aber selbst die Hexe nicht. Nun damit sollte man schon klarkommen, als Ethnologe und auch als Philosoph.

    Mit dem hypothetischen Für-Wahr-Halten ist das so eine Sache. Da irren die Steingarten-Besitzer nicht. Und die Denkpest von Sacha Lobo fordert tatsächlich ihre Opfer, wenn man denn keine Methoden hat und noch dazu die Hosen voll. Es könnte sich ja irgendwas Ungeheuerliches als wahr herausstellen und was dann? Daher die Steingärten, in denen gleich gar nichts wächst. 

    Aber ich habe mich nie damit zufriedengegeben, nur über Verschwörungstheorie zu reden und mich darüber billig zu amüsieren. Ich habe es mehrfach und immer wieder anders versucht, obwohl so ein Breakdown ziemlich viel kostet. Es dauert, bis man danach einigermaßen auf der Höhe ist und sich wieder selbst über den Weg trauen kann, von wegen: All Systems Running.

    Ich hatte bereits bei vorangegangenen Untersuchungen feststellen können, daß manche der Ereignisse, von denen in den Verschwörungs–Theoremen gesprochen wird, tatsächlich in der Menschheitsgeschichte vorgekommen sind, wie etwas der “Menschen–Austausch”, etwa mehrfach durch die Pest oder auch durch die Sintflut, also den Einbruch des Schwarzen Meeres, was inzwischen nachweisbar geworden ist.

    Mit der Hypothese, daß wir das alles präsent haben im kollektiven Unbewußten, läßt sich dann auch nachvollziehen, warum diese Horrorvorstellungen präsenter erscheinen als sie es sind. Das ist dann auch der entscheidende Aspekt, daß so etwas stattfinden kann und auch bereits geschehen ist, daß man aber   jetzt kommt Ockhams Rasiermesser doch zum Einsatz nicht ohne weiteres behaupten darf, daß beispielsweise jetzt der “Great Reset” wieder unmittelbar bevorstünde.

    Man macht diese Behauptung gern fest anhand eines Appells von Klaus Schwab, dem Leiter des Bonzenfestivals in Davos, genannt Weltwirtschaftsforum. Auch da läßt sich die Perspektive durchaus übernehmen. Es ist vom „Great Reset“ die Rede, weil es um die menschengemachte Welt ökologisch, ökonomisch und politisch überhaupt nicht gutsteht. Es braucht in der Tat einen Kurswechsel, ein Update, einen Reboot, um die Metapher voll zur Geltung zu bringen. Aber nun anzunehmen, es käme dabei auf einen Gen–Austausch etc. an, ist reichlich bei den Haaren herbeigezogen und bedürfte daher eigens einer hinreichenden Begründung, warum das denn doch gelten soll, warum diese Behauptung glaubhaft sein soll.

    So weit so gut. Das genügt mir aber noch nicht, denn es ist noch nicht hinreichend für das Verstehen. Bis ich heute darauf kam, wie man auch und ganz bewußt mit Verschwörungstheorien umgehen könnte.

    Es sind Träume. Daher haben sie alle Rechte von Träumen und so gut wie keine Pflichten. Denn Träume machen ja nun wirklich, was sie wollen. Und dabei regen wir uns auch nicht darüber auf, daß sie wirr sind, unrealistisch, blödsinnig und sonstwie für den hemdsärmeligen Intellekt einfach ein Ärgernis, weil er nicht weiß, wie und wo er anpacken soll.

    Anders geht damit jedoch unser Geist um, über den wir auch verfügen sollten, falls wir keine stolzen Steingarten–Besitzer sind und auch nicht Sacha Lobo heißen. Der Geist kann mitunter Träume deuten, und das ist die Lösung des Problems. Es sind „Träume“, zumeist Horrorträume, oft ohne Sinn und Botschaft aber auch das ist ja nun etwas, das wir den Träumen zugestehen müssen. Wir sollten die Zeichen darin sehen und erkennen, um ihnen die Bedeutung zuzugestehen, wie wir sie manchmal auch Träumen geben, wenn sie uns etwas zu Verstehen geben, zumeist auf symbolischer Ebene. 

    Am Ende kommt es darauf an, was der Zuschauer im Rücken des Zuschauers sieht. Was er glaubt, ganz allmählich verstehen und dann sogar auch in eigenen Worten vertreten zu können. Das ist dann wiederum der Abstieg aus den massiven Gebirgen unserer Phantasien, die wer weiß wo in den unendlichen Weiten unseres Unbewußten zu besuchen sind, denn dort sind sie in der Tat „real“.   

    Es liegt an den Grenzen der Sprache, denn zumeist fehlen einfach die Worte. Und im übrigen regelt die Grammatik das Privileg der Phänomene generell, ob sie für die Wirklichkeit überhaupt in Frage kommen. Wir können aber nun unser Denken nicht erweitern, wenn wir uns von der Grammatik das Denkmögliche vorbeten lassen. Die deutsche Sprache hat einige Entwicklungen noch nicht genommen. Sie verfügt über keinen Irrealis als eigenständigen Modus, jedoch über das Konzept.

    Der Konjunktiv II kann dazu benutzt werden, einen Irrealis der Gegenwart und einen Irrealis der Vergangenheit zu bilden, der als irreales bzw. unerfüllbares Konditionalgefüge erscheint:

    Wenn ich gedanklich reich wäre, also keinen Steingarten des Denkens hätte und auch nicht Sacha Lobo hieße, böten sich mir mehr Möglichkeiten des Verstehens. (Irrealis der Gegenwart, mit Konjunktiv II)

     

     

     

     

     

     

     

     

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    Querkopf II

    Worum es geht? Darum, daß wir alle selbst denken

    Als das Orakel von Delphi mit dem Spruch herauskam, Sokrates sei der Weiseste unter den Athenern, hatte er nichts Besseres zu tun, als daran zu zweifeln.   Jetzt müßte der Chor des Mainstreams energisch ausrufen: Das ist Gotteslästerung gegenüber Apollon, dem Herrn des Orakels zu Delphi!

    War es das? Vielleicht ja, vielleicht nein. Wir wissen nicht, was Apollon gesagt hätte.

    Aber Sokrates hatte nun einmal nicht den Eindruck von sich, wirklich weise zu sein. Also „testete“ er alle anderen, von denen er annehmen mußte, sie verstünden wenigstens was von ihrer Sache und da er nun mal von gar nichts was wußte, mußten sie ja nun nachvollziehbar auch als weiser erscheinen. Er hat dann ganz Athen gegen sich aufgebracht, aber das ist eine längere Geschichte…

    Das bei derartigen Untersuchungen etwas Überraschendes herauskommt und eben keine Petitio Principii, ist ja der Grund, warum man sich überhaupt solcher Mühen unterzieht, an allem zu Zweifeln. Und Descartes als Vater der Methode des systematischen Zweifels hatte zeitlebens Angst vor der Inquisition.

     Man wird aber auch immer mal wieder belohnt dafür, sich mit Zweifeln abzugeben.

    Erst so kommt man zur eigenen Sicht, zu Inspirationen, zu Vorstellungen, daß irgend etwas auch ganz anders gesehen, gewesen oder sein könnte. Das ist der Moment, wo im Krimi der Kommissar nach der vermeintlichen Lösung des Falles einem entsetzten Kollegen sagt: Das war zu einfach, wir fangen jetzt noch einmal von vorne an!

    Mir ist nun derweil tatsächlich etwas Überraschendes untergekommen, als ich versucht habe, dahinterzukommen, was denn wohl die Motive der Impfverweigerer sein könnten. So arbeite ich und das ist meine Methode: Man glaubt einfach alles, tritt gutwillig wie ein Kind voller Vertrauen heran und versucht alles nachzuempfinden, um aus der Perspektive des Anderen einfach nur zu verstehen. Dabei muß man die Einstellung nicht wirklich übernehmen oder gar teilen. Es genügt bereits, die Beweggründe nur nachvollzogen zu haben.

    Als Philosoph weiß ich nun wiederum aus Erfahrung, daß die meisten Thesen schon bei der Vorstellung in sich zusammenbrechen, sie können sich einfach nicht halten aus vielerlei Gründen. Oft haben sie gar kein Fundament. Sobald sie stabil erscheinen, mache ich Belastungstests wie die Brückenbauer es tun. Ich will genauer wissen, wie belastbar eine These ist und wann sie, unter welchen Umständen, wie schnell kollabiert.

    Das Besondere an den allseits verteufelten Ungeimpften scheint mir zu sein, daß sie es sich nicht leichtgemacht haben, zu ihrer Entscheidung zu kommen und dann auch dazu zu stehen. Mich reizt immer die Qualität von Begründungen, daher teste ich möglichst vieles tagtäglich auf philosophische Dignität. Ich teste nicht auf Kompatibilität zu den Glaubensbekenntnissen des Mainstreams. Da interessiert mich vieles andere, etwa, woher diese Kirchengläubigkeit kommt, die jetzt „die“ Wissenschaft zum einzig wahren Glauben erklärt und in allen Zweiflern nur gemeingefährliche Ketzer sieht.

    Es geht um sehr viel mehr in der Corona-Kris. Und auch beim Philosophieren geht es um alles. Das Ganze ist immer das, was man mit Spekulationen andauernd in Erfahrung zu bringen versucht, das Ganze ist die Vernunft. Die vielbeschworenen Rationalitäten, im Plural, stehen immer nur für einen Teil des Ganzen.

    Meinen vielen Untersuchungen zufolge ist es die Aufgabe der Vernunft, Modell–Vorstellungen vom großen Ganzen zu entwickeln. Also wann wäre etwa eine Expertenrunde vollständig, welche Positionen müssen einfach vertreten werden? Das war mein Job in der Technikfolgenabschätzung über viele Jahre, so etwas zu organisieren, zu moderieren und den Diskurs darüber zu initiieren. Wenn ich dagegen heute sehe, wie engstirnig, ja hochnotpeinlich einseitig die öffentlichen Debatten verlaufen, dann bin ich auf der falschen Party.

    Wir haben es, so meine Diagnose, mit multiplen Systemversagen zu tun, was nicht hätte müssen sein. Die Hauptlast der Verantwortung liegt beim Bundesverfassungsgericht und dann bei den Medien, weil sie von Anfang an in Konkurrenz zum Internet auf Eskalation gesetzt haben. Die Politik hat sich verführen lassen, den großen Zampano zu geben.

    Genau davor hat der heilige Niklas (Luhmann) immer gewarnt, zu glauben, man könnte den Autopiloten der Systeme mal abschalten und auf Handsteuerung gehen. Sorry, die Pilotenkanzel ist unbesetzt! Ja es gibt sie nicht einmal, die Hebel der Macht. Da irren viele derer, die wirklich was dafür geben würden, wenn es die eine Geschichte von dem einen Bösen, also vom Haupt der Verschwörung wirklich gäbe, so wie bei James Bond, den ich deswegen mit Eifer schaue, weil er so rein gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat.

    Philosophie ist die Mutter aller Wissenschaften, daher haben wir auch einen Zugang zu allen Disziplinen. Als sie sich emanzipiert haben, um selbständige Wissenschaft zu werden, haben sie die radikalsten Fragen in der Philosophie zurückgelassen. Daher und daran läßt sich zu jeder Zeit sehr leicht anknüpfen. Wir haben jeder Zeit jeden Zugang.  

    Aber Philosophie ist auch eine Wissenschaft, was mich damals, als ich anfing, schwer begeistert hat, daß sogar die Denkfehler einen Namen haben, wie gute alte Bekannte.   Aber Philosophie ist auch Literatur, also arbeitet sie mit Metaphern, Mythen, mit allen erdenklichen Motiven für Idealvorstellungen, wie es die Götter für uns sind.

    Worum es geht? Darum, daß wir alle selbst denken, auch auf die Gefahr hin, schief angesehen zu werden, was man sich denn wohl einbildet. Das ist nun mal der Preis. Und im übrigen besteht die Gefahr, ganz enorm daneben zu liegen.

    Vieles ist eine Frage der Methode, und es gibt ein paar ziemlich gute Methoden. Ich bezeichne eine davon als die „Kunst des Zuschauers“, die andere als „Philosophie in Echtzeit“. Und über allem hängt als Damoklesschwert der Leitspruch meiner Philosophie: Und hättest Du geschwiegen, wärst Du Philosoph geblieben!

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

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    Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat

    Über Menschenwürde und Impfzwang

    Viel war immer von „Würde“ die Rede, gerade in Deutschland. Dieser Begriff war wie ein Fetisch, man hob ihn sehr hoch und höher. Aber den allermeisten war das Gemeinte so faßbar wie die Begriffe Leib und Seele.

    Und da nun die „harten“ Wissenschaften keinen Zugang haben zu alledem, ist es eigentlich schlecht bestellt um das,  was gemeint sein könnte. Allenfalls wird widerwillig noch so etwas wie Psyche zugestanden aber dann auch nur mit einem Manko. Wenn etwas „psychologisch bedingt“ ist, dann ist es zugleich „nur psychologisch“.   Es ist gewissermaßen grundlos, weil es ja nun keine „kausale“ Ursache gibt, oder?

    Das ist der bornierte Materialismus einer Kultur, die inzwischen gefährlich geistlos geworden ist, wie sich an der aktuellen Debatte um den Impfzwang zeigt.

    „Würde“ ist unfaßbar für alle diejenigen, die meinen, es gäbe nur eine einzige Wahrheit, nämlich diejenige, die sich in Zahlen messen und naturwissenschaftlich thematisieren läßt. Ja und Liebe wird zur Hormonstörung, ist es nicht so? Und Schönheit kommt von außen, tausend InfluencerInnen können nicht irren?

    Alles, was nicht ins Prokrustenbett dieser Unbildung paßt, wird passend gemacht. Das geht so weit, daß BiologInnen in den Talkshows der Republik unwidersprochen zwischen Glauben und Wahrheit unterscheiden, um dann “die Wahrheit” für sich zu reklamieren. Und alles andere ist Hokuspokus? – Ich muß doch sehr bitten.

    Das Niveau ist inzwischen unterirdisch. Die so scheel beäugte Psyche geht gerade über Hecken und Zäune. Es geht schon längst nicht mehr um körperliche Gesundheit. Wir haben es mit einer Massenhysterie zu tun, die nun Sündenböcke braucht, weil aus alledem, was man sich versprochen hat, durch Impfen wiederzugewinnen, nichts wie erwartet gekommen ist.  

    Dabei wurde von Anfang an rücksichtslos alles ins Opferfeuer geworfen, ob es das Seelenheil von Kindern ist, denen man sagte, sie würden den Tod bringen oder die Würde der Sterbenden und Dementen, die ohne jede menschliche Berührung wegdämmern und sterben. Die Liste ist inzwischen unübersehbar, was da an Schäden angerichtet worden ist.

    „Würde“ ist ein höchst intimes Selbstverhältnis zwischen Ich und Selbst, Körper und Psyche, Leib und Seele, Sinnlichkeit und Geist. Es ist dieser seltsame Widerspruch, daß wir von den einen nicht einmal flüchtig berührt werden möchten, während wir uns den anderen mitunter vorbehaltlos hingeben können. Das hat etwas mit einem Vertrauen zu tun, das nicht eingefordert werden kann.

    Was haben wir denn für Bilder im Kopf, wenn „unser Körper“ gerade mit etwas ringt? Das sind Narrative, die wir uns durch den täglichen Wissenschaftsjournalismus einfangen. Als ob das alles wäre, um zu sagen, wer und was „wir“ denn so alles „sind“.

    Naiv sind weniger die der Esoterik Verbundenen, sie versuchen wenigstens eigene Worte zu finden für dieses Intimverhältnis. Während die anderen nur ihre Geistlosigkeit demonstrieren und einen längst arbeitslos gewordenen Kirchenglauben nunmehr auf „die“ Wissenschaft richten, ja welche denn?  Es gab zu allen Zeiten einfache Gemüter und diese wußten darum. Nur, inzwischen halten sich diese auch noch für aufgeklärt, wenn sie daran gehen, andere zu belehren, um sie auf den richtigen Glaubensweg zu bringen.

    Der Mensch lebt nicht vom Brot allein und das Leben ist der höchsten Güter nicht; vieles, unendlich vieles ist schon gesagt worden darüber, daß es Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, zwischen Körper und Geist, von denen sich unsere Wissenschafts–Weisheiten nun wirklich nicht einmal eine Vorstellung machen können.

    Alle diese Schuster sollten bei ihren Leisten bleiben, denn es ist zwischen Technik– und Naturwissenschaften einerseits und zwischen Geistes– und Kulturwissenschaften andererseits zu unterscheiden. Und die Borniertheit mancher Fachvertreter und ihrer Nachbeter sollte uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir es mit einer komplexen und auch tiefgründigen Wirklichkeit zu tun haben.  Wir haben eine Innenwelt, die es mit den unendlichen Weiten des Kosmos spielend aufnehmen kann, wenn man bedenkt, wer und was in unserer Phantasie so alles leibhaftig ist.

    Als ich in einem Thinktank vorzeiten desöfteren interdisziplinäre Expertenkreise moderiert habe, gab es nicht selten diese Kindlichkeit im Auftreten von Sachverständigen, wenn sie mal für etwas nicht zuständig sind, sondern andere, noch dazu konkurrierende Disziplinen. Man mußte dann schon energisch werden, um sie dahin zu bewegen, nur über ihre Sache sprechen, wovon sie schließlich etwas verstehen aber nicht andere schlecht reden.  Genau das aber geschieht nun in dieser Gesellschaft. Da sucht eine aufgehetzte Mehrheit nach Sündenböcken und erklärt alle Andersdenkenden zu „Gefährdern“.

    Die Mehrheit hat nicht das Recht, sich so eine Minderheit zu erschaffen, um dann über sie herzufallen, nur weil sie sich hat Angst machen und mit falschen Versprechungen und trügerischen Hoffnungen ins Bockshorn jagen lassen. Die Gesellschaft hat nicht das Recht, so zu tun, als sei sie eine Gemeinschaft und hätte dementsprechende Rechte. Gerade unsere real existierende Gesellschaft ist sozial kälter als viele andere, daher hat sie sogar noch weniger Rechte als jene.

    Der Staat hat nicht das Recht, ein Impfregister aufzubauen, denn bereits das verletzt die Würde im Datenschutz und die informationelle Selbstbestimmung. Und der Staat hat schon gar nicht das Recht, in das intime Verhältnis zwischen mir und meinem Körper einzugreifen. Das wäre mehr als die Verletzung meiner Würde, das wäre bereits Mißhandlung. Nur eine Vergewaltigung wäre noch übler.

    Und für Neunmalkluge: Wenn ich in eine Alkoholkontrolle gerate und gefragt werden, ob ich mit einer „freiwilligen Alkoholkontrolle“ einverstanden sei, dann frage ich stets, was daran freiwillig sein soll. Wenn nicht, dann müsse ich eben mit zur Wache kommen, wo mir zwangsweise Blut für einen Alkoholtest abgenommen würde, erklärte mir der Beamte.  Da habe ich ihm wiederum erklärt, daß das keine Freiwilligkeit sei. Verdeutlicht habe ich es ihm am Beispiel seiner Kollegin, die daneben stand. Wenn ich diese auffordern würde, mich nicht abzuweisen, wenn ich ihr würde nahetreten wollen, weil ich ansonsten „Maßnahmen“ ergreifen würde, was das dann wäre. Nötigung mindestens, vielleicht Freiheitsberaubung, vielleicht mehr.

    Nur, wenn ich mit einem Fahrzeug am Straßenverkehr teilnehme, gebe ich gewissermaßen einen Teil meiner Grundrechte preis. Sollte mir das nicht geheuer sein, könnte aber auch auf das Fahren verzichten…  In der Corona-Krise habe ich diese Alternative nicht, ich kann nicht nicht leben oder mal eben auswandern.

    Die Geschichte wiederholt sich nicht, das ist eines der meistgeglaubten Standards, und dann werden immer wieder Analogien gesucht, wohl, weil wir dann doch aus den Fehlern der Geschichte lernen wollen. Ich denke in den letzten Wochen desöfteren an die berühmt-berüchtigte Schrift von Henry David Thoreau: Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat:

    „Auf diese Weise konfrontiert der Staat nie das Innere eines, intellektuell oder moralisch, sondern nur seinen Körper, seine Sinne. Der Staat ist nicht mit überlegener Weisheit oder Redlichkeit ausgerüstet, er besitzt nur überlegene physische Stärke. Ich bin nicht geboren, um mich zwingen zu lassen. Ich will nach meiner eigenen Art atmen. Laßt uns sehen, wer der Stärkere ist.“ (Henry David Thoreau: Uber die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. 1849. S. 9.)

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    Klio dichtet

    Klio dichtet

    Es sind immer die Narrative.

    Auch dieses hier, diese Mischung aus Suppenkasper und dem Losungswort für eine neue Weimarisierung und dann die unsägliche Rede von den Covidioten. Ergo: Coronaleugner, Wissenschaftsfeinde, Faschisten, Verschwörungstheoretiker, Staatsfeinde, Schuldige.
     
    “Werdet wie die Kinder”, kann das ratsam sein? Denn Kinder und ihre Lieder sind oft grausam.
     
    Ich kann mich dunkel und peinlich berührt an eines aus der Nachkriegszeit erinnern:
    Hinter einer Bude, saß ein J*… Dann kam irgendetwas mit “Piepen”, also Geld und auch etwas mit “Läusen”. Aber Erwachsene haben flüsternd gebrüllt, wir sollte sofort aufhören damit…
     
    Gerade die Übertretung, insbesondere  die Herabsetzung von anderer bereitet oft eine gewisse Lust, die sich selbst freizusprechen bemüht ist. 
     
    Vor allem dann, wenn man glauben möchte, “denen” das Böse, das man ertragen muß, anlasten zu können.
     
    Wer sich also an ihnen vergreift, gibt ja nur zurück, oder?  Sie erhalten ja nur, was sie „verdient“ haben, oder?
     
    Ja?  Verdient wieso, wofür, weswegen?
    Tiefenpsychologisch läßt sich erklären, was da eigentlich gerade vor sich geht, wenn sich revanchistische Gefühle in den Vordergrund drängen. 
     
    Es ist schon befremdlich, mit welcher Häme zur Kenntnis genommen wird, wenn einer dieser Aktivisten stirbt an Corona! Und dann auch noch ungeimpft, also ohne getauft worden zu sein! Und jetzt schmort er im Fegefeuer.
     
    Weil wir uns allen Ernstes vorbehaltlos einer Riege von Epidemiologen anvertrauen, sind wir im Entwicklungsniveau wieder im Mittelalter angekommen, denn sie verstehen nur ihre Zahlen und sehen auch nur, was diese sagen.
     
    Ja und was sagen die Zahlen denn schon? Was sehen sie überhaupt?  Sie sehen nicht die Psyche, den Ruin vieler, den Untergang der Clubs, das Sterben der Kultur, den Verlust an Nähe und die seelischen Grausamkeiten gegenüber Kindern und Alten.
     
    Sie sehen nicht die Bürgerkriegspotentiale, den neuen Haß, das Versagen des Bundesverfassungsgerichtes, den Niveauverlust auf allen erdenklichen Ebenen.
     
    Dafür haben sie keine Zahlen, dafür sind sie auch nicht zuständig. Ja, das sind sie in der Tat nicht. Dann sollten sie auch nicht Empfehlungen geben, die sie gar nicht vertreten können, weil sie keine Ahnung haben davon, was Menschsein ausmacht. Menschen die Nähe, die Berührung, das intime Verhältnis zum eigenen Körper, Sterbenden die Berührung, Dementen die Besuche zu nehmen, ist das rettend?
     
    Sorry, selbst ein verstorbener AFD–Mann war, ist und bleibt ein Mensch mit allem, was dazu gehört. Etwas mehr Würde im Umgang sollte schon drin sein, selbst wenn sich gerade die AFD hier nicht verdient gemacht hat.
     
    Würde ist umso wichtiger, in einer Zeit, die den Grundgesetz–Artikel über die Würde gerade auf den Altären der Zahlenfetischisten ausbluten läßt um dem Gott der Geistlosen zu opfern.
     
    Nicht was sie wissen, die Herren und Damen Scientisten in ihrem unerschütterlichen Glauben an die Reinheit der Zahlen, sondern das, was sie alles nicht wissen, interessiert mich.
     
    Nie waren Zeiten so geistloser. Da treten Naturwissenschaftler auf, um ernsthaft über den Unterschied zwischen Wissen und Glauben zu fabulieren. Sie hätten nun mal das Wissen und die anderen nur Glauben.
     
    Sorry, Vertrauen läßt sich nicht einfordern, es wird einem gegeben, wenn man es sich verdient hat in den Augen derer, die ja vielleicht auf andere und auf anderes vertrauen.
     
    Wir haben einen neuen Aberglauben am Hals, einer, der sich aufgeklärt gibt, aber blind vertraut und dann auch noch blindes Vertrauen einfordert. Da kann man aber auch sehen, was Angst mit Menschen macht.
     
    Dabei wissen wir doch schon seit geraumer Zeit, daß der Zeitgeist zwischen Aufklärung und Aberglauben immer wieder hin und her pendelt.
     
    Der Glaube an die einzig wahre Epidemiologie zeigt den erbärmlichsten Stand der Humanität seit Menschengedenken. Wir sind fortan nur noch Biomaschinen ohne Psyche, Leib oder Seele, ohne Geist und Vernunft. Das alles zählt nicht, meint Klio, heute.
     
    Sie ist besoffen vom vermeintlichen Erfolg, Geister zu vertreiben, die sie selbst gerufen hat. Sie pinkelt des Nachts berauscht in einen Brunnen und steht Stunden davor, weil sie die eigene Größe verspürt, denn das Rauschen hört einfach nicht auf.
     
    Die Priester im Tempel der Vernunft kennen das alles. Es gibt unendlich viele Narrative, von denen alle irgendwann einmal äußerst wichtig sein werden. Das ist eine Frage, die im Tempel der Vernunft immer wieder neu gestellt wird. Wie wird das Wetter des Geistes morgen? Darauf kommt es an.
     
    Vernunft ist mehr als die Summe epidemiologischer Zahlen. Es geht nicht nur um die Materie im Körperlichen. Menschen sind sehr viel mehr als nur das. Auf den Geist kommt es an. Niemand und nichts ist näher am Licht der Vernunft.
     
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    Georg Stefan Troller zum Hundertsten

    Sich auf das Verstehen verstehen

    Er hat mich geprägt, denn er zeigt immer wieder, wie Verstehen möglich ist und wie fantastisch es sein kann. Dabei ist sein Verständnis oft etwas mutwillig hergeholt, aber genau damit wird er zum Vorbild.

    Ja, man kann verstehen, muß sich aber nicht gleichmachen. Aber vielleicht war und ist es ja auch “nur” die Sonne in seinem Herzen und das bei diesem Lebensweg, – vielleicht auch gerade deswegen.

     

     

    Dieses Niveau ist einmalig. Der freundliche, leicht ironische Unterton, das stets bereitwillige Understatement, das zur Not auch betont hemdsärmelig daherkommt, von wegen, es müsse doch wohl so sein…  Das ist höchste Kunst der Begegnung. Dabei kommt alles so leichtsinnig und flaneurhaft daher, aber es werden Tiefen erreicht, die oft nicht einmal erahnt werden.
     
    Es ist schon bestechend, dabei zu sein, um mitzuerleben, wie leicht man auf wirklich Wichtiges kommt ohne diese stromlinienförmige Oberflächlichkeit, die nur so tut, als wäre da Tiefe. Dann dieser Ton mit einer verlockenden Komplizenschaft für den Zuschauer, der mit ihm gern auf Erkundung. Man vertraut sich gern an.
     
    Da weiß einer sehr viel zu erzählen und versteht sich auf das Verstehen und das auch noch in grotesken Begegnungen. Man spürt, wie eine Zeit auf die andere folgt im Sauseschritt. Stets sind es bereichernde Begegnungen und Erfahrungen, die sogleich ein Teil werden, als hätte man es selbst erlebt.
     
    Troller tut das, was die Mythen immer schon wollten: Weltvertrauen schaffen auf der Grundlage eines Understatements, das es sich leisten kann, sich zu riskieren.
     
    Herzlichen Glückwunsch, Georg Stefan Troller!
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    Wir haben nicht nur Corona, – wir haben auch Demokratie

    Was Menschen einander antun können

    Es ist erstaunlich, wie wenig vertrauenserweckend die mentalen Widerstandskräfte sind, wenn es um „Gesundheit“ geht. In der Tat ist es wünschenswert, an Leib und Seele gesund zu sein, und ein wenig Glück dürfte auch noch mit dabei sein. Nicht zu vergessen die Liebsten und Freunde mit Nähe und Mitgefühl, denn es lebt und feiert sich in Gemeinschaft einfach besser.

    Aber was ist inzwischen aus der Nähe geworden? Die ganze Gesellschaft fügt sich einem Medizin–Diskurs, wie ihn Michel Foucault nicht schlimmer hätte ausmalen können.

    Dabei hat der Glaube an ‚die‘ Medizin selbst etwas Abergläubiges in der Erwartung, sie wäre „Wissenschaft“ und sonst gar nichts. Alles andere sei dagegen nichts weiter als Ketzerei, eine Abweichung vom einzig wahren Glauben und zuletzt einfach nur Querdenkertum und Hokuspokus.

    Teaser. Das Erste: Hart aber fair. Nur ja keinen Zwang: Ist unsere Politik beim Impfen zu feige? 15.11.2021.

    Die Welt ist aber viel komplexer, als es sich Politik und Medizin träumen lassen, die sich in dieser Krise zusammengetan haben, um sich gegenseitig zu stützen.

    Herausgekommen sind Verhältnisse, als lebten wir noch im 19. Jahrhundert. Da gibt es eine bemerkenswerte Unterscheidung zwischen Arzt und Mediziner. Letztere waren damals noch Staatsbeamte und sie standen zumeist im Militärdienst und so ist dann auch heute noch immer ihre Denkungsart. 

    Mein Doktorvater, Prof. Wilhelm Goerdt war Mitglied der ersten Ethik–Kommission in Deutschland. Er hat mir berichtet, daß es in den ersten Sitzungen über den sogenannten „Mündigen Patienten“ ging.

    Er war ein hervorragender Moderator in Seminardiskussionen. Man kam stets ins Schwitzen auf der Suche nach besseren Argumenten. — Er war völlig entsetzt und befremdet darüber, daß die Mediziner gar nicht verstanden oder nicht verstehen wollten, was wohl damit gemeint sein könnte, wenn von „Mündigen Patienten“ die Rede war. 

    Nun hat sich die Politik im Zuge der Corona–Krise in einen Aktivismus verrannt. Sie hat Ängste geschürt und Panik verbreitet. Man glaubte, die Krise auf diese Weise „in den Griff zu bekommen“. Dabei ist in Wirtschaft, in der Bildung und in der Zivilgesellschaft ganz erheblicher Schaden angerichtet worden.

    Nicht nur der Verlust jahrzehntelang „ersparter“ Steuermilliarden, sondern auch seelische Schäden bei Kindern, psychische Belastungen bei jungen Leuten und viele, sehr viele verlorene Träume, um von den Traumatisierungen gar nicht erst zu sprechen. Der französische Präsident hat den Kriegszustand ausgerufen und dann ist es weltweit zu unüberschaubaren Kollateralschäden gekommen.

    Hinter alledem steckt ein obsoletes Menschenbild, das aus dem 19 Jahrhundert stammt. In dieser Krise feiert der Misanthropismus fröhliche Urständ, weil sich Politik und Medizin zusammengetan haben. In Pädagogik und Psychologie wird dagegen seit etwa 1900 von einem völlig anderen Menschenbild ausgegangen, daß der Mündigkeit, der Selbstfindung, der Selbstverantwortung, der Entwicklung und der Emanzipation.

    Und jetzt, wo allmählich kaum noch abzustreiten ist, daß alle Maßnahmen die versprochene Wiederkehr zur Normalität einfach nicht bewirken, daß Geimpfte nicht etwa immun, sondern weiterhin ansteckend und auch gefährdet sind, daß viele der erbrachten Opfer eben nicht erbracht haben, was in Aussicht gestellt worden ist, jetzt wird nach den Schuldigen gesucht wie in einer Ketzerverfolgung. — Aber die Verantwortung liegt in dieser fatalen Kooperation zwischen Politik und Medizin auf der Grundlage eine inhumanen Menschenbildes.

    Eric Claptons Handabdrücke und seine Unterschrift auf dem Rock Walk; 9. Juli 2005, Hollywood. Foto: Nick Wille, via Wikimedia.

    Wir haben nicht nur Corona, wir auch Demokratie. Die überbordenden Machphantasien, in denen Medizin und Politik sich ergehen, sobald sie sich zusammentun, sind pädagogisch kontraindiziert.

    Sie verunsichern, erzeugen Panik und machen krank. Die Gesellschaft wird polarisiert, nur weil der Mut fehlt, zugeben zu können, daß der gute Wille mitunter die schlechtesten Ergebnisse erzielt.

    Der Aktivismus, der Steuerungswahn, die Überheblichkeit, mit ganz wenigen, völlig fixierten Modellen auszukommen, um dann zu glauben, eine solche Krise ließe sich bewältigen mit nur ganz wenigen Hinsichten und Rücksichten, ist fahrlässig.

    Alle Systeme haben inzwischen Schaden genommen. Allem voran das Vertrauen in Politik, Staat, Medizin, Recht, Wirtschaft, Wissenschaft und auch in die offene Gesellschaft, die sich selbst zum Feind wird.

    Ganz entsetzlich ist es, daß immer wieder neue Sündenböcke ausgerufen werden. Erst waren es die Kinder, dann die Jugendlichen und jetzt sind es die Ungeimpften. Querdenker war mal eine ehrenvolle Bezeichnung für solche, die den Mut aufbrachten, sich des eigenen Verstandes ohne fremde Anleitung zu bedienen. Jetzt wird auch noch das kreative, unkonventionelle, ergebnisoffene Denken verunglimpft.

    Die Politik hat sich einnehmen lassen von nur ganz wenigen Disziplinen, die nicht einmal Wissenschaft sind, sondern nur Technik. — Einer Technik werden die Ziele vorgegeben. Daher hätten ganz andere Ziele gesetzt werden müssen, um möglichst unbeschadet durch die Stromschnellen dieser Krise zu steuern. Aber man hat eine Ideologie daraus gemacht und erwartet Gehorsam, wo Vertrauen gar nicht vorhanden sein kann.

    Staat und Medizin haben allein aufgrund ihrer Geschichte ein wirklich großes Vertrauen einfach nicht verdient. — Dieser Staat hat diese Gesellschaft mehrfach in schlimmste Katastrophen geführt und die Medizin stand ihm dabei immer zur Seite. Es ist an der Zeit, die vielzitierte Mündigkeit endlich in Anspruch zu nehme.

    Tatsächlich haben immer nur die Patienten das letzte Wort, denn sie tragen auch alle Konsequenzen. Weil dem so ist, tragen sie auch die Verantwortung dafür, wem sie sich anvertrauen. — Mag ein Arzt noch so überzeugt sein von “seiner” Therapie, wir tragen die Verantwortung uns selbst gegenüber allein und Ärzte haben nicht das Recht, uns dann zu maßregeln.

    Weil aber diese Disziplinen gar nicht in der Lage sind, die Vulnerabilität der ganzen Gesellschaft in den Blick zu bekommen, stürzen sie sich auf das, was sie messen können. Aber das ist nicht das große Ganze. Daher ist es inzwischen zu exorbitant hohen, auch menschlich kostspieligen Opfern gekommen, die allerdings nicht wirklich geholfen haben.

    Die offene Gesellschaft neigt inzwischen dazu, sich selbst zu verletzen. Es würde helfen, endlich vom hohen Roß der Erregungskultur herunterzusteigen, in der sich nicht selten jene wichtig tun, die am wenigsten zu sagen haben. Stattdessen findet ein Rückfall in unrühmliche Zeiten statt, die zweimal schon zum Weltenbrand geführt haben.

    Wer nun behauptet, es wäre nun wirklich angesagt, mal wieder auf den autoritären Charakter zu setzen und auf eine Hinterwelt–Pädagogik, in der Menschen wieder eingeschüchtert, gebrochen und umerzogen werden, ist ein Feind der offenen Gesellschaft. Allein schon der Flirt mit totalitären Systemen wie China ist ein geistiges Armutszeugnis.

     

    55:55 Frank Plasbeck: „Darf ich mal ganz kurz einen Gedanken reinbringen. Wir reden ja vielleicht sogar über kindliche Fragen, wieviel Druck braucht ein Kind, um eine Verhaltensänderung zu haben. Und wenn Sie sich anschauen, wie sich Druck ausübt, auch jetzt steigen die Impfzahlen ja wieder…, plötzlich, wenn man das sieht, was zuvor immer wieder besprochen worden ist mit den Ärzten, in den Medien, dann hilft plötzlich Druck,…

    59:50 Svenja Flaßpöhler:  Mir fällt nur auf, Sie haben ein völlig anders Demokratieverständnis als ich.  Sie reden von Kindern, auf die man Druck ausüben muß.  Sie sagen, man kann von Kindern lernen, daß, wenn man Druck auf sie ausübt, dann verändern sie ihr Verhalten… Wenn man wirklich über Bürgerinnen und Bürger redet und sie als Kinder bezeichnet, auf die man Druck ausüben muß, (lacht).  Also mein Demokratieverständnis ist sozusagen hundertprozentig ein anderes.“ Das Erste:  Hart aber fair.  Nur ja keinen Zwang:  Ist unsere Politik beim Impfen zu feige? 15.11.2021.

    Die Motive derer, die an die reine Lehre des Autoritären glauben, lassen an mittelalterliche Verhältnisse denken — mit Pranger, öffentlicher Demütigung und Exkommunikation. Aber unter denen, die sich dagegen zu Wort melden, zählen auch bedeutende Künstler aus der Rock–Generation. 

    Eric Clapton ist noch unter der Lüge aufgewachsen, seine Mutter sei seine Schwester. Er ist der Erfinder des Bluesrock, was darauf verweist, daß er sich mit der Musik der Schwarzen zu einer Zeit befaßt hat, als noch die Apartheit galt. Wenn er dieser Tage deutlich macht, er wolle nicht, daß sein Publikum oder Teile seines Publikums diskriminiert würden, dann geschieht seine politische Demonstration vor diesem Hintergrund. 

    Die Nachkriegszeit brachte einen epochalen Umbruch mit sich, gegen autoritäre, kriegerische, totalitäre und diskriminierende Verhältnisse, alles, was seinerzeit noch “normal” zu sein schien. Aber gerade der Bluesrock hat die Gesellschaft geöffnet, die Abneigung und den Haß überwunden und die Schmerzen gelindert, die Sklaverei, Ausbeutung und Diskriminierung mit sich gebracht haben. — Solche Wunden zu heilen, dazu bedarf es allerdings noch sehr viel mehr. 

    Derzeit tendiert der Zeitgeist dazu, repressive Verhältnisse zu präferieren. Man glaubt, ein wenig mehr Diktatur könnte sinnvoll sein.  Dagegen werden aber die alten Geister wieder aufstehen, um zu sagen, was zu sagen ist:

    Do you wanna be a free man / Or do you wanna be a slave? / Do you wanna wear these chains / Until you’re lying in the grave?

    Natürlich wirkt der Vergleich der Corona–Maßnahmen mit der Sklaverei verstörend. Aber es geht nicht um eine Gleichsetzung.

    So etwas läßt sich niemals ins Verhältnis setzen, denn dann müßte gesagt werden, was denn nun mehr oder weniger “schlimm” war. Es kann daher nur darum gehen, aus der Geschichte ernsthaft die Konsequenz zu ziehen, daß derartige Verhältnisse nie wieder zugelassen werden. 

    Es ist entsetzlich, was Menschen einander antun können, wenn böse Gefühle aufkommen und verstärkt werden. Wer Diskriminierung erfahren hat, wird sie nie wieder zulassen, nicht einmal ansatzweise. 

     
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    Geimpfte und Ungeimpfte, das gute und das böse Kind

    Eugenio Lucas Velázquez: English: Autodafé (1853).

    Ketzereien über Ketzerverfolgungswahn

    Bei Alice Miller, einer begnadeten Kinderpsychologin, gibt es den inneren Kampf zwischen dem guten und dem bösen Kind. Das eine ist ebenso desorientiert wie das andere. Während sich das eine fügt, rebelliert das andere und beide fühlen sich selbst dabei irgendwie „gehalten“.

    Aber was ist denn gut an den guten Kindern? Man könnte konstatieren, daß alle, die sich haben impfen lassen, es in Erwartung einer damit aufkommenden Normalität getan haben aber doch weit weniger aus Gründen der Solidarität.

    Wer sich hat impfen lassen, wird sehr viel weniger Achtsamkeit an den Tag legen. Aber inzwischen ist es ein offenes Geheimnis, das der Unterschied zwischen geimpft und ungeimpft allmählich schwindet…

    Reaktionen darauf, daß Corona eine globale Naturkatastrophe ist und ebensowenig zu beherrschen ist wie eine Flut, besteht darin, daß ganze Gesellschaften retardieren. Gesucht werden Sündenböcke und man glaubt, sie unter Andersdenkenden und Ungeimpften gefunden zu haben. – Allen wird letztlich so etwas wie ein Glaubensbekenntnis abverlangt, das Spektrum des Sagbaren ist denkbar eng. So entsteht eine Schweigespirale, die Hälfte aller Deutschen geben zu Protokoll, sich nicht mehr freimütig öffentlich zu äußern. 

    Dabei war von Anfang an klar, daß alle unter Dreißig kaum gefährdet sind. Aber, man wollte ja energisch etwas tun. — Aber warum hat man nicht die vulnerablen Gruppen geschützt und der Jugend die Freiheit gelassen. Warum läßt man es zu, daß die Zahl der Pflegekräfte ständig abgenommen hat?

    Es ist ungeheuer viel Geld verbrannt worden, warum hat es nicht dazu gereicht, die Verhältnisse in den Kliniken durch einem Quantensprung zu heben? – Warum ist man nach allen Maßnahmen, Hoffnungen, Aussichten, Versprechungen und Opfern immer wieder genau da, wo man angefangen hat?

    Die Verhältnisse in dieser Krise sind hyperkomplex. Es ist Hybris zu meinen, eine solche Katastrophe ließe sich beherrschen. Man kann gezielte Schutzmaßnahmen ergreifen, vor allem Klugheit wäre angeraten aber kein Aktionismus. 

    Das Muster ist nur zu bekannt: “So tu doch etwas! — Ja was denn tun? — Tu’ irgendwas!”. Das ist jedoch ein Armutszeugnis für alle, die sich in den Glauben flüchten wie bei der Ketzerverfolgung im Mittelalter. Die ganze Stimmung ist seit Monaten mittelalterlich.

    Ich schreibe seit Februar 2020 an einer philosophischen Studie über diese Sinnkrise, über das Versagen sämtlicher Systeme von Recht, Politik, Medien und Wissenschaft. Es hat sich wieder einmal zeigt, was ich immer wieder zu meinem Entsetzen beobachten mußte: Ausgerechnet dann, wenn es wirklich darauf ankäme, gelassen, cool, fast kaltblütig und vor allem mit sehr viel Sinn und Verstand daran zu gehen, die Perspektive der Vernunft in der Vielfalt ihrer Stimmen zur Kenntnis zu nehmen, durch Diskurse, die frei sein müssen und offen, immer dann verlieren die meisten den Kopf und die guten, ach so lieben Kinder sind immer ganz vorne. Das hilft nicht.

    Alles was da so tagtäglich verhandelt wird, hat gar nicht die Kapazität, auf den Boden der Tatsachen zu kommen, die man zur Kenntnis nehmen müßte, wollte man wirklich verstehen, was da gerade vonstatten geht. Es ist eine ungeheure Komplexität, die aber stets auf eines hinausläuft, sie erwischt unsere ach so rechtsstaatlichen, wissenschaftlichen, freiheitlichen, diskursiven und fürsorglichen Ambitionen brachial. Die Moral von der Geschicht‘?

    Mehr Bescheidenheit bitte, nicht behaupten zu wissen, was man nicht wissen kann. Mit dem Nichtwissen arbeiten, also nicht den großen Zampano machen. – Geschaffen wird stattdessen eine fast bürgerkriegsähnliche Atmosphäre, ein Autodafé. Ich habe einen geschätzten Kollegen am Institut, einen Kettenraucher. Und wenn mir das mit der Suche nach den Sündenböcken in den Seminaren zu viel wurde, bei alledem schmierigen Moralin, dann habe ich im Brustton der Überzeugung verkündet: Alle Probleme der Menschheit könnten gelöst sein, wenn nur die Raucher nicht wären. – Nun ja, sie spürten die Ironie dann doch und ahnten, wen ich meinte und sie sahen dann auch in die Hintergründe dieser Bemerkung.

    Die Welt ist zu schwierig für gute Kinder, die doch nur spielen wollen. Wann sollte man den ausscheren, wenn nicht jetzt, wo fast alle den Verstand verlieren? Man merkt es an den Wettervorhersagen, die Lust am Untergang bringt täglich neue Episoden. Neulich hat sich angeblich ein Polarwirbel geteilt, warum hier sibirische Kälte zu erwarten sei. Als ich sah, daß die Meldung vom Potsdam-Institut lanciert worden war, kurz vor der Klimakonferenz, dachte ich über die Berechenbarkeit von Akteuren, die Kampagnen und Wissenschaft seit Jahrzehnten nicht mehr auseinanderhalten.

    Es ist perfide, den Leuten mit großer Kälte zu kommen, das Anschwellen der Küstenlinien verbinden viele ja doch mit Südseefeelings. – Dann wurde ich auch noch auf diese Meldung aufmerksam gemacht, weil bad News nunmal good News sind. Bis mir die Hutschnur riß, ich habe dann einfach nachgeschaut, was denn Jörg Kachelmann, der sich immer so schön aufregen kann über diesen Bockmist sagen würde. – Und richtig! Er schlug auf den “Spiegel” ein und konstatiert, man wüßte überhaupt nichts von diesem Polarwirbel und daß es wohl nur um die Meldung ginge.

    Nicht, daß es nicht noch eine Steigerung gäbe:

    „Der Ablauf eines Inquisitionsprozesses war weder für den Angeklagten noch für seine Angehörigen durchschaubar. Während der Vernehmungen wurden den Verdächtigen einzelne Verhaltensweisen vorgeworfen, die u.U. für sich allein gesehen keine Abweichungen von der kirchlichen Lehre darstellen mußten.

    Diese Taten konnten dann von den Angeklagten entweder zurückgewiesen oder zugegeben und bereut werden. Welche Schlüsse von Seiten des Gerichtes daraus gezogen wurden, war nicht ersichtlich. Der Prozeß fand nicht als zusammenhängende Verhandlung mit der Anwesenheit der Beteiligten oder wenigstens der mit der Urteilsfindung Betrauten statt. Die Dauer des Verfahrens gab keinen Hinweis auf die Bedeutung der Angelegenheit. Das alles führte dazu, daß die Angeklagten bis zum Tag des Autodafés keinerlei Schlüsse auf den Ausgang des Verfahrens ziehen konnten. …

    Die mildeste Art der Sanktion des Verhaltens der Angeklagten durch das Inquisitionsgericht war das Abschwören. Bei einfacheren Vergehen mußte dies nicht in der Öffentlichkeit geschehen, sondern konnte im Gerichtssaal vor dem Tribunal durchgeführt werden. Bei schwerwiegenden Fällen fand auch das Abschwören während einer öffentlichen Urteilsverkündung statt.

    Das Abschwören war gewöhnlich mit Nebenstrafen verbunden. Dies waren Geldbußen, die Verpflichtung, den Sanbenito in der Öffentlichkeit zu tragen, oder die Verbannung.“ („Autodafé“, Wikipedia)

     
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    EPG II a (Online)

    Oberseminar

    EPG II a

    Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

    WS 2021 | freitags | 14:00-15:30 Uhr | online 

    Beginn: 22. Oktober 2021 | Ende: 10. Februar 2022

    Zum Kommentar als PDF

    Universe333: YogaBeyond Honza & Claudine Bondi; Beach, Australia 2013. — Quelle: Public Domain via Wikimedia Commons.

    Zwischen den Stühlen

    Eine Rolle zu übernehmen bedeutet, sie nicht nur zu spielen, sondern zu sein. Wer den Lehrerberuf ergreift, steht gewissermaßen zwischen vielen Stühlen, einerseits werden höchste Erwartungen gehegt, andererseits gefällt sich die Gesellschaft in abfälligen Reden. — Das mag damit zusammenhängen, daß jede(r) von uns eine mehr oder minder glückliche, gelungene, vielleicht aber eben auch traumatisierende Schulerfahrung hinter sich gebracht hat.

    Es sind viele potentielle Konfliktfelder, die aufkommen können im beruflichen Alltag von Lehrern. Daß es dabei Ermessenspielräume, Handlungsalternativen und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eigenen Ideale mit ins Spiel zu bringen, soll in diesem Seminar nicht nur thematisiert, sondern erfahrbar gemacht werden.

    Das Selbstverständnis und die Professionalität sind gerade bei Lehrern ganz entscheidend dafür, ob die vielen unterschiedlichen und mitunter paradoxen Anforderungen erfolgreich gemeistert werden: Es gilt, bei Schülern Interesse zu wecken, aber deren Leistungen auch zu bewerten. Dabei spielen immer wieder psychologische, soziale und pädagogische Aspekte mit hinein, etwa wenn man nur an Sexualität und Pubertät denkt. — Mitunter ist es besser, wenn möglich, lieber Projekt–Unterricht anzuregen, wenn kaum mehr was geht.

    Es gibt klassische Konfliktlinien, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht selten die eigenen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hineinspielen. Aber auch interkulturelle Konflikte können aufkommen. Das alles macht nebenher auch Kompetenzen in der Mediation erforderlich. — Einerseits wird individuelle Förderung, Engagement, ja sogar Empathie erwartet, andererseits muß und soll gerecht bewertet werden. Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund, daß dabei Lebenschancen zugeteilt werden.

    Gerade in letzter Zeit sind gestiegene Anforderungen bei Inklusion und Integration hinzugekommen. Auch Straf– und Disziplinarmaßnahmen zählen zu den nicht eben einfachen Aufgaben, die allerdings wahrgenommen werden müssen. — Ein weiterer, immer wieder akuter und fordernder Bereich ist das Mobbing, das sich gut ›durchspielen‹ läßt anhand von Inszenierungen.

    Es gibt nicht das einzig richtige professionelle Verhalten, sondern viele verschiedene Beweggründe, die sich erörtern lassen, was denn nun in einem konkreten Fall möglich, angemessen oder aber kontraproduktiv sein könnte. Pädagogik kann viel aber nicht alles. Bei manchen Problemen sind andere Disziplinen sehr viel erfahrener und auch zuständig. — Unangebrachtes Engagement kann selbst zum Problem werden.

    Wichtig ist ein professionelles Selbstverständnis, wichtig ist es, die eigenen Grenzen zu kennen, und mitunter auch einfach mehr Langmut an den Tag zu legen. Zudem werden die Klassen immer heterogener, so daß der klassische Unterricht immer seltener wird. — Inklusion, Integration oder eben Multikulturalität gehören inzwischen zum Alltag, machen aber Schule, Unterricht und Lehrersein nicht eben einfacher.

    Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit setzen zwar hohe Erwartungen in Schule und Lehrer, gefallen sich aber zugleich darin, den ganzen Berufstand immer wieder in ein unvorteilhaftes Licht zu rücken. — Unvergessen bleibt die Bemerkung des ehemaligen Kanzlers Gehard Schröder, der ganz generell die Lehrer als faule Säcke bezeichnet hat.

    „Ihr wißt doch ganz genau, was das für faule Säcke sind.“

    Dieses Bashing hat allerdings Hintergründe, die eben darin liegen dürften, daß viel zu viele Schüler*innen ganz offenbar keine guten Schulerfahrungen gemacht haben, wenn sie später als Eltern ihrer Kinder wieder die Schule aufsuchen.

    Ausbildung oder Bildung?

    Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grundlagenstudium (EPG) obligatorischer Bestandteil des Lehramtsstudiums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modulen, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünftige LehrerInnen für wissenschafts– und berufsethische Fragen zu sensibilisieren und sie dazu zu befähigen, solche Fragen selbständig behandeln zu können. Thematisiert werden diese Fragen im Modul EPG II.

    Um in allen diesen Konfliktfeldern nicht nur zu bestehen, sondern tatsächlich angemessen, problembewußt und mehr oder minder geschickt zu agieren, braucht es zunächst einmal die Gewißheit, daß immer auch Ermessens– und Gestaltungsspielräume zur Verfügung stehen. Im Hintergrund stehen Ideale wie Bildung, Entfaltung der Persönlichkeit, die Erfahrung erfüllender Arbeit und Erziehungsziele, die einer humanistischen Pädagogik entsprechen, bei der es eigentlich darauf ankäme, die Schüler besser gegen eine Gesellschaft in Schutz zu nehmen, die immer fordernder auftritt. In diesem Sinne steht auch nicht einfach nur Ausbildung, sondern eben Bildung auf dem Programm.

    Auf ein– und dasselbe Problem läßt sich unterschiedlich reagieren, je nach persönlicher Einschätzung lassen sich verschiedene Lösungsansätze vertreten. Es ist daher hilfreich, möglichst viele verschiedene Stellungnahmen, Maßnahmen und Verhaltensweisen systematisch durchzuspielen und zu erörtern. Dann läßt sich besser einschätzen, welche davon den pädagogischen Idealen noch am ehesten gerecht werden.

    So entsteht allmählich das Bewußtsein, nicht einfach nur agieren und reagieren zu müssen, sondern bewußt gestalten zu können. Nichts ist hilfreicher als die nötige Zuversicht, in diesen doch sehr anspruchsvollen Beruf nicht nur mit Selbstvertrauen einzutreten, sondern auch zuversichtlich bleiben zu können. Dabei ist es ganz besonders wichtig, die Grenzen der eigenen Rolle nicht nur zu sehen, sondern auch zu wahren.

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    Studienleistung

    Eine regelmäßige und aktive Teilnahme am Diskurs ist wesentlich für das Seminargeschehen und daher obligatorisch. — Studienleistung: Gruppenarbeit, Präsentation und Hausarbeit.