Mit dem Pedersen erobert er die Stadt

Mit seinem Pedersen erobert er die Stadt

11. Juni 2012, von Jana*

Dr. Nennen mit seinem Pedersen

Heute trafen wir Dr. Heinz-Ulrich Nennen, Hochschullehrer und Privatdozent für Philosophie in Karlsruhe, vor seinem 12m langen Wohnmobil zum Interview.

Als wir ihn neulich im Hafen auf sein Pedersen-Rad ansprachen, war er zunächst skeptisch, dachte wohl zunächst an einen Ulk, war schließlich aber doch zu einem Interview bereit. Glück für uns, denn so konnten wir bei unserem Besuch in seiner ungewöhnlichen „Philosophischen Ambulanz“ am Dortmund-Ems-Kanal in aller Ruhe mehr über ihn und seine Leidenschaft zum Pedersen erfahren.

Herr Dr. Nennen, eine Frage vorweg: Sie haben nicht nur ein ungewöhnliches Fahrrad sondern auch ein ungewöhnliches Domizil. Was hat es mit diesem Wohnmobil auf sich?

Es ist ein amerikanischer „Winnebago”, benannt nach einem Indianerstamm, Baujahr 1988, der zuletzt als Messemobil lief und eigens dazu umgebaut worden ist. Dieser Wagen ist seitdem sehr viel sachlicher geworden. Fahren läßt er sich, es ist allerdings etwas aufwendig und kostet nicht nur Nerven wegen der Länge sondern auch einiges an Geld aufgrund eines Benzinverbrauchs, der nicht mehr wirklich zeitgemäß ist. Aber wenn er fährt, dann ist es herrlich und wenn er steht, dann gibt es nichts, das ich vermissen würde. Vor allem schätze ich die Rundumsicht, denn die großen Fenster haben wieder etwas von einem Eisenbahnwaggon.

Und hier wohnen Sie?

Nein, es ist meine „Denkwerkstatt“, mitunter auch meine „Philosophische Ambulanz“. Ich bin viel unterwegs, aber wenn ich dann hier bin, genieße ich die Nähe zur Stadt, den Trubel am Kanal und den Blick zum Wasser. Ich habe einige Jahre im Stadthafen von Münster gestanden, direkt gegenüber der Flaniermeile, wo es manchmal doch etwas laut und hektisch wird, hier ist es doch ein wenig beschaulicher.

Wie sind Sie zu Ihrem außergewöhnlichen Rad gekommen?

Ich war damals in Stuttgart an der „Akademie für Technikfolgenabschätzung“ beschäftigt und hatte mir eigentlich in den Kopf gesetzt, ein taz-Rad zu kaufen – das ist jetzt 15 Jahre her. Also bin ich zu einem bestimmten Fahrradladen gegangen. Dort habe ich mir aber auch andere Räder, die für mich in Frage kamen, vor dem Laden aufbauen lassen und diese dann im fliegenden Wechsel ausprobiert. So im direkten Vergleich läßt sich ein Rad noch am Besten testen – mit Parfüms kann man das so nicht machen. Ab dem dritten oder vierten Duft ist die Nase nicht mehr bereit, Differenzierungsarbeiten zu leisten. (Er lacht.) Daß es dann ein Pedersen wurde, war reiner Zufall und doch Liebe auf den ersten Blick.

Werden Sie oft angesprochen, wenn Sie mit Ihrem Rad hier in Münster unterwegs sind?

Oh ja, dieses Fahrrad erregt Aufsehen, es ist ungewöhnlich, manche stehe davor und versuchen, die Konstruktion nachzuvollziehen. Normalerweise sind Drahtesel nicht gerade ein ästhetisches Ereignis. Das Pedersen hat etwas besonderes und in Münster ist sozusagen einzigartig, obwohl ich meine, hier schon jemanden auf einem Pedersen gesehen zu haben, es gibt aber nur sehr wenige. Ich habe es mir aber nicht zugelegt um aufzufallen, sondern weil es sich so gut fahren läßt und auch, weil ich es schön fand. Daß es dann aber derart auffällt, war mir beim Kauf noch nicht bewußt. Manche halten dieses Fahrrad sogar für ein Hochrad, weil der Lenker so hoch gezogen ist und  fragen, ob man das Fahren erlernen müßte. Der Aufstieg ist allerdings eher ungewöhnlich, da er, ganz anders als beim Tiefeinstieg, mehr Körpergefühl verlangt. Man könnte nämlich, ähnlich wie bei einem Pferd auf der einen Seite aufzusteigen und auf der anderen wieder herunterfallen.

Sie vergleichen Ihr Rad mit einem Pferd?

Ja durchaus, je länger ich darüber nachdenke, desto passender scheint mir dieser Vergleich. Der Aufstieg, die Höhe und die Form des Lenkers, das sehr aufrechte Sitzen, dann dieser Sattel, – alles erinnert an ein Pferd. Und beim Fahren komme ich mir vor wie ein Cowboy, der mit seinem Pferd die Prärie der Städte erobert. Da gibt es eine berühmte Szene in einem amerikanischen Western: Die Verfolger sitzen sinnigerweise bereits im Eisenbahnwaggon auf ihren Pferden und springen herunter, sobald der Zug hält. Das hat was, so vom Zug zu kommen um sich eine Stadt systematisch von Viertel zu Viertel erobern zu können, das ging damals nur mit dem Pferd – heute geht das nur mit einem Cruiser.

Der Sattel

Diese Freiheit scheint Ihnen viel zu bedeuten!

Es gibt wohl kaum eine Bewegungsweise die freier aber auch ökonomischer ist als das Radfahren. Auf diesem Rad habe ich den Überblick. Ich sitze, fahre, wende, lasse mich wieder gleiten und kann alles betrachten, so wie ich möchte. Es gibt mir Freiheit, Souveränität und Unabhängigkeit von ausgetretenen Wegen. Ähnlich wie zu anderen Zeiten mit einem Reitpferd, komme ich mit dem Rad von A nach B und nicht, wie mit dem Auto, nur bist zum nächsten Parkplatz. Für kleinere Transporte habe ich Fahrrad-Taschen vorne und hinten und auch größere Koffer kann ich mit einem speziellen Träger zum Bahnhof transportieren. Für mich ist es der größte Luxus, kein Auto zu brauchen, denn das ist wirkliche Freiheit, gar keines haben zu müssen. Ich bin stolzer Besitzer einer Bahncard 100, damit komme ich überall hin, und im Zweifelsfall kann ich mir damit vor Ort auch ein Auto mieten. Wenn ich eine Weile in einer anderen Stadt bin, dann vermisse ich mein Rad schon bald, daher nehme ich es so oft wie möglich mit. Andere haben ein Tier, für mich ist das Pedersen mein ständiger Begleiter.

Koffer-Träger

Naja, Sie haben ja sozusagen beides, Pferd und Rad in einem! Aber auch ein Pferd muß gefüttert werden, oder?

Ein Fahrrad kauft man sich fürs Leben. Lieber investiere ich einmal in ein wirklich gutes Rad, als dreimal in durchschnittliche Räder. Da komme ich am Ende auf den gleichen Preis und dabei ist das Pedersen wirklich pflegeleicht. Dieses Rad besitze ich seit 15 Jahren und ich mußte bisher nicht einmal die Kette wechseln. Klar, ab und an muß man mal die Mäntel erneuern oder hier und da den Rost ausbessern, aber alles in allem hat mich mein Rad noch nie enttäuscht.

Also wird Ihre Wahl in Zukunft immer wieder auf ein Pedersen fallen?

Ja definitiv, ein anderes Rad käme für mich nicht mehr in Frage. Auf einer Skala von 1–10, wenn 10 das höchste ist, kommt für mich die Leidenschaft zum Pedersen und dem Radfahren an sich ganz klar auf eine 9.

Dr. Nennen, vielen Dank für diesen gemütlichen und aufschlußreichen Nachmittag und viel Spaß weiterhin beim Erkunden der Prärie in den Städten, mit ihrem ganz besonderen „Reitpferd“!

 

Bildschirmfoto 2012-06-19 um 00.08.15

 

 

* Der Blog conrad.4arts.info von Farina und Jana aus Münster befaßte sich mit kleinen Anekdoten, Kurzgeschichten oder Schnappschüssen rund ums Thema Fahrrad, ist aber inzwischen offline. Gleichwohl soll dieser Beitrag hier nochmals wiedergegeben werden, weil es doch schließlich darum ging, dem Flaneur ein zeitgemäßes Fortbewegungsmittel auf den Leib zu schneidern.